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Buchschmuck

Die Idee der Präexistenz

Buchschmuck Meine Brüder, wenn ein Bikku wünscht, sich seine verschiedenen zeitlichen Inkarnationen in vergangenen Tagen – wie eine Geburt, zwei Geburten, drei, vier, fünf, zehn, zwanzig, fünfzig, hundert, tausend oder hunderttausend Geburten – in all ihren Formen und all ihren Einzelheiten zu vergegenwärtigen, dann laßt ihn in Beschaulichkeit seinem Herzen lauschen, laßt ihn durch die Dinge hindurchsehen, laßt ihn viel allein.« (Akankheyya Sutta.)

Buchschmuck Wenn man einen denkenden Abendländer, der einige Jahre in der wirklich lebendigen Atmosphäre des Buddhismus gelebt hat, fragen würde, welche fundamentale Idee die orientalische Denkweise von unserer eigenen unterscheidet, seine Antwort würde zweifellos lauten: »Die Idee der Präexistenz«. Diese Idee ist es, die mehr als irgendeine andere das ganze geistige Leben des fernen Ostens durchdringt. Sie ist allgegenwärtig wie die Luft, sie färbt jede Empfindung; sie beeinflußt direkt oder indirekt fast jede Handlung. Ihre Symbole treten uns auf Schritt und Tritt entgegen, selbst in Einzelheiten künstlerischer Dekoration, und fortwährend, bei Tag und bei Nacht schlägt ein Echo ihrer Sprache unversehens an unser Ohr. Die Ausdrucksformen des Volkes, seine Haussprüche, seine Sprichwörter, seine frommen oder profanen Ausrufe, die Äußerungen seines Schmerzes, seiner Hoffnung, seiner Freude, oder Verzweiflung, sind alle davon beseelt. Sie charakterisiert gleicherweise die Sprache der Liebe und den Ausdruck des Hasses; und der Ausdruck »Ingwa« oder »Innen«, der das Karma, als unentrinnbare Vergeltung bedeutet, drängt sich ungewollt jedem auf die Lippen als Erklärung, als Trost, oder als Vorwurf. Der Bauer, der einen steilen Weg hinaufklimmt und die Last seines Handkarrens in jeder angespannten Muskel empfindet, murmelt geduldig: »Da dies ›Ingwa‹ ist, muß es ertragen werden.« Zankende Diener fragen einander: »Durch welches ›Ingwa‹ bin ich verurteilt, mit einem solchen wie du beisammen zu sein?« Dem Unfähigen oder Lasterhaften wird sein ›Ingwa‹ vorgehalten, und das Ungemach des Weisen oder des Tugendreichen wird durch dasselbe buddhistische Wort erklärt. Der Gesetzesübertreter gesteht sein Verbrechen, indem er sagt: »Als ich meine Tat beging, wußte ich, daß sie schlecht war, aber mein Ingwa war stärker als mein Herz.« Liebende, deren Verbindung sich Hindernisse entgegenstellen, suchen den Tod in dem Glauben, daß ihre Vereinigung in diesem Leben durch die Folgen ihrer Sünden in einem früheren unmöglich ist; und wer das Opfer einer Ungerechtigkeit geworden, bemüht sich, seine natürliche Entrüstung durch die Überzeugung zurückzudrängen, er büße für irgend ein vergessenes Vergehen, das nach der ewigen Ordnung der Dinge Sühne heischt.

Ebenso setzen die gewöhnlichsten Hinweise auf eine geistige Zukunft den allgemeinen Glauben an eine geistige Vergangenheit voraus. Die Mutter warnt die Kinder bei ihren Spielen vor den bösen Folgen des Übeltuns auf ihre nächsten Geburten als Kinder anderer Eltern. Der Pilger oder Straßenbettler nimmt das Almosen mit dem Wunsche entgegen: »Deine zukünftige Geburt möge glücklich sein!« Der hinfällige »Inkyo«, dessen Gehör und Gesicht zu versagen beginnt, spricht frohgemut von der bevorstehenden Veränderung, die ihn mit einem frischen, jungen Körper versehen wird. Und der Ausdruck »Yakusoku«, der die buddhistische Bezeichnung für »Notwendigkeit« ist; »mae no yo«, das letzte Leben; »akirame«, die Resignation, werden so oft im gewöhnlichen japanischen Leben angewendet, wie die Worte »Recht« und »Unrecht« im abendländischen Alltagsleben.

