Verner von Heidenstam
Die Schweden und ihre Häuptlinge
Verner von Heidenstam

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XVII. Die Schlacht bei Hova

(1275)

In Ramundeboda bei Tiveden stand ein uraltes Schloß, das mit den Schädeln erlegter Wölfe bekleidet und von Ringmauern umgeben war. Die Könige zogen durch die Erikstraße ein; und einmal im Sommer widerhallte zur Mitsommerzeit das sonst so todesstille Nest ganz unvermutet von dem Klang der Dudelsäcke und Trommeln.

Lustig ging es her, das konnte man hören. Aber es war auch der leichtsinnige König Waldemar, der ein Festmahl hielt, und gerade zu einer Zeit, wo er im Krieg hätte streiten sollen. Sein Heer stand jenseits des Waldes bei Hova, denn Herzog Magnus hatte sich gegen seinen gekrönten Bruder empört und rückte sowohl mit schwedischen als auch mit dänischen Rittern unter seinem Banner von Süden heran.

Tiveden war der Wald der Heiden und des Zauberspuks; allerlei heulende und brüllende Wesen strichen wie verirrte Hunde auf den Mooren umher. Da und dort wohnten noch Menschen in den Klüften, die nie getauft worden waren und nie eine Messe gehört hatten, sondern noch in Hainen und auf Höhen anbeteten und Steinen und Quellen Opfer darbrachten.

»Wir lassen niemand durch unseren Wald hindurch,« sagten sie und begaben sich auf die Suche nach einem passenden Versammlungsort, ganz drinnen in der tiefsten Wildnis.

»So lange habe ich nun hier gewohnt, und doch kenne ich mich nie aus,« sagte ein alter Einsiedler, namens Hulv Skumble. »Jeden Tag entdecke ich schwarze Tümpel, in denen ich noch nie gefischt, Moore, die ich noch nie gesehen, Kräuter, die ich noch nie gepflückt habe.«

Der Alte stützte sich auf seine Krücken und verschwand beinahe unter seinem gewaltigen weißen Haar und Bart. Während er jetzt die anderen führte, gelangte er zu so riesigen Tannen, wie er ähnliche nie selbst im Traume gesehen hatte. Der Ort kam ihm weniger wie ein Wald vor, sondern vielmehr wie ein unermeßlicher Saal mit himmelhohen Säulen. Nirgends war ein Tier zu entdecken, weder Mücken noch Fliegen, nichts Flatterndes, Leichtes, kein Sonnenstrahl, kaum etwas Grünes. Nach allen Seiten hin verschwomm alles zu einem einförmigen Grau. Die mit Tannennadeln bedeckte Erde war so glatt wie ein Fußboden, aber in der Höhe rauschte und sauste es durch die Wipfel, die ihre rötlichen Arme ineinander schlangen und gegeneinander schlugen. Sie waren aber so hoch droben, daß das Rauschen wie aus weiter Ferne klang, und unten auf der Erde war es ganz still.

Nachdem Hulv Skumble noch eine Strecke weit gegangen war, fiel sein Blick auf eine Quelle, in die leuchtete die Sonne hinein, und es war nicht mehr so ganz öde hier. Hulv Skumble streckte die Hand aus, um zu trinken, zog sie aber bei dem Spiegelbilde vor sich im Wasser jäh wieder zurück, denn da sah er, daß ihm jemand über die Schultern blickte, und als er sich umdrehte, stand er dem Gotte Ti gegenüber, den die andern Waldbewohner ihr Leben lang gesucht hatten, ohne je mit ihm zusammengetroffen zu sein. Aber beständig hatten sie zueinander gesagt, er müsse doch noch irgendwo in seinem Walde an einem versteckten Platz zu finden sein.

Der Gott war ein ganz mit Moos überwachsener und mit scharfen blauen Zacken versehener Baumstamm, der überdies mit einem eisernen Reif umgürtet war, damit er nicht auseinanderfallen sollte. Über dem Gürtel gähnte ein riesiger Mund, der aussah, als habe er zwei Reihen schiefer, wurmzerfressener Zähne, die aber Armknochen von geopferten Menschen waren; denn Ti war ein Kriegsgott, und die Arme sind die den Menschen angeborenen Waffen. Überall in der Rinde, die von Grabstichel durchbohrt war, saßen Donnerkeile, rostige Messer und abgebrochene Pfeilspitzen, so daß der ganze Gott mit Stacheln bekleidet war. Neben ihm hatten die Ameisen einen riesigen Haufen aufgeworfen. Und mitten zwischen der Verwesung und den verwitterten Mordwerkzeugen liefen sorglos Marienkäfer umher, die Käfer der Kriegsgöttin mit den sieben schwarzen Punkten des Siebengestirns auf ihren goldroten Flügeldecken.

Als Hulv Skumble diese Entdeckung gemacht hatte, dachte er, das sei ein gutes Omen. Er rief die andern herbei, hielt sich aber die Ohren zu, um den schrecklichen Widerhall seiner Stimme nicht hören zu müssen.

