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Zweites Kapitel.
Die Festung am Rio Meta.

Mit goldenen Zügeln stieg der junge Tag herauf und verdrängte unmerklich, während wir zum Aufbruch rüsteten, die unliebsamen Ereignisse der Nacht. Die wunderbare Schönheit der sich vor unseren Blicken auftuenden Landschaft fegte aus unseren Gedanken schnell jede bange Erwartung hinweg und füllte – wie nicht nur Herberts helle Knabenaugen zeigten – die Herzen mit der romantischen Freude an neuen Erlebnissen. Wir hatten geschwellte Tiere, und Professor Wagemann stieg fieberkrank in den Sattel, aber durch geistesgegenwärtiges Handeln aller war größeres Unheil abgewehrt worden. Die erste Alarmierung würde uns eine gute Lehre sein für kommende Fälle.

Kerzengerade, vierzig und fünfzig Meter hoch, stiegen vor uns die mächtigen Baumstämme empor, zwischen denen ein einfacher Jägersteig nach Osten führte. Noch war es feucht und frisch von der Nähe des Rio Meta, aber schon nach kurzer Zeit umfing uns der dem Tropenwalde eigentümliche Geruch nach Modern und Vergehen und ließ uns schon an diesem Tage fühlen, daß wir vergeblich auf den würzigen Duft, der den deutschen Wald, besonders im Frühjahr, so angenehm durchhaucht, würden warten können.

Es war mühselig, sich durch Strauch- und Buschwerk vorzuarbeiten, und doch wußten wir, daß unser Weg noch verhältnismäßig leicht war, solange uns dieses Unterholz begleitete. Der Reisende weiß, daß es nur dort gedeiht, wo noch reichliches Licht bis zum Boden gelangt, aber nahezu fehlt, wo die dichteren Wipfel und Kronen auch den letzten Sonnenstrahl absperren. Noch war es uns erspart, mit den Schrecken derartig dunkler Waldpartien Bekanntschaft zu machen. Auch das Waldmesser brauchte noch nicht auf Schritt und Tritt den Weg zu bahnen. Das gefürchtete scharfe Gras, vor dem man uns in Orocué hatte ängstlich machen wollen, und das des Menschen Füße und Hände zerschneiden sollte, wenn nicht der Façao es vorher durchhaue, lauerte gleichfalls noch nicht auf unserem Pfad. Nur die Lianen, wie Seile von den Ästen der wirr zusammenstehenden Baumgruppen herabhängend, machten uns schon hier zu schaffen. Durch armdicke mußten die Waldmesser schneiden, und kaum fingerdicke versuchten uns in ihrem Netz zu umschnüren, das über Nacht erst der wachstumfreudigen Kraft der Erde entklettert war. Dabei wiesen zahlreiche tief an den feuchten Stellen des Steiges eingegrabene Fußtapfen, daß wir auf dem rechten Wege zur Farm Elisardo und nicht deren einzige Besucher waren. Unnötig schweifte hier keiner vom Wege ab. Das Gefühl der Einsamkeit würde uns hier nicht begegnen. Zudem begleitete uns das Morgenkonzert der buntgefiederten Welt, uns seit dem Eintritt in die Tropen längst vertraut, und die Luft schien wirklich um ein merkliches Teil erträglicher zu sein als auf unseren letzten Tagesstrecken.

Vom ersten Schritte aus unserem Biwak galt unsere ungeteilte Aufmerksamkeit den Fußspuren, doch es war unverkennbar, daß unsere Widersacher nicht vor uns unseren Weg benützt hatten. Wir kamen übereinstimmend immer wieder, sooft uns eine Fußspur entgegentrat, zum gleichen Ergebnis, dem auch Antonio und ein gewandter Guahibo, der sich aufs Fährtenlesen besonders gut verstand, beipflichteten. Antonio hatte sich glücklicherweise davon überzeugen lassen, daß seine »bösen Mächte« nicht fliegen konnten. Vielleicht hatten ihn auch die corpora delicti – der Skorpionensack und der von Tyras apportierte Panamahut mäßiger Herkunft – von den doch etwas allzu menschlichen Eigenschaften seiner bösen Geister überzeugt.

Ich ging hinter dem Esel, den Mr. Harper ritt, denn auch mein Reittier hatte eine vom Skorpionenstich geschundene Fessel.

»Wundervoll, aber nicht einträglich genug«, sagte der Amerikaner. »Es ist immer noch die gemeinste Art. Ich hatte das nicht anders erwartet.«

»Wovon reden Sie denn?« fragte ich verwundert, denn eben hatten wir noch unsere Ansicht über die Fußspur eines gestiefelten Mannes ausgetauscht. Als Antwort machte er nur eine Handbewegung, die den ganzen Umkreis vor uns umfaßte. Im selben Augenblick stieß auch Herbert Stenger einen Ruf des Entzückens aus. Vor uns breitete sich eine ganz mit glühenden Orchideenbüscheln behangene grüne Waldfläche, die einem Teppich mit feurigen Ornamenten glich. Ich mußte mir gestehen, daß ich nie so flammende Blüten in ihrer taufrischen Pracht und noch niemals Orchideen in derartig überwältigender Fülle gesehen hatte. Und nun erledigte sich natürlich auch die Frage, woran der alte Orchideenjäger Lear Harper sofort gedacht hatte. Wie jeder – an das ihm Nächstliegende. Der alte Lateiner hatte auch hier wieder recht:

Spricht von den Winden der Schiffer, so spricht von den Stieren der Landmann,
Von seinen Wunden der Held, von seinen Herden der Hirt Navita de ventis, de tauris narrat arator;
Enumerat miles vulnera, pastor oves. (Ovid.)
.

Aber war es denkbar, daß diese grüne, von tausendfältiger Blütenpracht überspannte Mauer, die uns entgegenleuchtete wie der Vorgarten zu einem Paradies der Farben und Wunder, unseren amerikanischen Sammler kalt lassen konnte? War das nicht die ganze Zauberpracht der grüngoldenen Wildnis, vor der schon die nüchternen, goldgierigen Spanier vor einem halben Jahrtausend in stummem Staunen haltgemacht und an der sie sich, wie Chronisten gebucht haben, »nicht satt und müde hatten sehen können«? Die durch das Laubdach rieselnden Sonnenfunken machten den Zauber noch sinnbestrickender und ließen die Blätter wie Spiegel aus Malachit funkeln.

»Etwas Gutes fürs Auge,« wiederholte Mr. Harper, »aber die alltäglichen Arten des Geschlechts. Hier bietet sich mir keine gewinnbringende Ausbeute. Sie dürfen nicht vergessen, daß wir Orchideensammler weit über hundert Familien des Geschlechts kennen. Hier ist weder die begehrte Cattleya, noch das glanzvolle Geschlecht der Epidendren und Oncidien vertreten, bei deren Anblick Ihnen die Augen übergehen würden. Was Sie hier als einen Wunderteppich der Natur anstaunen, ist für den Kenner ein Massenartikel, der sich von der kostbarsten Ausbeute, die auf den Wipfeln des tieferen Waldes zu nisten pflegt, etwa so unterscheidet wie ein fabrikmäßig hergestellter Teppich von einem echten, alten Perser. Dementsprechend stellen sich auch die Preise.«

Professor Wagemann war abgestiegen. »Das ist abscheulich, Mr. Harper,« sagte er, »wie Sie angesichts solcher Herrlichkeiten von Preisen sprechen können!«

Der Amerikaner zuckte die Achseln. »Geschäft bleibt Geschäft; und ich würde unehrlich sein – um mit Ihnen zu reden! – wenn ich Ihnen verhehlen wollte, daß ich mit dieser Expedition das Nützliche mit dem Angenehmen verbinde. Das Nützliche aber kommt zuerst.«

