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Die Dinge spielten sich sehr rasch vor der berühmten Bar des Grand Hotel ab.
Fünf AK-, Al- und AE-Autobusse kamen in voller Fahrt, mit einem Zwischenraum von einem Meter, von der Haltestelle beim Magazin Lafayette herangerattert. Ebenso viele AE, Al- und AH-Autobusse schwenkten vom Opernplatz herauf, ebenfalls in voller Fahrt, und mit einem Meter Zwischenraum. Gleichzeitig suchten zwei Ströme von tutenden, hustenden, glucksenden oder lautlosen Privatautos sich den Weg an den Omnibussen und aneinander vorbei zu bahnen, während ein Schwarm von Motorrädern durch das Gedränge flog wie Scherben von einer explodierenden Granate, es an den schwächsten Stellen spaltete, das Zirkulationssystem unter teuflischem Lärm zerriß und hie und da plötzlich stockte, von einem riesenhaften Lastauto aufgehalten oder – ausnahmsweise – von dem Brüllen einer Pfeife. Denn auf einer unbewegten Insel, mitten in dem Verkehrkatarakt, thronte eine einsame Gestalt im schwarzen Mantel mit einer Pfeife im Mund. Der Benzingeruch, der in weißen Wolken über diesem tosenden Katarakt schwebte, ließ ihn wirklich einem Niagara gleichen; aber die regungslose Insel in seiner Mitte war keine Ziegeninsel, es war eine Pferdeinsel. Auf dem Rücken eines jener merkwürdigen Tiere, die noch vor einigen Jahren den ganzen Verkehr an dieser Stelle besorgten – auf dem Rücken eines solchen vierfüßigen Anachronismus saß ein Polizist in Mantel und Handschuhen mit einer Signalpfeife im Munde. Es war seine Aufgabe, den Niagara zu bändigen, und er tat es auch nach besten Kräften. Aber der Regen peitschte über den Niagara herab und trübte den Blick. Die fünf AK-, Al- und AE-Omnibusse wälzten sich wie losgerissene Felsblöcke den Katarakt hinab. Autos und Motorräder versuchten an ihnen vorbeizusegeln. Und gerade in diesem Augenblick trat Mr. James F. Hannibal aus Newark, New Jersey, aus der Bar auf das Trottoir und dann hinaus auf die Straße.
Als der Prophet Daniel zweitausend Jahre früher in Darius' Löwengrube hinabstieg, konnten sich die Tiere des Perserkönigs nicht rascher auf ihn stürzen, als die Pariser Omnibusse und Autos sich auf James F. Hannibal aus Newark stürzten. Aber die Hand der Vorsehung ruhte auf dem Propheten Daniel, und die Löwen, ihren Irrtum erkennend, beeilten sich, den Rückzug anzutreten. Hingegen ruhte die Hand der Vorsehung nicht in ebenso hohem Grade auf James F. Hannibal aus Newark. Es ist richtig, daß die Omnibusse und Autos den Versuch machten, sich zurückzuziehen, aber das Gesetz der Trägheit lehnte es ab, sich in James F. Hannibals Interesse außer Funktion setzen zu lassen. Selbst hatte Mr. Hannibal seinen Interessen durch den Besuch in der Bar entgegengearbeitet. Zwanzig Sekunden nach dem Glockenschlag, zu dem er in den Niagara hinaustrat, schloß sich der Niagara über ihm. Erst in diesem Augenblick bekam der Mann auf der Pferdeinsel seine Sehkraft wieder. Ein Pfiff schnitt wie ein Messer durch den Lärm. Der Verkehr hörte plötzlich auf. Aber alles geschah um fünf Sekunden zu spät. Was von James F. Hannibal übrig war, war untauglich zu anderen Zwecken, als ihn zu identifizieren.
Dies geschah, und am nächsten Tag enthielt die Pariser Ausgabe des »New York Herald« eine Notiz:
Tödlicher Unglücksfall.
