Wilhelm Heinse
Ardinghello und die glückseligen Inseln
Wilhelm Heinse

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Kurz, der Künstler stellt wie ein Zaubrer für den Verständigen mit einem Blick auf einmal die wirkliche Tat dar, wo der Augenschein über alle andre Vorstellung hinreißt; und darüber macht der Geschichtschreiber und Dichter für die Unwissenden nur eine Brühe darum her, gleichsam seines Evangeliums Ausleger und Dolmetscher – stellt die schönsten Denkmale der Begebenheiten auf für Herrscher, Philosophen und Völker dem ersten feinsten Sinn des Geistes, und ihm am naturnächsten, dem Auge. Und es ist nicht mehr als billig, daß Zaubrer nicht darben.

Die Dichter, die einen Epaminondas aufführen, wie er leibte und lebte, laßt sie auch alles in der Geschichte dazunehmen, werden so rar sein wie die Maler, die seine Gestalt so treffend aus ihrem Kopf erfinden, daß sie seinem Porträte gliche; und es erwächst dem Praxiteles und Apelles daraus wohl wenig Nachteil, daß ihre Phryne den neuen Namen Venus aus der Mythologie, oder Helena oder Iphigenia aus den Dichtern, oder einen andern in ihren Kunstwerken aus der Geschichte habe: so wie dem Raffael, daß sein Oheim Bramante in der durch alle Zeiten göttlichen Gruppe der Schule den Archimedes vorstelle, wenn sich auch einmal des letztern Bildnis finden sollte.«

»Vortrefflich! mutiger, tapfrer, edler Jüngling«, rief er mir hier zu; »und nun genug. Wir haben den Kreis durchlaufen und sind unvermerkt auf derselben Seite wieder angekommen, wovon wir ausgingen. Ich reich Euch zum Frieden die Hand, schlagt ein; ich hoffe, daß wir gute Freunde sein werden, sobald wir uns ein wenig besser im Innern kennen. Man behauptet in der Hitze des Streits oft Dinge, die man selbst für falsch und übertrieben hält. Zuhörer, die Verstand haben, nehmen von selbst das Wahre heraus; und die keine Unterscheidungskraft besitzen, müssen überall Schwärmern oder der großen Herde wie die Kälber folgen. Der Abend ist zu schön, als daß wir ihn hier im Zimmer verplaudern sollten; und die unten tanzen und sich ergötzen, haben uns schon längst gerufen.«

Wir umarmten uns denn beide mit glühendem Gesicht und klopfendem Herzen.

Unten erfuhr ich, daß mein Mann ein Grieche sei aus der Insel Scio, den die Giustiniani als Knaben mit sich genommen hatten. Er hielt sich nun für beständig in Rom auf und lebte frei von einer kleinen Pension aus diesem Hause und erwarb sich das übrige damit, daß er griechische Handschriften aus der vatikanischen Bibliothek für auswärtige Gelehrten teils kopierte, teils die verschiednen Lesarten daraus sammelte. Er heißt Demetri und mag an die vierzig Jahr alt sein. Sein Wuchs ist groß und stämmicht und seine Gestalt so kühn und unabhängig und seine Sitte so gegen alles Vornehme, daß er wie Diogenes dem Dionysios von Syrakus zu Korinth hätte sagen können: er sei des glücklichen Lebens nicht wert, das er nun führe. Wie mir dies in meinen Eingeweiden herumging, kannst Du Dir leicht vorstellen.

Der bildschöne Jüngling, welcher den Streit erregte, heißt Tolomei, ist ein weitläuftiger Anverwandter von ihm, Sohn eines griechischen Kaufmanns zu Brindisi, treibt hier die Malerei und steht unter seiner Aufsicht.

Ich sah ihn mit einer schlanken Römerin tanzen und mußte lächeln, daß der holde Bube den alten strengen Michelangelo so hart angegriffen hatte; das Rätsel ließ sich nun leicht auflösen. Das süße Paar wallte in jeder Bewegung neue entzückende Schönheit von sich; der Knabe schien ein Mädchen und die Jungfrau mit ihrem zündenden Blick ein verkleideter Jüngling. Die Menge stand umher, und kein Auge verwendete sich von ihnen aus den erheiterten Gesichtern.