»Daran sollen Sie uns nicht mahnen. Wir Deutschen haben freilich die unverbesserliche Eigenschaft, statt des Wortes »nützlich« das Wort »Pflicht« zu setzen. Ihre Offenheit dagegen soll anerkannt werden.«

»Dann ist alles in Ordnung. Ich freue mich, daß Sie sich besser fühlen. Die Guaqueros haben sich anscheinend als rechte Seitendeckung unserem Vormarsch angeschlossen. Ich habe noch kein verdächtiges Geräusch wieder gehört.«

»Das dürfte Ihnen bei dem Morgenkonzert der Papageien und dem Gesang der Brüllaffen heute noch genau so schwer fallen wie gestern, obwohl es mir fernliegen soll, mich über Ihre Feinhörigkeit, die Ihnen angeblich unsere besten Forscher bezeugt haben, lustig zu machen. Der Erfolg hat Ihnen schon einmal recht gegeben.«

Wir hielten unsere erste Rast, nachdem sich die hohen Stämme lichteten und eine Grassteppe zu überschreiten war. Längst schmerzten die Strahlen der unbarmherzig heißen Sonne wieder wie stechende Pfeile, und die Plage der tausend und abertausend Blutsauger, die uns begleiteten, war unerträglich. Die behandschuhte Hand, die über den Hals des Pferdes streifte, war blutbedeckt.

»Ob wir nicht doch auf Farm Elisardo unsere Pferde zurücklassen?« fragte Dr. Stenger. »Die Maulesel sind wirklich widerstandsfähiger. Auch das haben Sie richtig vorausgesagt, Mr. Harper.«

Der Amerikaner nickte. »Ich habe meine Erfahrung. Kein Mensch hält sich hier Pferde.«

Doch er hatte kaum geendet, als Herbert Stenger ein fröhliches Lachen anstimmte. Keine dreihundert Schritt vor uns jagten im selben Augenblick drei Reiter dahin. Ihre Pferde galoppierten quer über das Steppenland. Die weiten, weißen Zamarros des vordersten Reiters leuchteten. Seine Arme schwangen Peitsche und Lasso. Wie Wogen umbrandete das hohe Gras die drei Pferde, und wogengleich schlug es über ihnen zusammen. Wir ließen die Pfeifen schrillen und riefen, und vorsichtshalber hatte Dr. Stenger gleich die Flinte in Anschlag gerissen. Sein erster Gedanke war, daß unsere vielgenannten Guaqueroleute aus dem Busche brächen.

Schon der erste Blick durchs Fernglas zeigte indes, daß es nicht an dem war. Es handelte sich um einen älteren Mann mit wehendem Haar, der von zwei weißfarbigen Knaben gefolgt war. Als ich ihn bei einer Wendung des Gaules, die ihn aus den Grasfluten emporhob, einmal scharf vors Glas bekam, glaubte ich, einen Indianer vor mir zu sehen. Auch die Laute, die der Dahinjagende ausstieß, verrieten sich als indianisches Idiom, und letzteres bestätigte mir der Guahibo, der meine Meßtrommel trug und mit dem ich mich durch Zeichensprache und Radebrechen bereits leidlich zu verständigen wußte. Die im Galopp folgenden Knaben saßen fast nackt im sattellosen Pferd, nur über ihre Schultern war, wohl zum Schutz gegen die Sonne, eine weiße Ruana geworfen, und auch diese beiden jungen Reiter feuerten ihre Tiere mit Rufen an, die mit keiner uns vertrauten Sprache etwas gemein hatten.

Keine 300 Schritt vor uns galoppierten drei Reiter quer über das Steppenland.

Die drei aber, denen unsere allgemeine Aufmerksamkeit galt, behandelten uns wie Luft, und daß sie sich abwechselnd der Reihe nach einmal flüchtig, aber ohne ihre kleinen Steppengäule zu zügeln, umgesehen hatten, war die einzige Wirkung unserer lauten Zeichen gewesen. Ohne noch einmal den Blick zu wenden, verschwanden sie in der Ferne, wo sie erst von gelbschimmerndem Strauchwerk, dann von einer weit sich hinziehenden Gruppe von Guarumosbäumen aufgenommen wurden, die dem jenseitigen, mit silbrig schimmernden Kronen herüberwinkenden Waldrand vorgelagert war. Ich konnte die Stelle genau anvisieren, da uns eine himmelhohe › Palo santo‹, die gern solche Waldsteppen zu beherrschen pflegt, den Punkt deutlich angab, wo die seltsamen drei Reiter, ohne ihre Tiere verschnaufen zu lassen, in ein Dickicht hineingaloppiert waren, das wir für unpassierbar hielten.

Wir sahen uns fragend an. »Waren das Verfolgte?«

»Schwerlich. Dazu waren sie zu laut. Es klang ja beinah fidel, wie sie mit ihren Mustangs sprachen.«

»Besonders die Jungen verrieten Übermut. Das paßt nicht zu gehetzten Leuten.«

»Natürlich nicht! Es wird ein Jäger mit seinen Söhnen gewesen sein«, meinte Dr. Stenger. »Sie hatten irgendein Wild auf der Spur und keine Lust, sich durch uns mitten im Jagdvergnügen stören zu lassen.«

»Ob wir ihnen folgen?«

»Warum nicht gar! Das wäre ein nicht wieder einzubringender Zeitverlust. Danken wir unserem Schöpfer, daß uns unser Richtweg vorgezeichnet ist und wir überhaupt noch Aussicht haben, den Rancho Elisardo vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Auch liegt jener Urwaldriese, wo der Indianer ins Dickicht stürmte, in bedrohlicher Nähe der Gegend, wo ich unsere –«

»... unsere unsichtbare Seitendeckung vermute! Sehr leicht möglich, Mr. Harper, vorausgesetzt, daß das ungemütliche Gesindel sein Spiel nicht aufgegeben hat.«

»Dafür halte ich die Spitzbuben für zu zäh. Das ist nun einmal für mich ausgemacht, daß sie keinen Frieden geben, solange wir nicht davon abstehen, den mehrfach genannten Häuptlingsgräbern unseren Besuch abzustatten. Und der Magnetnadel nach gibt jener › Palo santo‹ da unten ziemlich die Himmelsrichtung an, wo Dr. Stenger die Grabstätten sucht.«

Das konnte ich, der ich auf meinem Kartenblock inzwischen die Wegskizze notdürftig vervollständigt hatte, bestätigen.

»Im übrigen wollen wir uns über den roten Burschen nicht länger den Kopf zerbrechen«, sagte Professor Wagemann. »Das Rätselhafteste waren mir die beiden Jungen, die ebenso waschecht weißfarbig waren wie ihr Vorreiter rostbraun. Die annehmbarste Lösung ist am Ende die, daß wir einen Peon von Farm Elisardo mit den Söhnen des Besitzers vor uns hatten. Das wird sich in den nächsten Stunden herausstellen.«

»Die Knaben Europäer? Unmöglich! Das müßte ein ziemlich sorgloser Ranchobesitzer sein, der seine jungen Señores, wie hier selbst der jüngste Sproß eines Haziendados genannt wird, einem indianischen Peon anvertraut, wenn er ihn in eine Wildnis schickt, die seinem Hause derartig entfernt liegt.«

Antonio hatte gleichfalls Kriegsrat gehalten. Er war mit seinen Arrieros und den Guahibos zum selben Resultat gekommen. Die drei Reiter waren Indianer gewesen.

