Verner von Heidenstam
Die Schweden und ihre Häuptlinge
Verner von Heidenstam

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XII. Der Nöck

Auf einen Bauernhof in Småland kam eines Tages ein Bursche mit einer Fiedel unter dem Arm, der sich auf ein Jahr da verdingen wollte. Zum Lohn verlangte er nichts als eine rostige, schartige Sense, die in einem Balken an der Wand steckte. Dem Bauern kam diese Bedingung höchst annehmbar vor, und er willigte ein.

Der Bursche hatte ein hübsches Gesicht; aber es zeigte sich bald, daß er ein wortkarger, schwermütiger Geselle war und auch nicht eben tüchtig bei der Arbeit. Niemals nahm er die Mütze ab, wenn es auch noch so heiß im Hause war, und außerdem zog er sie meist auch noch tief über die Augen. Wenn am Feiertag die geweihte Kerze auf dem Tisch brannte, schaute er nie auf, sondern hielt den Kopf immer tief über seinen Teller gebeugt. So lauschte er stundenlang auf alles, was um ihn her gesprochen wurde, und zwar mit solcher Andacht, als sei jedes Menschenwort ein höchst begehrenswerter Schatz. Aber am aufmerksamsten war er doch, wenn aus dem naheliegenden Kloster einer der Mönche mit seinem Stabe daherkam und auf dem Hofe einkehrte.

»Eine gute Tat,« pflegte der Mönch zu sagen, »ist die Freude aller Freuden und ein Vorgeschmack der Seligkeit.«

Als Weihnachten herankam und der Boden mit Stroh belegt war, setzte sich der Bauer mit den Seinigen um den dreifachen Leuchter, der die Dreieinigkeit bedeuten sollte, an den Tisch. Die armen Wanderer, die anklopften, wurden an diesem Abend freundlicher als sonst zum Eßtische geleitet, und die Leute drängten sich in die Stube. Die Tochter Toa trug die Grütze auf. Sie war barfüßig in einem himmelblauen Gewand und mit so viel silbernen Klöppeln und Kugeln an der Jacke, daß es bei jedem Schritt, den sie auf dem dichten Stroh tat, laut klirrte.

Als sie dem Burschen vorlegte, sagte sie: »Obgleich du eine Fiedel bei dir hast, läßt du sie uns doch niemals hören. Ich geh jetzt und hole sie, dann spielst du uns ein Weihnachtslied! Man fühlt sich so froh und glücklich, wenn man vor Rührung weinen muß.«

Er beugte sich noch tiefer über den Teller und murmelte mit undeutlicher Stimme. »Ich wünsche dir Besseres, Toa. Bei meinem Liede müßtest du so schmerzlich weinen, daß du es gar nicht ertragen könntest.«

Aber Toa wollte die Fiedel trotzdem holen. In diesem Augenblick jedoch stand der Bauer auf und erhob den Becher zu Gottes Ehre, wie es die alte Sitte verlangte. Der Bauer nahm indes nur einen Schluck; hierauf taten seine Frau und Tochter dasselbe und ließen dann den Becher kreisen. Als dieser am unteren Tischende ankam, da wo der Knecht saß, sahen die Leute, wie er erbleichte und den Becher sinken ließ, ohne daraus getrunken zu haben.

»Nimm die Mütze ab, Knecht, und trinke zu Gottes Ehre!« rief der Bauer im höchsten Zorn. Er trat auf ihn zu und riß ihm die Mütze herunter. Da fiel dem Burschen das Haar über die Schulter herab, und siehe da, es war ganz grün wie Seegras.

Der Bursche versuchte es wiederholt, zu gehorchen, er hob den Becher an die Lippen, aber jedesmal sank seine Hand kraftlos herab, und der Becher schlug auf der Tischplatte auf. Flehend sah der arme Kerl den Bauern an, und jetzt, als der Lichtschein in seine Augen fiel, konnte er nicht länger verbergen, daß sie unaufhörlich die Farbe wechselten. Bald waren sie glänzend grün wie tiefes Wasser, bald schimmerten sie mit weißlichem Glanz. Aber eine so unaussprechliche Verzweiflung, wie sie aus ihnen sprach, hatte noch kein Mensch je gesehen. Ohne eine Wort des Abschieds wendete sich der Bursche um, stieß einen tiefen Seufzer aus und ging auf und davon.