Der Monat Oktober wird in Rom und auf dem Lande herum ganz der Freude gewidmet; jedes spart dafür den Sommer auf.

Ich machte mich bald wieder an den Griechen; ich hatte noch manchen Punkt mit ihm ins reine zu bringen, der kaum war berührt worden. Er erzeigte sich gefällig. Wir stiegen den Monte Testaccio hinauf, um die Gegend zu überschauen, und trafen oben Künstler an, die nach der Natur zeichneten. Man hat hier reizende Aussichten hin überall und verschiedne Landschaften, jede so vollkommen für Gemälde, um sie schier nur abzunehmen. Pyramide, die das Kleinod der Gegend bleibt; Sankt Paul und Tiber; Steffano rotondo, alte Wasserleitungen, Kolisäum, Grabmal der Metella; Pietro Montorio; Porta Portese zeigen immer neue bezaubernde Seiten mit Pinien, romantischen Villen, Rebenhügeln und den herrlichen Fernen der Gebirge von Frascati, Tivoli und dem Sabinerlande. Wir setzten uns nieder, und jeder drehte sich dahin und dorthin; die große Augenlust machte uns eine Weile stumm, und alle die andern Sinnen verloschen.

Wir fingen endlich an, von Rom zu sprechen, dem alten und dem neuern, gingen über auf Griechenland und dessen ehemaligen und gegenwärtigen Zustand: und unsre Reden stimmten so schön zur untergehenden Sonne an der unvollendeten Peterskuppel des unsterblichen Michelangelo! »Ach, alles geht auf und unter, Völker und wir, und die Werke der Menschen! Der Mensch ist ein stolzes Geschöpf«, rief ich aus; »er hat die Oberfläche der Erde gebildet, beherrscht den Adler und Löwen und bändigt das ungeheure Meer mit seinen Schiffen: aber er weiß nicht, von wannen er kömmt, noch wohin er fähret; erscheint, verändert sich augenblicklich, unsicher, ob er ein eignes Wesen ausmacht, und verschwindet. O ihr, die ihr um uns herum schlummert, ihr Scipionen, Camille, Lucrezien und Cornelien, was und wo seid ihr? Könnt ihr nicht erwachen und uns belehren?«

»Ein andermal hiervon«, gab er zur Antwort, »wenn wir mehr in Einsamkeit sind, nicht umgeben von soviel zerstreuender Herrlichkeit.« Er hielt diese Kuppel selbst für den kühnsten kolossalischen Gedanken eines Riesengeistes und glaubte, daß die alten Griechen und Römer ihn bewundern würden.

Wir kamen alsdenn wieder auf unser altes Thema, die bildende Kunst, und deren Wesentliches, den Menschen, und die Vollkommenheit seiner Gestalt; und unser beider Schluß war, daß der neuern hierin der Kern mangle. Man kann wohl sagen, daß die Werke der alten griechischen Meister eine Frucht ihrer Gymnasien waren und daß, wo diese nicht sind, sie schwerlich kann eingeerntet werden. Der erfahrne und geübte Sinn des ganzen Volks am Nackenden, dies ist die Hauptsache, die uns fehlt, nebst dem der Arbeiter selbst; das schönste Nackende der Kunst wird endlich nur durch Erinnerung geschaffen und genossen.

Man kann die Natur nicht abschreiben; sie muß empfunden werden, in den Verstand übergehen und von dem ganzen Menschen wieder neu geboren werden. Alsdenn kommen allein die bedeutenden Teile und lebendigen Formen und Gestalten heraus, die das Herz ergreifen und die Sinnen entzücken; die Regung in vollstimmiger Einheit durch den ganzen Körper des gegenwärtigen Augenblicks bildet kein bloßer Fleiß nicht. Je größer und erhabner der Künstler, desto edler und eingeschränkter die Auswahl. Im Nackenden der bei uns gewöhnlich bekleideten Teile, also des ganzen Körpers bis auf Kopf und Hände und Füße, können wir den Alten nicht gleichkommen, weil wir ihre Gymnasien und Thermen nicht haben. In Köpfen, Händen und Beinen und Kindern halten wir ihnen vielleicht die Waage, insoweit wir noch Periklesse, Platonen, Alkibiadesse und Aspasien und Phrynen haben. Die höchste Vollkommenheit ist überall der letzte Endzweck der Kunst, sie mag Körper oder Seele oder beides zugleich darstellen, und nicht die bloße getroffene Ähnlichkeit der Sache und das kalte Vergnügen darüber. Der Meister sucht sich dann unter den Menschen, die ihn umgeben, zu seiner Darstellung das beste Urbild aus und erhebt dessen individuellen Charakter mit seiner Kunst zum Ideal. Die Schönheit muß allgemein, der Charakter aber individuell sein, sonst täuscht er nicht und tut keine Wirkung; und das Individuelle kann der Mensch so wenig als das Gold erfinden. Dies ist das Problem, an dessen Auflösung so viele scheitern.

