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Feine Leute haben »in denselben Kreisen verkehrt« oder eine Saison in Lysekil mit einander verlebt, sich auf dem Balle bei Geheimrats getroffen oder sind »auf Vetter Otto's Hochzeit Trauführer und Brautjungfer« gewesen.
Einfache Leute haben »zusammen beim Gerichtsbauer gedient« oder »sind gleichzeitig konfirmirt worden«.
Feine Leute haben » flirtations«, einfache Leute »mögen sich leiden«. Aber eigentlich ist es doch dieselbe Geschichte: Herzen, die ersehnen, hoffen, sich freuen, genießen, leiden und – entsagen.
Johannes und Stafva waren zusammen »zum Prediger gegangen«, hatten einander beim alten Präpositus gegenüber gesessen, sich gegenseitig mit Kringeln und Zuckerstengeln traktiert und waren auch zusammen vor den Altar getreten.
Warmblütig und rotwangig, gut im Katechismus und der biblischen Geschichte waren sie beide; aber Stafva »war die Dirn' des Kirchenvorstehers« und Johannes nur ein »Häuslersohn«. Es hatte nie etwas zwischen ihnen gegeben, sie waren ja noch Kinder; aber Stafva wünschte im Herzen, daß die jungen Bauernsöhne, die ihres Gleichen waren, wie Johannes aus Fällen ausgesehen hätten, und Johannes, ja ... Johannes plagte sich Tags über tüchtig als Knecht ab und ließ sich die nötige Nachtruhe durch kein hoffnungsloses Sehnen stören.
Als Stafva neunzehn Jahre alt war, hielt der Sohn des Freibauern aus Grönakra um sie an. Er war schmächtiger als Johannes, hatte etwas schiefe Beine und seine Haare waren aus Versehen ein Bischen rot geraten, aber er war doch ein guter Junge, und da auf dem großen Gute nur zwei Geschwister waren, so war es eine gute Partie, und Stafva heiratete ihn am zweiten Weihnachtstage.
Im Herbst zuvor hatte er zufällig Johannes als Knecht gemietet; aber Stafva fürchtete Gott, webte Drell, hielt ihren Sven in Ehren und stellte keine Vergleiche an. Doch ist es wohl möglich, daß die Käsescheiben auf dem Vesperbrode des Konfirmationskameraden dicker wurden, als es nötig gewesen wäre.
Einmal im Spätherbst, als das Korn und die Kartoffeln schon eingeerntet waren, erkältete sich Sven und starb. Die Trauer und die Zwölflöcherkringel waren groß, und Stafva ließ ein prächtiges, schwarz und weißes Holzkreuz malen mit seinem Namen und dem des Hofes und vielen schönen Sprüchen und brennenden Herzen, denn Sven war immer gut zu ihr gewesen. Ein einzig Mal nur hatte er gemeint, ein Rahmkäse, ein Pfannkuchen und drei Brode von Roggensichtmehl wären genug zum Vorsetzen beim Begräbniß der Tante, während Stafva doch noch einen frischen, gerösteten Käse hinzuzufügen für nötig hielt, sonst hatte es in ihrer Ehe niemals Zank oder Meinungsverschiedenheiten gegeben. – Johannes blieb auf dem Hofe, hieß Oberknecht und besorgte Alles auf's Beste.
Als der Sommer in's Land gekommen war, meldeten sich Freier bei der Witwe, denn sie war erst vierundzwanzig; Sven's Schwester war aus dem Hofe »herausgezahlt« worden, und da auch keine Kinder da waren, so war sie, wie man sich denken kann, die beste Partie in sieben Kirchspielen.
Zuerst war es Ephraim, der Sohn des alten Präpositus, der die landwirtschaftliche Schule besucht hatte, eine Weste aus sämischem Leder, Stulpstiefeln und Alles, was zu einem guten Landwirte gehört, besaß. Außer dem Acker natürlich.