Nachdem man lange in diesem psychologischen Milieu verweilt hat, gewahrt man, daß es das eigene Denken durchdrungen und darin verschiedene Umwälzungen bewirkt hat. Alle Anschauungen über das Leben, die auf der Idee der Präexistenz beruhen, alle diese Begriffe, die wie sympathisch immer man ihnen auch beim theoretischen Studium gegenüber gestanden sein mag, einem im wirklichen Leben mehr als seltsam erscheinen mußten, verlieren schließlich diesen seltsamen oder fantastischen Charakter, den ihnen das Fremdartige anfänglich gab, und erscheinen nun in einem ganz natürlichen Lichte. Sie erklären viele Dinge so gut, daß sie förmlich rationell erscheinen, und wahrlich, einige derselben sind auch ganz rationell, an dem wissenschaftlichen Denken des neunzehnten Jahrhunderts gemessen. Aber um sie ganz unbefangen zu beurteilen, muß man vorerst alle abendländischen Ideen über die Metempsychose aus seinem Geist ausmerzen. Denn zwischen der alten abendländischen Vorstellung der Seele – beispielsweise der pythagoräischen oder platonischen – und der buddhistischen ist gar keine Ähnlichkeit vorhanden, und gerade wegen dieser Verschiedenheit erweisen sich die japanischen Glaubensformen als vernünftig. Die tiefe Verschiedenheit zwischen der althergebrachten abendländischen und der japanischen Auffassung in dieser Richtung besteht darin, daß für den Buddhisten der konventionelle Begriff von »Seele«, der vibrierende, durchsichtige, körperlose, innere Mensch oder Geist nicht existiert. Das orientalische Ego ist nicht individuell. Es ist nicht einmal eine ziffernmäßig auszudrückende Vielheit, wie die gnostische Seele. Es ist ein Aggregat, oder eine Zusammensetzung unfaßlicher Vielfältigkeit, die konzentrierte Summe des schöpferischen Denkens vorhergegangener, zahlloser Leben.

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Die interpretative Kraft des Buddhismus und die merkwürdige Übereinstimmung seiner Theorien mit den Ergebnissen der modernen Wissenschaft zeigt sich hauptsächlich auf jenem Gebiete der Psychologie, dessen größter Erforscher Herbert Spencer war. Ein nicht geringer Teil unseres psychologischen Lebens setzt sich aus Gefühlen zusammen, die die abendländische Theologie nicht zu erklären vermocht hat. In diese Kategorie fallen jene, die das der Sprache noch nicht mächtige Kind beim Anblick bestimmter Gesichter weinen, beim Anblick anderer lächeln machen. Dazu gehören auch die augenblickliche Sympathie oder Antipathie bei der Begegnung mit fremden Personen, jene