Wilhelm Heinse
Ardinghello und die glückseligen Inseln
Wilhelm Heinse

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Vor wenig Tagen ließ ich mich bei ihres Vaters Palast anfahren, bei welchem sie noch immer wohnt, bis nach ihrer Niederkunft, um ihren jüngsten Bruder zu besuchen, den ich nun näher kenne; und als er nicht zu Hause war, ging ich inzwischen zu seiner Mutter und traf Cäcilien gerade bei ihr. Die Mutter verließ uns denn eine Weile wegen Geschäften, und wir blieben allein. Ihre schönen großen Augen ruhten lang hell und klar auf mir, und ihre Lippen lächelten, wie wenn man einen zum Reden zwingen will. Mich dauerte die Verlaßne, und ich fing an von dem Gemälde zu sprechen, das eben vor uns hing; und kaum hatte sie mir den Meister gesagt, so war die Frage darauf: »Wo ist jetzt Ihr Freund Ardinghello? Ich hab ihn nicht wieder gesehen, seitdem er mich gemalt hat; er wird also wohl nicht mehr in Venedig sein.«

Ich antwortete: »Den letzten Brief von ihm hab ich aus Genua; es geht ihm dort sehr wohl.« Du hättest sehen sollen, wie sie darauf lebendig ward und sich alles an ihr regte; ein neuer Morgen ihr Gesicht mit heißen Sonnenblicken. Nicht mehr festhalten konnt ihr Herz: »Es ist ein trefflicher Mensch, voll Verstand und Talent, und das Geringste ist der Maler an ihm, so weit er's auch schon in seiner Kunst gebracht hat.« Hier glühte sie auf wie eine Rose und fügte lächelnd hinzu, sich fühlend: »Ich glaube, daß ich in ihn verliebt geworden wäre; es ist gut, daß er weg ist.«

Mir waren hier die Daumenschrauben aufgesetzt: aber doch bekannt ich nicht wegen ihrer selbst, und Deiner und meiner; noch scheint es mir nicht Zeit zu sein. Ich antwortete wie kalt und schier eifersüchtig darauf: »Dies würde den jungen Herrn bis ins kleinste Gelenk kitzeln, wenn ich ihm so etwas berichtete; er war ganz bezaubert von Ihrer Schönheit, wie er Sie malte, und beneidete mutwillig Ihren unglücklichen Gemahl.«

Dies Wort kam wie eine finstre Wolke vor ihrer Schönheit Glanz, sie entfärbte sich und versetzte: »Nun, so arg und gefährlich ist es nicht; Sie brauchen ihm auch nichts hiervon zu schreiben; doch grüßen Sie ihn von mir und melden ihm, daß ich seine Kunst bewundre, und große Dinge von ihm erwarte, und den eifrigsten Willen habe, ihm in Zukunft nützlich zu sein.« Hierüber trat die Mama wieder ins Zimmer, und ich verließ sie bald darauf.

Du siehst daraus, daß alle Verstellung ein Ende hat gegen einen, der Person und Sache kennt: es ist ein Glück für Euch, daß kein solcher unter ihren Richtern saß. Wer die Wege gut weiß, geht auch im Nebel sicher; und ein Wollüstling von Auge sieht oft die Gegenstände darin mit mehr Freude als bei hellem Wetter. Inzwischen dauert sie mich doch von Grund der Seele; denn sie ist unglücklich.

Dein Umgang mit Lucinden gefällt mir nicht. In Rücksicht ihrer wenigstens kann ich die Grundsätze nicht billigen, die Du ihr einflößest; besonders wenn Florio der Mann ist, wie ihn der alte Schiffer schildert: ich befürchte, daß es schlimme Händel absetze. Überhaupt muß sich jeder nach dem Staate richten, worin er lebt, wenn er ihn nicht gewissermaßen übersieht und heraus kann, wenn er will: sonst trifft am Ende das Sprichwort ein: »Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er zerbricht.« Wenn Lucinde Deinen Geist hätte bei ihrer Jugend und Schönheit: o dann stünden ihr Königreiche zu Gebot; so aber mußt Du sie erst in das alte Korinth oder Athen bringen, wenn sie nach Dir glücklich sein soll. Und noch dazu scheint mir ihr Charakter sich nie recht zu bequemen. Mit einem Worte: sobald ein Weib eines Mannes Frau wird, begibt es sich im Punkt der Liebe seiner Freiheit, hernach eine andre Wahl zu treffen; und was opfert der Mann nicht dafür auf, daß ihm dasselbe treu sein möge? Schönheit und Keuschheit beisammen wird ewig eine höhere Vollkommenheit sein als Lais und Phryne, setze sie in einen Staat, in welchen Du willst. Doch red ich, was Lucinden betrifft, in der Ferne; und ein einziger Blick auf sie und wenig Worte von ihren Lippen könnten vielleicht meine eigne Moral wegbannen. Das Zettelchen, welches sie Dir im Bette schrieb, bleibt immer ein wunderbarer Flug, von dem andern Erdenvölkchen weg, wozu eine starke Leidenschaft gehört, die alle Furcht von Vorurteilen überwältigt.

