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Nun hatte er Zeit, dem Beamten einen Besuch zu machen. Er traf ihn, in der Barza seines steinernen Wohnhauses sitzend, wie er gerade mit einem Sirikani, einem Soldaten der kleinen Schutztruppe sprach. Herr Vanhagen hatte den Gast kaum erblickt, als er den Soldaten entließ und den Missionar mit offenen Armen empfing und begrüßte.
»Das ist recht, Herr Pater, daß wir uns wiedersehen! Hoffentlich bleiben Sie lange hier. Das wirkt. Sehen Sie, Ihre Christen müssen Sie öfters besuchen. Aber ich verstehe. Ihr Bezirk ist etwas größer als der meine.«
»Ja, ich freue mich,« erwiderte der Missionar, »einige Wochen hier bleiben zu können und werde es als eine große Freude empfinden, oft Ihre Gesellschaft zu haben und über dies oder jenes mit Ihnen plaudern zu dürfen.«
Ein Boy brachte schnell Kaffee und Zigarren herbei.
»Aber sagen Sie, Herr Pater – greifen Sie bitte zu, die Missionare haben stets meine Zigarren gelobt – aber sagen Sie, wie steht's mit Ihren Erkundigungen bezüglich der ... halt, das darf ich nicht so laut sagen!« und flüsternd fügte er hinzu: »der Anyotos.«
»Habe leider nichts mehr darüber in Erfahrung bringen können, Herr Kommandant,« entschuldigte sich P. Varmer. »In Avakubi nahm mich die Missionsarbeit ganz in Anspruch und zudem habe ich dort keine Anhaltspunkte für ...«
»Aber ich, Herr Pater,« unterbrach ihn eifrig der Beamte. »In Bapandi habe ich Ihre Vermutungen bestätigt gefunden.«
»Haben Sie die Sache denn schon weitergeführt?« erkundigte sich der Missionar.
»Werde mich hüten! Wir dürfen nicht eher zugreifen, bis wir alle Karten aufgedeckt haben und des Erfolges ganz sicher sind.«
»Ja, aber haben Sie die Sache öffentlich untersucht?« fragte ihn P. Varmer besorgt.
»Nein, um Gottes Willen nicht! Der Schurke Alebi wiegt sich in Sicherheit. Übrigens, Sie haben das fein mit ihm angefangen. Er selbst kam zu mir und erzählte mir von Ihren Befürchtungen bezüglich der Morde. Das habe auch ihn scharf gemacht. Er wolle seinen ganzen Einfluß und seine Macht zur Aufdeckung der Rätsel anwenden. Nach seinen Worten wäre er unser bester Helfer. Der Halunke! Er meint, uns irreführen zu können!«
»Auch hier in Bomili,« fuhr der Kommandant fort, »habe ich ein Verbrechernest ausfindig gemacht. Aber trinken Sie mal ordentlich von unserem selbstgezogenen Kaffee! Das regt die Lebensgeister an.«
»Nun denn, ich bin gespannt, Herr Kommandant! Dann darf ich wohl diesen edlen Mokka auf Ihr Wohl trinken?«
»Nein, geben Sie mir keine Vorschußlorbeeren, übrigens heute abend können wir eine gute Flasche auf das Gelingen unserer Sache trinken. Nicht wahr? Ich darf Sie heute abend doch erwarten? Die Gesellschaft des Herrn Adjutanten, Herrn Meulen, und des Arztes, Herrn Dr. van Lo, wird Sie nicht stören. Beide sind tadellose Menschen und in Dr. van Lo werden Sie einen warmen Freund Ihrer Mission entdecken.«
»Mit Vergnügen werde ich diese Herren kennen lernen,« antwortete P. Varmer.
»Daß Sie es gleich wissen, Herr Pater, Dr. van Lo hat die erste Fährte der Verbrecher in der hiesigen Gegend gefunden. Ich will ihm deshalb nicht vorgreifen und ihn heute abend selbst erzählen lassen. Ich will Ihnen nur von Batama berichten, wo wir uns damals getroffen haben.«
»Welchen Erfolg haben Sie denn gehabt?«
»Die Sache ist ganz klar und reif für den Staatsanwalt. Ich habe Herrn Remy nach Panga darüber geschrieben, und der antwortete mir, ich solle mich noch ruhig verhalten, der große Schlag käme bald. Also in Batama. Ich kam hin unter dem Vorwand, eine Aufnahme der Wohnungen und Pflanzungen vorzunehmen. Der Häuptling Alekete war wirklich entgegenkommend und, um ihm nichts zu verraten, habe ich ihn sehr freundlich behandelt.