Wir teilen mit Bedauern mit, daß Mr. James F. Hannibal, Newark, New Jersey, Inhaber des bekannten Reisebüros: »Benützen Sie Hannibals Billette!« gestern in der Rue Halevy überfahren und getötet wurde. Der Verblichene war in weiten Kreisen durch die Arbeit bekannt, die er für die Förderung des Touristenverkehrs zwischen den Staaten und Paris geleistet hat. Über die näheren Umstände wird folgendes mitgeteilt …
Über jeder Stadt, so sagt ein berühmter Schriftsteller, erhebt sich eine unsichtbare Stadt, die die Widerspiegelung der aus Steinen erbauten Stadt ist. Und ebenso, sagen viele andere Menschen, schwebt über der ganzen Erde eine Widerspiegelung des Lebens, das gerade seinen fünften Akt hier auf Erden ausgespielt hat. Die in dem Drama des Tages mitgespielt haben – in dem Drama des Tages, dessen Sonne eben untergegangen ist –, die können sich nicht so ohne weiteres von der Bühne losreißen, wo sie aufgetreten sind. Ihre Gedanken kreisen weiter um diese Bühne; ihr Firlefanz fesselt sie noch, ihre Schminke, ihr Puder und ihre Verstellung, ihre wahren und falschen Effekte, ihre lumpigen, lächerlichen oder düsteren Intrigen. Sie stehen hinter den Kulissen, sie brennen darauf, Beifallsrufe, ja selbst Pfiffe zu hören. Und die Beifallsrufe erbrausen, und die Pfiffe ertönen; aber wenn die armen Schauspieler sich für das Händeklatschen bedanken oder gegen das Pfeifen protestieren wollen, finden sie, daß ein Vorhang gefallen ist – eine eiserne Kurtine, durch die nichts dringt, weder Dank noch Proteste, weder Weinen noch Lachen.
Aber in allen Vorhängen gibt es ein Guckloch, durch das die Akteure in den Zuschauerraum hinuntersehen können.
Und ebenso – versichern viele Menschen – gibt es ein Guckloch in dem letzten und solidesten aller eisernen Vorhänge. Die Akteure des abgeschlossenen Dramas können in den Zuschauerraum hinuntersehen, wo ihr Spiel der Gegenstand des Lobes oder Tadels ist. Und wenn der Zuschauerraum die Augen offen hat und die Ohren spitzt, kann er – so sagen diese Menschen – auch einen Schimmer der Akteure und eine Botschaft von ihnen erhaschen – trotz des eisernen Vorhangs.
Nun begab es sich, daß zur gleichen Zeit, zu der die Pariser Ausgabe des »New York Herald« die Mitteilung enthielt, daß James F. Hannibal den Rekord des Seiltänzers Blondin zu übertrumpfen gesucht hatte, indem er ohne Seil über den Niagara ging – daß ungefähr zur selben Zeit The Mount Tabor Evening Eagle and Trumpet, Originalausgabe, die Mitteilung enthielt, daß Mr. Cassius G. Philpott zum großen Schmerz seiner Familie und der Stadt Mount Tabor aus dieser Zeitlichkeit geschieden war, doch zur ungeteilten Freude der nächsten Welt, wo seine persönlichen und mitbürgerlichen Tugenden ihm sicherlich einen Ehrenplatz verschaffen würden.
Als eine Woche nach dem Todesfall vergangen war, verließ Mrs. Cassius G. Philpott ihr Haus in der hundertvierzigsten Straße und begab sich in das Haus 315 in der achtundachtzigsten Straße. In diesem Hause wohnte Mrs. Mary Bloomroth, das berühmteste Medium der Stadt Mount Tabor. Und wenn Mrs. Philpott Mrs. Bloomroth aufsuchte, war es, um sich persönlich zu überzeugen, wie der verblichene Mr. Philpott sich auf der Drüberen Seite befinde. Mrs. Philpott war lange eine gläubige Spiritistin gewesen. Wie sie und ihr Mann ein wechselseitiges Testament hatten, so hatten sie auch einen gestempelten Notariatskontrakt, daß, wer zuerst das schwere Kleid des Staubes von sich warf, sich sofort mit dem anderen in Verbindung zu setzen habe. Mrs. Philpott hatte noch einen Paragraphen einschalten wollen, demzufolge derjenige der Gatten, der den anderen überlebte, seinen Tagen freiwillig ein Ende machen sollte, um die Trennung kürzer zu gestalten. Aber dieser Paragraph war an dem bestimmten Widerstand des Notars und Mr. Philpotts gescheitert.
