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69. Die Transsibirische Eisenbahn.

Am 28. Dezember 1908 bestieg ich in Dalnij den Zug und trat damit eine Eisenbahnreise an, die ohne Unterbrechung elf Tage und elf Nächte dauerte. Zwölf Stunden sind es bis Mukden, dann etwas weniger bis zur letzten japanischen Station. Auf dem nächsten Bahnhof ist dann der Inspektor ein Russe, und an Stelle der japanischen Schaffner treten russische. Am Nachmittag hält man in dem so traurigberühmten Charbin am Sungari, einem Nebenfluß des gewaltigen Amur. Hierhin zogen sich die Russen nach ihren Niederlagen zurück, und auf dem Bahnsteig von Charbin wurde Fürst Ito ermordet. In Charbin steigt man um und wartet auf den internationalen Expreßzug, der wöchentlich zweimal von Wladiwostok nach Moskau geht.

Die Transsibirische Eisenbahn ist die längste der Erde; sie mißt von Dalnij bis Moskau 8700 Kilometer. Sie war gerade zum Russisch-Japanischen Krieg fertig geworden, aber da sie nur ein Gleis hatte, konnten die Russen nur mit außergewöhnlichen Anstrengungen Truppen und Kriegsmaterial auf die Schlachtfelder der Mandschurei schicken. Jetzt baut man ein zweites Gleis, um im Kriegsfall leichter operieren zu können und auch dem zunehmenden Handelsverkehr zu genügen. Dank dieser Eisenbahn fährt man jetzt in fünfzehn Tagen von Berlin nach Schanghai; der Seeweg um Südasien herum dauert zweieinhalbmal so lang; fährt man aber über das Atlantische Meer, dann mit der Bahn durch Kanada und nun wieder zu Schiff über den Stillen Ozean, so kann man in siebenundzwanzig Tagen von Berlin aus in Schanghai sein.

Am Morgen des Neujahrstags fuhr der Zug am Südufer des Baikalsees entlang, und eine der entzückendsten Landschaften entrollte sich nun vor meinen Blicken. Die schneebedeckten Berge des Ostufers standen in der reinen Morgenluft scharf und klar abgezeichnet, und nach Westen hin lag das Gebirge im hellsten Sonnenschein. Hier und dort sind die Hänge mit nordischen Kiefernwäldern bewachsen. Die Bahn geht unmittelbar am Seeufer entlang, manchmal nur zwei Meter vom Wasser entfernt. Dieser Teil der Transsibirischen Eisenbahn war der schwierigste und kostspieligste und wurde auch erst zuletzt fertig. Während seines Baues wurde der Verkehr zwischen den beiden Endpunkten der Bahn am See durch Fähren vermittelt. Die Bahn schlängelt sich um die Vorsprünge und Buchten herum und durch enge Galerien, wo die stehengebliebenen Felssäulen ganze Berggewölbe tragen. Manchmal geht es wie auf einer in die Felsen eingesprengten Bank weiter über jähe Abgründe, die fast senkrecht zum See abfallen. Zahllos ist die Reihe der Tunnel, an deren Ende immer wieder der Blick über das gebirgige Seeufer frei wird.

Der Baikalsee oder der »Reiche See« ist nach dem Kaspischen Meer und dem Aralsee Asiens drittgrößter Binnensee. Unter den Süßwasserseen der Erde übertreffen ihn nur die kanadischen Seen, und seine Höhe über dem Meeresspiegel beträgt 470 Meter. Sein Wasser ist hellgrün, süß und kristallklar und sehr reich an Fischen, darunter fünf verschiedenen Lachsarten. Hier lebt sogar eine Robbenart, wie überhaupt viele der Tierformen des Baikalsees mit denen des Meeres verwandt sind. Der Baikalsee ist der tiefste See der Erde; man hat in ihm bis 1521 Meter Tiefe gelotet. Verschiedene Dampferlinien durchqueren ihn, und im Winter halten Schlitten die Verbindung zwischen den Usern aufrecht. Aber erst Anfang Januar beginnt er zuzufrieren, und die Eisdecke bleibt gewöhnlich bis Mitte April liegen. Jetzt am Neujahrstag war der ganze südliche Teil des Sees noch offen, obgleich wir nachts 30-35 Grad Kälte hatten!


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