Natürlich lenkte ich gelegentlich das Gespräch auf die Leoparden. So erfuhr ich denn eines Tages, daß vor einiger Zeit ein Mädchen getötet worden sei, die Tochter einer Frau aus Bongalo, das nicht weit entfernt von Batama liegt. Mit einigen meiner Leute begab ich mich also dorthin und ließ die Frau zu mir kommen. Anfangs war sie mißtrauisch – oder hatte sie Angst vor der Rache der Anyotos? – sie gab mir nur die Antwort, ihr Kind sei von einem Leoparden getötet worden.
Ich beruhigte sie, sie brauche nichts zu fürchten. Ich wüßte bestimmt, ein gewisser Tabeke aus Batama habe ihre Tochter und zwar unter ihren Augen getötet.
Da zuckte sie zusammen. Ich brauchte ihr verstörtes Gesicht und ihre tödliche Verlegenheit nicht einmal zu beachten, ich wußte, daß ich richtig getroffen hatte. Zwar war mir die Tatsache in der Nähe von Batama nur als Gerücht mitgeteilt worden. Bisher war es mir nicht gelungen, den wirklichen Tatbestand sicher zu stellen. Nun hieß es, nicht locker zu lassen. Ich redete auf sie ein, versprach ihr meinen Schutz und wertvolle Geschenke, wenn sie mir die Wahrheit sage.
Noch immer verhielt sie sich zurückhaltend. Ich hielt ihr vergebens vor, als Mutter sei sie das ihrem Kinde und ihrer Familie schuldig – sie blieb stumm. Nun drohte ich, ich könne sie und ihre ganze Familie nach Bomili an die Kette bringen, ich hätte Soldaten bei mir, die sie gleich verhaften könnten. Doch kaum hatte ich diese Worte gesprochen, als sie in ein schmerzliches Weinen und Schluchzen ausbrach. Erst nach einer Weile und nachdem ich noch einmal ihr gütig zugesprochen hatte, sagte sie: »Herr Kommandant, ich will dir alles sagen, was ich weiß, wenn du mir versprichst, daß ich und meine Familie nicht die Rache der Mörder zu befürchten habe.«
»Gut, das verspreche ich dir. Also rede!« Ich lud sie ein, sich zu setzen, damit sie ruhig erzählen könne. Und sie begann: ›Ich bin ein Kind des Ntadi (Stein) von Bafwasende. Als ich erwachsen war, verkaufte mich mein Vater für drei Ziegen und einige Stücke Stoff an Ngandu, der mich mit nach hier nahm. Später hatte er noch zwei andere Frauen genommen. Ich schenkte ihm drei Kinder: ein Mädchen Akendokawa und zwei Knaben, Boikodogo und Mulefi. Ngandu war gut zu mir und zu meinen Kindern. Ich ging fleißig in die Schamba (Feld) und meine Tochter mußte mir dabei helfen. Als Akendokawa groß geworden war, sagte Ngandu: ›Das Mädchen ist groß und stark geworden und hübsch. Wer sie heiraten will, muß mir viel dafür geben‹. Und ich war froh und stolz auf meine Tochter. Da kam eines Tages Tabeke aus Batama zu Ngandu und sprach zu ihm: ›Gib mir deine Tochter zur Frau, ich gebe dir zwei Ziegen, zwei Lanzen und zwei Messer dafür.‹ – Doch Ngandu wollte nichts davon wissen, denn er wußte, daß Tabeke ein reicher, böser Mensch war. – ›Nein Tabeke‹ – antwortete er, ›meine Tochter ist stark und schön und arbeitet für zwei Frauen. Ich gebe sie nur einem reichen Manne zum Weibe‹. – ›Wenn aber unser Häuptling Alekete sie zur Frau haben will, wirst du sie auch ihm verweigern?