»Aber die Knaben waren doch weiß!«

Antonio lächelte überlegen. »Vielleicht ist das Ziel Ihrer großen Reise näher, als Sie geglaubt haben.«

»Was soll das heißen?«

Er antwortete: »Wir alle sahen, daß die Berittenen echte Indios waren. Der Herr hat mich in seine Dienste genommen, daß ich ihn begleite, wenn er über das Grab des vergoldeten Mannes zu den weißen Indios stößt. Zu dem Grab werden wir nicht kommen, da es die bösen Mächte des dunklen Waldes nicht wollen. Die weißhäutigen Indios aber werden wir finden. Die wir sahen, waren von ihrem Stamme.«

»Schlauberger!« rief Professor Wagemann. »So lassen wir uns nicht anführen.« Und wir lachten, denn niemand war leichter zu durchschauen als unser Peon Antonio. Ihm bangte vor den Gefahren des weiteren Marsches, dessen Vorgeschmack ihm nicht gemundet zu haben schien. Nun sollten hier bereits, wo wir kaum die Schwelle der letzten Europäer hinter uns hatten, plötzlich zwei junge Angehörige des sagenumwobenen Indianergeschlechts, das wir suchten, aufgetaucht sein. Ach, nein! So gefällig waren die weißen Menschenfresser nun doch nicht. Hier konnte es wirklich nur die eine Antwort geben, daß wir unseren allzu pfiffigen Antonio gehörig auslachten.

»Die Herren werden sehen, die Herren werden sehen!« sagte er. »Die Indios wandern.«

»Gehen Sie mit Ihren Neuigkeiten!« schalt Mr. Harper, der uns gleich darauf auseinandersetzte, daß wir unsere Peonen verwöhnten. Ein Nigger wolle an der Kandare angefaßt sein.

»Antonio ist kein Nigger, Mr. Harper«, erlaubte sich Herbert zu bemerken. »Er ist Mischling und genießt eine Vertrauensstellung.«

»Ausgezeichnet!« lautete die Antwort des Amerikaners. »Ich vergaß, daß es ein deutscher Dichterling war, der gesagt hat, daß die Wilden bessere Leute sind als wir anderen.«

»Für so literarisch beschlagen hatte ich Sie gar nicht gehalten«, parierte Herbert die Ironie.

»Kinder, streitet Euch nicht!« mengte sich Herberts Oheim ein. »Es genügt, daß wir wieder schmoren, und jede Meinungsverschiedenheit bringt nur noch mehr in die Hitze. Diese Orchideenlaube vor uns wirkt wie ein Backofen, und die Affenhorden bringen einen mit ihren Chorälen um die erhoffte Wohltat des Mittagsschlummers.«

»Auch hieran werden wir uns gewöhnen«, sagte Professor Wagemann, der sich noch so oft als Tröster auf unserer Expedition erwies. »Chorgesang ist übrigens der treffende Ausdruck für die Guaribas, wie der Eingeborene die schwarzen Brüllaffen nennt. Es liegt ein gewisser Rhythmus in ihrem Brüllen.«

»Da muß ich Sie um Ihr musikalisches Ohr beneiden, lieber Professor –« Dr. Stenger wickelte sich in sein Moskitonetz.

»Damit ist es leider nicht weit her – abgesehen davon, daß es mir durch alle Glieder ging, wenn an den großen Tagen, die ich als blutjunger Einjährig-Freiwilliger erleben durfte, der Präsentiermarsch gespielt und der Preußenmarsch geschmettert wurde. Aber tatsächlich spricht der Brasilianer, wenn er von dem Lied der Brüllaffen redet, nie von › gritar‹, was schreien heißt, sondern er sagt › a Guariba esta cantando‹ – der Brüllaffe singt.«

»Und wie ein Singvogel wird er auch gegessen!« setzte Mr. Harper hinzu. »Gegen nützliche Tiere habe ich durchaus nichts einzuwenden. Man sengt ihn nur ab und reicht ihn unzerstückt, nach kurzem Kochen, dar. Man müßte ihm nach meiner Ansicht wenigstens die – doch nun einmal vorhandene – Menschenähnlichkeit vorher nehmen. Mein Freund Hamilton sagte, als wir den ersten Affen tranchierten –«

»Guten Appetit!« knurrte der dicke Dr. Stenger.

»Sie irren. Er sagte: ›Ich komme mir vor wie ein Menschenfresser, dem ein kleines Kind vorgesetzt wird.‹ Aber in der Not frißt der Teufel Fliegen.«

»Dann müssen die Teufel dieser infernalischen Waldlisiere im Überfluß schwelgen. Mir hat noch keiner eine Fliege weggeschnappt!«

»Armer Onkel!«

»Schlaf, mein Junge! Oder versuche es wenigstens ...«

Dem Rat kamen wir alle nach, und einigermaßen schienen auch die Affen Verständnis für unsere Ruhebedürftigkeit zu haben. Oder auch bei ihnen machte sich die lähmende Wirkung der Mittagshitze geltend. Nur die bunte Schar der Papageien, denen der Orchideenhain als Futterkrippe diente, hörte nicht auf zu krächzen und merkwürdige, wie lautes Lachen klingende Töne von sich zu geben.

Es war Mr. Harper, der als erster zum Aufbruch mahnte, und daß er gut daran tat, sollte sich auf dem weiteren Wege zeigen, der noch manche unvorhergesehene Schwierigkeit brachte. Eine mehrere hundert Schritt lange Strecke hemmte jenes gefürchtete Klettergras den Vormarsch, die abscheuliche Tiririqua, die das ganze Unterholz durchflocht. Wenn unser Amerikaner feststellte, daß ihre Blätter wie Rasierklingen schnitten, hatte er diesmal kaum zuviel gesagt. Auch ein schier undurchdringliches Lianengewirr empfing uns, bevor der Pfad fast rechtwinklig wieder der Flußniederung zustrebte. Unsere Arrieros zeigten sich regsam, und auch die Tiere schienen zu wittern, daß wir einem menschlichen Anwesen zustrebten. Wir alle hatten keine rechte Vorstellung, was uns in dem als Rancho bezeichneten Elisardo erwarten sollte. Die Leute von Orocué hatten es selbst nie besucht, einzelne hatten es vom Rio Meta aus liegen sehen, wenn sie im Petroleummotorboot über San Rosalio hinaus stromab gefahren waren. Die Schilderungen widersprachen sich und schwankten zwischen einem ärmlichen Rancho und einem großen Sitio mit ausgedehnten Potreros. Der Name des Haziendados, der Spanier sein und Don Carlos heißen sollte, war einigen bekannt. Der Nachname dagegen nicht. Etliche behaupteten, der Mann sei ein Carrizosa, andere ein Tanco – jedenfalls also einer Familie von angesehener Herkunft entstammend und erst vor etwa drei Jahren aus dem Venezolanischen eingewandert. Und alle vermuteten, daß er außer mit den Indios keinerlei Verkehr unterhalte.

Nun, die Einöde beherbergt genug Sonderlinge, und wir ließen uns nicht abschrecken. Wir wollten uns den Menschenscheuen näher ansehen. Einwandfrei schien festzustehen, daß die Viehbestände der Farm groß und wir vielleicht in der Lage würden sein können, unsere gedrückten Reittiere auszuwechseln. Und schließlich würde der einsame Don Carlos, wie alle Menschen, auf die eine oder andere Art zu nehmen sein. Daß wir in uneigennütziger Absicht an seine Tür klopften, würde er bald genug merken, und war er, wie anderes Gerede sagte, ein armer Mann, so sollte ihm jeder Dienst und jede Handreichung vergolten werden.

»Hatten Sie die Möglichkeit überhaupt in Rechnung gestellt, daß der Mann uns aussperrt?« fragte Dr. Stenger, als Mr. Harper davon sprach, daß Enttäuschungen trotzdem nicht ausgeschlossen seien.

