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Was »nach« Pankow kommt, weiß in Berlin jedes Kind schon aus dem Gassenhauer. Wie man aber nach Pankow kam, als ich noch Kind war, das weiß nicht mehr jeder. Da stieg man nämlich am Schönhauser Tor oder bereits am Alexanderplatz in einen »Torwagen«, wartete zunächst, ganz wie am Brandenburger Tor, bis die bewußte »eene lumpichte Person« sich angefunden hatte, und dann ging's die seit dem Alten Fritz (1743) mit Linden bestandene Schönhauser Allee in die Höhe durch Ackerland hinaus ins Grüne. Freilich, es fuhr auch ein Omnibus nach Pankow, vom Lustgarten aus, ganze Tour 5 Silbergroschen, halbe bis zur Oestschen Steingutfabrik, wo immer des Berges wegen eine Weile Halt gemacht wurde. Dieser Berg war übrigens schon zu meiner Zeit nicht mehr der richtige »Windmühlenberg«, auf dem sich etwa ein Dutzend Mühlen im Winde drehten, und wo Vater »Wurscht« seine »Tabagie und Gartenvergnügen« hatte. Würst, der, wie Wauer erzählt, als erster auf den Gedanken kam, in seine Schnapsgläser, die allzu viele »Abnehmer« unter den Gästen fanden, ätzen zu lassen: »Gestohlen bei Würst auf dem Windmühlenberg«, mit dem allerdings ungeahnten Erfolge, daß nunmehr der Gläservorrat in wenigen Tagen völlig »geräumt« war, weil jeder der Kuriosität halber solch ein Ding besitzen wollte!
So also kam man damals nach Pankow, und man fuhr hinaus, weil man dort entweder selbst seine »Sommerwohnung« oder mindestens einen Bekannten hatte, der hier den Sommer über wohnte. Charlottenburg (denkt an »Jettchen Gebert«), Tegel (erinnert Euch der »Buchholzen«) und eben Pankow, das waren ja lange Zeit die beliebtesten Berliner Sommerfrischen. Freilich, manchmal lag solche veritable Sommerwohnung sogar nur in der – Alten Jakobstraße, wie uns Alexander Meyer, einer der witzigsten Parlamentarier der Bismarckepoche, aus seiner Jugend berichtet hat.
Also man fuhr des Sonntags nach Pankow hinaus, entrichtete am Chaussee- und Steuerhause in der Berliner Straße – die Reste stehen noch heute, zum Restaurant umgewandelt, gegenüber der Kaiser-Friedrich-Straße – seinen Zoll, das ist noch bis zum Jahre 1880 so gewesen, wartete an den Schranken der Stettiner Bahn, bis die Gleise frei waren, und bog endlich in die breite Dorfaue ein, wo die Wagen vor Linders Dorfkrug hielten. Der Weg hinaus hat sich gewaltig verändert, vom malerischen Standpunkte nicht gerade zu seinem Vorteil. Erst von der Bahnüberführung an grüßt es wie alte Erinnerungen mit seinen Parkbäumen und seinen schattigen Alleen …
Aber die Dorfaue, die Breite Straße, das ist fast noch so wie früher und wie ein Idyll der Biedermeierzeit. Da sind noch die alten Landhäuser und Villen mit ihren prächtigen Gärten: die Mendelsche Villa – der große Irrenarzt, dessen bewährte Maxime war: »Ich halte alle Menschen so lange für verdreht, bis ich unzweifelhafte Beweise des Gegenteils habe«, hatte hier in Pankow zahlreiche Nervenanstalten ins Leben gerufen, und so kam immer auch etwas Gruseliges in die fröhliche Idylle – das köstliche Landhaus des Schokoladen-Hildebrand, ganz Alter-Fritz-Stil, Ziegeldachhäuschen und Putten davor im Grünen, gegenüber der kleine Amalienpark. In dem kleinen Häuschen am Ostende der Dorfstraße schrieb Ludwig Erk einst seine Volksliederbücher. Zur Linken: die alte Dorfkirche, zweitürmig, hier vorn noch Reste des ältesten Baues aus der katholischen Zeit, Feldsteinmauern und gotisches Giebelgezack, alles ganz in Kastaniengrün gebettet, dann, an der eigentlichen Straße, drüben die Bleichrödersche Villa.
Wenn im Juli in Pankow die Leineweberzunft ihr »Fliejenfest« feierte, dann waren hier die Glücksbuden und Verkaufsstände aufgebaut, das Karussell nicht zu vergessen, das seinen traditionellen Platz am Pfuhl hatte, einem kleinen, entengrützeübergrünten Tümpel. – Und dann biegt man in die Schloßstraße ein, auch hier noch lustige Häuschen aus Urgroßvätertagen, und ist im Schloßpark von Schönhausen mit seinen vielhundertjährigen Eichen, seinen mächtigen Platanen und Buchen, seinen langen, domgewölbten Kastanienalleen, all diesen wundervoll gewachsenen Bäumen, die das Entzücken jedes Malerauges sind, und die darum auch die Berliner Akademiker immer wieder gemalt haben. Ja, und auch mit seiner Panke, die hier gleich am Eingange ein Miniaturwasserfällchen bildet, recht, als wollte sie ihrem wendischen Namen Ehre machen. Panke: das heißt nämlich »Fluß mit Strudeln«, so belehrt uns der Pankower Pastor und Chronist Beier, und wir Berliner, die wir für die Panke eigentlich nur ein mitleidiges Lächeln und oft – besonders im Sommer – ein Naserümpfen haben, staunen baß, wenn wir hören, daß die Panke einst im heutigen Bürgerpark eine Wasser- und Papiermühle trieb und diese Mühle 1839 im Hochwasser zerstört hat!