»Gibt es denn für mich keine Erlösung?« stöhnte er. »O, ich Verlorener, ich ewig Unglückseliger!«

Allen in der Stube wurde es unheimlich zu mut, und der Bauer sagte: »Das war ein Nöck vom Bach drunten im Anger. Ach, jetzt geht mir ein Licht auf! Ich weiß, das Eisen hilft gegen Zauberspuk, und deshalb hat er mir ein ganzes Jahr lang um eine verrostete alte Sense dienen wollen. Er hat sie sich wahrscheinlich auf die Brust legen wollen, damit sie ihm seine Qual lindere. Heilige Jungfrau, beschütze meinen Hof, der einen solchen Gast beherbergt hat!«

Die gute Weihnachtsgrütze wollte an diesem Abend niemand recht munden, und alle gingen zeitig schlafen.

Toa hatte den Fremdling gut leiden können, denn er war immer still daheimgeblieben und nicht zu den Gelagen auf die andern Höfe gegangen. Die Fiedel war sein einziges Besitztum, und er war sehr besorgt um sie gewesen. Deshalb hatte er sie ihr zur Verwahrung gegeben. Als sie jetzt in die Kammer trat, sich schlafen zu legen, öffnete sie ihre Kleidertruhe und nahm die Fiedel heraus.

Sie war aus einer sonderbar glänzenden Holzart, und Toa ließ die drei Seiten ein paar mal klingen. Plötzlich begann es um sie her gar seltsam zu rauschen; da hüllte Toa rasch die Fiedel wieder in ein Lammfell, das sonst über die Kleider gebreitet war, und legte sie wieder in die Truhe. Zwischen den zusammengerollten Rindenschindeln des Daches konnte sie in die weihnachtliche Stille hinausschauen. Da draußen herrschte bleigraue Nacht, obgleich die Bäume mit dichtem Schnee bedeckt waren, und plötzlich drang aus den Büschen eine Stimme flüsternd zu ihr herauf:

»Ach, ahntest du, wie ich mich gesehnt hatte, mit Menschen zusammen zu sein, um zu erfahren, was ihr tut, um selig zu werden! Toa, gib mir die Fiedel, meinen einzigen Tröster, wieder!«

Aber Toa verhärtete ihr Herz und erwiderte: »Was du mir zurückgelassen hast, du verdammter, boshafter Geist, das behalte ich auch. Geh deines Weges, Nöck!«

Sie hörte ihn seufzen und hörte auch noch, wie seine knirschenden Schritte auf dem Anger dem Bache zu verklangen.

Am nächsten Morgen gingen alle Leute des Hofes an den Strand und warfen Steine in hohem Bogen, daß sie klatschend ins Wasser fielen. Das nannte man »den Nöck bannen«. Aber Toa verschloß ihre Kleidertruhe und trug den Schlüssel in ihrer Tasche bei sich.

Als es wieder Sommer wurde und der erste Erntewagen hereingefahren war, gab der Bauer allen denen, die dabei geholfen hatten, ein Festmahl. Toa stand in ihrem blauen Kleide draußen auf dem Anger. »Bei allen Heiligen, welch ein herrliches Wetter!« rief sie. »Jetzt fehlt uns nur noch ein Spielmann.«

Ringsum glänzte das Laub im flimmernden Sonnenschein. Birken und Haselsträucher, Erlen und Ebereschen, Wacholderbüsche und Fichten, Heidekraut und Farrenkräuter und das saftigste Gras und das duftigste Moos – alles flimmerte im Licht unter einem Netz von kleinen leichten ineinandergewobenen Schatten.

Plötzlich lief Toa fort und auf den Bodenraum. Sie nahm die Fiedel aus der Truhe und eilte damit in die Scheune. Dort angekommen stieg sie auf eine Tonne. Und siehe da, als sie den Bogen an die Saiten legte, glitt er von selbst darüber hin und spielte!