‹ fuhr Tabeke fort. – ›Alekete ist ein großer und reicher Häuptling‹, sagte Ngandu darauf. ›Wenn er Akendokawa heiraten wollte, so wäre das für mich eine große Ehre. Aber ich könnte sie ihm doch nicht geben, weil ich sie schon dem Sohne eines anderen Häuptlings versprochen habe‹. – Da ging Tabeke mißmutig nach Hause. Wir aber lebten ruhig weiter. Vielleicht war es zwei Monate später. Ich arbeitete mit meinen Kindern auf dem Felde. Es wurde Abend und die Knaben, die auch schon stark geworden waren, hatten Holz gesammelt. Damit waren sie früh nach Hause gegangen. Akendokawa arbeitete noch mit mir und sammelte Maniokwurzeln in einen Korb, während ich mit einer Hacke beschäftigt war. Plötzlich höre ich ein Geräusch im nahen Gestrüpp. Ich schaue hin, und der Schrecken lähmt mich. Da sehe ich, wie etwas Helles am Boden kriecht. »Ein Leopard,« rufe ich und denke nicht mehr an Akendokawa. Und ich sehe, wie in meiner Nähe der Leopard sich erhebt und sich auf meine Tochter stürzt, die jämmerlich schreiend zu Boden sinkt. Im selben Augenblick steht eine zweite Gestalt auch vor mir. Den Oberkörper und das Gesicht hatte sie mit einem hellen, dunkelgefleckten Tuch verhüllt. ›Einen reichen Schwiegersohn sollst du haben!‹ ruft er mir entgegen und holt mit dem Messer nach mir aus. Doch in meiner Angst habe ich die Hacke erhoben und schlage damit dem Kerl auf den Kopf. Er taumelt nieder, und ich fliehe ins Gebüsch hinein. Zwar höre ich plötzlich, wie einer wieder hinter mir her ist, doch habe ich einen Vorsprung und komme auf Pfaden, die ich gut kenne, nach Hause.
Dort erzählte ich alles meinem Manne. Und der wurde wütend vor Schmerz und Leid. – ›Das hat Tabeke getan‹, sagte er. ›Blutige Rache werde ich an ihm nehmen‹. – Am anderen Morgen ging Ngandu mit der Lanze ins Feld, aber er kam zurück und sagte: ›Im Felde habe ich nichts gefunden. Jetzt gehe ich nach Batama‹. – Und er ging nach Batama. Und ich ging wieder an meine Arbeit aufs Feld, aber nur mehr mit den anderen Frauen. Als ich dabei war, das Essen zu bereiten, kehrte Ngandu zurück und sagte: ›Ich weiß, wer Akendokawa getötet hat. Es ist sicher Tabeke, denn sonst hätte der Mensch nicht gesagt: Einen reichen Schwiegersohn sollst du haben. Und der andere Mörder war Bafwambanga. Ich war bei meinem Freunde Alasa und habe ihn um eine Leopardenfalle gebeten, denn meine Tochter sei von einem Leoparden getötet worden. Da sagte Alasa: ›Gern würde ich dir meine Falle leihen, aber ich brauche sie selbst, weil der Leopard auch unser Dorf häufig heimsucht.‹ – Ich habe dann mit ihm gegessen und ihn nach den Neuigkeiten gefragt. Und er sagte mir: ›Gestern sind zwei von unseren Männern im Walde, als sie von der Jagd zurückkehrten, von Feinden überfallen worden. Sie haben sich tapfer gewehrt. Tabeke ist nämlich einer der Stärksten und Mächtigsten in unserm Dorf und der Freund des Häuptlings. Der andere, Bafwambanga, hat eine Wunde am Kopf davongetragen. Er ist ein Verwandter von Alekete.‹ Nun wußte ich genug. Ja, die beiden haben unsere Tochter getötet. Aber sprechen wir nicht von der Sache. Sag nur, ein Leopard habe das Kind getötet. Dann läßt man uns in Ruhe.‹ So sprach Ngandu zu mir. – Das ist alles, was ich weiß, Herr Kommandant.«
P. Varmer hatte mit höchster Spannung dem Beamten zugehört. Er trank seinen Kaffee aus und fragte: »Was nun?« »Nichts, abwarten!« entgegnete ruhig Herr Vanhagen. »Einstweilen muß das genügen.«
»Diese Bande!« entschlüpfte es den Lippen des Missionars. »Weder der Staat, noch die Mission erreicht etwas in einem Lande, wo die Unsicherheit so groß und das Verbrechen so frech ist.«
»Warten Sie ruhig ab, Herr Pater. Wir haben die Fäden in der Hand.« Wir sind bald am Ende.
