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Über der der ehernen Pforte zum Tempel der Natur prangt riesengroß in mitleidslosen Lettern das furchtbare Evangelium vom Kampf ums Dasein. Im Kampfe ist die Welt geworden, im Kampfe wird sie einst in Trümmer gehen. In der Natur gilt nur brutales Faustrecht, nur das Recht des Stärkeren. Sie kennt kein Mitleid: wer nicht stark und wehrhaft ist, wird von der Erde getilgt, daß keine Spur mehr von ihm zeugt. Es ist ein erbitterter Kampf, ein Kampf ohne Gnade und Recht. Kein Lebewesen aber führt diesen Kampf so ohne Grenze und Ziel wie der Mensch, der »furchtbarste Räuber dieser Erde«, über dessen »Humanität« noch immer Genußsucht, Prahlerei und Eitelkeit den Sieg davongetragen haben. Wie viele Milliarden von Tieren sind nicht allein an dem törichten Worte »Mode« zugrunde gegangen! Vor etwa dreißig Jahren war es, um ein Beispiel zu geben, Mode, Muffen aus dem glänzendschwarzen, langhaarigen Fell des westafrikanischen Satansaffen ( C?lobus sâtanas) zu tragen. Nach einer vom Gouverneur der englischen Goldküstekolonie aufgestellten Statistik wurden deshalb in einem Jahre nicht weniger als 200 000 dieser Affen abgeschossen: drei Jahre später war der Satansaffe aber bereits so selten, daß nur noch 67 600 Felle ausgeführt werden konnten, deren Wert nunmehr fast den doppelten Preis galt. Die Hudsonbai-Company erzielte aus dem Handel mit Fellen und Pelzen vor dem Kriege nach ungefährer Schätzung einen jährlichen Reingewinn von über 21 Millionen. Da sie nach ihrem Tarif dem indianischen Jäger erst für vier Biberbälge eine wollene Decke, für fünfzehn Bälge erst ein Pfund Pulver oder eine Flinte zahlt, kann man sich leicht vorstellen, wie erbarmungslos hier der Vernichtungskampf gegen alles pelztragende Getier geführt wird!
Zu den Pelzträgern, deren Rauchwerk – das »rauch« in dem Worte ist die alte Form für »rauh« – seit langem modisches Begehren ist, gehören ganz besonders auch die sogenannten Ohrenrobben ( Otarîidæ), deren bekannteste Vertreter der Seelöwe und der Seebär oder die Bärenrobbe sind. Zumal der Seebär ( Otâria ursîna) liefert in seinem Pelz das berühmte »Sealskin« (sprich: ßihlskin, englisch, eigentlich Seehundsfell). Obschon gesetzliche Bestimmungen seit einiger Zeit das »Schlagen« dieser Robbe regeln, nimmt die Zahl der Seebären doch von Jahr zu Jahr ab. Auf den amerikanischen Inseln wurden 1890 rund 100 000 Felle erbeutet, im Jahre 1895 waren es nur noch etwa 15 000 Stück, 1899 aber kaum noch 1000 Tiere! Die Behringsinsel lieferte bis zum Jahre 1892 jährlich etwa 50-60 000 Bärenrobben, im Jahre 1899 aber nur noch gegen 8000 Stück.
Die Ohrenrobben unterscheiden sich von den Seehunden in mehreren Stücken: zunächst durch den Besitz einer kleinen, aber wohlentwickelten, kurz zugespitzten Ohrmuschel, durch gestrecktere Kopf- und längere Halsbildung, durch die etwas abweichende Gestaltung des Gebisses und endlich dadurch, daß die Gliedmaßen, in sich deutlich abgesetzt, aus dem Leibe hervortreten, und ihre Finger und Zehen von der Schwimmhautbildung lappig überragt werden. Während bei den Seehunden merkwürdigerweise die Weibchen fast stets größer und stärker sind als die Männchen, übertreffen bei den Ohrenrobben diese jene ganz beträchtlich an Länge und Beleibtheit. Das Männchen erreicht hier die doppelte Länge und das drei- bis vierfache Gewicht des Weibchens. Der männliche Seebär mißt rund zwei Meter bei einem Gewicht von etwa vier bis fünf Zentner; der männliche Seelöwe erreicht vollends eine Länge von vier Meter und darüber und ein Gewicht von rund zwölf Zentner. Die Ohrenrobben bewohnen die kalten und gemäßigten Regionen der südlichen Meere und die nördlichen des Stillen Ozeans und unternehmen innerhalb ihres Wohngebiets große Wanderungen, indem sie ziemlich regelmäßig, wie das vor kurzem der russische Marinearzt Sljunin für die Bärenrobbe nachzuweisen vermochte, zwischen zwei Stationen wechseln. Da das Wesen und die Lebensgewohnheiten der Ohrenrobben sich in hohem Maße ähneln, genüge es hier, den Seelöwen näher zu schildern.