Die Séance begann sofort nach Mrs. Philpotts Erscheinen. Mrs. Bloomroth setzte sich auf ihren Fauteuil; die Teilnehmer bildeten einen Kreis um den Tisch, der vor ihr stand; das Licht wurde abgedreht, und man sang »Du Licht der Drüberen Seite, o täusch' nicht unsere Zuversicht!« Mrs. Bloomroths Lider schlossen sich, sie atmete schwer, eine Serie von Erschütterungen durchzitterte sie. Bald darauf begann sie zu sprechen – zuerst hörte man nur undeutliches Flüstern, dann kam eine gereizte nasale Stimme, die von ihrer eigenen Stimme so verschieden als möglich war!
»Ich bin Hannibal – Hannibal – Hannibal –.«
Die Teilnehmer nickten einander verstohlen zu: Hannibal war da! Das wunderte sie nicht. Sowohl Napoleon, wie Cäsar, General Grant und andere berühmte Heerführer hatten in der achtundachtzigsten Straße Besuch gemacht. Bei Mrs. Bloomroth konnte man überhaupt sicher sein, die Elite der Geister weit zu treffen.
»Ich bin Hannibal – Hannibal – Hannibal.«
Mr. Percy, Inhaber der Kaugummifabrik von Mount Tabor, räusperte sich:
»Sprich, Hannibal! Was hast du uns zu sagen? Hast du uns etwas über künftige Kriege auf diesem Planeten des Unfriedens mitzuteilen?«
»Ich bin Hannibal – Hannibal – Hannibal. Warum bin ich unter den schweren Wagen gekommen? Warum bin ich tot?«
Die Zuhörer sahen einander bedeutungsvoll an. Er war unter einen schweren Wagen gekommen und getötet worden. Sicherlich war der Wagen ein Kriegswagen, wie man ihn auf den Bildern der Bibel sieht, ein vorzeitlicher Tank, mit dem das auserwählte Volk seine Feinde niedermetzelte. Hannibal war unter einen solchen Tank gekommen und getötet worden. Wer das Schwert ergreift, wird durch das Schwert umkommen. Aber warum beklagte er sich darüber, daß er tot war? Niemand in der Gesellschaft erinnerte sich an die Jahreszahl seines Todes, aber alle hatten den Eindruck, daß es schon ziemlich lange her war.
»Hannibal«, sagte Mr. Percy, »warum beklagst du dich darüber, daß du tot bist? Du hast es ja da, wo du jetzt bist, besser!«
Die nasale Stimme wurde noch gereizter.
»Ich habe es hier besser?« rief sie. »Das ist nicht wahr. Es ist eine Woche her, seit das geschehen ist, aber noch habe ich nichts zu tun gefunden. Ich muß arbeiten, sonst ist mir nicht wohl. Ich bin ein hundertprozentiger Arbeiter, das bin ich. Ich bin Hannibal – Hannibal – Hannibal! Benützen Sie Hannibals Billette! Reisen Sie mit …«
Die Stimme wurde immer nasaler und immer gereizter. Plötzlich hörte sie auf, wie eine Stimme im Telephon aufhört, wenn das Telephonfräulein die Verbindung abbricht. Die Zuhörer sahen sich unschlüssig an. Der Geist Hannibal hatte von Billetten gesprochen! Er hatte über die Verhältnisse auf der Drüberen Seite geklagt. Was war das für ein Geist? War es solch ein Geist, der die Gläubigen durch sinnlose und unzusammenhängende Redereien zu verwirren sucht?
»Hannibal!« sagte Mr. Percy streng. »Bist du ein Neckgeist? Antworte!«
Hannibal schwieg, entweder aus Beschämung, sich durchschaut zu sehen, oder aus Unlust, die Debatte fortzusetzen.