Die Unterhaltung dauerte nicht mehr lange und die beiden Weißen schieden voneinander mit dem Gruße: »Auf Wiedersehen heute abend!«
Während des Nachmittags widmete P. Varmer sich seinen Katechumenen, deren Fleiß und Eifer er loben mußte. Gegen Abend versammelte er seine kleine Gemeinde wieder um sich, hielt eine Stunde Unterricht, schrieb neue Taufbewerber ein und wohnte dem gemeinschaftlichen Abendgebete bei, das der fromme Katechist Petri vorbetete.
Nachdem er noch sein Rosenkranzgebet verrichtet hatte, begab er sich zum Staatsposten. Die Herren saßen bereits im Zimmer des Kommandanten und kamen ihm, als sie den langbärtigen Missionar in seinem weißen Talare erblickten, auf der Barza entgegen. In fernen Landen ist die Begegnung mit einem Landsmanne wie ein Gruß aus der Heimat.
P. Varmer konnte anfangs den gemütlichen Ton nicht finden, zu sehr stand er noch unter dem Eindruck des Erlebten. Doch beim Essen zeigte sich sein lebhaftes Temperament, und seine geistreiche Unterhaltung würzte das Mahl, das meist den Konserven aus der Heimat entstammte. Nach dem Essen saßen die Herren gemütlich bei Wein und Zigarren, und das erste Glas galt dem Gast aus Avakubi.
Es währte nicht lange, so kam Herr Vanhagen auf das Thema der Leopardenmenschen und erklärte, daß er dem Missionar wertvolle Aufklärungen verdanke. Dieser sei jetzt noch eifrig bemüht, seine Bestrebungen zu unterstützen. Und er bat Dr. van Lo, ihm von seinen eigenen diesbezüglichen Erlebnissen zu erzählen.
Dr. van Lo trank sein Glas aus, zündete sich eine neue Zigarre an und begann:
»Sind wir unter uns, Herr Kommandant?« fragte er, einen Blick nach der Tür werfend.
»Vollkommen, Herr Doktor! Zudem so viel Französisch versteht keiner der Boys. Erzählen Sie nur,« beruhigte ihn der Kommandant.
»Es war vor einem Monat ungefähr. Ja, am Montag werden's vier Wochen. Ich hatte mich mit Trägern und Soldaten auf den Weg gemacht, um in einigen Dörfern des Bezirkes die Schutzimpfung vorzunehmen. Auch sollte ich einen Fall untersuchen, der mir als Schlafkrankheit bezeichnet worden war; denn auch hier sind wir nicht sicher vor dieser Geißel des schwarzen Erdteils. Es ging alles ziemlich glatt. Der Widerstand der Neger gegen das Impfen ist nicht mehr so groß, als vor einigen Jahren. Zudem duldeten meine Sirikani keinen Widerstand. So war ich denn nach Bafwanu gekommen.
Nach getaner Arbeit saß ich abends spät einmal bei meinen Schreibereien, als der wachthabende Posten mir meldete, im Dorfe sei ein großer Lärm, dort sei sicher etwas Besonderes vorgefallen. Da ich noch keinen Schlaf empfand, nahm ich mein Gewehr und eilte mit einem Soldaten in der Richtung des Lärmes hinaus. Einige Neger, die auch hinliefen, meinten, es sei ein Leopard irgendwo aufgetaucht und in eine Falle geraten. Bald waren wir an der Stelle, wo eine Menge Männer und Frauen schrieen: ›Der Leopard, der Leopard!‹ Der Schreck hielt die Leute gelähmt. Man zeigte mir eine dunkle Hütte, wo ich auch das ängstliche Meckern einer Ziege und bald auch das Fauchen eines wilden Tieres vernahm. Sogleich ließ ich ein Feuer anzünden und in seinem Scheine sah ich, wie ein prachtvoller großer Leopard an seiner Falle zerrte und uns entgegenknirschte. Ich ließ den Brand näher an das Tier heran werfen und legte das Gewehr an. Ein Knall – das Tier sprang hoch auf, riß die Falle los, stürzte und erhob sich wieder. Aber eine zweite Kugel traf den Kopf und die Bestie brach zusammen.