Der Amerikaner zuckte die Achseln. »Urwaldreisen machen zum Fatalisten. Es ist uns heute merkwürdig gut ergangen. Oder finden Sie es nicht seltsam, daß nicht die kleinste Giftschlange uns begegnet ist?«

»Das trifft glücklicherweise zu. Warum soll nicht eine bestimmte Gegend auffallend schlangenarm sein? Oder sind Sie etwa abergläubisch? Und Fatalist, wie Sie sagen, dazu? Dann hätte der Peon, über den wir uns lustig machten, nicht viel vor Ihnen voraus.«

Der Weg war breiter geworden. Zwei Tiere konnten jetzt nebeneinander gehen. Herberts Pferd drängte sich an Mr. Harpers Seite.

»Wie wir Amerikaner über die Nigger denken,« fuhr Mr. Harper fort, »brauche ich nicht zu wiederholen. Aber nie mehr als auf meinen einsamen Reisen habe ich mir gesagt, daß man den Tag nicht vor dem Abend loben soll.«

»Mit anderen Worten: Sie unken schon wieder!«

»Ich habe mir, während Sie Siesta hielten, nochmals alles durch den Kopf gehen lassen, was uns die Leute über Don Carlos sagten. Sie müssen mir zugeben, daß die Auskünfte über ihn niemand befriedigen konnten. Ist es nicht auffällig, daß man ihn nur beim Vornamen kennt – etwa wie einen Heiligen? Solche Leute sind mir unheimlich, und deshalb vermute ich, daß mit dem Besitzer von Elisardo auch anderes nicht seine Richtigkeit hat.«

»Nun sagen Sie bloß noch,« rief ich, »daß Sie ihn bereits mit den Guaqueros in Verbindung bringen!«

»Ich gestehe, daß ich es versucht habe, doch wollte mir kein Zusammenhang einfallen.«

»Nun ist es aber wirklich genug!« mischte sich Professor Wagemann ein, dessen gute Natur die Fieberattacke siegreich überwunden hatte. »Wir kommen freundlich, und ebenso freundlich wird uns Don Carlos ein Lager für eine Nacht einräumen. Bei all meinen Kreuz- und Querfahrten südlich von Bogotá ist es mir ein einziges Mal passiert, daß mich ein Llanoranchero nicht einließ – oder vielmehr seine holde Señorita: denn er selbst war verreist und schien aus Eifersucht der Ehehälfte streng verboten zu haben, das Tor zu öffnen.«

»Und schlimmstenfalls«, erlaubte ich mir zu bemerken, »lagern wir uns dann vor dem Rancho. Wir genießen die Vorteile der menschlichen Niederlassung, ohne ihre Schattenseiten mit in Kauf nehmen zu müssen. Ich bekam in einer Farm bei San Pablo eines Nachts das Prunkbett des Hauses eingeräumt. Die Folge war eine Nacht des Schreckens, denn so viel Legionen sechsbeinige Blutsauger, wie sich darin eingefunden hatten, haben noch nie eine luftige Hängematte vorm Tor unsicher gemacht.«

»Auf jeden Fall sehen wir uns den geheimnisvollen Don Carlos, der sich wie ein Einsiedlerkrebs gebärdet, näher an«, fügte Mr. Harper hinzu, während wir einer Lichtung zustrebten. Nach einer kurzen Strecke, die allmählich abfiel, standen wir vor einer wasserlosen Schlucht, über die eine Holzbrücke führte. Tief zu unseren Füßen glänzte das silberne Band des sich scharf nach Nordwesten wendenden Rio Meta. Wir hielten an, denn der Anblick war unvergleichlich. In großen Scharen hatten sich am diesseitigen Ufer blendend weiße Reiher und bläuliche Guacos niedergetan, und zwischen ihnen fehlte nicht der leuchtend rote Ibis. Im Verein mit den hell- und düstergrünen Baumgruppen gab schon diese Farbensymphonie der Landschaft ein berückendes Gepräge. Besonders die Reiher mit ihren weißen Schmuckfedern fesselten das Auge. Gewohnheitsmäßig hatten sie sich in einer langen Kette zur Rast niedergelassen und glichen einer zur Parade aufgestellten Leibwache. Wir ließen uns gern von Professor Wagemann belehren, daß die Eingeborenen diese militärische Gepflogenheit der Reiher längst erkannt und sie › soldados‹ getauft hätten.

Fern am Horizont wallte die Rauchfahne eines Dampfers – eines der wenigen, die der Rio Meta auf seinen Fluten trug. Aber nichts mehr als dies ließ uns erkennen, daß wir noch nicht in weltentrückter Einsamkeit wandelten. Mr. Harper ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, um ein drahtloses Ferngespräch in die blaue Weite zu schicken – eine seiner reichlich aufgeplusterten ›Enten‹, wie der Professor es nannte. Als seine Finger das letzte Morsezeichen gegeben hatten, drehte er sich befriedigt um.

»Ich denke, ich habe nichts vergessen. Das durfte ich aber auch nicht, denn die Gelegenheit kommt nicht immer so gerufen. Ich habe die namentliche Zusammensetzung unserer Expedition telegraphiert und angedeutet, daß wir, ungeachtet der sich uns von vornherein entgegenstellenden Schwierigkeiten, die mir und einem zweiten Expeditionsteilnehmer fast das Leben gekostet hätten, mit ehernem Entschluß unserem kühn gesteckten Ziel nachgehen.«

»Sagen Sie ruhig: sie haben mit eherner Stirn übertrieben!«

Mr. Harper klappte sorgsam seinen Apparat zu. »Sie werden nie lernen, die Findigkeit und Fixigkeit eines guten Zeitungsmannes richtig zu würdigen. Wenn eine Karawane durch die Wüste zieht, muß Staub aufwallen. Auch verlangt der Leser, daß an den Oasen etliche Pilger erschlagen werden. Heute, wie gedrahtet, beinahe ich, und bei dem gestrigen Überfall auf unsere Bagage, die ich geschickt andeutete, Sie, verehrter Professor. Ich habe auch durchblicken lassen, daß wir unverhofft auf einwandfreie Spuren der von Professor Rice erwähnten weißhäutigen Indios gestoßen sind, an deren Fersen wir uns geheftet haben –«

»Aber das ist ja heller Schwindel!«

»Nicht im geringsten! Das sind die hellen Knaben, die wir galoppieren sahen, und ist der gewisse Karawanenstaub. Wenn unsere Expedition nicht vom ersten Tage an den nötigen Staub aufwirbelt, macht sich das ganze Unternehmen nicht bezahlt.«

»Unverbesserlich!«

»Sie können auch sagen: ›unbezahlbar‹. Der Erfolg ist derselbe. Und guten Erfolg wünschen wir uns doch alle.«

»Das wohl, aber nie und nimmer auf diese – amerikanische Weise.«

»Ich sehe darin keinen Tadel. Ihr Deutschen versteht es nicht, die Reklametrommel zu rühren. Seien Sie mir dankbar, daß ich Ihnen nachhelfe. Ich habe übrigens nicht vergessen, zu erwähnen, daß das Haupt unserer Expedition, Dr. Stenger, seit dem nächtlichen Überfall den Verlust seines druckfertigen Forscherwerkes ›Das Antlitz des Urwaldes‹ betrauert –«

Der dicke Stenger ließ sein schallendes Lachen hören. »Wahrhaftig, das hätten Sie gesagt?«

»Wahrhaftig oder unwahrhaftig. Ich freue mich Ihres Beifalls. Ich habe hinzugefügt, daß die kostbare Arbeit der wissenschaftlichen Welt trotzdem nicht verloren sein wird, und schließlich –«. Mitten im Wort brach er ab. Sein Maulesel war davongerannt. Von rechts und von links kam ein Arriero, ihn einzufangen, doch das freiheitliebende Tier entwischte. Es war, ohne es zu wollen, auf die schmale Brücke geraten und erschrak nun sichtlich, denn die Felsmassen, die der Puente als Kopf dienten, bildeten die Vorsprünge einer tiefen und engen Schlucht. Lotrecht stürzten die Felsen in die Tiefe. Aber das geängstigte Tier mochte merken, daß jedes Kehrtmachen in einem Fehltritt enden würde, und so raffte es sich zusammen und sprang, durch das Schlagen der Hufe auf dem Holzbelag erschreckt, vorwärts, um schon nach wenigen Schritten vor unseren Augen in der Mitte der Brücke einzubrechen und mit dem nachstürzenden Gebälk in der Tiefe zu verschwinden ...