»Es ist kein Zweifel, daß das ein Neckgeist war«, rief Mrs. Philpott. »Zu behaupten, daß er nichts zu tun hat! Als ob man nicht wüßte, daß auf der Drüberen Seite alle etwas zu tun haben! Den Neuankömmlingen zu helfen, die Unwissenden zu belehren und so weiter. Aber jetzt will ich mit meinem Mann sprechen. Cassius! Bist du da?«
Mrs. Bloomroth, die schlaff zusammengesunken in dem Fauteuil gelegen hatte, wurde von einem neuen Zittern durcheilt. Ihr Kopf hob sich mit geschlossenen Augen von der Brust. Sie sprach. Diesmal war es eine neue Stimme, eine schelmische, kokette Stimme, die aus ihrem Munde sprach.
»Hier ist Cassius, all right«
»Cassius, all right. Hast du geglaubt, Cassius würde sich weigern, zu kommen, wenn sein kleines Frauchen ihn ruft? So wie die Herren im Klub sich weigern, ans Telephon zu kommen?«
»Cassius!« rief Mrs. Philpott betrübt. »Wie redest du? Feierst du so deinen Übergang zur Drüberen Seite?«
Cassius lachte ausgelassen durch Mrs. Bloomroths Mund. Alle, die an Mrs. Bloomroths Tisch saßen, kannten sein Lachen und erkannten es. Dann wurde er wieder ernst.
»Die Drübere Seite«, sagte er mit gereizter Stimme. »Weißt du, was ich von dieser Drüberen Seite halte? Ich habe sie bis hierher! Hörst du? Ich habe sie satt!«
»Cassius!« rief Mrs. Philpott. »Deine Sprache ist eines Gläubigen unwürdig! Antworte mir: Hast du getrunken?«
Durch das Studium von Sir Oliver Lodges Raymond wußten die Gäste in Mrs. Bloomroths Haus, daß die Drübere Seite bis ins kleinste Detail eine getreue Kopie dieser Seite des Weltbildes war. Die Geister der Verstorbenen lebten in Häusern, sie hatten Kleider und Bücher, soweit war alles gut. Aber in einem Punkte stand die Drübere Seite entschieden hinter dieser Seite zurück, insofern Ordnung und Fortschritt in Betracht kamen. Raymond hatte berichtet, daß es dort Bars gab, mit stärkenden Getränken für Neuankömmlinge, und dasselbe hatten amerikanische Geister durch Mrs. Bloomroths Mund erzählt. Die Einführung des Volstead-Gesetzes auf dieser Seite schien in dieser Hinsicht keinen Unterschied gemacht zu haben. Bei Lebzeiten war Cassius G. Philpott als ein tüchtiger Kaufmann bekannt gewesen, der nichts dagegen gehabt hatte, sich zu amüsieren und ein Gläschen oder zwei zu trinken. Aber sollte sich dies, seitdem er die Zeitlichkeit verlassen hatte, nach der falschen Richtung entwickelt haben?
»Cassius!« rief Mrs. Philpott. »Antworte auf meine Frage! Hast du getrunken?«
Endlich kam die Antwort. Sie kam in klagendem Ton. Der Sprechende schien geärgert, aber auch betrübt.
»Edwina!« sagte die Stimme. »Diese Drübere Seite ist nicht das, was man damit hergemacht hat. Nein. Was man auch von Cassius G. Philpott sagen mag, ein guter Amerikaner ist er immer gewesen. Well, es gibt ein Sprichwort, das ich kenne, seit ich laufen kann: Wenn gute Amerikaner sterben, kommen sie nach Paris. Do you follow me? Verstehst du?«
»Cassius!« rief Mrs. Philpott. »Sag mir: Bist du im Himmel?«
Die Stimme, die aus Mrs. Bloomroths Mund kam, wurde zornig.
»Ich bin, wo ich bin! Jetzt bin ich eine Woche hier. Und ich weiß nicht, wie ich nach Paris kommen soll – nein, das weiß ich nicht! – Ich weiß es nicht!«
Die Stimme ging in Schluchzen über. Hierauf klang es zum zweitenmal an diesem Abend, als ob ein überirdisches Telephonfräulein sich an den Drähten zu schaffen machte. Es kamen noch ein paar undeutliche Silben:
»Weiß nicht, wie ich hinkommen soll – weiß nicht, weiß – nicht –
Hierauf wurde es still. Mrs. Bloomroth wand sich heftig in dem Fauteuil, öffnete die Augen und setzte sich auf.
