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In grauer Vorzeit verband einmal eine Länderbrücke Südafrika über die Insel Madagaskar mit Ostindien. Dann brach zur Tertiärzeit mit ungestümer Macht das Meer über diese Brücke hinweg, trennte die Verbindung und ließ als Erinnerungsmale, als Pfeiler, die über Wasser blieben, nur Madagaskar und einige kleinere Inselgruppen bestehen. So kommt es, daß Madagaskar sich eine sehr eigenartige Tierwelt bewahrt hat, eine Tierwelt, die, von gewissen, einzelnen Anklängen abgesehen, sowohl von der Afrikas wie der Asiens recht verschieden ist, und die es verständlich macht, daß man von einer besonderen »madagassischen Tierprovinz«, ja, von einem »sechsten Erdteil« gesprochen hat. Von allen Tieren Madagaskars aber die merkwürdigsten sind unstreitig die Halbaffen, die Lemuren. Halbaffen ( Prosîmiae, eigentlich »Voraffen«) nannte der alte Linné diese Tiergruppe, die er mit den Menschen, Affen und Fledermäusen zur Ordnung seiner »Herrentiere« (Primaten) zusammenfaßte, deshalb, weil sie den Affen in der allgemeinen Körperform und der Klettergewandtheit gleichen, weil sie Greifhände und Greiffüße und an Fingern und Zehen (mit Ausnahme der 2. – 3. bekrallten Zehe) platte Nägel wie wir Menschen haben. Lemurenähnliche ( Lemûridae) aber taufte man sie später, weil ihr absonderliches Wesen und manche Bildung ihres Körpers – sie sind ausgesprochene Nachttiere und haben als solche unverhältnismäßig große Augen mit stark erweiterungsfähigen Pupillen – etwas Gespenstisches hat, gleich den »Lemuren« der römischen Mythologie, den gespenstisch geisternden Seelen der Verstorbenen. Neuerdings haben die Halbaffen durch die Forschungen Klaatschs für die Frage nach der Abstammung des Menschen eine besondere Bedeutung erlangt: die Halbaffen und die Menschen stehen nämlich nach Klaatsch dem gemeinsamen Urstamme der Säugetiere in vielen Beziehungen näher als die Affen.
Der Mâki ( Lçmur), von dem wir eine Anzahl besonderer Arten unterscheiden, der charakteristischen Kopfbildung nach auch »Fuchsaffe« genannt, ist ein etwa katzengroßes Tier mit dichtem, wolligem Pelz und körperlangem, buschigem Schwanze. Die zierlichen, wohlgebildeten Gliedmaßen sind fast gleichlang, die zweite Zehe trägt eine Kralle. Der gestreckte, intelligente Fuchskopf zeigt mittelgroße Augen und buschige Ohren. Eine der bekanntesten Makiarten ist der schwarz und weiß gefärbte, scheckig gefleckte Vari ( Lemur vârius), der eine dichte, üppige, den Kopf bis über die Ohren einhüllende Halskrause besitzt; er wird von den Eingeborenen häufig in Gefangenschaft gehalten. Einen dunklen, fast schwarzen, hie und da ein tiefer sitzendes Rotbraun zeigenden Pelz trägt das Männchen des Mohrenmaki ( Lemur m?caco) zur Schau; das Weibchen dagegen ist heller, rostbraun gefärbt und ist mit einer weißen Hals- und Bartkrause geschmückt. Der schönste Maki ist aber der Katta oder Katzenmaki ( Lemur c?tta), ausgezeichnet vor allem durch den mehr als körperlangen, schwarz und weiß (wie etwa bei unsrer Wildkatze) breit geringelten Schwanz und die großen Augen. Die Färbung des weichen Pelzes ist ein Aschgrau mit einem starken Stich ins Rötliche.
Die sich vornehmlich von Früchten nährenden, doch auch Insekten jagenden und Eier sowie kleinere Vögel und Säuger nicht verschmähenden Makis bewohnen das dichteste Waldesdunkel Madagaskars, verbringen den Tag mit Schlafen und ziehen mit Anbruch der Nacht, laut lärmend – das Wort »Maki« malt den Klang ihres Schreis – auf Beute aus. Bei ruhigem Wandern von Versteck zu Versteck gehen sie häufig aufrecht, indem sie die Hände im Nacken oder über dem Kopfe zusammengefaltet halten. In kleineren Scharen die Waldungen zur Jagd durchstreifend, schwingen sie sich mit erstaunlicher Behendigkeit und Sicherheit, oft große Sätze wagend, wobei sie mit dem gestreckten Schwanze nach Eichhörnchenart geschickt steuern, von Ast zu Ast. Reizvoll ist besonders das Bild, das die Mutter mit dem Jungen bietet: sie legt es mit fast menschenhafter Zärtlichkeit zum Säugen an die Brust. Das Junge hält sich bald an der Seite der Mutter angeklammert, bald verbirgt es sich auf ihrem wolligen Rücken und wird mit dem breitbuschigen Schwanze zugedeckt. Die Eingeborenen haben vor den Makis eine abergläubische Scheu, obschon sie den Tieren wegen ihres wohlschmeckenden Fleisches nachstellen; den größten madagassischen Halbaffen, den stummelschwänzigen, beinahe meterlangen Indri oder »Babakôta« (d. h. Vaterssohn) betrachten sie sogar als ihren Stammvater. Sehr merkwürdig ist der Sommer- oder richtiger Trockenzeitschlaf der kleinen Fettschwanzmakis ( Opolemur); die Tiere sparen für diese Schlafzeit Fett im Körper und namentlich im Schwanze auf.
In der Gefangenschaft gewöhnen sich die Makis auch an ein Tagleben. Sie sind träge, wenig verträgliche, furchtsame Tiere, die nur durch ihre geschickten Sprünge ergötzlich wirken. Der berühmte französische Naturforscher Buffon hielt einmal einen Maki im Zimmer. Das zierliche Tierchen trieb allerlei Mutwillen, entwich nicht selten in die Nachbarhäuser und stahl dort Früchte, Zucker, ja, alles, was nicht niet- und nagelfest war. Es ließ beständig ein behagliches Murmeln hören; blieb es aber sich selbst überlassen, so schrie es. Während des Winters hielt es sich immer in der Nähe des Kamins auf, stellte sich auch dann und wann aufrecht vor das Feuer, um sich besser wärmen zu können.