Herr Ephraim jagte jeden zweiten Tag und stets wurde er müde und mußte sich ein Bißchen ausruhen, wenn er auf den Hof der Witwe kam. Und dann saß er auf dem Schlafsopha und streckte die Beine mit den Stulpstiefeln lang aus, zupfte an der Lederweste und seufzte: »Ach, Mutter Stafva, wenn sie wüßten, was ich hier empfinde ...«
Und Stafva hielt den Spinnrocken an, sah Herrn Ephraim sehr freundlich an und sagte zur Magd:
»Stina, hole die Flasche und rühre Herrn Ephraim einen Bittern an! Der arme Kerl hat sich den Magen erkältet. Der Pfeffer steht vor'm Fenster, Du Blindschleiche!«
Da wurde Herr Ephraim traurig und ging nach Hause, wo er zum alten Präpositus sagte: »Papa, ich kann nicht! Sie ist viel zu roh, sie versteht mich nicht!«
Herr Ephraim hatte sich kaum der Stulpstiefeln entledigt und sich zu Mama in den Saal des Pfarrhauses gesetzt, so kam der Adjunkt in Gemeindeangelegenheiten bei Grönakra vorbei und mußte sich notwendiger Weise einmal nach Mutter Stafva umsehen. Da wurden denn Pfannkuchen mit Gelée, Rippenbraten und Himbeersaft aufgetischt. Und der Adjunkt schnitt sich ab, legte den Kopf schief auf die Seite, pfefferte und salzte das Gelée, und sprach von der Notwendigkeit, »das Herz mit Fleiß zu bewahren, denn daraus entsprießt das Leben«, aß ein paar Löffel Pfannkuchen und meinte dann, daß es doch gar schwer sei, das Herz zu bewahren, wenn man jung und hübsch und mit irdischen Gütern gesegnet sei. Wenn er Mutter Stafva beim Kampfe gegen die Versuchungen dieser Welt als Stütze dienen könnte, so würde er es so herzlich gern ...«
Wenn er mit seinen »Betrachtungen« so weit gekommen war, schlug Mutter Stafva gewöhnlich die Hände zusammen und rief:
»Herr Gott! Entschuldigen Sie, Herr Pastor! Das Mutterschwein ist ausgerissen!«
Und damit lief sie fort und ließ ihren Seelsorger allein, und ich will Euch sagen, daß, wenn sie bald darauf wieder kam, weder vom Rippenbraten, noch von der liebevollen Stimmung viel mehr übrig geblieben war.
Und Johannes arbeitete, ordnete und besorgte Alles auf dem Hofe, der mit jedem Sommer eine reichere Ernte gab. Und jeden Herbst kam eine neue Kuh in den Stall, und Sonntags saß er in feinem schwarzen Tuchanzuge und braunem Filzhut auf dem Bock und fuhr die Bäuerin zur Kirche. Und ein flinker Oberknecht war er, gut und freundlich gegen seine Leute, nur manchmal nicht; da fuhr er sie an und schalt ganz ohne Grund, und wären die Knechte und die Mägde ein Bißchen bessere Psychologen gewesen, als sie es waren, so hätten sie es bald herausgehabt, daß die schlechte Laune des Oberknechtes sich stets gleichzeitig mit einem neuen Freier der Bäuerin einfand.
Dann pflegte der neue Freier stets die Ställe, die Koppel, die Aecker und den Wald zu besehen und Johannes mußte ihm Alles zeigen. Wenn der zukünftige Bräutigam dann manchmal redete, als wäre schon Alles sein und meinte, daß der Eichenhagen zur Weide ausgerodet werden müsse, daß die Abflußgräben zu breit und die Erdfüllung des Moores zu seicht sei, dann fühlte Johannes, wie sich ihm das Herz umdrehte, und er nahm sich bestimmt vor, zum Herbst abzugehen.
Doch wenn die Bäuerin im Sommer auf das Flachsfeld kam, wo sie beim Jäten waren, und Speck und Rührei zum Vesperbrod mitbrachte, wenn sie dann vor ihm stand mit den leinenen Hemdärmeln, von den runden, sonnenverbrannten, schwellenden Armen zurückgeschlagen, ihn mit ihren großen, braunen Augen so freundlich und herzlich anblickte und fragte:
»Johannes, Du bleibst doch nächstes Jahr bei mir? Ueber den Lohn werden wir uns schon einigen« – Ja, hätte es da sein Leben gegolten, er hätte nichts anderes antworten können als:
»Ja, wenn die Bäuerin mit mir zufrieden ist, so denke ich nicht an's Abgehen.«
Dem guten Johannes kam nie der Gedanke, Stafva für sich zu gewinnen. Er dachte eigentlich gar nicht über seine Stellung zu ihr nach, aber wenn er es gethan hätte, so hätten sich seine Wünsche nicht weiter erstreckt, als in Ruhe und Frieden vor den Freiern der Konfirmationskameradin sein ganzes Leben lang treu und fleißig dienen, für sie sorgen und arbeiten und sie sich bei Tisch täglich drei Mal gegenüber sitzen sehen zu dürfen, wo sie ihn freundlich und mild anlächelte, so daß die weißen, breiten, hübsch geformten Zähne durch die dunkelroten, schwellenden Lippen glänzten.
Schließlich wurde Ernst aus der Heirat der Bäuerin. Der Skepplinger Bauer war in blaugemaltem Wagen, mit jungen, braunen Pferden davor, auf den Hof gekommen und hatte in sausender Fahrt die Allee hinauf kutschirt. Er war ein schmucker Bursche, und als er eine Wendung um den Süßapfelbaum an der Holzstallecke machte und dabei mit der Peitsche klatschte, dachte Mutter Stafva bei sich selbst: »Jetzt oder nie!«
Und es sah aus, als sollte es »jetzt« werden. Der Bauer und Stafva kamen gut übereins, und dem Freier gefiel Alles, was er auf Grönakra sah. Die Bäuerin war gerade nicht so »arg verliebt«, denn das konnte sie wohl nicht werden, sie war innerlich ja so eigentümlich ruhig. Aber einmal mußte es doch sein, und sie wußte, daß sich ihr kein passenderer Freier bieten würde. Nach gewöhnlicher Bauernweise wurde beim ersten Besuche weder Ja, noch Nein gesagt. Jetzt war Pfingsten, und Johannis sollte Stafva hinfahren, sich Skepplinge zu »besehen«, ob es ihr dort gefiele.