»Was fällt dir ein?« schalt die Mutter. »Du spielst ja den Elfentanz. Wenn die Strophe zum elftenmal wiederkehrt, kann niemand mehr widerstehen.«

Mehr konnte die Alte nicht sagen, denn schon hatte sie die runzligen Hände in die Seiten gestemmt und schwang sich im Kreise, daß der Staub wirbelte.

Die Saiten pfiffen und ächzten, sie röchelten und jammerten, sie summten und sangen, und die Holzschuhe klapperten. Die ganze Erntegesellschaft tanzte, der Bauer mit seinem Kornsack im Arm, die Knechte mit ihren Zipfelmützen. Toas Hand hielt den Fiedelbogen, als sei sie daran festgewachsen, und als die Strophe zum zehntenmal wiederkehrte konnte sich nichts Lebendiges mehr ruhig halten. Die Katze tanzte mit ihrer Milchschale, der Hofhund mit seinem Freßnapf, die Kuh mit ihrer Schelle, der Ochse mit seinem Joch. Und draußen auf dem Wege hielt das Pferd an und tanzte mit seinem Ritter auf dem Rücken. Toa aber mußte immer weiterspielen, und als die Strophe zum elftenmale wiederkehrte, begannen sich auch die Wagen und Schlitten zu drehen. Und Bänke und Tische, Eimer, Schüsseln und Becher tanzten mit. Toa konnte sich nicht mehr auf der tanzenden Tonne festhalten, sondern wirbelte mit im Kreis herum, weiter und weiter, zur Scheune hinaus, über den Anger hin, bis hinunter zum Flußufer.

Auf ihren Wangen glänzten Tränen, aber ihre Augen und Lippen lachten gegen ihren Willen. Sie sah den Nöck unter dem dunkelblauen Wasser auftauchen. Er sah aus wie ein weißes Pferd. Dann hob er sich aus dem Wasser, und da war er wie vorher. Er streckte seine triefenden Arme aus und sagte: »Jetzt bist du mein, Toa.«

Das Mädchen aber konnte ihn immer nur einen Augenblick sehen, denn noch immer mußte sie sich unaufhörlich im Kreise drehen. Schon setzte sie den Fuß ins Wasser; da sah sie plötzlich eine Sekunde lang das sumpfige Loch unter dem Seegras, wo der Nöck seine Behausung hatte. Dort drunten sollte sie also bei ihm sitzen, ohne je wieder eine Weihnachtskerze anzünden oder das mächtige Geläute der Kirchenglocken hören zu dürfen! Ihre Lippen öffneten sich wiederholt, konnten aber nicht sprechen, erst zuletzt brachte sie flüsternd heraus: »Meinst du es so schlecht mit mir?«

Seine Brust atmete schwer, seine Arme sanken herab, und er sah wie suchend zur Seite. Schließlich ergriff er sie beim Kleide, daß sie stillstehen mußte, und sagte zu ihr:

»Rufe deinen Vater, er soll mir die Sense, die in der Scheunenwand steckt mit einem starken Schwung hierher werfen .... wenn er es noch kann.«

Toa tat, wie der Nöck gesagt hatte. Und als dieser die Sense hatte, schnitt er die Saiten der Fiedel durch, daß sie alle zugleich zersprangen. Das Spiel verstummte, Toa sank atemlos ins Gras und reichte dem Nöck die Fiedel. Aber er band die Saiten wieder zusammen und sagte:

»Nein, ich kann dir nichts so Böses antun, jetzt habe ich zu lange unter den Menschen gelebt. Ich habe gelernt, wie sie es machen, daß sie selig werden. Und Seligkeit will ich das auch nennen, auf Saiten spielen zu dürfen, über die ein guter Mensch geweint hat. Jetzt weiß ich, daß mein Erlöser lebt.«

Damit tauchte er mitsamt seiner Fiedel unter und verschwand.

Noch nach Jahrhunderten, wenn in hellen Nächten das Wasser im Bache wie Silber glänzte, geschah es, daß ein Hirte oder ein heimkehrender Jäger das Spiel des Nöcks vernahm, das wehmütig und leise ertönte; der Nöck selbst aber wurde nie mehr gesehen, weder bei Sonnenschein noch Mondenlicht.


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