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Graf Origonis Whistspiel

»Das Leben, Signor«, sagte mein Freund, Graf Orfeo Origoni, »hat seine guten und seine schlechten Seiten. Wer das leugnet, ist ein Dummkopf.«

Ich hatte die Bekanntschaft dieses italienischen Edelmannes eines Abends in einem zweifelhaften Lokal in Marseille gemacht. Es war ein Café Chantant in einem Kellerlokal, das nicht mehr als fünf Minuten von der Hauptstraße La Cannebière entfernt war und daher als relativ ungefährlich gelten konnte. Ich habe den Namen des Lokals vergessen, und an Graf Origoni zu schreiben und ihn zu fragen, lohnt sich nicht im Hinblick auf die langsame und unsichere Postverbindung mit Französisch-Guyana, wo sich der Graf seit September 1913 unter Oberaufsicht des französischen Staates zum Plantagenzüchter ausbildet. Übrigens tut der Name des Lokales nichts zur Sache. Aber der Leser kann nach dem Gesagten leichter mein Erstaunen begreifen, an einem solchen Orte einen illustren Sprößling des gräflichen Hauses Origoni zu treffen, über dessen Existenz ich allerdings bis dahin in Ungewißheit geschwebt hatte. Der Graf, der sehr mager war und dem Präsidenten Wilson ähnlich sah, war ein Mann von großer Welterfahrung; und trotz meiner plebejischen Abstammung machte es ihm Spaß, mir abends bei einer Flasche Landwein Einblick in die Erfahrungen seines Lebens zu gewähren. Sie waren bunt und gaben ihm Anlaß zu allerlei Betrachtungen und Denksprüchen.

»Das Leben«, wiederholte Graf Origoni, »gleicht nicht der törichten Obrigkeit in meinem Heimatlande, die will, daß alle dieselben Anlagen haben, und die ihre besten Söhne zur Landflucht treibt, anstatt ihr vielleicht allzu feuriges Naturell zu verwerten. Ich selbst, Signor – bei Gelegenheit werde ich Ihnen von meinem genialen Großvater und seinem Schicksal erzählen – ich selbst bin ein Beispiel für die Klugheit dieser Politik. Haha! Sie sehen mich hier ohne Diener, ohne irgendwelche äußeren Merkmale meiner Geburt, ja bisweilen gezwungen, an die Vertrauensseligkeit von Fleischselchern und Gewürzkrämern zu appellieren. Ich, ein Graf Origoni! Und – aber meine Bescheidenheit verbietet mir, von meinen Naturanlagen zu sprechen – kurz gesagt, sie paßten nicht für die Obrigkeit in meinem Heimatlande. Haha! Wir wollen trinken.

Nein, Signor, das Leben wäre undenkbar, wenn es derart dirigiert werden sollte. Das Leben läßt alle möglichen Typen gelten, und wenn ich nicht irre, gibt es einen englischen Gelehrten, der eine Theorie darüber aufgestellt und das Dasein als den Kampf zwischen diesen Typen erklärt hat. Ich bin sehr bewandert in Wissenschaft und Literatur, getreu den Traditionen meiner Familie. Und ich glaube bestimmt, daß eine solche Theorie vor einiger Zeit von einem Engländer aufgestellt wurde, dessen Name mit D oder G anfängt. Leider habe ich ihn vergessen.

Ich habe selbst alle möglichen Typen auf den weiten Reisen getroffen, die ich unternommen habe, um meine Welt- und Menschenkenntnis zu bereichern. Viele untüchtige, durch ihren Mangel an Intelligenz und Charakter zum Untergang verurteilte, aber auch viele, die alle Vorbedingungen für sich hatten und doch nicht reüssierten. Denn was sind gute Anlagen anderes als Einsätze in dem großen Spiel? Corpo di bacco! Ich erinnere mich an Personen, deren Torheit dazu bestimmt schien, sie ins Verderben zu stürzen, und denen doch alles gut ausgegangen ist, gleichsam gerade auf Grund ihrer Dummheit. Ich erinnere mich an einen, einen Landsmann dieses englischen Gelehrten, von dem ich eben sprach. Er hieß Tarkington, und ich traf ihn auf einer Dampferfahrt von Manila nach San Francisco.

Wollen Sie noch eine Flasche Landwein bestellen, Signor, so wird es mir ein Vergnügen sein, Ihnen von dem Manne zu erzählen … Auf Ihr Wohl!