Anziehung und Abstoßung, die man »ersten Eindruck« nennt, und der intelligente Kinder geneigt sind unverhohlen Ausdruck zu geben, ungeachtet aller erziehlichen Lehren, daß man die Leute nicht nach dem äußeren Anschein beurteilen dürfe, eine Doktrin, der kein Kind in seinem Herzen Glauben schenkt. Diese Gefühle instinktiv oder intuitiv im theologischen Sinne von Instinkt und Intuition zu nennen, heißt nichts erklären, sondern nur die Frage abschneiden und in das Bereich des Lebensmysteriums verweisen, geradeso wie die besondere Schöpfungshypothese. Die Idee, ein persönlicher Impuls oder eine solche Empfindung könne mehr sein, als individuell – es sei denn zufolge dämonischer Besessenheit – erscheint der althergebrachten Orthodoxie noch immer als eine entsetzliche Ketzerei. Und doch ist es nun festgestellt, daß unsere tieferen Gefühle superindividuell sind, sowohl die, die wir passionell, als die, die wir sublim nennen. Der individuelle Charakter der Liebesleidenschaft wird von der Wissenschaft absolut negiert; und was von der »Liebe auf den ersten Blick« gilt, gilt gleicherweise auch vom Haß. Beide sind superindividuell. Ebenso verhält es sich mit jenen vagen Impulsen des Wandertriebs, die mit dem Frühling kommen und gehen, und jenen vagen Depressionen, die einen im Herbst überkommen, vielleicht ein Überbleibsel jener Epoche, in der die menschlichen Wanderungen sich nach dem Wechsel der Jahreszeiten richteten, ja vielleicht sogar aus einer noch weiter zurückreichenden Epoche, die dem ersten Auftreten des Menschen vorangeht. Superindividuell sind auch die Gefühle desjenigen, der die größte Zeit seines Lebens in Ebenen oder Prärien zugebracht hat und sich nun plötzlich einer Reihe schneebedeckter Gipfel gegenüber sieht, oder die Gefühle eines Menschen, der lange im Innern eines Landes gewohnt hat und zum ersten Male den Ozean erblickt und dessen ewiges Donnern hört. Das stets mit leisem Grauen gemischte Entzücken, das der Anblick einer grandiosen Landschaft hervorruft, oder die sprachlose, von unsagbarer Melancholie beschattete Bewunderung, die die Herrlichkeit eines tropischen Sonnenunterganges auslöst, kann durch die individuelle Erfahrung allein nie erklärt werden. Die psychologische Analyse hat in der Tat erwiesen, daß diese Gefühle wunderbar kompliziert und mit persönlichen Erfahrungen mannigfachster Art verwoben sind, aber in keinem Falle ist die tiefste Gefühlswelle jemals individuell; sie steigt aus jenem urzeitlichen Lebensmeer empor, aus dem wir alle kommen