Entsetzt sahen wir uns an, um im nächsten Augenblick inne zu werden, daß ein Unglück geschehen war, um ein weit größeres zu verhüten.

»Es galt uns!«

Mr. Harper war dem Professor auf dem Fuße gefolgt. Er stieß einen Fluch aus und riß die Pistole aus dem Gürtel.

»Da haben wir die Bescherung! An eine Rettung des zerschellten Tieres ist nicht zu denken. Es braucht nicht einmal eines Gnadenschusses. In dieser Schlucht lauert der grausige Tod. Und ganz richtig vermuten Sie, daß er uns zugedacht war.«

»Eine Todesfalle?«

Der Amerikaner hatte die Unglücksstelle untersucht. Er nickte. »Um das zu erkennen, bedarf es keines Detektivblicks. Die Bohlen sind angesägt. Die Spuren des Haumessers sind so frisch, daß zwischen dem Jetzt und der Vorbereitung des Verbrechens nur Stunden, vielleicht nur Minuten liegen können. Beim leisesten Berühren mußte der präparierte Belag zusammenstürzen, und es ist ein Wunder, daß mein braver Esel nicht schon zwei Schritt vorher durchbrach. Oh, sie verstehen ihr bübisches Handwerk!«

»Wieder die kolumbianischen Leichenräuber? Ist jeder Zweifel ausgeschlossen? Ein paar morsche Bohlen ...«

Professor Wagemann schüttelte den Kopf. Er zog mich und Herbert zurück. »Mr. Harper hat recht. Die Bohlen sind präpariert, Dr. Stenger. Es ist wahrlich das Walten der Vorsehung, das uns das Leben rettete.«

»Ich sagte Ihnen ja, wie klug mein Maulesel war! Er würde ein Denkmal verdienen.« Und dann knirschte er: »Wir werden ihn rächen! Lassen Sie uns nie vergessen, daß die rotbraunen Vögel mit den spitzen Schnäbeln, die um diese Höllenschlucht kreisen, es auf einen anderen Braten abgesehen hatten. Jetzt sollen uns die Mordbuben vor die Flinte kommen!«

»Und der Beweis, daß es die Guaqueros waren?«

Der Amerikaner drohte mit dem Revolver über die Schlucht hinüber, als wisse er genau, daß da drüben, hinter den Chaparrosbüschen unsichtbar der Feind lauere.

»Wer denn sonst?« sagte er, verstummte aber sofort und folgte dem starren Blick unseres Jüngsten. Herbert war aufgesprungen und hatte mich am Arm gefaßt. Den Zeigefinger hielt er an die Lippen.

»Leise! Leise!« rief er uns im Flüsterton zu. »Da oben sitzt einer!«

Ein mächtiger Baumgigant, das grüne Chaos am jenseitigen Hange der Schlucht majestätisch überragend, entzog uns zunächst jeden Ausblick. Im ersten Augenblick glaubten wir, die langgestielten Hängenester, die den Wipfel dieses Kopalbaumes umstrickt hielten, hätten Herbert getäuscht. Aber er schüttelte den Kopf, als sein Oheim fragte, ob er etwa den buntbälgigen Tukan meine, der seine Federn da oben spreize. In der Tat hob sich der schöne Vogel, mit dessen Federn sich die Indianer so gern schmücken, herrlich von dem Urwaldriesen ab.

»Nicht doch! Nicht der Vogel,« flüsterte Herbert, »... ein Mann!«

»Da oben? Junge, du siehst wohl Gespenster?«

»Eben blitzte es auf. Sehen Sie ... dort, wo zwischen dem Wipfelwerk ein Stück Felsplatte zu sehen ist!«

»Der Junge hat recht! ... Da hockt einer. Ein Savannero ...«

Im Nu hatten wir unsere Krimstecher vorm Auge. Auf dem gegenseitigen höchsten Höhenrand saß ein Mann in der malerischen Tracht der kolumbianischen Herdentreiber, der uns sein Profil zeigte. Er schien waffenlos zu sein, aber in seinen Händen bewegte sich etwas. Wieder – wie Herbert ganz richtig gesehen hatte! – blitzte etwas auf ... und dann wieder und wieder ...

»Er signalisiert mit einem Spiegel!«

»Nach dem Fluß hinunter –«

»In die Richtung, wo wir die Siedlung des geheimnisvollen Don Carlos zu suchen haben!«

»Und er sieht uns nicht. Glaubt sich unbeobachtet –«

»Um so besser! Schleichen wir uns an den Kerl heran! Fassen wir ihn doch!«

»Zu spät!« sagte Mr. Harper, sein Glas senkend. »Wir dürften zu spät kommen. Eben verschwindet er, und es ist nicht daran zu denken, daß wir ihm den Weg abschneiden könnten, selbst wenn einer von uns über die Trümmer der Brücke hinüberjongliert. Dieser Mensch hat längst seine Lichtsignale abgegeben.«

Der Professor schüttelte den Kopf. »Wenn man überall Zusammenhänge wittern will, hat man ja keine frohe Stunde mehr. Zugegeben, daß sich die Guaqueros aus Habgier gegen unseren Marsch zu den Gräbern verbündet haben, die sie hartnäckig gegen Unberufene zu verteidigen entschlossen scheinen, so kann es uns völlig gleichgültig lassen, was für Hokuspokus da oben ein Savannero treibt. Seine Telegraphie mit Sonnenreflexen kann eine müßige Spielerei sein. Oder sie hat einen praktischen Hintergrund.«

»Sehr tiefsinnig«, fiel Mr. Harper spöttisch ein. »Den Signalhügel sollten wir uns ansehen. Dann wird man wenigstens sehen, mit wem der müßige Spieler im Hirtenkleid praktische Winke gewechselt hat.«

»Der Tukan da oben hat Gesellschaft bekommen. Vergessen wir nicht, daß sie an die eilende Zeit zu mahnen pflegen, wenn sie laut werden.«

»Auch ich bin dafür, daß wir ohne Säumen zur Linken der Schlucht hinunterreiten«, schlug Professor Wagemann vor. »Ich überlegte, ob wir uns auf das Kunststück einlassen sollten, die demolierte Brücke wieder zurechtzuflicken. Der Zeitverlust wäre gehörig, und wer bürgt uns, daß uns nicht nach wenigen Schritten eine zweite Überraschung den Vormarsch sperrt? Da ist es schon richtiger, wir halten uns an den Spruch des vorsichtigen Einjährig-Mutwilligen von der Kavallerie, der gesagt hat: ›Für mich ist kein Graben zu breit, vorausgesetzt, daß er nicht zu lang ist, um an ihm vorbeireiten zu können.‹«

Der dicke Dr. Stenger lachte. »Warum soll man nicht auch einmal von einem allzu Vorsichtigen lernen? Rücken wir ab! Wenn mich nicht alles täuscht, ist hier sogar jemand vor uns den Hang hinuntergeritten.«

»Oder vielmehr ihrer drei«, stellten gleichzeitig Mr. Harper und Antonio fest, die alsbald die Hufspuren im Sande prüften. Antonio spielte nicht länger »die gekränkte Leberwurst«: wie immer, wenn es zur Rast gehen sollte, waren die Peonen und Arrieros bei der Sache. Wer mit Mischlingen oder indianischen Kulis gereist ist, der weiß, daß es durchaus nicht die Pferde und Tragetiere sind, die am meisten nach dem Stalle drängeln.