Dieser Tarkington war ein baumlanger junger Mann, mit einem Gesicht, so steinhart und kantig wie die Gesichter der Figuren in einem Schachspiel. Ich reichte ihm kaum bis zur Schulter, und als ich zu Beginn unserer Reise gelegentlich seine Arme sah, schauderte ich bei dem Gedanken, daß wir uns verfeinden und handgemein werden könnten. Aber als das Schiff ins Meer hinausgekommen war – es war ein Lastdampfer namens »Ciudad de Colon«, und der Kapitän und die Besatzung waren Spanier – als wir also ins Meer hinausgekommen waren, zeigte es sich, daß dieser Tarkington und ich die einzigen Passagiere an Bord waren, und was blieb da anderes übrig, als sich ihm vorzustellen und Bekanntschaft für die Reise zu machen, die über zwei Wochen dauern sollte?

»Mein Name«, sagte ich zu diesem Tarkington, »ist Graf Orfeo Origoni aus Italien, Signor, wenn Sie den Namen meiner Familie nicht schon kennen sollten.«

»Merkwürdigerweise nein«, sagte er, »mein Name ist Tarkington aus London.«

Ich reichte ihm die Hand, wir begrüßten uns herzlich, und ich begann, ihm von mir selbst zu erzählen, in der Voraussetzung, daß er es ebenso machen würde, so daß ich erfahren konnte, wer er war. Da er dies nicht tat, schlug ich, meiner gastfreundlichen Natur folgend, ihm vor, ein Glas Wein mit mir zu trinken. Ich wollte sehen, ob dies nicht seine Zunge lösen würde. Tarkington sagte kurz, er trinke nur Whisky, und ich kam ihm in diesem Punkte entgegen. Wir bekamen Whisky und Sodawasser in dem Rauchsalon, der nicht größer war als ein Vogelnest, und wir tranken. Aber nicht einmal dies bewog Tarkington zu einem anderen Worte als » Good luck«. Vergebens verschwendete ich an ihn alle die englischen Wortspiele und Anekdoten, die ich auf meinen Reisen gelernt hatte. Dann aßen wir zu Mittag, und Tarkington kehrte schweigend zum Whisky zurück; ich hütete mich, seinem Beispiel zu folgen. Mehr als einmal habe ich zuviel von diesem englischen Trank genossen und am nächsten Morgen eine Eisenhand um meinen Schädel gespürt. Tarkington trank Glas um Glas, ohne daß mehr Leben in sein Gesicht oder seine Konversation kam. Endlich öffnete er den Mund, doch nicht um zu sprechen, sondern um zu gähnen. Aber als der Kapitän etwas später in die Kajüte guckte, die voll von Tarkingtons Pfeifenrauch war, sagte er endlich etwas:

»Spielen Sie Karten, Herr Kapitän?«

Ich horchte auf, denn meine Reisekasse war nicht so groß, als ich es gewünscht hätte, und ich werde stets von einem Glück im Kartenspiel verfolgt, das in meinem Heimatlande verächtlichen Dummköpfen Anlaß zu Behauptungen gegeben hat, die allzu deutlich vom Neid inspiriert sind, als daß ich sie nur andeuten möchte. Mit Befriedigung hörte ich Tarkington diese Frage an den Kapitän richten, der über sein ganzes schwarzes Gesicht grinste und sich beeilte, die Frage zu bejahen.

»Wenn ich sage Karten, meine ich Whist«, fuhr Tarkington fort, offenbar sehr angestrengt von dem vielen Reden. »Whist ist mein einziges Spiel. Spielen Sie Whist, Herr Kapitän, dann können wir mit einem Strohmann spielen, wenn der Graf das Spiel kennt.«

»Ich kenne es«, beeilte ich mich zu sagen, obgleich ich enttäuscht war. Denn wenn ich auch der Sicherheit halber alle Kartenspiele gelernt habe, ist doch Whist kein Spiel nach meinem Sinn.

Aber der Kapitän schüttelte melancholisch den Kopf und starrte Tarkingtons Krawattennadel an, die er ihm wohl bei irgendeinem Hasardspiel abzugewinnen gehofft hatte.

»Ich kann nicht Whist spielen, Senjor«, sagte er, »aber Poker oder …« – »Wenn ich sage Karten, meine ich Whist«, unterbrach ihn Tarkington sofort und braute sich einen neuen Whisky. Der Kapitän lehnte in der Tür, die Augen zunächst auf die Krawattennadel geheftet; aber nachdem er auch Tarkingtons steinhartes Gesicht einige Minuten betrachtet hatte, zog er sich mit einem Seufzer zurück.

