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Laßt uns unsre erste Fahrt gleich an der Jungfernbrücke beginnen. Hier ist so was wie geweihter Boden, Geschichte und Dichtung reichen sich geschwisterlich die Hand. Noch manches erzählt uns von Raule und seiner Brandenburgischen Kompagnie. In den Häusern der Alten Leipziger Straße hier oben sieht's immer noch nach Magazinen aus: da sind großmächtige Kaufgewölbebogenfenster, hinter denen freilich heut nur bunter Trödel sich breitmacht.
Drüben der »Französische Hof« beherbergte einst und ebenfalls zur Zeit des Großen Kurfürsten zahlreiche Emigrantenfamilien. Deren nadelgeschickte Töchter, die »Demoisellen«, gut deutsch die »Jungfern«, hielten ihre selbstgefertigten Spitzen – die »Knötgens« sagte man dazumalen – in hölzernen Buden an der Brücke feil, die davon dann im Mund des Volkes den Namen »Jungfernbrücke« bekam.
Wir biegen in die enge Spreestraße ein, die ehedem viel trefflicher und anmutsvoller ein »Spreegäßchen« hieß, und der Wilhelm Raabe mit seiner liebenswürdigen »Chronik der Sperlingsgasse« den literarhistorischen Namen gab. Hier, Nr. 11, beim Schneidermeister Wuttke, der abends sich in einen »Königlich Preußischen Tafeldecker« verwandelte, in der »Bel-Etage«, schrieb der Dichtersmann sein Erstlingswerk. Das heißt: geschrieben hat es der dreiundzwanzigjährige Student wohl im Kolleg, – um Heizung zu ersparen.
Was da im Anfang dieser Raabeschen Geschichte steht: »Ich liebe in großen Städten diese älteren Stadtteile mit ihren engen, krummen, dunklen Gassen, in welche der Sonnenschein nur verstohlen hineinzublicken wagt. Ich liebe sie mit ihren Giebelhäusern und wundersamen Dachtraufen, mit ihren alten Kartaunen und Feldschlangen, die man als Prellsteine an die Ecken gesetzt hat. Ich liebe diesen Mittelpunkt einer vergangenen Zeit, um welchen sich ein neues Leben in liniengeraden, parademäßig aufmarschierten Straßen und Plätzen angesetzt hat. Selbst die Bewohner des älteren Stadtteils scheinen noch ein originelleres, sonderbareres Völkchen zu sein, als die Leute der modernen Viertel« – das möchte ich als Motto über unsre Reise setzen.
Eng drängen sich die Häuschen aneinander, nur 2, 3 Fenster breit, arme Leute in zerschlissenem Kittel, kaum eines weist einen Zierart auf, wie Raabes Nachbar mit seinen Festons über den Fenstern, und doch sind sie einem Dichter wert erschienen, die Wärme seiner Menschenliebe und die Sonne seines Humors über sie zu strahlen.
Ein paar Schritte bringen uns in die Brüderstraße, die ihren Namen von den »schwarzen Brüdern« empfing, den Dominikanern, deren Konventshaus hier seit dem 13. Jahrhundert stand. Werft, bitte, einmal einen Blick hinauf und hinunter: hier als Abschluß das alte Schloß mit seinen Säulen und seiner wundervollen Kuppel, dort das gotische Backsteinportal und das zackige Getürm der Petrikirche. Das sind Prospekte, wie sie nur wenige Straßen zeigen und wenige Städte nur noch haben! Wir alle sind unzählige Male hier vorbeigegangen; aber wer von uns hat das wohl bewußt und bewundernd gesehen?