Das Freudengeschrei der Umgebung lockte noch mehr Menschen herbei. Langsam näherten sich einige Schwarze dem erlegten Räuber, dessen Körper noch eben zuckte, und zerrten ihn ans Licht, wo wir ihn näher betrachten konnten. Es war ein Prachtexemplar, bis jetzt das einzige, das ich erlegt habe. Aber ich sage Ihnen, Herr Pater, selbst mit dem Gewehr möchte ich einem solchen Kerl im Walde nicht begegnen. Der Häuptling selber trat nun auf den Platz und beglückwünschte mich zu meinem Jagdglück. Ich überließ das Fleisch dem Eigentümer der Falle und erbat mir das Fell aus. Sogleich wurde das Tier zerlegt und abgehäutet.
Während ich dem geschickten Hantieren der Leute zuschaute und auf dem nahen Platz etwas wie ein Freudentanz einsetzte, hörte ich plötzlich in meiner Nähe zwei Männer flüstern: ›Der Weiße sollte uns doch auch nur von den zweibeinigen Leoparden befreien.‹ Sie ahnten nicht, daß ich ihre Sprache verstand, da ich mich ihrer nie bediente. Ich merkte mir die Leute und horchte gespannt. Aber ich konnte nur die Worte verstehen: ›Pah, der Weiße kann das auch nicht. Kein Leopard tötet seinesgleichen.‹ – Mir schoß das Blut in den Kopf, doch blieb ich äußerlich ruhig.
Unterdessen waren die Schwarzen mit dem Zerlegen fertig, und ich wandte mich zu den beiden, die sich so hübsch unterhielten: ›Ihr könnt mir wohl das Fell des Leoparden nach Hause tragen‹.
Mit strahlendem Gesichte willigten sie ein, und bald zogen wir mit der kostbaren Beute heim. Ich habe das Fell vorläufig präpariert und in die Heimat geschickt. Als die beiden Neger die Last niedergelegt hatten, ließ ich sie in mein Zimmer treten und bot ihnen eine Zigarre an, die sie sich grinsend anzündeten. Ich fragte sie, ob in den letzten Monaten der Leopard schon häufiger das Dorf heimgesucht habe. Ob es wohl noch mehr Leoparden in der Gegend gebe, ob auch schon Menschen ihm zum Opfer gefallen seien.
»O, ja!« versetzte einer, indem er seinem Gefährten einen vielsagenden Blick zuwarf, der mir nicht entging: »Bekwinga und Angabi, zwei kleine Kinder und ein Mädchen Maroge sollen von Leoparden getötet worden sein.«
»Aber warum sagst du »sollen« getötet worden sein? Glaubst du denn nicht, daß der Leopard sie getötet hat?«
»Doch, das glaube ich auch, aber es wird kein gewöhnlicher Leopard gewesen sein, sondern ein Leopard, in dem ein böser Geist wohnte«. Ich lachte hell auf. »Na, ihr Schwarzen! Überall wittert ihr böse Geister. Sag einmal, kann das nicht auch ein gewöhnlicher böser Mensch getan haben?« Ich schaute dem Neger fest ins Auge. Und er meinte: »Das kann ja sein, aber ich weiß es nicht.«
Ich fragte nicht weiter, ich wußte genug: Die Namen der Opfer und die Annahme, daß »zweibeinige Leoparden« dabei im Spiele seien. »Nun, so geht ruhig nach Hause. Dieser Leopard hier wird euch wenigstens nicht mehr belästigen. Aber wie heißt ihr denn?« »Makutubu und Boikodogo!«
»Hier habt ihr etwas Salz. So geht denn! Ich danke euch für den kleinen Dienst, und ich wünsche euch eine gute Nacht.« Beglückt zogen sie davon. Ich aber schrieb mir die Namen der Opfer und der beiden Zeugen auf.«
Der Doktor griff zum Glase.
P. Varmer meinte, Herr van Lo hätte eigentlich aus den beiden Schwarzen noch mehr herausholen können, er hätte weder in sie dringen und die des Mordes Verdächtigen kennen lernen müssen.
»Mir genügt es, Herr Pater,« entgegnete der Arzt. »Ein weiteres Nachforschen wäre ihnen vielleicht aufgefallen. Unsere Unterlagen genügen für ein sicheres Arbeiten der Gerichte. Übrigens, wie mir der Herr Kommandant erzählte, wissen die Anyotos schon, daß Sie hinter ihnen her sind. Das sagt ja der Pfeil, den sie Ihnen auf dem Wege nach Batama zugedacht haben. Das ist eine gefährliche Sache. Besser vorsichtig, als zu eifrig!«
Der Pater errötete. Der Gedanke an die Rache der Anyotos nahm ihm die Sicherheit.
