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Wißt Ihr, was ein »Schlorrendorfer« ist? … Nee, nee, ich meine nicht wenn Kinder – oder auch mal ein Erwachsener – sich mit dem feuchten Naschen – Ihr versteht mich schon – den Rockärmel polieren. Nein, 'n »Schlorrendorfer« ist ein Charlottenburger Bürger; das ist weltbekannt. Ich habe mal an Freund Zille von irgendwoher, ich glaube aus Weimar, eine Karte geschrieben: »Dem Malermeister Heinrich Zille, »Schlorrendorf« und die hat er richtig bekommen! Aber ich will doch lieber vorbeugen: »Schlorrendorf«, das erkläre ich hiermit ausdrücklich, soll keine Beleidigung sein; denn – viel besser sind wir Berliner auch nicht. Es ist ein altes Sprichwort, und Sprichwörter sollen ja wohl immer wahr sein: »Berliner Kind, Spandauer Wind, Charlottenburger Pferd, sind alle drei nichts wert«. Jacke wie Hose sozusagen auf Berlinisch, und Heine behauptet vollends, daß man in Charlottenburg das Berlinische noch besser spreche als in Berlin selbst.
»Charlottenburger Pferd« – ob das nun wirklich alles Charlottenburger Pferde waren, die da, in meinen Kindertagen, klapperdürr und mit hängendem Kopf, gleich hinterm Brandenburger Tor, am Anfang der Charlottenburger Chaussee, vor den »Torwagen« standen, will ich nicht beschwören. Aber beschwören kann ich, daß immer zwei, drei solcher echt berlinischen, dackelartig langgestreckten, rotplüschigen, nach ihrem Erfinder, dem Berliner Fuhrherrn Kremser, benannten Torwagen dastanden, und daß der Kutscher halbestundenlang wartete, bis die angeblich »man bloß« noch fehlende »eene lumpichte Person« sich angefunden hatte, ehe er losfuhr oder richtiger los»zoddelte«.
Aber von der Charlottenburger Chaussee, hier am Brandenburger Tor, – und das ist schon was, dieser Blick auf das Tor! – habe ich noch einen andern unvergeßlichen Eindruck, die Erinnerung an jenen eisig kalten Märztag 1888, als sie den alten Kaiser Wilhelm mit unerhörtem Pomp zu Grabe geleiteten. Der Beethovensche Trauermarsch, der Chopinsche, Jesus meine Zuversicht … das klingt mir mit den gedämpften Trommelrhythmen noch immer im Ohr. Zu wahren Bergen lag der Schnee gehäuft, die Bäume aber waren bis zum Wipfel schwarz von Menschen. Wir Jungens standen hier Spalier, und es fror Stein und Bein. In dem hellen, weißen Wintertag hatten die qualmenden, gelblichroten Fackeln, das flammende Pech auf den Kandelabern etwas wahrhaft Herzbeengendes. So war an jenem Tage die Charlottenburger Chaussee – eine erschütternde Via triumphalis des Todes.
Die Charlottenburger Chausse, so liebenswürdig in dem dunklen Schatten ihrer alten Bäume und dem gepflegten Grau der Seitenpfade, wie oft bin ich sie nicht entlang gewandert! Die Siegesallee, in meinen Kindertagen noch ein frohes Grün und nicht so kalt und starr von all den marmornen Askaniern, Bayern, Luxemburgern und Hohenzollern – wißt Ihr auch, daß Heinrich Zille dort »mittenmang« als Porträtbüste steht, seinem Namensvetter Heinrich dem Kinde, als echte, rechte Kriegsgurgel im Sturmhut zum Schutze beigegeben?! – der Goldfischteich, die feisten, roten Karpfenrücken, seltsam gebrochene Striche und Flecke in dem vom dunklen Wasser gespiegelten Grün, der Floraplatz mit seinen alltäglichen Sonntagsreitern … »Salons« hießen noch zu Goethes Zeit diese Plätze und verfänglich genug ein »Venusbassin« der Goldfischteich.