Es ist viel Neues in der Brüderstraße, aber doch auch noch manch köstlich Altes. Am Hause Nr. 10, der alten Propstei von St. Petri, und ebenso am Hause Nr. 8 ist schöne alte Schmiedearbeit, Ranken und Blätter, über der Tür. Die alte Propstei hat ihre gruslige und sozusagen echt berlinische Geschichte. Das Haus gehörte als erstem Besitzer dem Kabinettsminister des Soldatenkönigs. Eines Tages ward vor der Tür hier eine Hausdiebin gehenkt – mit dem Henken war man damals ja noch schnell bei der Hand – und in diesem Falle erwies es sich bald, daß man eine Unschuldige aufgeknüpft hatte. Da ward dem Minister das »Galgenhaus« verleidet, und sein ihm »wohlaffektionierter« König befahl deshalb ganz einfach dem Magistrat, das Haus zu erwerben, worauf der Magistrat es gleichsam zur Entsühnung dem Propste von St. Petri als Amtssitz anwies.
Vor allem aber ist Nr. 13 sehenswert, das Nicolaische Haus, noch ganz das gediegene Bürgerhaus des 18. Jahrhunderts. Der Buchhändler Christoph Friedrich Nicolai, »bewundert viel und viel gescholten«, hat darin allerlei Kluges und leider noch weit mehr pedantisch Dummes geschrieben und verlegt, und im Sommer 1811 sang hier der zwanzigjährige Bergakademiker Theodor Körner, wegen studentischer Händel, wie er einem Freunde schreibt, »aus Leipzig in Nacht und Nebel exgekniffen, mit einer Schmarre im Gesicht und mit dem Relegat in der Tasche«, seine Lieder. In der Nicolaischen Buchhandlung ist denn auch 1814 »Leyer und Schwerdt von Theodor Körner, Lieutenant im Lützowschen Freikorps« erschienen. Nicolais Büste und eine Erinnerungstafel schmücken jetzt die Front des Hauses, und die Stadt Berlin, die sie gestiftet, unterscheidet mit feiner Dialektik den Dichter vom Philister: dieser »wohnte und wirkte«, jener »weilte und dichtete« hier. Im ersten Stock des Hauses, eine behäbige Treppe führt hinauf, ist seit 1910 das Lessing-Museum geborgen.
Lessing ging mit seinem Freund, dem Philosophen Moses Mendelssohn, bei Nicolai zeitweilig ein und aus. Aber nun, welch ein Idyll ist nicht der Hof?! Dieser Fliederbusch mit dem Efeu, dieses Hopfengerank an der Mauer, dieser grüne, hölzerne Brunnen! Ein Jahrhundert scheint gleichsam ausgelöscht; wie die Ruhe der Urgroßvätertage ist das.
Drüben der Hertzogsche Neubau, das schlichte, niedere, alte Haus noch neben dem Palast, hat manche Erinnerung zerstört. Da war die »Baumannshöhle«, eine behäbige Weinkneipe, die oftmals das Kleeblatt Lessing, Mendelssohn und Nicolai zu tiefsinnigem Gespräche vereinte. Da wohnte (Nr. 29) Johann Ernst Gotzkowsky, der »patriotische Kaufmann«, der 1760 durch Mannesmut und Opferwilligkeit die von dem russischen General Tottleben angedrohte Plünderung Berlins abzuwenden wußte, der uneigennützig auch der Stadt Leipzig 800 000 Reichstaler zur Kontribution vorschoß. »Es ist ein Beispiel ohne Beispiel, daß ein Mann für seine Mitbürger das übernimmt und aussteht, was Sie ohne alles Interesse übernommen haben«, dankte dem wackren Bürger öffentlich der Berliner Magistrat. Da hat an der Ecke der Neumannsgasse 12 Jahre lang Andreas Schlüter gewohnt, der das Denkmal des Großen Kurfürsten schuf, am alten Schloß die hohe Kunst seines deutschen Barocks erwies, der Marienkirche die bewunderungswürdige Kanzel gab.
