Verner von Heidenstam
Die Schweden und ihre Häuptlinge
Verner von Heidenstam

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V. Lodbroks Söhne

(Achtes Jahrhundert n. Chr.)

Vikingerflotte

In Ostgotland lebte eine Jarlstochter, die hieß Tora Bogarhjort. Ihr Vater schenkte ihr einmal einen kleinen weißen Lindwurm, den er von den Zauberern in Bjarmaland bekommen hatte. Dieser Lindwurm lag im Anfang ganz ruhig zusammengeringelt in einer Schachtel; doch Tora legte Gold unter ihn; da wuchs er, und wahrend er immerfort wuchs, wuchs auch das Gold unter ihm, und schließlich ringelte er sich um das ganze Haus herum. Die Luft wurde im weiten Umkreis von seinem Atem verpestet, und außer den Wächtern, die den Lindwurm täglich mit einem Ochsen füttern mußten, wagte niemand mehr in seine Nähe zu kommen.

Eines Morgens wurde Tora beim ersten Morgengrauen jäh aus dem Schlaf geweckt, das ganze Haus wankte, und als sie zum Frauengang hinaussah, lag das Ungeheuer, von einem abgebrochenen Spieß durchbohrt, in Todeszuckungen am Boden. Tora wußte nicht recht, ob sie dem stattlichen Jüngling, der sich mit dem abgebrochenen Speerschaft eben vom Hofe entfernte, für einen Zauberer oder einen Menschen halten sollte. Er war ganz in Felle gehüllt, und obgleich der Geifer des Lindwurms noch an ihm heruntertropfte, schien ihm das keinen Schaden zu bringen.

Toras Vater war überaus froh über die Tat; er winkte zu Tora hinauf und teilte ihr mit, er habe sie und ihr Gold dem versprochen, der den Lindwurm zu töten vermöge.

Sobald sich das Gesinde versammelt hatte, kehrte auch der hochgewachsene Fremdling wieder von seinen Schiffen zurück und bewies, daß sein schwerer Speerschaft zu der Spitze paßte, die noch in der Wunde steckte. Er war ein fünfzehnjähriger Königssohn mit Namen Ragnar, und um sich vor dem Gift des Lindwurms zu schützen, hatte er sich Kleider aus Fellen genäht und sie in Pech gekocht, wodurch sie ganz undurchdringlich geworden waren. Deshalb hieß man ihn später Lodbrok, das heißt Fellhose.

Tora ging nun auf sein Schiff und fuhr mit ihm nach Lejre, wo er seinen Hof hatte. Sein Heldenruhm wuchs ebenso schnell wie früher Toras Lindwurm. Aber einmal, als er eben in England ans Land stieg, um Abgaben von König Ella zu fordern, wurden seine Mannen niedergeschlagen und er selbst von dem Feinde umringt. König Ella fürchtete, die Söhne dieses Mannes möchten sich bitter rächen, und hatte deshalb zum voraus befohlen, Ragnar dürfe in dem Kampfe nicht getötet werden. Obgleich er nun im Streite fest zwischen die Schilde der Angreifer geklemmt wurde, verweigerte er doch hartnäckig, seinen Namen zu nennen. Da zogen sie ihm seine Kleider aus und warfen ihn in eine Schlangengrube. Aber auch da bekannte er seinen Namen nicht, obgleich die Schlangen sich ihm um Arme und Hals ringelten und ihn bissen. Ein Heldenlied singend und seine Söhne zur Rache ermahnend, ging er lächelnd in den Tod.

Als die Söhne den Tod des Vaters erfuhren, rüsteten sie ihre Schiffe aus und fuhren nach England. Da ergriffen sie Ella, zogen ihm vom Rücken die Haut ab und banden ihm die blutigen Rippen so heraus, daß sie wie Adlerflügel vorstanden. Hierauf segelten sie wieder aufs Meer hinaus, neuen Siegen und Abenteuern entgegen.

Der tapferste von Lodbroks Söhnen war Björn Järnsida, und sein Pflegevater Hasting war der Befehlshaber einer der größten Flotten. Der größte Teil der Besatzung dieser Schiffe stammte aus Dänemark und Norwegen, aber es fehlte auch nicht an schwedischen Kämpen.

Oft wußten sie nicht, wo sie sich befanden, wenn sie eine Küste verheerten, oder bei Nacht die Lichter ferner Ortschaften glänzen sahen. Aber allmählich wurde die Luft milder, die Küsten waren mit Gärten und tempelartigen Landhäusern bedeckt. Schließlich knirschte feiner gelber Sand unter ihren Füßen, wenn sie ans Land gingen, und die Gefangenen, die sie zu Sklaven machten, waren kohlschwarz wie Gespenster.

Sie waren in Afrika.

Der Schaum, der jetzt um den Steven ihrer Schiffe wirbelte, glänzte wie lauter Edelsteine. Die Muscheln waren so groß wie Kinderköpfe, seltsame Fische mit Hörnern und Fühlern setzten sich an den Schiffshaken fest, denn jetzt waren sie im Mittelmeer.