Zu derselben psychologischen Kategorie gehört auch möglicherweise ein rätselhaftes Gefühl, welches den Geist der Menschen lange vor der Zeit Ciceros beunruhigte, und ihm heute zeitweilig noch mehr zu denken gibt: das Gefühl, einen Ort schon gesehen zu haben, den man in Wahrheit zum erstenmal besucht. Dieser eigentümliche Schein von Vertrautheit, der die Straßen einer fremden Stadt oder die Linien einer fremden Landschaft umwebt, läßt das Herz in mystischem Schauer erzittern, und vergeblich grübelt man einer Erklärung nach. Freilich werden manchmal ähnliche Gefühle tatsächlich durch die Wiederbelebung oder Rekombination früherer Eindrücke ins Bewußtsein zurückgerufen; aber es bleibt immerhin noch eine ganze Anzahl völlig mystisch, wenn wir sie bloß an der Hand der individuellen Erfahrung erklären wollen.

Selbst unsere alltäglichsten Sensationen bergen Rätsel, die diejenigen nie lösen können, die dem absurden Dogma anhängen, daß alles Gefühl und alle Erkenntnis der individuellen Erfahrung angehören, und daß der Geist eines neugeborenen Kindes eine »tabula rasa« sei.

Das Lustgefühl, das von dem Duft der Blume hervorgerufen wird, von gewissen Farbennuancen, gewissen Tönen; der unwillkürliche Abscheu oder Schrecken beim ersten Anblick gefahrdrohender oder giftiger Lebewesen, – ja sogar das namenlose Grauen der Träume – sind durch die alte Seelenhypothese nicht zu erklären. Wie weit einige dieser Sensationen, wie die Lust an Duft und Farbe, in das Leben der Rasse zurückreichen, hat Grant Allen äußerst überzeugend in seiner »Physiologischen Ästhetik« und in seiner entzückenden Abhandlung über den Farbensinn ausgeführt. Aber lange, ehe diese geschrieben waren, hat sein Lehrer, der größte aller Psychologen, klar bewiesen, daß die Erfahrungshypothese völlig unzureichend ist, um viele Kategorien psychologischer Phänomene zu erklären. »Wenn möglich,« sagt Herbert Spencer, »ist sie sogar in bezug auf die Gefühle noch unzutreffender als in bezug auf die Erkenntnisse. Die Doktrin, daß alle Wünsche, alle Gefühle aus der individuellen Erfahrung entspringen, steht in so grellem Widerspruch mit den Tatsachen, daß ich es gar nicht fassen kann, wie irgend jemand eine solche Behauptung aufstellen konnte.« Spencer war auch derjenige, der uns zeigte, daß Worte, wie »Instinkt«, »Intuition« in der alten Bedeutung keinen richtigen Sinn haben. Sie müssen demnach künftighin in einer ganz anderen angewendet werden. Instinkt bedeutet in der Sprache der modernen Psychologie »organisch gewordenes Gedächtnis«, und das Gedächtnis selbst »beginnender Instinkt«, – die Summe der Eindrücke, die sich in der Kette des Lebens auf das nächstfolgende Individuum vererben soll. So erkennt die Wissenschaft das ererbte Gedächtnis: nicht in dem geheimnisvollen Sinne einer Erinnerung an Einzelheiten aus einem früheren Leben, sondern als einen winzigen Zuwachs zum psychologischen Leben, der von kaum wahrnehmbaren Veränderungen in der Struktur des ererbten Nervensystems begleitet ist. Das »menschliche Gehirn« ist eine systematisierte Tabelle unendlich zahlreicher, in der Evolution des Lebens empfangener Erfahrungen, oder eigentlich, während der Evolution jener Reihen von Organismen, aus dem sich der menschliche Organismus herausentwickelt hat. Die Resultate der gleichartigsten und häufigsten dieser Erfahrungen haben sich sukzessive als Kapital und Interessen vererbt, und sind allmählich zu jener hohen Intelligenz herangewachsen, die in dem Hirn des Säuglings latent liegt, – und die dieses Kind in seinem späteren Leben betätigt, und vielleicht verstärkt oder weiter kompliziert, und mit kleinen Hinzufügungen der nächsten Generation vererbt. So haben wir eine feste psychologische Grundlage für die Idee der Präexistenz und die Idee des vielfachen »Ego« gewonnen. Es ist unbestreitbar, daß in jedem individuellen Gehirn die ererbte Erinnerung an die ganz unfaßliche Menge der Erfahrungen eingeschlossen ist, die die Gehirne früherer Generationen empfangen haben. Aber diese wissenschaftliche Überzeugung von der Existenz des »Selbst« in der Vergangenheit, wird nicht im materialistischen Sinne ausgesprochen. Die Wissenschaft ist vielmehr die Zerstörerin des Materialismus: Sie hat die Materie als unerklärlich bewiesen, und sie gibt auch zu, daß das Geheimnis des Geistes unlösbar sei, wenn sie auch gleichzeitig genötigt ist, eine schließliche Einheit der Empfindung zu postulieren. Aus den Einheiten der einfachen Gefühle, die um Millionen Jahre älter sind als wir, haben sich zweifellos alle Gefühle und Fähigkeiten der Menschheit aufgebaut. Hier erkennt die Wissenschaft in Übereinstimmung mit dem Buddhismus das »Ego« als ein Kompositum, und erklärt geradeso wie der Buddhismus die psychischen Rätsel der Gegenwart aus der psychischen Erfahrung der Vergangenheit.