Der Seelöwe ( Otaria Stìlleri) ist eine sattbraune, doch auch lichtgrau bis tiefschwarz gefärbte, riesige Ohrenrobbe. Das intelligente Gesicht mit den lebhaften, ausdrucksvollen Augen und dem stattlichen, weißen Borstenschnauzbart hat in der Erregung, wenn das Tier den Kopf emporreckt, etwas Imponierendes. Die Stimme ist ein tiefes, bellendes Brüllen, das weithin zu hören ist. Die erwachsenen, männlichen Tiere erscheinen sehr streitbar; gewöhnlich hat eines der alten Männchen die unumschränkte Herrschaft über die einzelne Herde und weiß sie in harten Kämpfen zu behaupten, so daß der Pelz der alten Tiere häufig von Narben dicht bedeckt ist. Zur Paarungszeit suchen die Seelöwen bestimmte Strandplätze auf, von den englischen Robbenschlägern »Rookeries« (sprich: rukeris, englisch, eigentlich »Krähennest«) genannt. Zunächst erscheinen die Männchen, nach einiger Zeit die Weibchen, und damit beginnen die Kämpfe jener um den Besitz dieser. Auf den Rookeries kommen auch die Jungen zur Welt, die anfänglich eine entschiedene Abneigung gegen das Wasser bekunden, von den alten Tieren erst belehrt werden müssen, gegen Ende der etwa vier Monate dauernden Landzeit jedoch in allen Robbenlebenskünsten wohlerfahren sind. Merkwürdig ist es, daß die Seelöwen, im besondern die Männchen, während der Landzeit keine oder nur ganz wenig Nahrung zu sich nehmen. Auf den Rookeries pflegte man auch die Robben, sie landeinwärts treibend, mit dem Speer oder der Flinte zu töten oder mit dem Robbenknüttel zu schlagen. Gleich an Ort und Stelle enthäutete man die Tiere, schnitt ihnen die langen, biegsamen Schnurrborsten ab, die nach China als – Pfeifenreiniger für die Opiumraucher verkauft werden, und schälte die dicke Speckschicht, die einen guten Tran liefert, vom Rumpfe. Nach der Paarungszeit verlassen die Tiere bis auf ganz wenige dort dauernd verbleibende die Rookeries und suchen wieder das offene Meer auf. Ihre Nahrung bilden Fische, Kruster und Weichtiere.
Auf der Insel San Nicolas (Farallones) am Eingang der Bai von San Franzisko ist eine berühmte Rookery der Seelöwen, die jetzt hier als Schaustücke gehegt werden. Auch an der Küste selbst haben sie einen Tummelplatz. Otto Finsch, der jüngst verstorbene ausgezeichnete Forschungsreisende, hat uns das Treiben der Tiere hier höchst anschaulich geschildert. »Schon von fernher«, schreibt er, »dröhnt das Rauschen der gewaltigen Brandung dem Besucher in das Ohr, zugleich aber auch ein absonderliches Gebell, das sich verstärkt und vervielfältigt, je näher man kommt. Durch dieses Gebell geleitet, bemerkt man auf drei hohen, kegelförmigen, kaum mehr als 150 Schritt vom Ufer entfernten Klippen, deren unterer Teil hier und da senkrecht aus dem Meer aufsteigt und an denen sich die Brandung tosend bricht, reges Leben. Einige sechzig ungeheure Seetiere lagern auf den größeren, abschüssigen Felsen der Klippe in Gruppen oder einzeln, in Spalten oder auf den schmalen Felsgesimsen behaglich hingestreckt, gleichsam beherrscht von einem oben auf der Spitze thronenden, mächtigen »Bullen«. Zuweilen erhebt dieser sein Haupt, bläht den dicken Hals gewaltig auf und läßt sein tiefes Bellen erschallen, in das nicht allein die schwächeren, feineren und höheren Stimmen aller übrigen Genossen, sondern auch das heisere Kreischen der zahlreichen Möwen, das Krächzen der in langen Reihen auf den Felsgesimsen, einzelnen Klippen und Spitzen sitzenden Scharben, sowie der