Ich saß in meiner Sofaecke Tarkington gegenüber und überlegte. Was war zu tun? Weiter mit dieser knöchernen Statue zu konversieren, hatte ich keine Lust; aber die Zeit war unerträglich lang, der Gedanke, meine Reisekasse zu verstärken, ließ mir keine Ruhe. Dieser Gedanke wanderte in meinem Kopf hin und her wie ein Schiffchen im Webstuhl, und schließlich kam mir eine Idee, gerade als Tarkington zum zweiten Male an diesem Abend seinen Mund öffnete, um zu gähnen.

»Mister Tarkington«, sagte ich, »könnten wir zwei nicht allein Whist spielen?«

Er betrachtete mich eine Zeitlang mit seinen regungslosen Fischaugen, während er Kraft sammelte, um zu sprechen. Endlich sagte er:

»Mit zwei Strohmännern, meinen Sie?«

»Jawohl«, sagte ich und freute mich innerlich, denn um wieviel größer sind nicht die Chancen für einen geschickten Spieler mit zwei Strohmännern!

»Aber wir legen nur den einen auf«, sagte Tarkington, der offenbar heftig nachdachte, während er an seiner Pfeife sog. – »Wie Sie wollen«, sagte ich; denn ob nur ein Strohmann oder beide aufgedeckt wurden, war mir schnuppe. Ich würde es wohl in Erfahrung zu bringen wissen, wie die Karten verteilt waren. »Wie Sie wollen, Mister Tarkington.«

»Gut«, sagte Tarkington ohne weiteres, »und zu wieviel das Point? Ich mache Sie aufmerksam, daß ich ein guter Spieler bin.«

»Schlagen Sie selbst vor«, sagte ich. »Geld spielt, die Madonna sei gelobt, für mich auf dieser Reise keine Rolle.«

Das war wahr, denn, aufrichtig gesagt, ich glaube nicht, daß ich zwanzig amerikanische Dollar in der Tasche hatte.

»Wollen wir also sagen, das Point ein Dollar«, sagte Tarkington und sah mich an. »Oder finden Sie das zu hoch?«

»Absolut nicht«, sagte ich. »Lassen wir uns Karten kommen.«

Wir klingelten, man brachte Karten, und das Spiel begann.

Es zeigte sich bald, daß Tarkington, wie er gesagt hatte, ein guter Spieler war und, was mehr ist, ein äußerst scharfäugiger. Ich beging ein oder zwei bedauerliche kleine Irrtümer beim Ausspielen, denn es wurde mir natürlich schwer, mit meinen Gedanken bei dem uninteressanten Spiel zu bleiben, und Tarkington korrigierte sie blitzschnell, zu meiner großen Freude, da sie möglicherweise irgendwelche Nachteile für mich zur Folge gehabt hätten.

Aber gegen ein Uhr wurde die Sache zu eintönig. Ich hatte bei einem Spiel von vier Stunden zehn oder elf Dollar gewonnen. Ich erhob mich und sagte: »Mister Tarkington, Sie entschuldigen sicherlich, wenn ich zu Bett gehe? Ich bin ein wenig müde.«

»Das ist schade«, antwortete er, und zum erstenmal sah ich ein bißchen Leben in seinen Augen. »Ich finde das Spiel überaus interessant.«

»Ich auch«, sagte ich aus Höflichkeit, »aber ich bin müde.«

Tarkington grübelte eine Minute nach, während er seinen Verlust bezahlte. Es schien ihm eine Idee zu kommen.

»Soll ich auch Ihre Karten übernehmen?« fragte er.

»Übernehmen Sie alle Karten und amüsieren Sie sich, so gut Sie können«, sagte ich und ging mit einem Gähnen, das dieses Engländers würdig war.

Was ich Ihnen jetzt erzählen werde, Signor, wird Ihnen unglaublich und vielleicht unwahr vorkommen, obgleich Sie es von mir hören; aber wenn dem so ist, ist es nur, weil Sie den Typus, den Tarkington repräsentierte, noch nie getroffen haben. Erinnern Sie sich, was ich Ihnen sagte? Das Leben läßt alle Typen gelten, auch solche wie Tarkington, obwohl man glauben sollte, daß ihre Dummheit ihren augenblicklichen Untergang herbeiführen müßte. Denn hören Sie, was glauben Sie, geschah am nächsten Morgen, als ich vor dem Frühstück auf das Verdeck kam? Tarkington trat mit erregtem Gesichtsausdruck aus dem Rauchsalon und kam auf mich zu.

