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»Wann kann ich die Ehre haben, Sie zu sprechen?
von Clairefort.«

»Bitte, kommen Sie rasch!
Ange.«

Teut blickte gedankenvoll auf zwei Blättchen, die er empfangen hatte und die diese Worte enthielten. Seit einigen Tagen war er nicht zu Claireforts zurückgekehrt; nun war geschehen, was er hatte kommen sehen.

Er übersetzte sich die Worte seiner Freunde in seine Sprache. »Rechtfertigen Sie sich!« lauteten diese. – »Eilen Sie, ich bin sehr unglücklich und bedarf Ihres Trostes!« deutete er sich jene.

Lange Zeit saß Teut grübelnd da und ließ alles, was geschehen war, noch einmal an seinem Geist vorübergehen. Hin und wieder erhob er den Blick, und dieser haftete mechanisch an den vielen Gegenständen, die seine Gemächer ausfüllten. In einem genialen Durcheinander sah man die widersprechendsten Dinge. Auf einem seidenbezogenen Sessel lag ein neuer, ungebrauchter Sattel, an den Wänden zur Linken hingen, flankiert von ausgestopften Vogel- und anderen Tierköpfen, Pistolen, Säbel und sonstige alte und neue Waffen. Die rechte Wandseite nahm ein übergroßes, wundervoll ausgeführtes Frauenbrustbild in der zarten Manier Angelika Kaufmanns ein; daneben waren in unregelmäßigen Abständen Photographieen, zahlreiche Kupferstiche und Lithographieen aufgehängt, teils Porträts, teils Jagd- und Reiterbilder: hier ein Sturz vom Pferde beim Rennen, dort rote Röcke mit Trara hinter dem fliehenden Wild im Walde.

Auf den Tischen lagen Berge von Handschuhen, vertrocknete Blumen, aufgerufene Kartons und Jagdutensilien. Auf einem chinesischen Kästchen erhob sich eine Bronzefigur Napoleons I. mit verschränkten Armen. Ihm zur Seite stand eine halbnackte, zum Sprung ins Bad bereite Frauengestalt aus weißem Marmor. Auf einer an den Tisch gerückten Etagère lagen in merkwürdiger Ordnung zahlreiche Cigarrenetuis: viele mit Wappen in Silber oder Elfenbein; auch kostbar gebundene Bücher; daneben erhoben sich einige Medaillonbilder auf zierlichen Gestellen – und all diese Gegenstände beherrschte eine weißschimmernde marmorne Klytia mit dem schwermütig sanften Blick. Auf dem grünen Teppich, der das ganze Zimmer bedeckte, war vor einem Schreibtisch das riesige Fell eines Eisbären ausgebreitet, und den ersteren bedeckten zahlreiche Schriften, Papier, aufgeschnittene Bücher und Schreibmaterialien, die sich um eine alte französische Uhr gruppierten, welche hier Platz gefunden hatte. Und ringsum saubere hellpolierte oder tiefschwarze Möbel; auch einige primitiv gearbeitete, aber praktisch eingerichtete Schränke, aus deren geöffneten Schubladen Rehposten, Patronen und Pulversäcke hervorschauten. Endlich stand in der Mitte des Zimmers ein mit einem Tigerfell behangener Chaiselongue, der aber selten benutzt zu werden schien, denn eine ganze kleine Bibliothek war hier aufgeschichtet.

Früher hatte Teut täglich viele Stunden in seiner Wohnung zugebracht. Er blätterte in den Journalen, las die neuesten deutschen und französischen Romane, empfing Billetdoux und beantwortete sie, schraubte wohl mit zufriedenem Lächeln einen Flintenlauf vom Kolben oder drückte an dem Schloß und freute sich der schönen Ciselierungen am Rohr. Oder er richtete im Nebengemach, im Eßzimmer, ein Abendessen, bereitete selbst die Bowle und stand in lederner Hausjoppe neben Flaschen und Gläsern. Aber alles hatte seinen Reiz verloren. Jede Stunde, die er nicht im Dienst war, floh er die Räume und eilte zu Ange.

Aber noch mehr. Die rechte Freude am Dasein war dahin; es gab nur noch Kämpfe, Sorgen, Selbstüberwindungen, um ein gegebenes Wort zu erfüllen. Ihr guter Geist wollte er ja fortan auf Erden sein, das hatte er geschworen – ihr Freund – ihr stumm verzichtender Verehrer. –

»Kleine Ange, kleine liebe Ange,« flüsterte der Mann und grub die Zähne in die Lippen, um seiner innerlichen Erregung Herr zu werden. »Nun beginnt der große Roman – der Roman unseres Lebens!«



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