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Viele glauben, daß die Vorstellung der Seele als einer unendlichen Vielheit jede religiöse Idee im abendländischen Sinne unmöglich machen würde; und diejenigen, die nicht imstande sind, alte theologische Auffassungen abzustreifen, glauben zweifellos, daß selbst in buddhistischen Ländern, trotz der Zeugenschaft der buddhistischen Texte, der Glaube der breiten Volksschichten tatsächlich auf der Idee der Seele als einer Entität basiere. Aber Japan bietet bemerkenswerte Beweise des Gegenteils. Die unteren Volksschichten, die ärmste Landbevölkerung, die sich nie mit buddhistischer Metaphysik befaßt hat, glaubt an das vielfache Selbst. Aber was sogar noch schwerer ins Gewicht fällt, ist, daß in der ursprünglichen Religion, dem Shintoismus, eine verwandte Doktrin enthalten ist; und verschiedene Formen dieses Glaubens charakterisieren das Denken der Chinesen und der Koreaner. Alle diese Völker des fernen Ostens scheinen die Vielfältigkeit der Seele anzunehmen, sei's im buddhistischen Sinne oder in der primitiven, durch den Shintoismus repräsentierten Bedeutung, eine Art geisterhafter Vervielfältigung durch Teilung, oder in dem phantastischen, von der chinesischen Astrologie ausgestalteten Sinne. Ich habe mich unwiderleglich überzeugt, daß in Japan dieser Glaube allgemein verbreitet ist. Es ist nicht nötig, hier buddhistische Texte anzuführen, denn nur der gewöhnliche Volksglaube und nicht die Philosophie einer Religion kann den Beweis dafür erbringen, daß religiöse Gläubigkeit sich mit dem Begriff der zusammengesetzten Seele sehr wohl verträgt und damit vereinbar ist. Natürlich stellt sich der japanische Bauer das psychische Selbst nicht so kompliziert vor, wie die buddhistische Philosophie dasselbe denkt, oder wie die abendländische Wissenschaft es beweist. Aber er denkt von sich selbst als von einer Vielheit. Den Kampf in seinem Innern zwischen guten und bösen Impulsen erklärt er als einen Konflikt zwischen den verschiedenen geisterhaften Willen, die sein »Ego« bilden; und seine ideale Hoffnung ist, seine bessere Seele oder seine besseren Seelen von den bösen Seelen loszulösen, – da Nirwana oder die höchste Glückseligkeit nur durch das Überleben des Besten in ihm erreicht werden kann. So scheint seine Religion auf einer natürlichen Erkenntnis der psychologischen Evolution aufgebaut zu sein, die kaum so weit von dem wissenschaftlichen Denken entfernt ist, wie jene konventionellen Begriffe der »Seele« unserer ungebildeten Bevölkerung daheim. Natürlich sind seine Ideen über diese abstrakten Fragen vage und unsystematisch, aber ihr allgemeiner Charakter und ihre Tendenzen sind unverkennbar; und der Ernst seines Glaubens und der Einfluß dieses Glaubens auf sein ethisches Leben kann sicherlich nicht angezweifelt werden.

Wo sich bei der gebildeten Klasse die Gläubigkeit erhält, werden dieselben Ideen vertieft und ausgestaltet. Ich will als Beispiel nur zwei Proben aus Aufsätzen zitieren, die von Studenten im Alter zwischen dreiundzwanzig und sechsundzwanzig Jahren geschrieben wurden. Ich könnte ihrer ebensowohl zwanzig anführen; aber die folgenden werden genügen, um zu illustrieren, was ich meine:

»Nichts ist törichter als die Unsterblichkeit der Seele zu verkünden. Die Seele ist eine Zusammensetzung, und obgleich ihre Elemente ewig sind, wissen wir, daß sie sich nie in genau derselben Weise verbinden können. Alle zusammengesetzten Dinge müssen ihren Charakter und ihre Bedingungen verändern.«

»Das menschliche Leben ist zusammengesetzt. Eine Kombination von Energien bildet die Seele. Wenn ein Mensch stirbt, kann seine Seele unverändert bleiben, oder sie verändert sich je nach den Elementen, mit denen sie sich verbindet. Einige Philosophen sagen, die Seele sei unsterblich, andere wieder, sie sei sterblich; beide haben recht. Die Seele ist sterblich und unsterblich, je nach dem Wechsel der Kombinationen, aus denen sie sich zusammensetzt. Die elementaren Energien, aus denen die Seele gebildet ist, sind ewig; – aber die Natur der Seele wird von dem Charakter der Kombinationen bestimmt zu denen jene Energien sich verbinden.«

Die in diesen Aufsätzen ausgesprochenen Ideen werden dem abendländischen Leser auf den ersten Blick ausgesprochen atheistisch erscheinen, aber sie sind tatsächlich mit der tiefsten, aufrichtigsten Gläubigkeit vereinbar. Die Anwendung des Wortes Seele, ganz anders aufgefaßt, als wir es auffassen, ruft den falschen Eindruck hervor. »Seele« in dem Sinne dieser jungen Studenten angewendet, bedeutet eine fast unendliche Kombination von sowohl guten, wie bösen Trieben, ein Vielfältiges, das nicht nur in seiner Eigenschaft als Zusammensetzung, sondern auch kraft des ewigen Gesetzes des geistigen Forschrittes der Disintegration naturnotwendig anheimfällt.