»Haben Sie eine gute Séance gehabt?«
Nur Mrs. Philpotts Schluchzen antwortete ihr.
Nach dieser Séance blieb Mrs. Philpott keinen einzigen Abend von den Zusammenkünften in der achtundachtzigsten Straße aus. Wohl aber Mr. Philpott. Nur ein einziges Mal fand er sich zu einer Séance ein. Das war eine Woche später. Da erfüllte er das Zimmer mit solchen Klagerufen und Ausbrüchen über das Leben nach diesem Leben, daß Mrs. Philpott ohnmächtig wurde. Mr. Philpott stellte fest, daß er ein guter Amerikaner war, fünfundsiebzig Prozent gut, und also zu einem glücklichen Leben nach diesem berechtigt, und hundert Prozent Amerikaner. Er verlangte sein Recht, und er wußte, was sein Recht war: nach Paris zu kommen, wenn er tot war. Aber an dem seltsamen Ort, wo er sich eben jetzt aufhielt, gab es niemanden, der ihm helfen konnte, nach Paris zu finden. War dies, so fragte Mr. Philpott mit konzentrierter Empörung, das Entgegenkommen, das amerikanischen Mitbürgern auf der Drüberen Seite bewiesen wurde? In diesem Falle wollte er fragen, welchen Zweck es habe, unter dem Sternenbanner geboren zu sein und sich eines guten Lebenswandels zu befleißigen? Solange er seine Stimme hören lassen konnte – so rief Mr. Philpott durch Mrs. Bloomroths Mund –, solange er seine Stimme hören lassen konnte, würde er sagen, daß dies eine Art und Weise war, eine Art und –.
Hier wurde Mrs. Philpott ohnmächtig. Als sie endlich wieder zu sich kam, war Cassius G. Philpott weg. Nicht genug damit, er blieb weg. Er antwortete auf keinen wie immer gearteten Ruf. Was war geschehen? Hatte ihn die Strafe für seine Lästerungen ereilt? Mrs. Philpott suchte es schaudernd durch Mrs. Bloomroth zu erforschen. Aber der unerbittliche Vorhang hob nicht eine einzige seiner Falten. Ihr Rufen und Schluchzen prallte hilflos von dem letzten und schwersten aller eisernen Vorhänge ab. Das Verhältnis zwischen ihr und Mrs. Bloomroth wurde gespannt.
»Mrs. Bloomroth, entweder lassen Sie mich wissen, was aus meinem Manne geworden ist, oder ich verliere das Vertrauen zu Ihnen!«
»Was wollen Sie, daß ich tun soll? Soll ich es machen wie die anderen Medien, soll ich selbst eine Botschaft von Ihrem Mann fabrizieren und sie für echt ausgeben? Antworten Sie mir! Wollen Sie das?«
»Ich will nur eines«, sagte Mrs. Philpott hart. »Ich will wissen, wo mein Mann ist! Wenn er nicht auf einer guten ›Ebene‹ ist, dann halte ich unseren Kontrakt für ungültig und –«
»Und was?« fragte Mrs. Bloomroth.
»Das ist eine andere Sache! Aber Sie müssen herausbekommen, wo mein Mann ist, hören Sie? In einer Woche muß ich es wissen. Sonst –«
Doch schon zwei Abende später kam eine Botschaft von der Drüberen Seite. Der unerbittliche Vorhang lüpfte eine seiner Falten; die letzte und schwerste aller eisernen Kurtinen ließ einen Lichtstrahl durch.
»Du Licht der Drüberen Seite« war kaum verklungen, als Mrs. Philpott zusammenzuckte. Sie hatte die Stimme ihres Gatten aus Mrs. Bloomroths Munde gehört.