»Ich bedauere Sie, daß Sie gegangen sind«, sagte er. »Ich habe selten in meinem Leben ein so interessantes Spiel mitgemacht.«

»Das freut mich«, antwortete ich. »Wie lange haben Sie denn für sich allein gespielt?«

»Ich habe bis jetzt gespielt«, sagte er, »aber ich habe nicht nur für mich allein gespielt. Sie dürften sich doch erinnern, daß Sie mir die Ermächtigung gaben, auch für Sie zu spielen.«

Ich starrte ihn an, zum Glück zu verblüfft, um ein Wort sagen zu können.

War er verrückt?

»Und von diesem Gesichtspunkt aus«, sagte Tarkington, »kann ich Ihnen nur gratulieren; nach dem Protokoll, das Sie hier sehen und das ich mit der größten Genauigkeit geführt habe, haben Sie …«

»Signor«, gelang es mir endlich, zu rufen, »was meinen Sie?«

»Nach diesem Protokoll, auf das Sie sich vollkommen verlassen können«, sagte Tarkington, »haben Sie neunhundert Points gewonnen; Sie haben geradezu fabelhaft gute Karten gehabt. Zweimal war die Situation etwas zweifelhaft, aber ich glaube, ich habe auf das korrekteste gespielt. Können Sie mir auf zwei englische Hundertpfundnoten zurückgeben?«

Ich starrte ihn an, ohne glauben zu können, daß ich wach war.

»Wir haben ja, wie Sie sich erinnern dürften, das Point zu einem Dollar gespielt«, sagte Tarkington. »Und neunhundert Dollar machen hundertachtzig Pfund, nicht wahr?«

»Ja, gewiß«, murmelte ich. »Ich habe leider nicht genug bei mir, um herauszugeben; aber der Kassier kann sicherlich wechseln.«

Dies, Signor, so sehr alle Heiligen mir gnädig seien, war das Ergebnis von Tarkingtons und meiner ersten Spielpartie. Würden Sie glauben, daß ein solches Maß von Dummheit bei einem Menschen möglich ist, ohne ihn sofort ins Verderben zu stürzen? Wer, glauben Sie, war an diesem Morgen vergnügter als ich? In meinem Leben hatte ich noch keinen solchen Narren wie diesen Tarkington getroffen, und es mag sein, daß ich diese Ansicht in meinem Benehmen gegen ihn durchschimmern ließ, was ich noch heute bedauere, denn es bereitete mir drei Monate des entsetzlichsten Lebens unter wilden Menschen ohne Manier oder Kultur; ja, es mag sein, daß ich allzu überlegen in meinem Benehmen gegen Tarkington war und allzu ironisch in dem, was ich zu ihm sagte. Er redete nichts, aber hinterher habe ich gemerkt, was er dachte, und als wir neun oder zehn Tage gesegelt und in die Höhe einer Inselgruppe gekommen waren, deren Namen ich vergessen habe, trotzdem ich sie drei Monate bewohnen mußte, nahm er Rache.

An den vorhergehenden Tagen hatten wir nur ganz gewöhnliches Whist mit zwei Strohmännern gespielt, wobei ich ein bißchen gewonnen hatte; sein Spiel für meine und seine Rechnung hatte er trotz meiner Aufforderung nicht wiederholt. Ich Tor! An dem Morgen, an dem wir uns gerade in der Höhe der letzten der Inseln befanden, deren Namen ich vergessen habe, kam ich aufs Verdeck, und aus dem Rauchsalon stürzt mir Tarkington entgegen.

»Graf, ich bedaure Sie, daß Sie gestern abend so früh zu Bett gingen! Ich habe noch nie ein so interessantes Spiel mitgemacht wie heute nacht.«

»Ich gratuliere Ihnen«, sagte ich und machte mich bereit, auf seine englischen Banknoten herauszugeben. »Haben Sie auch für mich gespielt?«

»Ja, und Sie haben eintausendzweihundert Points verloren. Sie haben ein geradezu phantastisches Pech gehabt. Hier ist das Protokoll.«

Ich starrte ihn an.

»Was meinen Sie? Glauben Sie, ich kümmere mich um Ihr Protokoll?«

»Was meinen Sie?« sagte er und kniff seine mageren Lippen zusammen.

»Was ich meine? Daß Sie dieses Protokoll, das Sie zusammengeschmiert haben, ins Meer werfen können. Ich interessiere mich nicht dafür.«

»Verstehe ich Sie recht! Sie weigern sich, Ihre Spielschuld zu begleichen?«

»Spielschuld! Wie können Sie sich unterstehen, von einer Spielschuld bei einem Spiel zu sprechen, bei dem ich gar nicht anwesend war! Wenn meine Verachtung für Sie nicht zu tief wäre, würde ich Sie Ihrem Protokoll nachwerfen.«

Ich entriß ihm sein Protokoll und schleuderte es über die Brüstung, ohne es anzusehen. Tarkington wurde aschgrau im Gesicht, warf den Rock ab und krempelte die Hemdärmel über seine furchtbaren Arme auf.