»Ich wette darauf, daß hier der Nigger mit den beiden jungen Weißen geritten ist«, sagte der Mister. »Meine Verdachtsmomente wachsen. Hörten Sie nicht eben Hundegebell? Merken Sie nichts?«

»Nicht mehr und nicht weniger, als daß Sie nun auch schon den jagenden Reiter mit in das ›Komplott‹ hineinziehen, das uns bedroht.«

» Well! In der Wildnis tut man besonders gut daran, jeden Menschen für verdächtig zu halten, solange er uns nicht vom Gegenteil überzeugt hat.«

»Hoffentlich sind wir dann recht schnell in der Lage, Don Carlos von diesem Gegenteil hinsichtlich unserer Person zu überzeugen.« Der blonde Professor führte sein Pferd am Zügel. »Ich müßte mich sehr täuschen, wenn da unten nicht die Ecke des ersehnten Ranchos hervorlugt.«

»Ein Dach! ... Natürlich ist das unser Ziel.«

Nun sahen wir es alle. Die Bäume wurden lichter. Aber es war kein Haus zu erspähen, nur ein Dach, das eine grüne Schanze zu bedecken schien. Aber das eine erkannten wir, daß es sich keineswegs um ein einfaches Palmendach handelte, wie es kleine Ranchos zu tragen pflegen. Die widersprechenden Angaben fielen uns wieder ein, die uns in Orocué über das Besitztum des Rancheros gemacht worden waren. Als wir die Landschaft genauer übersehen konnten, gewahrten wir, daß es sich um eine ziemlich ausgedehnte Hazienda handeln mußte, die rings ein hoher Palisadenzaun umhegte. An der dem Rio Meta zugekehrten Seite war sie durch eine dicht bewaldete Höhe geschützt und dem Blicke entzogen. Es war somit leicht möglich, daß das Besitztum vom Schiff aus sehr klein aussah, während wir auf Schritt und Tritt, jetzt in eine ausgedehnte Kaffeebaumpflanzung einbiegend, erkannten, daß Don Carlos eine Hazienda besaß, die sich sehen lassen durfte.

Aber sie ließ sich nicht sehen, sie hatte uns nur vorübergehend ihr langgestrecktes, massives Dach gezeigt. Vergeblich späten wir aus, ob nicht endlich zwischen dem dunklen Grün der Mangos das übliche Weiß der Gebäude hervorleuchten wollte. Erst als wir näher kamen, wurde uns dieses Rätsel gelöst, das nicht das letzte sein sollte, was die Hazienda Elisardo uns aufgab.

Ganz unvermittelt nämlich standen wir, nachdem ein letzter, parkartig frisierter Waldschlag durchschritten war, vor einem breiten Graben, der nur auf einer Brücke zu überschreiten war. Es war eine Zugbrücke, die niedergelassen war. Sie mündete in einem zweimannbreiten, offenstehenden Tor, das wie ein Festungstor in den grünen Wall eingeschnitten war.

Und fürwahr! Ein regelrechtes Fort mit Graben und Wall war es, das sich vor unseren überraschten Augen erhob. Nicht einmal die Schießscharten und die Grabenstreichen fehlten! Ein grüner Wallpanzer schien dieses geheimnisvolle Besitztum rings zu umschließen. Alle Gebäude befanden sich innerhalb der Umwallung. Hätte uns einer von den Bewohnern von Orocué vorausgesagt, daß wir am Rande des Urwalds eine Festung vorfinden würden, hätten wir geglaubt, er tische uns ein Märchen auf, etwa von der Art des Eldorado. Oder wir hätten höchstens ein Blockhaus vermutet, wie es einsame Kanadier vor urdenklichen Zeiten zum Schutze gegen kriegerische Rothäute aufzurichten pflegten. Aber was wir hier sahen, war das getreue Abbild einer noch nicht einmal unmodernen Fortumwallung, an der ein soldatisches Auge seine Freude haben konnte.

Mit der Spitze des Zuges war unsere ganze Expedition zum Stehen gekommen. Die Mischlinge schnitten verlegene Gesichter, weil sie mit dem unerwarteten Anblick nichts anzufangen wußten, und unsere, sagen wir gut dreiviertelwilden Guahibojünglinge flüsterten mit verdrehten Augäpfeln sich scheu etwas zu. Sie durften sich gewiß mit demselben oder mit größerem Recht wie unser Funkengeber, Mr. Lear Harper, dessen rühmen, daß ihnen keine Stimme des großen Waldes unbekannt sei: sie wußten, daß der Wald bei Nacht zu leuchten und tagsüber zu lärmen pflegte, und alle wußten, wie eine Posada am Wege und wie ein Rancho auf der Savanne aussah. Aber wohin diese Brücke und das herrische Tor führen mochten, das überstieg ihren Horizont. Mein rotbrauner Meßgehilfe gestand mir später, daß sie gewähnt hätten, vorm Hause der großen Geister zu stehen, das noch keines Sterblichen Fuß betreten habe.

Der Bann war allerdings schnell gebrochen. Gefolgt von einem kleinen, weißhemdigen Negerknirps, der es sehr eilig hatte, hinter seinem Herrn nachzukommen, trat ein junger Mann auf die Brücke. Eine geschmeidige Jünglingsgestalt von unverkennbar lateinischem Typ. Die Beine steckten in langen Ledergamaschen, er war barhäuptig, und das weiße Hemd ließ eine bronzefarbene Brust sehen. Eine Sekunde hielt er an, die Augen mit der Hand beschattend. Dann trat er mit raschen Schritten näher. Seine Blicke, die uns alle überflogen, schienen etwas zu suchen: sie gingen von den Mauleseln unseres Misters zu diesem selbst und wurden schalkhaft, als sie den Rechten gefunden zu haben schienen. Wenigstens kam jetzt der junge Señor geradeswegs auf den Amerikaner zu und sagte in gutem Englisch: » Good evening, Mr. Harper. Wir haben Sie bereits erwartet. Wollen Sie die Liebenswürdigkeit haben, mich dem Leiter Ihrer Expedition Dr. Stenger und den anderen Deutschen vorzustellen? Ich bin José Vicente, der jüngere Sohn des Hauses ...«

Mr. Harper sperrte Mund und Nase auf. Wie gern hatte er sich damit gebrüstet, daß er sich über nichts wundern und aufregen könne – und wie sprachlos stand er jetzt da!

Endlich stammelte er: »Sie kennen mich, Don José?«

Der junge Südamerikaner lachte. »Von Angesicht zu Angesicht nicht bis zu diesem Augenblick. Aber ich kenne, wie Sie eben hörten, Ihre Namen und ließ mir zur Kenntnis dienen, daß sich Ihre Expedition ein hohes Ziel gesteckt hat. Außerdem wären Sie unterwegs beinahe ums Leben gekommen, und man hat gestern Ihrer Bagage übel mitgespielt.«

»Das geht nicht mit rechten Dingen zu! Wie können Sie das alles wissen, Don José?«

»Sogar den weißen Indios wollen Sie in unserer Gegend auf die Spur gekommen sein?«

»Haben Sie Spione? Hat uns Ihr Herr Vater belauschen lassen?«

»Es ist stets angenehm, zu wissen, wer sich für unser stilles Gut interessiert«, sagte Don José Vicente ausweichend, sich sichtlich über unser Erstaunen belustigend. »Sie werden die Nacht bei uns Quartier nehmen. Ich darf, denke ich, die Verantwortung dafür auf mich nehmen. Mein Vater ist noch nicht zurück. Ihre Arrieros und Peones werden freilich nach unserer Hausordnung mit dem Lagerplatz da drüben fürliebnehmen müssen. Sie finden dort ihre Feuerstelle und alles, was sie für die Tiere benötigen. Es ist der übliche Platz für Leute, die wir nicht näher kennen.«