dumpfe Baßton brauner Pelikane sich einmischt. Gefesselt durch das überraschende Schauspiel, beobachtet der Besucher zu seiner Verwunderung, wie die anscheinend so plumpen und ungelenken Riesen die höchsten Spitzen der Klippe erklimmen. Freilich geht dies langsam; doch wissen sie ihren langgestreckten Leib in eigentümlich schlangenartiger Weise vor- und aufwärts zu winden und das Hinaufklettern durch die seitlich ausgestreckten und ausgebreiteten Hinterbeine so zu unterstützen, daß sie ihr Ziel dennoch erreichen. Im Zustande der Ruhe ähneln die Tiere riesigen, schwarzen Nacktschnecken, liegen jedoch im Schlafe zuweilen auch hundeartig zusammengerollt, die Schnauze dicht an den Bauch gelegt. Ist schon die Beweglichkeit der schweren Körpermasse auf dem Lande überraschend, so entfalten diese Robben ihre Geschwindigkeit doch erst im Wasser vollständig. Oft sieht man sie in das Meer stürzen, indem sie sich einfach an der sanft absteigenden Felswand herabgleiten lassen oder von einer höheren Zinne springend herabwerfen. Delphinartig treiben sie dann ihr Spiel in den Wellen, werfen sich blitzschnell herum, so daß der Bauch nach oben kommt, springen zuweilen förmlich aus dem Wasser heraus, spielen miteinander, verfolgen sich, tauchen unter, beugen sich in die Tiefe oder über den Wasserspiegel und geben sich den Anschein, als kämpften sie wütend miteinander, obgleich solche Kämpfe in Wahrheit nichts andres sein dürften, als eitel Schein und Spielerei, ebenso wie die Beißereien auf dem Lande auch nicht viel auf sich haben. Erbost sperren zwei von ihnen den gewaltigen Rachen auf, brüllen sich furchtbar an, als ob der ernsteste Kampf eingeleitet werden sollte, legen sich aber bald darauf wieder friedlich nebeneinander nieder und beginnen sich vielleicht sogar gegenseitig zu lecken. Stundenlang kann man dem ewig wechselnden Schauspiele zusehen, und immer wird man etwas Neues beobachten und entdecken.« Ähnliches erzählt auch Balduin Möllhausen vom Treiben der Robben hier. »Die Felseninseln waren mit Seelöwen, Seekühen und Robben dicht bedeckt,« schildert er die Einfahrt des Dampfers in die Bai von San Franzisko, »die mit neugierigen Augen den heranschwimmenden großen Ruhestörer beobachteten. Ein von einem der Passagiere abgefeuerter Schuß brachte indessen schnell Leben in die regungslos daliegenden Fleisch- und Fettmassen; denn mit Aufbietung aller ihrer Kräfte humpelten die unförmlichen Tiere, immer eines hinter dem andern, einer überragenden Stelle zu, von der sie sich kopfüber ins Meer hinab stürzten und in den Wellen verschwanden. Es lag etwas Komisches in den unbeholfenen Bewegungen der erschreckten Gesellschaft, deren einzelne Mitglieder von der Größe eines Ochsen bis zu der eines kleinen Hundes hinab übereinander purzelten und bei dem jedesmaligen Sturz ins Wasser den weißen Schaum hoch aufspritzen machten. Bis dicht an das Felsentor wiederholte sich dieses Schauspiel, dem wir mit immer neuem Interesse zuschauten.«
Dort, wo die Seelöwen sich der Schonung seitens des Menschen nicht bewußt sind, geben sie sich viel scheuer und vorsichtiger. Sie müssen überhaupt als sehr intelligente Tiere gelten, wie sie denn in den letzten Jahren vielfach dressiert in Menagerien und im Zirkus gezeigt wurden. Sie lassen große Bälle auf der Nase tanzen, werfen brennende Fackeln in die Luft und fangen sie wieder auf. Sie werden außerordentlich zahm und folgen dem Wärter auf den Ruf.