Und drüben nicht sichtbar, aber in das Ohr sich schmeichelnd, Kroll, »Krolls Etablissement«, im Winter mit seiner Weihnachtsausstellung und den Weihnachtsmärchen das Entzücken aller Kinder, im Sommer Konzertgarten und Oper, ein feenhafter Garten, von tausend bunten Lämpchen erhellt: blühende, glühende Rabatten und Bäume aus buntschimmerndem Glas …
Und weiter dann lärmender, rauschender, gleich mehrere Kapellen auf einmal: die » Zelten«. Ein merkwürdiger echt Berliner Plural für »Zelt«. Zur Zeit des Alten Fritz, der den Tiergarten eigentlich erst schuf, standen hier nämlich zwei veritable Leinwandzelte, darin französische Zuckerbäcker Erfrischungen feil hielten. Diese »Zelten«, was waren die uns einst?! Dem Kinde hießen sie schulfreie Nachmittage mit den Eltern im Grünen, mit Salz- und Zimtbrezeln und roten und blauen Luftballons. Dem Studenten waren sie Ort heimlicher Rendezvous und, nun ja, des – hm, hm, Katerfrühstücks, notabene so morgens um 7 Uhr schon und nicht immer in ganz einwandfreier Begleitung …
Die Bellevue-Allee, am Kleinen Stern, dieses immer schlafende Schlößchen im Hintergrunde; der Große Stern, auch viel naiver, idyllischer einst; die Hofjägerallee mit der Erinnerung an die Blumenkorsos – welche farbigen Bilder werden da wieder wach, welche Schönheit, welche Grazie lebt da wieder auf! Und dann die Idylle »Charlottenhof«, dies zierliche, zärtliche Bibelot unter den Berliner Kaffeegärten von einst. Und drüben nun der » neue See«, im Sommer lebendig von lustigen Booten und den Wildentenscharen, im Winter schwarz von den Pärchen, die Schlittschuh liefen. Ich rieche noch heute das Schmalz, darin in der Pfannkuchenbude die leckeren, braunen Dinger gesotten wurden, und rieche all den Punsch und Grog, die traditionell zu solchem Eislauf hier gehörten, – so gut gehörten wie die Kapelle der blauen Dragoner oder roten Husaren in dem großen Pavillon mitten auf dem Eise.
Und dann kam die hölzerne Brücke und Charlottenburg begann. Welch seltsame Ouvertüre: hüben winzige Häuschen ganz in Grün gebettet und drüben die ernste Masse der Technischen Hochschule und dahinter gleich das »Hippodrom« und das » Charlottenburger Knie«.
Dieses zweideutelnde »Knie« ist eigentlich auch echt berlinisch; für so was hat der Berliner entschieden ein Faible, und so manches Couplet besang denn einst auch dieses besondere »Knie« – worauf sich ja ganz zwanglos eine »sie« und im besondern »Marie« reimt. Heute ist das ein imposantes Bild, dieser breite Straßenstern: Charlottenburger Chaussee, Berliner Straße, Bismarckstraße, Hardenbergstraße und stiller und wie verloren auf der andern Seite die Marchstraße. Einst war das fast dörflich hier, und von diesem Dörflichen ist noch vieles und viel in das prachtvolle Straßenbild von heute gemischt: die wundervollen alten Linden, die schon Jettchen Geberts zierliches Biedermeiertrippeln mit ihren zitternden Schatten überhuschten, wenn sie aus Frau Könnekes Haus auf die Straße trat und heimlich Ausschau hielt nach Onkel Jason oder gar seinem Freunde Kößling … Solche Könneke-Häuschen schlingen sich auch heute noch – reizende, rührende Anachronismen – in den Reigen der langweilig steifen, hohen andern Häuser und geleiten uns hinunter zu dem neuen Rathaus, das einfach schön und modern ist, und deuten auf das schlichte Luisenkirchlein am Ende der Scharrenstraße und leiten uns vorbei an dem Altersheim mit seinen in ihrer unmodischen Naivetät ergreifenden Tonreliefs: dem Greise, der, müde heimkehrend, von der sorglichen Gattin empfangen wird, und den glücklichen Alten am warmen Ofen …