»Doch über den Fall des Mädchens Maroge habe ich übrigens genauere Angaben mitgebracht, Herr Pater!«
»Na, dann erzählen Sie doch. Es interessiert mich gewaltig,« fiel der Missionar ein.
»O, an Ihnen ist ein Untersuchungsrichter verloren gegangen, Herr Pater,« scherzte jetzt Herr Meulen, der sich inzwischen eine neue Zigarre ansteckte. »Die afrikanischen Verhältnisse hier im Urwalde sind für Sie noch etwas neu. Mit der Zeit werden Sie ruhiger und gelassener werden!«
»Ruhiger!« fragte erstaunt der Kommandant. »Ruhiger? Kuckuck noch einmal! Hier in Afrika soll man ruhiger werden? Herr Meulen, Sie scheinen ja wirklich Nerven wie ein Glockenseil zu haben. Herr Pater, dieser Herr Meulen ist eine treue Seele in einem dicken Fell. Der würde vor einem leibhaftigen Leoparden ruhig bleiben und seinen Gleichmut nicht verlieren. Aber, Herr Doktor, erzählen Sie bitte weiter!«
»Ja, der Fall Maroge!« fuhr der Arzt fort. »Das war nicht in demselben Dorfe. Es war etwas weiter auf Bomili zu. Als das Mädchen, dessen Mutter verstorben war, eines Abends nicht vom Felde heimkehrte, wurde man im Dorfe unruhig und ging am anderen Morgen früh auf die Suche. In der Schamba fand man die Leiche in einer Blutlache. Daneben entdeckte man einen kleinen Fetzen Tuch, der mit einem Stückchen Tierfell verbrämt war.
Unter großem Geheul und Wehklagen trug der unglückliche Vater mit seinen Begleitern die Leiche zum Dorfe. Hier wuchs die Aufregung noch mehr. – »Der Leopard!« hieß es allgemein. Aber der arme Vater blieb dabei, das Mädchen sei mit Messerstichen getötet worden. Er zeigte den Fetzen Tuch, den er bei der Leiche gefunden, und der Häuptling entschied, er solle durch den Zauberer die Geister befragen.
So rief der Unglückliche dann den Zauberer und brachte ihm zwei Hühner für das Opfer. Dieser erschien alsbald in seinem phantastischen Kostüm und mit allerlei Plunder behangen, um das Opfer darzubringen und den Schuldigen zu ermitteln, der das Mädchen gemordet oder ihm den Leopard auf den Hals geschickt hatte.
Unter feierlichen Zeremonien und geheimnisvollen Beschwörungen ging er um den Opferstein. Dort schnitt er einem Huhn den Kopf ab und ließ das Blut auf den Stein träufeln. Und endlich nach vielen umständlichen Bewegungen und gelispelten Worten verkündete er laut der Menge, ein in der Nachbarschaft wohnendes schwächliches Mädchen sei schuld an dem Tode der Maroge.
Nun begann das Geschrei von neuem. Die Gongs erdröhnten. Die Menge holte das bezeichnete Mädchen aus der Hütte heraus, entriß es den Armen der sich verzweifelt wehrenden Mutter und schleppte es hinter eine verborgene Hütte, wo es an die Leiche gebunden wurde.
Tausende Neger strömten herbei, um dem schrecklichen Menschenopfer beizuwohnen. Der Zauberer aber verpflichtete die Menge, über das Geschehene streng den Mund zu halten, da der Verräter die Rache der Geister zu erwarten habe.«
Hier machte Dr. van Lo eine kleine Pause. Das Erlebte stand noch zu lebhaft in seiner Seele, als daß er das Schreckliche hätte abschütteln können. Dann fuhr er fort:
»Ich selbst befand mich auf dem Marsche in noch ziemlicher Entfernung vom Dorfe, das merkwürdiger Weise mein Kommen nicht ahnte. Es mußte wohl im Taumel der Aufregung den Gong überhört haben, der meine Reise in den Wald hineinposaunt hatte. Wir hörten die Schläge des Gongs hell und dumpf durch das Schweigen des Waldes dringen. – »Eine Totenfeier! Eine Opferfeier!« rief einer meiner Soldaten. – Wie von einem Geist getrieben befahl ich, die Schritte zu beschleunigen und sandte zwei meiner Soldaten im Laufmarsch voraus.