»Cassius!« rief sie. »Bist du es?«
»Ich bin es!« bestätigte Mr. Philpott. Bei der letzten Séance war seine Stimme wütend und empört gewesen; jetzt war sie glucksend und schelmisch wie bei Lebzeiten. »Da ist Cassius G. Philpott, all right.«
»Was hast du mir zu sagen, Cassius? Auf welcher ›Ebene‹ bist du? Warum habe ich tagelang nichts von dir gehört? Antworte!«
Die Stimme aus dem Unbekannten gurrte geheimnisvoll:
»Hab' keine Angst um Cassius! Cassius ist dahin gekommen, wo er hingehört!«
»Und wo ist das, Cassius? Als ich dich das letztemal sprach, warst du mehr als sonderbar. Du sprachst davon, daß du nach Paris wolltest. Was hast du damit gemeint? Antworte!«
Die geheimnisvolle Stimme gluckste frohlockend:
»Ich bin in Paris gewesen! Seit letzthin bin ich dort gewesen! Ja!«
Mrs. Philpott stieß einen Entsetzensschrei aus, die Stimme fuhr fort:
»Endlich hab' ich jemanden gefunden, der sich eines guten Amerikaners annimmt. Wenn ich ihn nicht getroffen hätte, wäre ich nie zu meinem Recht gekommen! Was der nicht von Paris weiß, ist nicht der Mühe wert zu wissen! Er kann einen nach Paris bringen und in Paris herumführen! Er hatte ein Reisebureau in Paris, bevor das passierte. Sein Name ist Hannibal und –«
Die Stimme verstummte plötzlich. Es war, als ob ihr Besitzer von einem anderen beiseitegedrängt worden wäre, der es nicht erwarten konnte, die Verbindung zu bekommen. Eine nasale Stimme, die den Zuhörern nicht unbekannt war, kam aus Mrs. Bloomroths Mund: »Ich bin Hannibal – Hannibal – Hannibal! Ich habe meine Arbeit gefunden! Ich verschaffe guten Amerikanern ihr Recht. Ich führe sie nach Paris. Ich bin Hannibal – Hannibal – Hannibal – benutzen Sie Hannibals Billette – fahren Sie mit Hannibals Gesellschaftsrei…«
R–r–r! die Stimme erlosch in einem Röcheln. Mrs. Bloomroth wand sich wie in Krämpfen und erhob sich endlich von ihrem Sitz.
»War es eine gute Séance?«
Mr. Percy antwortete ihr nur mit einem flammenden Blick. Dann drehte er das Licht auf, nahm seinen Hut und ging. Die anderen Teilnehmer folgten einer nach dem andern seinem Beispiel. Sie hatten genug von einem Haus, in dem so zweifelhafte Geister aus und ein gingen. Mrs. Bloomroth blieb allein mit Mrs. Philpott. Mr. Philpotts Gattin erfüllte das Zimmer mit lautem Schluchzen.
»Er, ein verheirateter Mann! Wo man doch weiß, was für ein Ort Paris ist! Moulin Rouge und Folly Birdgear und all das andere! Ah, Cassius, Cassius! Morgen verbrenne ich unseren Kontrakt und –«
»Und was?« fragte Mrs. Bloomroth.
»Das ist eine andere Sache«, schluchzte Mrs. Philpott, »aber das tue ich!«
Am nächsten Tag stieg ein Notariatskontrakt in Gestalt von äußerst feinen Rußpartikelchen zum Himmel auf. Am selben. Tag wurde in einer Salonecke des Philpottschen Hauses das Wort »Ja« geflüstert. Nicht lange darauf wurde es vor dem Altar der reformierten Methodistenkirche Mount Tabors wiederholt. Und ungefähr gleichzeitig mit Mistreß Philpotts Hochzeit begab sich Mistreß Mary Bloomroth auf eine längere Erholungsreise nach Europa.
»The Mount Tabor Evening Eagle and Trumpet« gab ihre Abreise in folgender Notiz kund:
»Unser berühmtes Medium, Mrs. Bloomroth, ist gestern nach Europa abgereist. Marys Nerven sind nicht so, wie sie sein sollten. Sie gedenkt sie auf der Drüberen Seite des Ententeichs zu kurieren. Aber nicht in Karlsbad oder St. Moritz! Nein, Mary reist nach gay Paris, und sie benutzt Hannibals Billette.«
Kann es wirklich eine Erholung für die Nerven sein, nach Paris zu reisen, wenn man ein Medium ist? Wir glauben es nicht, Mary, bedenken Sie, was das Sprichwort sagt: when good Americans die, they go to Paris.