In dieses ernste Bild bringt der absonderliche Erker am Hause 16-18 eine lustige Note. Er gleicht einer Renaissance-Bettstelle mehr als irgend etwas anderm, mit seinen vergoldeten Säulen, dem Baldachin, den Schwänen, die ihn tragen, und das übel Protzige, was das viele blanke Gold einst hatte, hat nun durch Schmutz und ein paar Jahrzehnte Berliner Wetters beinahe etwas antik Vornehmes bekommen.
Durch die Scharrenstraße biegen wir in die Breite Straße ein – wohnte hier nicht irgendwo in der »Großen Petristraße«, die's auf keinem Stadtplan gibt, Fontanes Kommerzienrat Van der Straaten und seine Lanni? – ihr heimelnd altertümliches Bild hat sie durch die »pompösen'' Neubauten freilich eingebüßt. O, wie behaglich sah es hier zu Weihnachten in meinen Kindertagen aus, wenn längs des Bürgersteigs die Leinwandbuden des Berliner Weihnachtsmarktes aufgebaut waren! Zumal die Zinngießer mit ihren Bleisoldaten – das ganze preußische Militär –, die Braunschweiger Pfefferküchler, die Sattler mit den Schaukelpferden und die Wachszieher mit den an Fäden hängenden, flügelschlagenden Weihnachtsengeln standen hier … Aber zu sehen und bewundern gibts doch glücklicherweise auch heut noch manches. Da sind (Nr. 10 und 11) noch ein paar stattliche Patrizierhäuser der friderizianischen Zeit. Das eine verrät schon äußerlich die städtische Hörigkeit durch seine Zierate: den Bären, den Bienenkorb, die Geldtasche, das sammelnde Eichhörnchen. Werft einen Blick ins Treppenhaus; es lohnt, die in Schneckenwindungen aufsteigende Treppe zu sehen, die abgeschlossene Dunkelheit und Ruhe, die eben dem Hause das wohnliche Behagen verleihen. Und draußen sind noch, mit Farbe überstrichen, die drei Etagenklingelzüge. Das andere: »In Berlin hat dieses Haus nicht seinesgleichen«, rühmt der greise Hans Brendicke, der um die Kenntnis Alt-Berlins sich immer wieder aufs neue verdient macht. Auch dieses Haus, in dem seit nun einem Jahrhundert die Familie Ermeler ihren Sitz hat –
»Wo kommt der beste Tabak her?
Merk auf, mein Freund, von Ermeler!«
dichtete einst, echt berlinisch reimend, der Hauspoet – ist glücklicherweise jetzt Eigentum der Stadt Berlin, und so wird es für alle Zeiten erhalten bleiben. Ist das Aeußere mit seinem hübschen Relief des Tabakbaues und dem klassizistischen Rankenfries – der alte Berliner Tabakhändler J. H. Neumann hat das 1804 anbringen lassen – schon sehenswert: »das Innere ist einer der entzückendsten Rokokowinkel, die Berlin je besessen hat«. Ein – Heereslieferant des alten Fritz hat es dazu geschaffen.
In Nr. 12 ist Albert Lortzing geboren, der Komponist der »Undine«, des »Zar und Zimmermann« und des viel bedeutenderen und darum weniger beliebten »Wildschütz«, der zeitlebens aus dem Pech nicht herauskam, um des lieben Brotes willen Couplet auf Couplet schreiben mußte … eine Bronzetafel mit dem Relief des Meisters an dem heutigen Kaufhause berichtet allein noch hier von ihm. Und drüben, auf der Marstallseite, da prangt noch ein Staatsstück von Architektur: das Ribbecksche Familienhaus (Nr. 35). Zumal das köstliche Portal (Spätrenaissance) ist entzückend. Die Ribbecks, die sind jenes havelländische Geschlecht, dessen einer noch auf seinem Grabe einen Birnbaum für die Bauernkinder pflanzen ließ, wie Fontane es besungen hat, und wie die Berliner Kinder es in der Schule auswendig lernen:
»So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland«.