Sie stellten sich dann bei der Quelle auf und hängten den Weibern ihre Mäntel als Schutz um. »Es läutet in Hova,« sagten sie. »Die Schlacht1275 hat begonnen, und der Priester steht vor dem Altar. Aber Waldemar sitzt ruhig beim Gastmahl in Ramundeboda. Da tut er recht daran, er verläßt sich auf den Wald und auf uns.«

»Heute ist allen Anzeichen nach einer der Glückstage des Jahres,« erwiderte Hulv Skumble. »Aber für wen? Für Magnus, oder für Waldemar? Das kann von uns abhängen. Der Mond, der die Zeit bestimmt, ist im ersten Viertel, und ihr solltet euch Fackeln für den Abend schneiden. Nur eines gibt es, was den Unsrigen sicher Sieg verschafft, nämlich ein Menschenopfer. Aber zu dir, Ti, sage ich: Du bist kraftlos geworden. Seit langer Zeit hat dir niemand mehr sein Blut und seine Glieder gegeben. Wie solltest du uns helfen können, wenn du beim Aufgang der Sonne nicht dem Feinde entgegengehen kannst, ohne mit der Wimper zu zucken? Ich will dir meine Augen schenken. Nun habe ich lange genug gelebt und habe keine Freude mehr von ihnen, nur Bitterkeit und Sorge.«

Als der Abend anbrach und die Fackeln angezündet wurden, riß Hulv Skumble zwei Donnerkeile heraus, befühlte ihre Schneide und wählte den schärfsten von den beiden. Dann ließ er sich mit den Händen auf dem Rücken an den Baumstamm binden, und während ein alter Finne ihm die Augen mit dem Donnerkeil herausstach, gab er den Geist auf. Als seine Augen dann in die Quelle geworfen wurden, sanken sie sofort unter und blieben groß und klar, ohne vor dem Feuerschein zu zucken, unten auf dem Boden liegen.

Da wurden alle, Männer und Weiber, von einem wahren Taumel ergriffen; sie schwangen ihre Fackeln gegen den Neumond, und Pferd um Pferd wurde herbeigeführt und unter Beschwörung und Gesängen geopfert. Das Blut wurde an die Baumstämme geschmiert, und es floß auf allen Seiten ins Moos herab. Keiner der Anwesenden zweifelte daran, daß die alten Geister des Wachstums jetzt zur Zeit der Johannisnacht, wo alles sproßte und wuchs, einen letzten verzweifelten Strauß ausfechten und in dieser Nacht ihre glänzenden Spieße mit den Schwertern der Ritter kreuzen würden.

Der Schleifstein wurde herausgeholt, und die Waldbewohner wetzten die Äxte. Sie waren sehr schlecht ausgerüstet, viele ohne Panzer und kein einziger mit einem Stahlhelm. Aber sie wußten von alters her, daß der Wald am sichersten verteidigt wurde, wenn die Eindringenden irre geleitet und Schrecken unter ihnen verbreitet wurde. Deshalb zogen die Waldbewohner den geopferten Pferden die Haut ab und wickelten sich, die blutige Seite nach außen, darein. Die Pferdeschädel, denen sie auch die Haut abzogen, hielten sie auf Stangen hoch über sich. Andere rissen sich das Hemd auf und malten sich ein grinsendes Gesicht auf Brust und Magen. Dann warfen sie ihre Mäntel über, so daß sie aussahen wie herumhüpfende Köpfe. Solches hatten die Eltern ihrer Eltern von den finnischen Zwergen gelernt, die schon lange, bevor Ti als Gott verehrt wurde, auf diese Weise gekämpft hatten.

Jetzt kamen ein paar Bauern dahergelaufen, barhäuptig und mit leeren Händen.

»Die Leute des Herzogs tauchen schon auf dem Moore auf!« riefen sie. »Waldemars ganzes Heer ist bei Hova geschlagen worden. Wir sind verloren!«

Jetzt begann es zwischen den Zweigen in der bis jetzt so schweigenden Wildnis zu krachen und zu knacken. Aufgescheuchte Vögel und Füchse flohen vorüber. Eine Schafherde stürzte mit wilden Sätzen daher, hinter sich eine braune Kuh, deren Glocke wie wahnsinnig bimmelte.

Da begriffen die Waldbewohner, daß der Feind schon ganz nahe war, und ihre besten Schützen kletterten mit Hilfe ihrer Äxte in die Baumwipfel hinauf. Die andern stellten sich mit den Weibern hinter die Baumstämme. Die Fackeln wurden um die Quelle herum schräg in die Erde gesteckt, damit die Funken ins Wasser fielen und die Tannennadeln nicht anzündeten. Obgleich nun keine Menschen mehr zu sehen waren, war es im Walde doch so hell wie in einem erleuchteten Saal.