»Nach Rom, nach Rom!« schrieen Hastings Mannen. »Das ist die reichste und größte aller Städte. Aber wo liegt Rom?«

»Ich glaube, wir sollten ungefähr heute abend dort sein,« antwortete der Stammesälteste, der hinter dem Drachenkopf im ersten Schiffe stand. Dabei deutete er auf eine Stadt, die in weiter Ferne mit ragenden Mauern und Turm an Turm aus dem Meere aufstieg.

Die Bewohner dieser Stadt waren eben zur Weihnachtsmesse versammelt, als sie das Knarren des Stadttors hörten, das eilig geschlossen wurde. Entsetzt stürzten sie aus den Kirchen heraus und sahen da, daß der Hafen voller Drachen war, die die Segel eingezogen hatten und ihre Ruder gebrauchten wie zwanzig Paar Flossen.

Im Achter seines Schiffes faß, in ein Bärenfell gehüllt, der schlaue Hasting. Auf dem Kopfe trug er einen runden Helm mit zwei goldbeschlagenen Stierhörnern, und die helle Haut seines bloßen Armes war von der Sonne ziegelrot gebrannt.

»Geht,« sagte er zu einigen seiner Mannen, »und saget ihnen, ich sei der siegreiche Hasting, der, seiner Sünden müde geworden, hierhergefahren sei, sich taufen zu lassen.«

Seinem Worte vertrauend schickten ihm die Bewohner der Stadt Lebensmittel hinaus, sowie Priester, die ihn tauften, ihn aber nicht innerhalb ihrer Mauern aufnahmen.

»Saget ihnen nun,« befahl Hasting seinen Boten, »ich, der reumütige Mann, sei von gefährlicher Krankheit befallen worden, und ich gelobte ihnen mein Schwert, meine Armringe und alle meine Schätze, wenn sie mir wenigstens ein Grab in einem Kloster gönnten.«

Da kam der Bischof selbst heraus und salbte ihn mit heiligem Öl. Als es Nacht wurde, brach die Schiffsmannschaft zum Zeichen, daß ihr Häuptling schon den Geist aufgegeben habe, in lautes Klagegeschrei aus. Sobald der Tag wieder graute, legten sie Hasting in einen Sarg, und in langem Zuge gaben seine Streiter dem toten Helden das Trauergeleite in die Stadt hinein bis zu der vornehmsten Kirche, und zwischen sich trugen sie die versprochenen Geschenke.

Zwischen den Wachslichtern im Chor wurde der Sarg auf eine schwarze Bahre gestellt. Aber als der Bischof mitten in der Litanei war, stieß Hasting angesichts aller Umstehenden plötzlich den Sargdeckel auf und sprang mit hocherhobenem Schwert von seinem Lager auf. Ebenso schnell flogen auch die von den Normannen unter den Kleidern versteckten Waffen empor, und im nächsten Augenblicke schon war der erbittertste Kampf in vollem Gange.

Nach einiger Zeit wurden Kleinodien und Geld aus den Häusern in die Schiffe hinuntergetragen. Alle Frauen, die als Sklaven verkauft werden konnten, und alle Männer, die die Ruder führen konnten, wurden mit an Bord geschleppt, ehe die Vikingerflotte endgültig vom Lande stieß. Aber dann erfuhren die Normannen zu ihrer Bestürzung, daß die Stadt, die sie geplündert hatten, gar nicht Rom, sondern nur eine kleine italienische Ortschaft, namens Luna war.

»Lodbroks Söhne« wurde schließlich ein Ehrenname, um den sich lange Zeiten hindurch viele der Tapfersten stritten. Die Normannen waren jetzt die Stärksten auf dem Meere; mit mehreren hundert Schiffen ruderten sie die Seine hinauf und legten ihre Sturmleitern an die Mauern von Paris. Sie waren unüberwindlich, niemand konnte ihnen widerstehen; wo immer sie sich zeigten, eroberten sie Städte, Burgen und Klöster, und Frankreichs König wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er ihnen ein Stück seines eigenen Landes als Herzogtum schenkte.

Der vornehmste Häuptling hieß damals Gånge-Rolf, weil er so groß und schwer war, daß kein Pferd ihn zu tragen vermochte. Der wurde der erste Herzog von der Normandie. Aber der Sitte zu gehorchen und dem Könige den Fuß zu küssen, dazu konnte sich Rolf doch nicht entschließen. Flüsternd gebot er dem nächststehenden seines Gefolges, es an seiner Statt zu tun; aber der Viking bückte sich nur halb und hob dann des Königs Fuß an seinen Mund.

Erst in seinem Alter ging Rolf fleißig zur Kirche, und in Rouen wird heute noch unter einem ehrwürdigen Spitzbogengewölbe sein Grab gezeigt. Seine Nachkommen in der Normandie gründeten später mit glänzender Tapferkeit ihre eigenen Reiche, sowohl in England als drunten in Sizilien, ja in einigen Orten hoch droben in den schweizerischen Alpen spricht die dortige freiheitsliebende Bevölkerung noch heute von ihrer nordischen Abstammung; in vielen Gegenden gilt es unentwegt für ein Adelszeichen, normannisches Blut in den Adern zu haben.


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