Durch den Neuen Mühlenweg, der mitten durch ein Haus und am Ende gar über einen Hof führt, biegen wir in die Poststraße ein. Inmitten der Brücke der wundervolle Blick auf die Wasserseite des Schlosses mit seinen dunklen Türmen und Winkeln, dahinter das Patinagrün auf Kuppeln und Brücken, hält strengstem Urteil stand. Und in den Rahmen des Torwegs treten nun drei schmale hohe Häuserlein, drei Fenster breit ein jedes, wie aus einer alten Geschichte. Ein paar Schritte weiter, das Haus Nr. 23, das ist wieder eine kleine Köstlichkeit, wie es sich da vorbaucht, die schlichten Fenster, das reizende Erkerchen, das solide, alte Handlungsschild, in Schreibschrift darauf: »Seidenband-Fabrik von Karl Knoblauch« – wie das vornehm wirkt in dem Reklameschreien unsrer Tage! Und mit sanfter Rundung, wie eine behäbige Madam, dreht sich das Häuschen um die Ecke zum Nikolaikirchplatz.
Auf der andern Seite erzählen ein paar Tafeln, längst an neuen Häusern, von kurfürstlichen Kanzlern, die hier wohnten und starben, von dem Berliner »Meister des Kirchengesangs« August Eduard Grell, der hier 1800 geboren ward, und dessen »Barmherzig und gnädig« wir im Schulchor Jahr für Jahr zu Festen sangen.
In dem Hause Nr.4, das nun einem mächtigen Industriepalaste gewichen ist, war einst die Konditorei von Boretius, so die rechte, winklig-enge, verschmauchte Berliner Konditorei – es gibt davon noch immer einige im heutigen Berlin – und dort sah man hinten im Lesezimmer, mit den runden, kleinen Empiremarmortischen und den bronzenen Gaskronen, in der Wand eine Messingtafel eingelassen, die berichtete, daß eben an dieser Stelle »Herr Johann Sigismund, Markgraf und Kurfürst von Brandenburg« am 23. Dezember 1619 gestorben sei. Der Kurfürst verbarg sich nämlich häufig in diesem Hause seines Kammerdieners Anton Freitag aus Furcht vor der gespensternden »Weißen Frau« im Schlosse.
Nr. 15 bekundet sich durch eine Tafel als Vermächtnis zugunsten von Prediger- und Schullehrerwitwen. Wie altmodisch eigenartig ist nicht noch die große Haustür zur Oeffnung geteilt!
Das Prachtstück aber und überhaupt ein Glanzstück Alt-Berlins ist das Eckhaus, das 1766 von Diterichs für Veitel Heine Ephraim, den »Hof- und Münzjuden« Friedrichs des Großen, an Stelle der »Tonnenbinderschen Apotheke« erbaut wurde. Ephraim war sicher besser als sein Ruf. Die »Ephraimiten« oder »Bleckkappen«, die sich ob ihres geringen Silbergehalts so schämten, daß sie rot (vom Kupfer) wurden:
»von außen schön, von innen schlimm,
von außen Friedrich, von innen Ephraim«,
diese Dritteltalerstücke sind 1759 auf Friedrichs Geheiß geprägt worden, und Friedrich erwies sich ja auch Ephraim dadurch erkenntlich, daß er ihm für seinen Neubau die acht den Balkon tragenden (jetzt erneuerten) Sandsteinsäulen schenkte, die im Siebenjährigen Kriege aus dem gräflich Brühlschen Schlosse zu Pforten – »requiriert« waren. Die zierlichen, schmiedeeisernen Gitter, zum Teil vergoldet, die Putten und Vasen, die Pilaster – das ist typisches und gutes französisches Barock.
Wie ich ein Junge war, wohnte hier der Berliner Polizeipräsident F.; mit seinem Sohne bin ich zur Schule gegangen, und der – schrieb von mir die deutschen Aufsätze ab.