Es schweben Gefahren über ihr und Dir; aber wer sich selbst nicht raten kann, dem ist nicht zu helfen. Jeder weiß am besten, wie ihn die Umstände umringen.

Fulvia geb ich Dir gerne preis, nimm mir's nicht übel! echte Genueserin nach dem SprichwortMare senza pesce, donne senza vergogna, Uomini senza fede; hat vermutlich seinen Ursprung aus Venedig, der natürlichen Feindin von Genua.; ein Gesetz, von keiner Gewalt in Ausübung gebracht, ist kein Gesetz in Wirklichkeit. Wer seine Rechte nicht behauptet, der hat keine; so geht's allen Männern, die nicht auf ihrer Hut sind. Dies sahen die Spartaner wohl ein; und welcher Kopf nicht, der noch Vernunft hat?

Ich mag nicht daran denken, daß Du mir vom Diagoras sollst entrissen werden. Bleib in Deinem Italien, und lies das andre in Geschichten und Reisebeschreibungen; der Mensch braucht zu seinem Glücke nicht den ganzen Erdboden. Die See ist weiter nichts als ein ungeheurer leerer Weg etc.
 

Erst in der Mitte des Mai erhielt ich wieder einen Brief von ihm, und zwar aus Lucca, welches mir sonderbar auffiel. Er lautete wie folgt.

 
Lucca, Mai.

Auch Du bist schuld daran! Lucinde ist von Sinnen gekommen.

Florio Branca kam, erlöst vom Diagoras, und obendrein mit Geschenken ausgestattet; ein Held wie ein junger Diomed, nur im Gesicht voll Ehrennarben. Er wußte nicht, daß ich sein Retter war, und wir wurden bald Freunde. Er drang auf seine Vermählung: zu Messina, wo ein Teil der spanischen Flotte liegt, war ihm von den obersten Befehlshabern nicht allein sein voriger Posten, sondern eine weit ansehnlichre Stelle zugesichert worden. Ich befand mich eben nicht in Genua, wie er seine Braut überraschte; Fulvia erzählte mir, sie sei in Ohnmacht gefallen, als sie ihn so unerwartet plötzlich vor sich gesehen hätte. Man schrieb es der Freude zu. Sie faßte hernach alle ihre Kräfte zusammen, alte Liebe und Verstellungskünste: und Florio hielt sie in seinen Armen stumm vor Heftigkeit der Wonne nach so vielen Drangsalen.

Ich traf bei meiner Ankunft den Florio zuerst bei ihr und Fulvien und ihrem Gemahl in Gesellschaft. Seine Gestalt und sein Wesen machte gleich auf mich großen Eindruck; starker Gliederbau, scharfe Gesichtszüge, kleines blitzend verwegnes Auge, verbrannte Farbe, krauses Haar und derbes Fleisch und wenig Worte zeigten mir ein Muster von Seemann; und sein Knebelbart und kurzer Säbel vollendeten das Bild. Ich wünschte beiden herzlich Glück über ihre Wiedervereinigung. Lucinde sah mich still an und glich einem Gewitter von Empfindung.

Die Tage darauf macht ich nähere Bekanntschaft mit dem Florio; und meine kalte Vernunft rang immer mehr, meine heißen Begierden zu bekämpfen; der Tapfre war die edelste der Blumen ganz wert.

Ich sprach Lucinden alsdenn allein im Garten. Sie jammerte über die Unruhen des Seelebens und die Kriegsgefahren. O wie mein Herz ihr entgegenschlug, als ich die Morgenröte von Küssen um ihre Lippen schweben sah! Aber ich verwüstete schändlich alle Inbrunst der Natur wie ein Gotteslästrer, und gab ihr das teure Zettelchen wieder, und stammelte die tollen Silben hervor: »Ich kann deine Gunst nicht annehmen; Florio ist deiner Liebe ungeteilt wert: in mir ist jede Fiber Wunde; aber seid glücklich miteinander, rein und ohne Flecken.«

Sie blieb wie eine Säule stehen, las die Zeilen ihrer Hand und zerpflückte darauf langsam mit den Zähnen das Blatt Stückchen vor Stückchen, indes ich von ihr ging und mir die Tränen in die Augen tobten.