Der Sommer war da und das Laub hing kräftiger als zuvor über die weißen Stämme der Birken herab, der Faulbaum blühte und in den Bienenkörben vor dem Hause summte neues Leben. Die Sonne schien so warm, südwestliche Winde spielten um Hals und Wange, das Blumenvölkchen der Wiesen erhob grüßend seine bunten Köpfe über das saftige Gras, und drunten am See konnte man die blaue, stille, glänzende Oberfläche hier und da durch einen spielenden Fisch durchteilen sehen, und hübsche kleine Kreise plauderten aus, daß auch dort unten in den kühlen Wogen Sommer, Leben und Liebe herrschten.
Da fuhr Johannes Mutter Stafva in der blankgeputzten Tyrolerkarre nach Skepplinge, und der junge Bauer stand auf der Vortreppe und nahm seinen Gast lächelnd und mit frohem Stolz in Empfang.
Alles war so prächtig, stattliche Häuser und große Leinenschränke, grünende Saaten und üppige Wiesen, viel Kupfergeschirr an der Küchenwand, viel Silberzeug in der Kommode, viel Wärme in den Blicken des jungen Besitzers.
Am nächsten Vormittag wollte Mutter Stafva wieder nach Hause fahren. Dann wollte der Freier endgültig Bescheid haben. Den sollte er auch bald erhalten, und Stafva's freundliche Worte ließen ihn das Beste hoffen, aber sie wollte sich nicht eher ganz entscheiden, als bis sie sich einige Tage zu Hause genau geprüft hatte.
Während der Bauer seine junge Schwester antrieb, ein kleines Abschiedsmal zu rüsten, ging Mutter Stafva den Hügel hinauf, um Johannes zu suchen und ihn zu bitten, das Pferd anzuspannen.
Plötzlich blieb sie stehen, trat einen Schritt zurück und blickte dann gerade aus, während sie lautlos den Kopf nach dem Haselstrauche am Fuße des Hügels vorstreckte.
Da lag Johannes, der Oberknecht, und stützte die Wange in die grobe, schwielige Hand. Aber, was in aller Welt, war das mit ihm? Die breiten Schultern zuckten konvulsivisch, der ganze Körper bebte, und schwaches, unterdrücktes Schluchzen preßte sich aus der breiten Brust.
Mutter Stafva erbleichte. Ja so, deshalb war es ihr so, deshalb war es ihr so schwer geworden, sich zum Wiederheiraten zu entschließen! Der Konfirmationskamerad liebte sie still, schüchtern und hoffnungslos; er hatte nie etwas für sich selbst begehren wollen, aber nun trauerte er, weil er sie bald einem andern angehören sehen würde.
Und diese demütige, nichts fordernde Hingebung hatte sie selbst mit starken, unsichtbaren Fäden umsponnen. Ja, nun fühlte sie, nun, da gleichsam ein Blitz ihr das eigene Innere erhellte, daß sie den Jugendfreund wiedergeliebt hatte, ohne darum zu wissen. Wie lange? Ja, das wußte Gott allein, vielleicht ... schon seit sie damals zusammen konfirmiert worden waren.
Mutter Stafva hatte achtundzwanzig Jahre auf die Liebe gewartet. Nun wurde es ihr zu eng um's Herz. Leise trat sie näher und legte die Hand auf seine Schulter:
»Johannes!«
Johannes, der Oberknecht, fuhr zusammen, wurde rot wie Blut und stotterte:
»Pfui doch, Bäuerin, wie habt Ihr mich erschreckt! Daß Ihr so herkommt und einem armen Kerl so nachspioniert ... ja ... ja ...«
Doch da setzte sie sich zu ihm in's Gras, legte den Arm um seinen braunen Nacken, zog ihn an sich und flüsterte wieder:
»Johannes!«
Und dann flüsterte sie noch mehr, viel mehr, und es war Johannes zu Mute, als wollte ihm eine wilde, übernatürliche Freude die Brust zersprengen, als ob er vor lauter Seligkeit den Abend nicht würde erleben können; und als er endlich etwas sagen konnte, wurde es nur:
»Aber liebe, gute Bäuerin, ... Sta ... Stafva wollt' ich sagen, was werden nur die Bauern und die Knechte daheim dazu sagen? Und was soll der Bauer hier denken?«
Mutter Stafva richtete sich auf, ihre volle Brust hob sich unter einem tiefen Atemzuge, die stolzen, braunen Augen blitzten auf und sie kommandierte gerade so, wie wenn sie auf der Vortreppe daheim stand:
»Spann' an, Johannes! Mutter Stafva von Grönakra ist reich genug, um sich selbst einen Freier in ihrem eigenen Wagen in's Haus zu holen!«