»Also ist uns ein reitender Bote von Orocué vorausgeeilt?«

Der Sohn des Hauses schüttelte den Kopf. Noch immer blitzten seine Augen vor Freude, daß ihm eine Überraschung geglückt war. »Vielleicht unterschätzen Sie uns Hinterwäldler. Mit Orocué unterhalten wir keinerlei Verbindung, aber wir sind keineswegs von aller Welt abgeschnitten. Und überdies ist dem einen recht, was dem andern billig ist.«

»Da werde ein anderer daraus klug!« brummte Mr. Harper. »Ich war freilich darauf gefaßt, hier etliche Rätsel lösen zu müssen.«

»Hinter die ich gekommen zu sein glaube«, mischte sich jetzt Professor Wagemann ins Gespräch. »Mr. Harper, Sie sehen den Wald vor Bäumen nicht!«

»Ich sehe nur, daß sich Don José Vicente über mich lustig macht.«

»Oder vielmehr, daß er mit besonderem Wohlgefallen immer wieder Ihre beiden Tragtiere betrachtet, auf denen Sie Ihren Rahmenantennenapparat und Ihren Glühkathodenröhrensender –«

Mr. Harper schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Meine de Forstsche Anlage? Wahrhaftig, ich war dümmer wie ein Waschbär! Das konnte natürlich, hier, wo sich die Affen gute Nacht sagen, kein Mensch ahnen! Sie haben meinen Funkspruch aufgefangen? Sie besitzen einen Empfangsapparat?«

»Oder vielmehr eine regelrechte Tonfunkenstation mit dem dazugehörigen Pultempfänger! Type E 5, wenn Sie Genauigkeit lieben«, antwortete Don José mit berechtigtem Stolz. »Ich saß selbst am Apparat, als Sie dem stromabwärts pendelnden ›Libertador‹, unserem alten, braven Heckraddampferchen, Ihre Geheimnisse anvertrauten. Und es wird die deutschen Herren angenehm anmuten, wenn ich Ihnen verrate, daß unsere Sendeanlage von der deutschen Gesellschaft für drahtlose Telegraphie geliefert wurde.«

»Ist es die Möglichkeit?«

»Es ist so und nicht anders. Ich war Student in Ciudad Bolivar. Bei der Anlage legte ich selbst mit Hand ans Werk. Aber jetzt treten die Herren endlich näher! Sie werden sich sehnen, ein Dach über sich zu bekommen und sich auszuruhen.« Damit wandte sich Don José Vicente an den Niggerjungen, dem er einen Befehl zurief. Der kleine, noch dazu krummbeinige Kerl watschelte diensteifrig von dannen, und gleich darauf erschienen zwei herkulisch gebaute Neger, die uns ins Innere des Walles führten. Der Anordnung, daß unsere Peonen uns nicht in eben diesen Hof folgen sollten, mußten wir uns wohl oder übel fügen. So jung Don José war, so bestimmt war sein Auftreten. Wir schätzten ihn auf zwanzig oder einundzwanzig, und es sollte sich herausstellen, daß er noch keine siebzehn Jahre alt war. Sein gewandtes Auftreten verriet, daß er schon ein gutes Stück Welt gesehen und eine bessere Bildung genossen hatte als die überwiegende Mehrzahl seiner Altersgenossen.

Übrigens trennte er sich sehr bald von uns, ohne daß wir ahnten, wo er abgeblieben war. Die schwarzen Führer, die uns in den Patio des langgestreckten, aus weißgetünchten Lehmwänden und dem von uns schon bemerkten Dache bestehenden Gebäudes geleiteten, waren schweigsam, aber von erstaunlichem militärischen Drill; sie benahmen sich nicht anders wie Soldaten, die Vorgesetzte zu führen hatten. Außer ihnen war kein lebendes Wesen in dem Hause zu erblicken, obwohl wir mehrere Familienzimmer, die Sala und den Comedor durchschreiten mußten. Der kleine trippelnde und watschelnde Negerknabe war mit seinem weißen Herrn von der Bildfläche verschwunden.

Überall deutete die beinahe luxuriöse Ausstattung der Räume an, daß Don José Vicentes Vater ein wohlhabender Herr sein mußte. Auf schweren Teppichen standen massive Damastmöbel, die europäische Herkunft verrieten. Auch ein Flügel war vorhanden, und die Wände bedeckten Ölgemälde. Wäre die Temperatur nicht so tropisch gewesen, man hätte meinen können, im Hause eines reichen Madrider Patriziers oder Generals zu sein. An das Militärische gemahnten Waffen und Gewehre, die als Schau- und Zierstücke zwischen einigen sehr bunten Seidenfahnen aufgehängt waren.

Die beiden riesigen Neger öffneten nacheinander drei Fremdenzimmer, in denen Feldbetten standen. Es waren genau fünf an der Zahl, nicht eines mehr und nicht eines weniger.

»Das hat alles Ihr Funkspruch zuwege gebracht, lieber Mr. Harper.«

»Möglich! Und dennoch seltsam. Ganz eigenartig, daß Don Carlos eine reguläre Funkenstation unterhält. Und noch dazu mit allen Schikanen ausgestattet! Ich habe die Wasserturbine entdeckt, ehe wir die Brücke passierten, die für den elektrischen Strom zu sorgen hat. Und da hinten am Gang ist eine hochmoderne Akkumulatorenbatterie zur Reserve eingebaut, durch die bekanntlich der Betrieb im Notfall aufrechtgehalten werden kann, wenn die Wasserkraft versagt. Hier wohnt kein einfacher Haziendado, meine Herren!«

»Warum soll nicht ein reicher Farmer den gleichen Liebhabereien huldigen wie Sie selbst? Wir haben doch die Triften und Kaffeebäume gesehen. Und Sie müssen zugeben, daß Don José Vicente den vertrauenerweckendsten Eindruck macht, den man sich nur wünschen kann.«

Die Neger hatten sich lautlos entfernt. Es war jetzt völlig still um uns. Gleichzeitig wurde es dunkel. Der Abend stellte sich mit unheimlicher Schnelligkeit gerade in dem Augenblicke ein, wo wir uns unsere Zimmer notdürftig angesehen hatten.

»Unheimlich – trotz allem«, sagte Dr. Stenger. »Oder wenigstens eigenartig geheimnisvoll. Das Tor hat sich hinter uns geschlossen – ein unsichtbarer Mechanismus setzte es geräuschlos in Bewegung. Unsere Leute können und sollen nicht zu uns ...«

»Ob die Nigger wenigstens Licht bringen werden?«

Professor Wagemann hatte es noch nicht gesagt, da flammten gleichzeitig in jedem unserer drei Zimmer die elektrischen Glühbirnen auf. Wir hatten sie vorher nicht einmal bemerkt. Sie waren oberhalb der zwischen den schmalen Fenstern hängenden Spiegel angebracht, gleichsam Rosetten in der Umrahmung bildend.

»Also auch das noch! Nun, es war zu vermuten, wo das Haus eigene elektrische Kraftquellen unterhält.«

»Und überhaupt die ganze Atmosphäre elektrisch geladen zu sein scheint«, setzte Mr. Harper hinzu, der mit großen Schritten und auf dem Rücken verschränkten Armen auf und ab ging.