Eine Weile verging, dann näherte sich ein Führer mit einigen bewaffneten Männern. Sie schauten sich unruhig nach allen Seiten um, und als sie die zwei hellen Augen sahen, die ihnen aus der Quelle heraus entgegenschauten, faßten sie sich an den Kopf und entflohen. Der Führer aber bekreuzte sich und blieb allein zurück.

»Herr, mein Gott,« stammelte er, »wir sind in Tis Walde. Wir sind auf der geheimen Opferstätte der letzten Heiden. Hilf uns! Hilf uns!«

In demselben Augenblick wurde er von einem lautlos dahersausenden Pfeil zu Boden gestreckt.

Bald kehrten die bewaffneten Männer mit Hunderten von Speerträgern zurück, aber alle hielten jäh an und erbleichten. Die vordersten wichen zurück und traten den andern auf die eisernen Schuhe. Sie sahen wohl den hellen Wald vor sich, aber nirgends einen Menschen, und doch sank unaufhörlich einer um den andern, von lautlos dahersausenden Pfeilen getroffen, zu Boden.

Und jetzt stürzte das ganze spukhafte Heer von Riesenköpfen und grinsenden Pferdeschädeln hervor, und hinter ihm kamen in dichten Reihen die nägelgespickten Keulen und Spieße.

Aber plötzlich drang eine graue Reihe von Männern, die von Kopf bis zu Fuß in Eisen gekleidet waren, wie ein Rudel Wölfe von der einen Seite heran. Sie verbreiteten sich auf dem ganzen Platze, machten weite Sprünge trotz der schweren Rüstung, und immer traf ihr Schwert, niemand konnte ihnen widerstehen. Die Äxte wurden jenen aus den Händen geschlagen, und Pfeile und Speere zersplitterten an den Rüstungen wie Rohr. Aber wenn sie auf einen Greis oder halberwachsenen Knaben stießen, hielten sie ihre Waffen zurück und schlugen ihm auf die Schulter mit den Worten: »Gehe in Frieden! Jesus Christus lebt!«

Und bald erschallte hinter ihnen unter den Tivedtannen vielhundertstimmig: »Kyrieleis! kyrieleis!«Kyrieleis: Abkürzung von Kyrie eleison, ein von Kreuzfahrern und Pilgern oft angewendeter Freudenruf.

Den Spukgestalten rissen sie die Kleider herunter. Aber als sie in die Reihen der drohenden Weiber eindrangen, wendeten sie die Schwertspitze nach oben und senkten den Kopf.

An der Spitze kämpfte einer allen voran, und es war der Stattlichste und zugleich auch der Tüchtigste. Er trug einen ärmlichen, schlichten Helm mit einem kleinen dunkeln Schlitz vor jedem Auge.

Sein Schwert sauste auf Ti herab und zerspaltete ihn bis zur Wurzel, und die vermoderten Knochen- und Rindenstücke fielen zu beiden Seiten herunter. Daß dieses der Herzog selbst war, das war leicht zu erkennen. Sein Pferd folgte ihm auf den Fersen wie ein treuer Hund, er brauchte es nicht am Zügel zu halten.

Allmählich war es Tag geworden, und die Waldleute entflohen in wilder Flucht von Stamm zu Stamm. Sie fühlten, daß Beschwörungen und Zauberei nichts mehr vermochten, daß das Heidentum geschlagen war, daß die wilden Waldgötter entflohen waren und sich, wie sie selbst auch, gleich Dachsen und Füchsen unter Felsen und Steinhaufen vergruben, um da zu sterben oder in den langen Winternächten zu klagen.

»Weh uns Verlorenen!« riefen die Waldbewohner. »Jetzt nehmen die Ritter das Land in Besitz! Seht, seht, Tauben schweben über ihren Helmen!«

Die Schar des Herzogs wurde immer größer, und um das blaue Magnusbanner geschart, sangen die Ritter:

»Christus, hör deiner Ritter Flehen!
Dir zu Liebe im Harnisch sie stehen!
Zu zeugen von deinem Erbarmen,
Zu schützen die Waisen und Armen!«

Sobald sie geendet hatten, wurde das Lied von den hintersten drüben am Moor weitergesungen:

»Christus, hör deiner Ritter Flehen,
Hör alle, die betend vor dir stehen!
Männer und Frauen, all im Verein,
Bitten um Frieden, Frieden allein!«

Magnus nahm den Helm ab – sein kräftiges, wettergebräuntes Kriegergesicht wurde sichtbar.

»Zum Morastein, zum Morastein, damit wir dir als König huldigen können!« rief das Heer unter schallendem Jubel und lauten Schlägen aus die Schilde, denn jetzt war das Land vor dem Verfall gerettet.

Waldemar starb schließlich im Gefängnis auf Nyköpinghaus. Magnus und sein glänzender Ritterhof dagegen wurde im ganzen Norden verehrt, und er legte einen neuen Grund im Reiche. Er wurde später Magnus Ladulås, d. h. Scheunenschloß genannt, und die Sage deutet den Namen dahin, daß der König durch seine weisen Gesetze das Schloß vor des Bauern Scheune war.


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