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Im sechsten Jahrhundert vor Christi Geburt lebte in Kapilavastu, 200 Kilometer nördlich von Benares, der arische Stamm der Sakya. Der König dieses Landes hatte einen Sohn namens Siddharta, der an Leib und Seele mit übermenschlichen Gaben ausgestattet war. Als der Prinz sein achtzehntes Jahr erreicht hatte, sollte er sich eine Gattin wählen, und seine Wahl fiel auf die schöne Jarodara. Aber um ihre Hand zu gewinnen, mußte er im Wettkampf mit den Tapfersten und Kräftigsten seines Volkes den Preis erringen.
Zuerst traten die Meister des Bogens auf und trafen mit ihrem Pfeil das Ziel, eine kupferne Trommel. Siddharta befahl, das Ziel doppelt so weit zu stellen; dann ergriff er einen Bogen, aber der zerbrach. Da holte man aus einem Tempel einen zweiten, der so hart war, daß niemand ihn spannen konnte. Siddharta aber bewältigte ihn mit Leichtigkeit; der Pfeil durchbohrte nicht nur die Trommel, sondern setzte seinen Flug noch eine Strecke über die Ebene hin fort.
Dann schritt man zur Schwertprobe. Die übrigen Mitbewerber schlugen mit einem Hieb den Stamm eines kräftigen Baumes durch. Siddhartas Klinge aber schnitt zwei nebeneinanderstehende Stämme mit einem Male durch, so scharf und blitzschnell, daß die Bäume ruhig stehen blieben. Da jubelten schon die andern Bewerber und spotteten über das stumpfe Schwert des Prinzen. Nun aber fuhr ein schwacher Windhauch durch die Kronen der Bäume, und beide stürzten zu Boden.
Als dritte Probe galt es, ein wildes Roß zu zwingen, das niemand reiten konnte. Unter Siddhartas starker Hand aber wurde es gefügig und fromm wie ein Lamm.
Darauf führte der Prinz seine Gattin in den prachtvollen Palast in Kapilavastu. Der König aber fürchtete, daß Bosheit, Armut und Unglück, die draußen in der Welt herrschten, die Seele des Prinzen trüben könnten, und er ließ daher um den Palast herum eine hohe Mauer bauen, an deren Toren Wachen aufgestellt wurden.
Nun lebte der Prinz glücklich in seinem Schloß. Aber eines Tages überfiel ihn die Sehnsucht, zu erfahren, wie die Menschen draußen in der Welt lebten. Der König gewährte ihm auch die Bitte, den Palast verlassen zu dürfen, befahl aber, daß die Stadt sich wie zu einem Feste schmücken und daß man alle Armen, Kranken und Krüppel fortführen sollte. In seinem von Stieren gezogenen Wagen fuhr der Prinz durch die Straßen.
Da erblickte er einen gebeugten, abgezehrten Greis, der ihm mit dem Rufe: »Gib mir ein Almosen, morgen oder übermorgen sterbe ich!« die Hand entgegenstreckte.
Der Prinz fragte, ob dieses scheußliche, allen anderen so unähnliche Geschöpf wirklich ein Mensch sei.
»Ja,« antwortete ihm sein Wagenlenker, »alle Menschen werden alt, schwach und elend wie dieser hier.« Da kehrte Siddharta traurig und grübelnd nach Hause zurück.
Nach einiger Zeit bat er seinen Vater, die Stadt nun auch in ihrem Alltagskleide sehen zu dürfen. Als Kaufmann verkleidet und in Begleitung desselben Wagenlenkers ging er zu Fuß durch die Straßen. Überall sah er Wohlsein und Fleiß, aber plötzlich ertönte an seinem Wege der Klageruf: »Ich leide, helft mir nach Hause, ehe ich sterbe!« Siddharta blieb stehen und sah einen Pestkranken, dessen Körper voller Aussatz war und der sich nicht bewegen konnte. Der Prinz fragte seinen Begleiter, was dies sei, und hörte, daß ein Kranker vor ihm liege.