»Er grübelt wieder über Zusammenhänge,« sagte Professor Wagemann zu mir und Herbert, »die schwerlich vorhanden sind. Wir hatten eine schlechte Nacht, die uns noch in den Gliedern liegt und uns besonders reizbar und empfindlich macht. Wir sollten jetzt weder länger an die sogenannten Guaqueros denken, die mit ihren Schreckschüssen und ihrem feigen Besuch ihren eigenen Weg gingen, noch an eine zufällig morsche Brücke. Mit neidischen Grabräubern, denen wir ungelegen kommen, oder mit Wegelagerern, die schlimmstenfalls jene Brücke demoliert haben, hat hier im Hause niemand etwas gemein. Wir befinden uns in einem Hause, das den Launen irgendeines reichen Sonderlings gehorcht. Daß er die Hazienda in ein kleines Fort umgewandelt hat, ist seine Sache, die noch keinen Anlaß gibt, mißtrauisch zu sein. Seine Vorsichtsmaßnahmen sind eigenartig, aber erklärbar. Ich teile auch Dr. Stengers Besorgnisse nicht. Selbstverständlich wollen wir uns gleich nach unseren Leuten umsehen.«

Dazu kam es jedoch erst, nachdem uns der eine der beiden uns bereits bekannten Neger eine Erfrischung gebracht hatte – das ersehnte Panelawasser, das mit dem Saft einer besonders wohlschmeckenden Limonenart versetzt war. Der Neger reichte die Gläser wie ein geschulter europäischer Diener, und diesmal war er auch nicht stumm. Er sagte auf spanisch: »Der junge Señor bittet die Herren, sich bis zur Einnahme der Comida noch einige Zeit gedulden zu wollen, da zur Nacht noch Gäste erwartet werden.«

»Ah! Und was sind es für Gäste, die erwartet werden?« fragte Dr. Stenger.

Der Neger zuckte die Schultern. »Darüber kann den Herren nur Don José Vicente Auskunft geben.«

»Und wo ist Don José?«

Diesmal begnügte sich der Schwarze mit einem weiteren Achselzucken.

»Wir wollen zu unseren Pferden«, sagte Mr. Harper.

»Ich werde die Herren führen«, lautete die Antwort.

Ich meinte, es genüge wohl, wenn zwei von uns nachsähen, ob alles in Ordnung wäre. Mit Mr. Harper trat ich in den nun schon fast völlig finsteren Hof. Der Neger in seiner weißen Ruana schritt voraus. Als wir uns vorm Tore umsahen, lag das ganze Haus in gespenstischem Dunkel. Jedes Licht, das im Innern brannte, war nach außen abgeblendet. Ohne daß wir sahen, wo, mußte unser schwarzer Führer unterwegs einen Mechanismus berührt haben, denn wieder öffnete sich vor uns das Tor, das ins Freie führte, wie von selbst, um sich, lautlos in den Angeln gleitend, hinter uns wieder zu schließen.

Jenseits des Grabens hob der Neger den Arm. Es ging bergab, und nun sahen wir auch schon in einem Kessel unsere kleine Karawane. In der Mitte des Lagerplatzes wallte der Rauch des Herdfeuers. Friedlich kauend standen unsere abgesattelten Tiere im Grase, während die Guahibos schon ihre Hängematten befestigt hatten. Sie saßen zum Teil schon schmausend am Licht des Herdes und ließen die birnenförmigen Calebassen kreisen. Einer saß abseits und blies das Chucho, ein hohles, mit Bohnen gefülltes Rohr, dessen fremdartige Klänge uns schon in Bogotá im Verein mit Flöte und Bandola begegnet waren. Für unser Ohr war es eine schwermütige Musik, aber der Indio spielt, wie man uns sagte, nur, wenn er bei guter Laune ist. Unsere Frage, ob die Leute gut untergekommen seien, war somit müßig.

Nur Antonio machte noch immer ein ernstes Gesicht. »Es tut uns hier niemand etwas zuleide, Herr«, antwortete er auf meine Frage. »Aber hier wohnen Männer, die im Kriege leben. Wann reisen wir weiter?«

»Wer lebt hier im Kriege?« lautete meine erstaunte Gegenfrage.

Der Mischling deutete nach dem Rand des eingezäunten Talkessels. »Du siehst dort den Señor, der dich in das Haus der Geheimnisse eintreten ließ, und einen Mann, den seine Neger getötet haben. Es ist gut, die Nähe von Leuten zu fliehen, die einander nachstellen und umbringen.«

In der Tat gewahrte ich jetzt eine Gestalt, die unser freundlicher Don José sein mußte, im eifrigen Gespräch mit einem halben Dutzend Männern. Ich verständigte mich flüsternd mit Mr. Harper.

»Sehen Sie wohl!« gab er zurück. »Ich sagte ja, daß hier nichts geheuer ist! Wir täten gut daran, alles, was uns besonders am Herzen liegt, zu uns ins Zimmer zu nehmen. Sie zum Beispiel Ihre Meßinstrumente, und ich meine kostbare Funkenanlage. Ich habe Antonio schon gesagt, daß meine Apparate ins Haus müssen. Und was die Leute da um Don José anlangt, so sind es ebenfalls wieder Nigger – richtige afrikanische Schwarze. Auch der kleine, schwarze Affe ist wieder dabei, der Don José zwischen den Beinen herumlief. Sehen wir uns die Bescherung näher an. Kommen Sie – aber lassen Sie sich nicht sehen!«

Ich gestand Mr. Harper, daß es mir peinlich sei, Don José zu belauschen, aber für derartige Einwände hatte Mr. Harper kein Verständnis.

»Hier links!« flüsterte er. »Die Sträucher decken uns gegen Sicht.«

Ich sah mich nach unserem schwarzen Führer um. Er war dabei, mit Antonio und mit meinem anstelligen Meßgehilfen, der den wohlklingenden indianischen Namen Huitaca führte, den Sender und Presseapparat des Amerikaners nach dem Eingang zum »Fort« zu schaffen. Die längs des Wassers angepflanzten Yucasträucher, die nahezu zwei Meter hoch waren, verbargen unser Anpirschen tatsächlich. Dafür konnten wir, da der Mond heraufgekommen war, Don José und seine Begleiter genau sehen. Der Arriero Antonio hatte nicht zu viel gesagt. Sie standen neben einem Toten. Einer der riesigen Neger erstattete mit lebhaften Handbewegungen Bericht. Eine große Dogge umschnupperte den am Boden liegenden Leblosen.

»Sei unbesorgt, Señor«, rief der Neger Don José zu. »Die drei anderen, denen dieser Mann die Zeichen gab, entgehen uns nicht. Wenn Don Carlos zurückkommt, wird er sie gefesselt, wie du befohlen hast, vorfinden.«

»Wenn die Hunde ihn nicht so zurichten wie diesen! Hebt den Leichnam auf und legt ihn ins Patio. Die weißen Männer dürfen ihn nicht sehen.«

»Sie sehen nichts, Señor«, sagte der Neger, der die Dogge an der Leine führte. Wir glaubten, in ihm den zweiten Neger wiederzuerkennen, der zuerst auf Don Josés Wink erschienen war und uns nach unseren Gastzimmern geführt hatte.

Atemlos lauschend standen wir hinter dem Dickicht, vermochten aber kein Wort mehr zu verstehen. Nur als die Männer den Toten aufhoben, durchzuckte es mich. Ich glaubte zu wissen, wer es war. Mr. Harper legte seine Hand auf meinen Arm.

»Kommen Sie!« flüsterte er. Schneller, als wir gekommen waren, glitten wir ins Dunkel zurück. Als Don José mit seinen Begleitern, die die traurige Last trugen, über die Brücke ging, standen wir neben dem Indio, der noch immer die schwermütige Weise auf seinem Chucho blies.

»Erkannten Sie ihn?« fragte Mr. Harper.

»Es war der Savannero,« stotterte ich, »der da oben auf dem Felsvorsprung die Lichtsignale gab.«

Der Amerikaner nickte. »Kein anderer.« Und da ich wohl sehr blaß ausgesehen haben mußte, fügte er hinzu: »Nehmen Sie einen Schluck Anisado. Sie müssen sich zusammennehmen. Wir dürfen uns nichts, auch gar nichts anmerken lassen.«


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