Dies geschah nach der Mittagsmahlzeit. Fulvia, die von diesem allen jedoch nichts wußte und auch nie erfahren soll, berichtete mir, daß sie den ganzen Abend in ihr Zimmer eingeschlossen gewesen wäre und sie niemand weiter gesehen hätte bis spät den andern Morgen, wo man mit einem andern Schlüssel dasselbe aufgemacht und sie in ihrer Kleidung auf dem Bette gefunden, die Hände ringend, mit dem Oberleibe aufgerichtet und seufzend mit vor sich niedergeschlagnen unverwandten Augen. Weder Fulvia noch der Bräutigam, noch irgend jemand hat nach der Zeit ein Wort von ihr herausbringen können, so daß sie völlig die Sprache verloren zu haben scheint. Sie läßt sich geduldig hinführen, wohin man will, geht auch für sich herum, ringt aber immer die Hände und seufzt, versteht platterdings nichts mehr, was man sagt, und nimmt an keinem Gespräche mit Mienen und Gebärden Anteil. Sie ißt und trinkt wenig; sobald sie aber genug hat, ringt sie wieder die Hände und seufzt. Es sind von den Ärzten verschiedne Mittel versucht worden, aber alles vergeblich. Sie kennt Fulvien nicht mehr, ihren Bräutigam nicht mehr, und mich nicht mehr; wie sie dieser küssen wollte, hat sie nach ihm geschlagen und ihn ins Gesicht gekratzt. Auch von ihren Freundinnen leidet sie dies nicht; sonst ist sie in allem geduldig. Ich mochte mir immer mit einem Strick die Gurgel zusammenziehn, wenn sie mich so starr ansah und die Hände rang und seufzte.

Jetzt steckt sie nun in einem Nonnenkloster zur Verpflegung. Florio war im Begriff, sich eine Kugel vor den Kopf zu schießen, und ist nun bei der Flotte, um in der Verzweiflung gegen die Tuneser sein Ende zu finden; und ich habe mich so auf den Weg nach Florenz gemacht. O Natur, deine schönste Zierde ist zerrüttet und zugrunde gerichtet! Das arme Mädchen, zur Lust erschaffen und aller Augen und Herzen zu entzücken, hat nie die höchste Süßigkeit des Daseins gekostet und lebt nun ein unaufhörlich Gefühl von unaussprechlichem tiefen Leiden.

Du hast so etwas nicht erfahren und kannst Dir's folglich auch nicht denken; so schön, so reizend, so geliebt, so liebend und so voll Geist: und nun auf einmal alles im Ruin ohne Zusammenhang; dasselbe nicht mehr dasselbe, es ist gräßlich! Wer sie kennt, vergießt Tränen über ihr Schicksal; ganz Genua trauert. Weide dich, barbarische Moral, Feindin des Lebendigen, mit Wolfsgrimm hier an deinem Opfer!

Aber auch ich, o Gott, wo werden mich meine heftigen Leidenschaften nicht noch hinreißen! Ach, ich habe ihren Zügel nicht so am sichern Griff, daß sie auf halsbrechenden Wegen nicht einmal mit mir davonrennen, der Wagen überschlägt und Roß und Führer in den Abgrund taumeln, wo man Blut und Gehirn noch lange dem Wandrer an Klippen zeigt, bis die Regengüsse des Himmels die Reste des Verwegnen vom Felsen waschen!

Ardinghello
 

Ich konnt ihm hierauf nicht antworten, weil er mir keine Zuschrift meldete. Die Begebenheit war entsetzlich und ging mir selbst durchs Herz. Je mehr ich darüber nachdachte, desto natürlicher aber kam sie mir vor. Fulvia mochte wohl die größte Schuld haben, und weit weniger Cäcilia und ich; außer der eignen Großmut von Ardinghello. Lucinde war mit allen Reizen bei ihrer Jungfräulichkeit zu beklagen: ein schwacher Feind in der Festung ist fürchterlicher als der stärkste von außen.

Seine Reise nach Florenz schien mir immer gewagt, ob ich gleich schon längst wußte, daß Cosmus gestorben war.


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