Wie eine Bombe platzte die Kunde von meinem Nahen ins Dorf. Als ich schweißtriefend ankam und vom Häuptling empfangen wurde, fragte ich ihn, was das zu bedeuten hätte, meine Leute hätten mir gesagt, der Gong rufe zu einer Opferfeier.
»Weißer, versetzte das Stammesoberhaupt ganz gelassen, hier ist gestern ein Mädchen von einem Leoparden zerrissen worden, und wir treffen die Vorbereitungen zum Begräbnis.« In einer Stunde sollte es stattfinden. So schien alles in Ordnung zu sein. Allein der Umstand, daß das Mädchen von einem Leoparden getötet worden sei, ließ in mir den Wunsch aufsteigen, den Leichnam in Augenschein zu nehmen. Doch sagte ich nichts davon. Gleichzeitig ließ ich mir meine Gasthütte zuweisen.
Nach einer halben Stunde kam eine Frau vorbei, die im Vorübergehen dem Wachtposten etwas zuflüsterte. Der Soldat meldete mir sofort: ›Weißer, eine Frau hat mir gerade gesagt, sie wollten ein kleines Mädchen töten und mit der Leiche ins Grab legen. Sie haben es schon an den Füßen der Leiche festgebunden.‹
Sogleich begab ich mich mit zwei Soldaten ins Dorf, wo hinter einer baufälligen Hütte die Leiche abseits neben einem großen Feuer lag. Von einem anderen Mädchen sah ich nicht ... Sofort bemerkte ich aber, daß der Leichnam Messerstiche aufwies. Ich ließ den Häuptling mit seinen Großen herbeirufen und sagte ihnen, das Mädchen sei nicht von einem Leoparden, sondern von einem Menschen getötet worden. Ganz ungläubig riß er die Augen auf und entgegnete: ›Wir haben es so in der Schamba gefunden. Wer weiß, wer es getötet hat? Wahrscheinlich ein Leopard, in dem ein böser Geist war‹. Vergebens widersprach ich ihm, es sei unsinnig, so etwas anzunehmen. Er blieb dabei, er wisse nichts.
›Wo ist aber das Mädchen, das mit der Leiche begraben werden soll?‹ herrschte ich ihn nun an. Sein Erstaunen war grenzenlos. Er wisse nichts von einem solchen Mädchen. Die Zuschauer flüsterten sich leise allerlei zu. ›Wo ist das Mädchen?‹ wandte ich mich nun an die Menge. Keine Antwort erfolgte. ›Gut‹, sagte ich, ›Soldaten nehmt den Häuptling gefangen und führt ihn mit. Ich werde ihn an die Kette legen lassen, bis das Mädchen erscheint, das hier getötet werden sollte‹. In die Menge hineinrufend lud ich den Vater und die Mutter des Mädchens ein, hervorzutreten. Eine weinende Frau trat vor. – ›Weißt du, wo das Mädchen ist?‹ Sie wies schluchzend auf die Hütte. Nun trat ich selbst in die Hütte und fand dort das arme Geschöpf gefesselt am Boden liegen und leise wimmern. Sogleich ließ ich es herausholen und von den Fesseln befreien. ›Wer hat das Kind hierherbringen und fesseln lassen?‹ schrie ich jetzt wütend. Der Häuptling stammelte: ›Der Zauberer‹. Vergebens aber ließ ich nach dem Zauberer fahnden, er war verschwunden. ›Jedenfalls hast du den Befehl dazu gegeben, Häuptling, wandte ich mich an diesen, ›und du haftest dafür. Ich werde dich mit nach Bomili nehmen‹. – ›Das Mädchen ist krank und hat einen bösen Geist, darum habe ich es einsperren lassen‹, rief er nun. Aber seine Entschuldigung nützte ihm nichts. ›Der Bula-Matari wird über deine Unschuld entscheiden‹, sagte ich ihm. Und dann befahl ich, die Leiche unverzüglich zu beerdigen. ›Das beefreite Kind aber steht unter dem Schutze des Bula-Matari. Wehe dem, der ihm etwas Böses zufügt‹. Hier muß ich einfügen, daß der Häuptling und das Dorf eine empfindliche Strafe empfangen haben. Der Zauberer aber ist ganz verschollen.