»Kann die Krankheit alle Menschen befallen?«
»Ja Herr, sie schleicht umher wie der Tiger durchs Dickicht, man weiß nicht wann und warum, aber überfallen kann sie uns alle.«
»Kann der Unglückliche lange in solchem Elend leben, und was ist das Ende?«
»Der Tod!«
»Was ist der Tod?«
»Seht dorthin, da kommt ein Leichenzug. Der Mann auf der Bambusbahre dort hat aufgehört zu leben. Die hinter ihm sind seine trauernden Angehörigen. Seht, wie sie ihn drunten am Ufer auf den Holzstoß legen und wie er brennt; bald wird von ihm nur noch ein Häufchen Asche übrig sein.«
»Müssen alle Menschen sterben?«
»Ja, Herr.«
»Ich auch?«
»Ja.«
Betrübter als je zuvor kehrte Prinz Siddharta nach Hause zurück, und in seiner Seele reifte die Sehnsucht, die Menschen von Leid, Tod und Gram zu erlösen. Er hörte eine Stimme in sich: »Wähle zwischen Königskrone und Bettelstab, zwischen Weltmacht und einsamen, heimatlosen Pfaden, die zur Rettung des Menschen führen!«
Sein Entschluß war gefaßt. Leise schlich er an Jarodaras Lager und sah seine junge Gattin mit ihrem neugeborenen Sohn im Arm auf einem Rosenbett ruhen. Dann verließ er alles, was er geliebt hatte, befahl seinem Begleiter, sein Pferd zu satteln und ritt nach den kupfernen Toren, die von drei Wachen besetzt waren. Ein Mohnwind wehte über die Wächter hin, tiefer Schlaf befiel sie, und die schweren Tore sprangen lautlos von selber auf.
Als er weit von Hause entfernt war, sandte er seinen Begleiter mit den königlich geschmückten Pferden zurück, tauschte mit einem zerlumpten Bettler die Kleider und ging allein weiter. Da trat ihm der Geist des Bösen entgegen und bot ihm die Herrschaft über die vier großen Weltteile an, wenn er aus sein Vorhaben verzichten wolle. Aber er trotzte der Versuchung und wanderte in ein anderes Reich. Hier siedelte er sich in einer Höhle an und versuchte, die Brahminen zu belehren, daß Brahma kein Gott sein könne, da er eine so schlechte Welt erschaffen. Die Brahminen aber begegneten ihm mit Mißtrauen, und nun zog er sich mit fünf Jüngern in die Einsamkeit zurück, um sich tiefer Betrachtung und Selbstkasteiung hinzugeben.
Aber bald erkannte er, daß Mißachtung und Abtötung des Körpers, der doch die Wohnung der Seele ist, nichts helfe, und begann wieder Nahrung zu sich zu nehmen. Da verließen ihn seine Jünger, denn Kasteiung des Leibes galt damals als der einzige Weg zur Seligkeit. Nun war Siddharta allein, und unter dem heiligen Feigenbaum, der noch jetzt in Indien gezeigt wird, erlangte er Weisheit, fand die Erklärung aller Rätsel und wurde ein »Erleuchteter«, Buddha.
Schließlich kam er nach Benares, gewann hier seine ersten Jünger wieder, und nun verbreitete sich seine Gemeinde, die Ordensbrüderschaft der gelben Bettelmönche, weiter und weiter. Während der Regenzeit, vom Juni bis Oktober, lehrte er in Benares; während der schönen Jahreszeit wanderte er von Dorf zu Dorf. »Abscheu vor dem Bösen, Übung des Guten, Reinigung des Herzens, das ist die Religion Buddhas«, so predigte er. Er starb im Alter von achtzig Jahren, 480 Jahre vor Christi Geburt. –
Buddha war ein Reformator, der dem religiösen Glauben der Inder neues Leben einflößen wollte. Viele seiner Ordensbrüder waren Brahminen. Er verwarf die Vedabücher, die Abtötung des Leibes und das Kastenwesen, predigte Menschenliebe und lehrte, daß der Weg ins Nirwana, das Paradies der Stille und der Vollkommenheit, jedem offen stehe. Schriften hinterließ er nicht. Aber seine Lehre erhielt sich im Gedächtnis der Schüler, die sie später niederschrieben. Ihre fünf Hauptgebote waren:
Du sollst nicht töten;
Du sollst nicht stehlen;
Du sollst nicht unkeusch leben;
Du sollst nicht lügen;
Du sollst nicht berauschende Getränke trinken.
Heute, 2500 Jahre nach Buddhas Zeit, ist seine Lehre über ungeheure Gebiete Ostasiens verbreitet, über ganz Japan, China, die Mongolei, Tibet, Hinterindien, Ceylon und das Land nördlich vom Kaspischen Meer. Die ursprünglich schöne und tiefsinnige Lehre Buddhas wurde jedoch in den meisten Ländern mit vielen Sonderbarkeiten vermischt und ist dadurch entartet. Aber zahllos sind die Buddhastatuen in den Tempeln Ostasiens, und ihr Urbild erhielt den Namen: Asiens Licht.