Die Panke – aus der Heimatkunde weiß man noch, daß sie am Schiffbauerdamm Nr. 4 in die Spree mündet, und wer ganz besonders gut in der Geographie beschlagen ist, erinnert sich vielleicht gar, daß auch Bernau an der Panke liegt, und daß sie dort auf dem »Roten Felde« entspringt. Aber man bekommt doch »allerhand Achtung« vor diesem Wässerlein, wenn man belehrt wird, daß sie sich einst südlich von Charlottenburg durch die Seenkette des Grunewalds fortsetzte, durch das Stolper Loch und den Griebnitzsee ging, in der Bake einen Nebenfluß hatte und zur Havel floß.
Das sieht man ihr heute denn doch nicht mehr an, trotz des »Wasserfalls« im Schloßpark, der noch dazu ein künstlicher ist, und trotz der abschüssigen, sandigen, außerordentlich malerischen Ufer drüben im Bürgerpark. Ja, ja, »wenn mancher man wüßte, wer mancher man war«, sagten wir als Kinder immer.
Eine prächtige Kastanienallee führt uns zum Schloß, das einst Friedrichs des Großen unglücklicher Gemahlin Elisabeth Christine – »ich verheirate mich als anständiger Mann, das heißt, ich lasse meine Frau machen, was sie will, und tue meinerseits, was mir gefällt. Es lebe die Freiheit!«, schrieb Friedrich als Bräutigam an den alten Grumkow – als Sommersitz dienen mußte. Ein schlichter, schmuckloser Bau mit Ziegeldach, in seinen ruhigen, strengen Formen doch überaus vornehm wirkend. Man fühlt, es ist für einen Grandseigneur erbaut, und die hölzerne Laube mit der alten Platane, das behäbige Dienerhaus und der breite, sonnige Wirtschaftsgarten geben ihm zugleich wieder etwas bürgerlich Wohnliches. Einst stand hier ein stolzer Bau, aber da kamen 1760 die Russen, plünderten und zerstörten das Schloß, zwickten den Kastellan und seine Frau mit glühenden Zangen und legten überdies einen Diener auf den Bratrost (so hat's der brave, alte Archenholtz aufgezeichnet). Die arme Elisabeth Christine aber ließ ihr Verbannungsschloß – sie hat noch bis 1797 gelebt, und nur ein einziges Mal in all den Jahren war Friedrich hier draußen – im Knobelsdorffstiel erneuern, und so steht es heute noch.
Noch eine »Residenz« liegt hier im Schönhauser Park und an der Panke – das Schloß der » Pankgrafen«, jener ulktollen, streitlustigen und vor allem trinkfesten Brüderschaft, die vor dem Krieg mindestens einmal im Jahr irgendeinen »festen Platz« in Deutschland auf ihre Weise zu berennen und unweigerlich zu erobern pflegte.
Gärten und Parks, das gibt Pankow-Schönhausen die besondere Signatur, Gärten mit altmodischen Bauernblumen und der ganzen Pracht moderner Gewächshäuser; Parks, wie die Natur sie regellos und doch immer malerisch schafft, und wohlgepflegte, von dem Geschmack eines Lenne (wie der Schloßpark) oder seiner Schüler gestaltet.
Solch herrlicher Park ist auch der einst Herrn Killisch v. Horn, nun aber seit reichlich einem Dutzend Jahre der Gemeinde gehörende » Bürgerpark« am Westlauf der Panke und der Schönholzer Heide. Die Parkstraße führt uns zu ihm, vorbei an dem Kirchhof und dem (heute recht profanen, aber eben doch ganz natürlichen Zwecken dienenden) Torhäuschen, und da ragt auch schon die Porta triumphalis, der römische Triumphbogen aus – Mauersteinen und Stuck. Auch grandseigneurmäßig, aber in der besonderen Art jener »großen Herrn«, die nach dem Kriege wieder wie Pilze aus der Erde schossen. Ich bin kein Politiker und auch kein Kaufmann, daher will ich hier den »Mantel des Schweigens« über den einst viel umstrittenen Killisch »breiten«: sein Park spricht laut genug von ihm – wie man das nun nehmen will – das Haus, das heute in einem Restaurant seine wahre architektonische Bestimmung gefunden hat, die »echt imitierten« Marmorgruppen aus Stuck und Gips, der Triumphbogen … Aber ein wirkliches Kunstwerk ist da: eine Mädchengruppe, die zierlichen Töchter Killischs, von Künstlerhand geschaffen – und diese Marmorgruppe ist, so erzählt die Pankower chronique scandaleuse, beim Verkauf des Besitzes wie ein Regenschirm versehentlich – stehen geblieben.