Nach dem Begräbnis wollte ich doch die Geschichte aufklären und ließ mir den Vater des ermordeten Mädchens rufen. Ich bat ihn, mir alles zu erzählen. Und so erfuhr ich auch, was bis zu meinem Erscheinen geschehen war. Nach meiner Ankunft wagte man es aber nicht, das zweite Mädchen zu töten, und deshalb hatte man es eingesperrt, um das Urteil nach meiner Abreise zu vollziehen. Wie glücklich war ich, ein Menschenleben gerettet zu haben! Der Mann zeigte mir auch den Stoffetzen, den man bei der Leiche im Felde gefunden hatte und den ich einsteckte. Dann gab ich ihm zum Troste ein kleines Geschenk, das er mit freudigem Dank annahm.«
»Verzeihen Sie, Herr Doktor«, warf P. Varmer ungeduldig dazwischen, »wie haben Sie denn den Mörder entdeckt? Ich schloß aus Ihrer Erzählung anfangs, daß Sie den ganzen Sachverhalt aufgeklärt hätten.«
»Bitte, etwas Geduld, Herr Pater, das kommt noch,« sagte er lächelnd, »und deshalb will ich gleich fortfahren.«
»Die Sache hatte ich schon bald vergessen und sie nur meinem Notizbuch anvertraut, als ein wahrhaftiger Deus ex machina, ein wirklich merkwürdiger Zufall mir zu Hilfe kam. Immer wieder betrachtete ich die Lendentücher der Schwarzen, sie waren meist nur aus Baumrindenstoff, hie und da fand ich daran eine Verbrämung von Leopardenfell, während das Tierfell auf dem erwähnten Stoffetzen von einem hellgrauen Tiere stammte. Acht Tage später war ich auf der Rückreise nach Bomili. Während einer Rast im letzten Dorfe standen einige Neger um uns herum und schauten zu, wie ich meinen Soldaten etwas Tabak austeilte. Und da – ich traue meinen Augen kaum – gerade in meiner Nähe steht ein neugieriger Schwarzer. Das braune schmutzige Tuch, das vom Rücken her zwischen den Beinen durchgezogen und vorn lose über dem Gürtel herunterhing, war aus demselben Stoff, von derselben Farbe, wie mein Fetzen. Derselbe hellgraue Fellstreifen säumte es. Und als ich näher zuschaute, fehlte eine Ecke daran, genau die Größe und die Form des Stückes, wie ich kurz nachher feststellen konnte.
Am liebsten hätte ich sofort meine Soldaten auf den Kerl gehetzt, aber ich mußte meinen Grimm unterdrücken. »Ha, du willst wohl auch etwas Tabak haben?« wandte ich mich an den Kerl, der ein wahrer Hüne war. »Hier hast du was.« Schmunzelnd steckte er den Tabak in seinen Seitenbeutel. Ich aber griff nun nach dem Saum seines Schurzes, sah deutlich die Größe des abgerissenen Fetzens und fragte ihn, von welchem Tier das Fell stamme, und ob er es selbst erlegt habe. Lachend sagte er mir den Namen irgend eines Nagers und betonte, er habe selbst das Tier gefangen. Als ich ihn nach seinem Namen fragte, antwortete er selbstbewußt: Batebekoko. Jetzt wußte ich alles und setzte befriedigt die Reise fort.
»Großartig!« rief P. Varmer erregt.
Dr. van Lo trank sein Glas aus. »Ja, Herr Pater, und nun erzählen Sie uns bitte von Ihren Erkundigungen. Ich denke, Sie haben auch stichhaltiges Material.«
Der Missionar ließ sich nicht zweimal bitten und erzählte, was ihm damals auf der Reise nach Avakubi zugestoßen war.
So verging die gemütliche Abendstunde in der angeregtesten Weise. Und als der Pater sich verabschiedete, mußte er versprechen, bald wiederzukommen. Der Kommandant gab ihm einen Soldaten mit, der ihn in seine Missionswohnung begleitete.
Die Seelsorge nahm nun P. Varmer wieder einige Wochen ganz in Anspruch. Regelmäßig versammelte er Christen und Katechumenen in seiner Notkirche, bereitete die einen auf den Empfang der heiligen Kommunion, die anderen auf die Taufe vor. Dann hieß es die Mission wieder instand setzen, die Dächer erneuern und die in der Umgegend zerstreuten Christen auf den kleinen Nebenposten in Bafwasende, Makalla und Mawambi besuchen.