Ich biege wieder in die Berliner Straße ein, und eine unvergeßliche Erinnerung erhebt lächelnd ihr blumenumkränztes Haupt: die » Flora«. Ich habe, wie ich das niederschreibe, das Gefühl von etwas Festlichem und strahlender Sommerpracht. Eine breite, lange Terrasse, Tisch bei Tisch weiß gedeckt und Weingläser darauf, Damen mit roten Sonnenschirmen und Florentiner Hüten mit weißen Straußenfedern – davor die leuchtend grüne Rasenfläche. Ein riesiges Gewächshaus voller Palmen und Farne, die heiße, feuchte Luft benimmt einem schier den Atem … Und plötzlich Gewehrknattern, Pistolenschüsse, Peitschenknallen, seltsame Schreie: Buffalo Bill mit seiner Indianertruppe und seinen Cowboys – sie überfallen die vorsintflutliche Postkutsche. Dichte Staubsäulen, von Pferdehufen aufgewirbelt, Pulverdampf und – ein polnischer Jude mit langen Locken, der aus der Kutsche zu einem Fenster sich hinauswindet, aufs Dach klettert, im andern Kutschenfenster wieder verschwindet, hier ist, da ist und schließlich natürlich »skalpiert« wird. Und noch eine Erinnerung an die Flora habe ich. Sie ist eigentlich recht prosaisch, aber warum soll ich sie nicht erzählen – »zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust«, bekennt ja sogar Faust-Goethe. Auf der Terrasse habe ich, ich war so zehn, elf Jahre alt, zum ersten Male – »Neuchâteler« gegessen. Ach, hat mir das damals imponiert, dieser schneeweiße, bröcklige, ganz in Silberpapier gewickelte Käse und – der Gipfel des Entzückens: der ihn mit mir teilte, das war ein frischgebackener Sommerleutnant in funkelnagelneuer Uniform mit einem richtigen, langen Degen, den ich sogar aus der ledernen Scheide ziehen durfte!
Der Luisenplatz kommt mir heute ein bißchen stillos vor, ein bißchen Theaterei, obwohl das Kaiser-Friedrich-Denkmal in seiner Architektur Wucht hat, obschon die beiden Kasernen mit ihren runden Säulentempeln oben drauf gewiß originell sind, und obschon das riesenlange Schloß des ersten Preußenkönigs und der leibnizisch-philosophischen Sophie-Charlotte mehr ist als eine bloße Erinnerung an Schlüters und Eosanders Baukunst. Aber ich weiß nicht, dieser schwarze, niedere Bau sieht mir immer so aus, als wäre er von der hohen, trotz allen Durchbruchs massigen Kuppel so flach und platt gedrückt, und die flatternde, goldene Puppe darauf amüsiere sich darüber.
Oder amüsiert sie sich darüber, wie hier im Charlottenburger Schlosse ein Spaßvogel von einst den großen Napoleon ins Bockshorn jagte? Stand da in einem Zimmer, so hat's der alte General v. d. Marwitz auf Friedersdorf aufgezeichnet, eine mechanische Uhr, die um die volle Stunde ein Trompeterstück, im Chor geblasen, aufs täuschendste nachahmte. Diese Uhr hatte nun ein Diener heimlich in Gang gebracht und um Mitternacht ging der Spektakel los. Trompeten ertönten durch das Schloß, die Adjutanten, die Dienerschaft, Napoleon selber fahren aus den Betten und glauben an einen Ueberfall. Aber alles ist bald wieder still, die preußischen Trompeter sind verschwunden, als hätte sie die Erde verschluckt. Posten werden ausgestellt, die Adjutanten und Napoleons Kammerdiener bleiben auf den Beinen – punkt ein Uhr dasselbe Alarmgeblase – aus einem Zimmer tönt's – und siehe da: die unschuldige Uhr wurde ertappt und zum Schweigen gebracht, noch ehe der Schabernack zu Ende war.
Der Schloßpark, Le Nôtre, der Versailler Gartenschöpfer, hat ihn 1694 angelegt und Lenné ihn erweitert, gewiß, er hat Wunderschönes in einzelnen Partien, aber das Ganze fließt nicht zu rechter Harmonie zusammen. Und das »Belvedere«, das vom Spreeufer herüber winkt mit verschmitztem Zwinkern, jener Teepavillon der Schäferstunden und des Geisterspuks Friedrich Wilhelms II., zerreißt das noch mehr. Aber ein ganz Großes und Heiliges fast birgt der Charlottenburger Schloßpark: in seinem Mausoleum die Rauchschen Marmorsarkophage der Königin Luise und Friedrich Wilhelms III … Und nach dem Kriege standen längs der Orangerie, vor den törichten Römerbüsten, niedre, braune Holzbaracken, in denen den Kriegsverstümmelten Hilfe gebracht wurde. Und das ist eben so groß und ergreifend, dünkt mich, wie das Mausoleum.