Der ganz außerordentlichen Menschen sind bei allen Nationen äußerst wenig gewesen; es gehört eine unendliche Menge von glücklichen Umständen dazu, solche alleredelste Gewächse und Herrlichkeiten der Natur hervorzubringen. Nehmen wir den Griechen, der bei weitem geistreichsten Nation unter allen, die wir in der Geschichte kennen, auf Erdboden, nur ein Dutzend dieser hervorragenden Männer: einen Lykurg, Themistokles, Pythagoras, Sokrates, Aristoteles, Homer, Sophokles, Aristophanes, Perikles, Demosthenes, Phidias, Apelles: und wir werden sehen, wie ihr Sonnenfeuer zu den Sternen andrer Völker zurückweicht, zumal wenn wir bedenken, daß ihre übrige Vortrefflichen großenteils nur von diesen bestrichne Magnetnadeln waren.

Die Ehre des Volks und der Fürsten besteht darin, solche seltne Erscheinungen bei ihrem Aufgang zu erkennen und sie zu pflegen und zu warten. Bei ihnen konnte kein Lärmmacher so leicht mit seinen ausgeschickten Trabanten das erfahrne Ohr übertäuben, das scharfe geübte Auge benebeln; sie kannten den nackenden Menschen aus ihren Gymnasien und die hohen Gestalten aus ihren gemeinen Versammlungen. Die Verständigen prüften, gaben Rat, verdammten, belohnten. Eins trieb und vervollkommte das andre.

Und so ging's noch bei den Römern. August hat keinen Virgil und Horaz hervorgebracht; aber weil sie einmal jung da waren, so hielt er sie warm.

Außerdem hatten die Alten mehrere Arten von Schönheiten, und wir kennen die reizende Mannigfaltigkeit nicht von Ringern, Faustbalgern, Wettläufern, Wurfpfeilschützen, Diskuswerfern und dergleichen; und so machten ihre Götter wieder verschiedne allgemeine Klassen. Bei uns ist alle Gestalt in ein einzig doppelartig gabelförmig vollkommen Tier zusammengeschrumpft.

Die Sonne war prachtvoll untergegangen, und das schönste Abendrot zog lieblich hintennach. »Wenn ich ein Landschaftsmaler wäre«, rief Demetri, »ich malte ein ganzes Jahr weiter nichts als Lüfte, und besonders Sonnenuntergänge. Welch ein Zauber, welche unendliche Melodien von Licht und Dunkel, und Wolkenformen und heiterm Blau! Es ist die Poesie der Natur. Gebirge, Schlösser, Paläste, Lusthaine, immer neue Feuerwerke von Lichtstrahlen, Riesen, Krieg und Streit, flammende Schweife wechseln mit neuen Reizen ab, wenn das Gestirn des Tages in Brand und Gluten untersinkt. Aber leider mit euerm Licht in der Malerei sieht es übel aus!«

»Und was man davon malen kann«, fuhr ich fort, »dauert nur wenig Momente; die glücklichste Phantasie und Empfindung gehört dazu, es aufzubewahren, nach Hause zu tragen, und wunderbare Kunst, es täuschend langsam hinzupinseln.«

Wir gingen wieder hinunter; es war leer geworden, und die übrigen zogen auch noch von dannen. Endlich blieben ein halb Dutzend Mädchen, ebensoviel Künstler und Demetri und Tolomei und ich. Wir machten uns zusammen wieder auf den Saal, eine auserlesene Gesellschaft. Die Mädchen waren echte Römerinnen an Wuchs und Gestalt, mit der erhabnen antiken, noch republikanischen Gesichtsbildung, die auch auf fremde Fürsten wie nur Barbaren herunterschaut. Sie hätten, wie die alten, dem hohen Senat mit berichten lassen, wenn sie das Verbot gegen eine gewisse Lustbarkeit von ihnen nicht aufhüben, daß sie nicht mehr gebären wollten.