»Sind Sie bereit?« fragte er.

Ich starrte ihn an und legte alle Verachtung, die ich für ihn empfand, in meinem Blick.

»Machen Sie sich nicht lächerlicher, als Sie schon sind«, sagte ich, und – pang! – der brutale Feigling! – schon hatte ich einen Kinnhaken weg, der mir die Fähigkeit, zu sprechen und zu denken, raubte und mich mehr Sterne sehen ließ als Schiaparelli durch alle seine Teleskope. Ich fiel auf das Verdeck, und das erste, was ich hörte, als ich überhaupt wieder etwas hörte, war Tarkingtons Stimme.

»Sobald Sie auf die Füße kommen, fangen wir wieder an.«

Madonna santissima, wie still ich lag! Ich sah durch die Augenlider, wie Tarkington sich einen Stuhl holte und sich niedersetzte, um zu warten. Die Sonne brannte auf mich herab, und ich litt unaussprechliche Qualen, aber sowie ich mich rührte, erhob sich Tarkington von seinem Sitz und entblößte die Arme, bereit zum Angriff. Stunde um Stunde kroch dahin und schien mir eine Ewigkeit. Es war ein furchtbarer Vormittag. Endlich gegen ein Uhr stand Tarkington von seinem Sessel auf und ging mit einem rohen Lachen in den Speisesaal. Wie ein Pfeil war ich aufgeschnellt, aber nur auf die Knie, für den Fall, daß er unvorbereitet zurückkommen sollte. Und auf den Knien rutschte ich, ein Origoni, zur Kajüte des Kapitäns hin. Ich erzählte ihm, was vorgefallen war, und der spanische Schurke lachte mir einfach ins Gesicht.

»Der wird Sie verprügeln, sobald Sie auf den Beinen stehen«, sagte der Kapitän, »ich kenne die Engländer.«

»Aber du gütiger Gott!« rief ich. »Ich kann doch nicht den ganzen Tag auf dem Schiff herumkriechen? Und meine Kajüte ist heißer als ein Backofen. Und wir haben noch eine Woche bis San Francisco.«

»Ja, und da dürfte es Ihnen schwer fallen, kriechend weiterzukommen«, sagte der Schurke mit einem abermaligen Lachen. »Dort wird er Sie dann sofort verprügeln.«

»Aber was soll ich denn tun? Was soll ich nur tun?«

»Ich kann Sie auf der Insel dort drüben ans Land setzen, wenn Sie wollen«, sagte er mit einem Grinsen. »Ich werde es billig machen. Fünfzig Pfund.«

»Sind Sie verrückt?« rief ich.

Aber ach! Was blieb mir für eine Wahl? Die Erinnerung an die Arme dieses elenden Tarkington verfolgte mich wie eine Gespenstererscheinung, und mit blutendem Herzen mußte ich dem gemeinen Spanier fünfzig von den gewonnenen Pfund geben, damit er mich und meine Sachen zu der kleinen Insel rudern ließ, während Tarkington seinen Lunch verzehrte. Gerade als ich landete, sah ich Tarkington aufs Verdeck kommen. Er und der Kapitän plauderten, und ich sah sie lachen und gestikulieren und auf mich deuten, der ich wutschnaubend der »Ciudad de Colon« nachstarrte, die Hände gegen Tarkington geballt, solange ich den Schuft sehen konnte.

Und auf dieser Insel, deren Namen ich vergessen habe, mußte ich drei Monate in einer Palmblatthütte verbringen, ohne andere Gesellschaft als eine Schar schwarzer Kannibalen und einen Missionar, der ihnen Gesittung beibringen wollte, obgleich er selbst nicht einmal Karten spielen konnte. Endlich legte ein kleines Kauffahrteischiff an der Insel an und ich reiste damit ab, nachdem ich mich zuerst noch vergewissert hatte, daß Tarkington nicht an Bord war.

Ja, Signor, wie ich Ihnen schon sagte, das Leben läßt alle Typen gelten, im Gegensatz zur Obrigkeit meines Heimatlandes. Manchmal, wenn ich an Tarkington dachte, habe ich mich gefragt, ob diese Duldsamkeit nicht zu weit geht – aber cospetto, man muß die schlechten Seiten mit den guten hinnehmen. Lassen Sie uns auf die Besserung des Menschengeschlechtes trinken und auf Ihr Wohl, Signor!«

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