Paar und Paar standen im vertrauten Umgang miteinander; die reizenden Geschöpfe ließen sich von ihren Geliebten als Modelle brauchen und gaben ihre Schönheiten deren Kunst preis. Sie machten sich selbst Musik und tanzten lauter Nationaltänze, wo wenig gezogner, gedehnter, französischer Schritt, sondern immer neuer Freudensprung ist. Ich ließ dabei wacker auftischen und einschenken und wurde selbst von dem Wirbel ergriffen.

Nach Mitternacht ging es in ein echtes Bacchanal aus; das erhitzte Leben blieb nicht mehr in den gewohnten Schranken, und jedes tobte nach seinem Gefühl und seiner Regung. Demetri machte seinen Einfall zu einem spartanischen Tanz laut, und dieser wurde mit Jauchzen ausgeführt. Doch machte man vorher den feierlichen Vertrag, nichts Schändliches zu beginnen und die Leidenschaften bis ans lange Ziel gleich olympischen Siegern im Zügel zu halten, wie's braven Künstlern gezieme.

Man entkleidete die Jungfrauen, die, Glut in allen Adern, sich nicht sehr sträubten, zuerst bis auf die Hemder, und schlitzte diese an beiden Seiten auf bis an die Hüften; und die Haare wurden losgeflochten. Demetri schlug die Handtrommel, und ich spielte die Zithar.

Sie schwebten in Kreisen, drückten einzeln ihre Empfindungen aus, und jede enthüllte in den süßesten Bewegungen ihre Reize, bis Paar und Paar wieder sich faßten und hoben und wie Sphären herumwälzten. Es war gewiß ein Götterfest, soviel mannigfaltige Schönheit herumwüten und herumtaumeln zu sehen, und ich habe in meinem Leben noch kein vollkommner weiblich Schauspiel genossen.

Man holte hernach aus der nahen Villa Sacchetti Efeu zu Kränzen und belaubte Weinranken mit Trauben zu Thyrsusstäben, und jeder Jüngling warf alle Kleidung von sich. Es ging immer tiefer ins Leben, und das Fest wurde heiliger; die Augen glänzten von Freudentränen, die Lippen bebten, die Herzen wallten vor Wonne.

Wir führten auf die Letzt allerlei Szenen auf, aus Fabel, komischen und tragischen Dichtern und Geschichte, in himmlischen Gruppen, wo eine wahrhaftige Phryne an Schönheit darunter mit errötendem und lächelndem Stolze sich endlich ganz nackend zeigte, in den verschämtesten und mutwilligsten Stellungen.

Tolomei wetteiferte mit ihr; er hatte wirklich Schenkel wie ein junger Gott, entzückend Feuer schon der Hand, und die Sprossen zum künftigen Strauchwerk waren an seinem Leibchen eben angeflogen.

Demetri glich dem Zeus, und ihm fehlte dazu nur Donnerkeil und Adler.

Die Phryne riß alsdenn der andern Schönsten das Hemde weg und beide den übrigen, und nun ward ich von ihr wie von einer wütenden Penthesilea gefaßt, der höchste bacchantische Sturm rauschte durch den Saal, der alles Gefühl unaufhaltbar ergriff, wie donnerbrausende Katarakten, vom Senegal und Rhein, wo man von sich selbst nichts mehr weiß und groß und allmächtig in die ewige Herrlichkeit zurückkehrt.

Gegen Morgen macht ich die Zeche richtig, und wir schwärmten im Geisterglanze des Vollmonds unter Chor und Rundgesang an der Tiber vorbei und hernach durch die hehren Ruinen und Triumphpforten über den Tarpejischen Felsen.

Ende des ersten Bandes.


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