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Daß die Idee, die durch Jahrtausende ein so bedeutender Faktor im geistigen Leben des Orients war, im Abendlande erst in unseren Tagen sich entwickeln konnte, ist genügend aus der abendländischen Theologie zu erklären. Es wäre jedoch nicht richtig, zu behaupten, es sei der Theologie gelungen, dem abendländischen Geiste den Begriff der Präexistenz so abstoßend zu machen. Obgleich die christliche Doktrin, für die jede einzelne Seele etwas aus dem Nichts Erschaffenes war, das in jeden neuen Körper eintrat, keinen offenen Glauben an die Präexistenz zuließ, fand doch der gesunde Sinn des Volkes einen Widerspruch mit dem Dogma in den Phänomenen der Vererbung. Ebenso entdeckte das Volk auch bei den Tieren Verstandeskräfte, während die Theologie die Tiere als bloße Automaten bezeichnete, von einer Art unbegreiflichem Mechanismus, Instinkt genannt, gelenkt. Die Theorien über Instinkt und Intuition, die noch vor einer Generation allgemeine Geltung hatten, erscheinen uns heute vollkommen barbarisch. Als Erklärung erkannte man sie allgemein als völlig nutzlos; aber als Dogma dienten sie dazu, die Wissenschaft zu hemmen und Ketzerei zu verhüten. Wordsworths »Fidelity« und sein unbegreiflich überschätztes »Intimations of Immortality« bezeigen die außerordentliche Ängstlichkeit und Unreife der abendländischen Anschauungen über diese Dinge, sogar im Anfang des letzten Jahrhunderts. Die Liebe des Hundes für seinen Herrn ist tatsächlich »groß über menschliche Vorstellung«, aber aus Gründen, die sich Wordsworth nie träumen ließ; und obgleich die unmittelbaren Sensationen der Kindheit sicherlich Offenbarungen von etwas weit Wunderbarerem sind, als Wordsworths Begriffsbestimmungen der Idee der Unsterblichkeit, wurde seine berühmte, darauf bezügliche Stanze von John Morley mit vollem Rechte als Unsinn bezeichnet. Ehe die Stellung der Theologie erschüttert war, hätten sich die rationellen Ideen über die psychologische Vererbung, über die wahre Natur des Instinkts, oder über die Einheit des Lebens nie ihren Weg zur allgemeinen Erkenntnis bahnen können. Aber mit der Annahme der Evolutionslehre stürzten die alten Denkformen zusammen; neue Ideen keimten überall empor und verdrängten die alten, überlebten Dogmen; und wir sehen jetzt das Schauspiel einer allgemeinen, intellektuellen Bewegung nach Richtungen, die merkwürdig parallel mit der orientalischen Philosophie gehen. Die überraschende Schnelligkeit und Mannigfaltigkeit des wissenschaftlichen Fortschritts während der letzten fünfzig Jahre konnte nicht verfehlen, eine ebenso unvorhergesehene, intellektuelle Regsamkeit auch unter den nicht wissenschaftlich Gebildeten wachzurufen. Daß die höchsten und kompliziertesten Organismen sich aus den niedrigsten und einfachsten entwickelt haben; daß eine physische Grundlage die Substanz der ganzen lebenden Welt ist; daß keine trennende Scheidungslinie zwischen den Tieren und den Pflanzen gezogen werden kann; daß der Unterschied zwischen Belebtem und Unbelebtem nur ein Unterschied des Grades, nicht der Art ist; daß die Materie nicht minder unbegreiflich ist als der Geist, vielmehr beide nur variierende, wechselnde Manifestationen einer und derselben Realität, das ist alles schon zu Gemeinplätzen der neuen Philosophie geworden. Nach der ersten Erkenntnis der physischen Evolution, der sich sogar die Theologie nicht verschließen konnte, war es leicht vorauszusagen, daß die Erkenntnis der psychischen Evolution nicht ins Unendliche auf sich warten lassen konnte; denn die Schranke, die das alte Dogma aufgerichtet hatte, um die Menschen zu hindern, zurückzublicken, war zusammengebrochen. Und heute ist für jeden, der sich mit dem Studium der wissenschaftlichen Psychologie befaßt, die Idee der Präexistenz aus dem Reiche der Theorie in das Reich der Tatsachen übergegangen, und erweist die buddhistische Erklärung des Weltmysteriums als gerade so einleuchtend, wie irgendeine andere.

»Nur sehr voreilige Denker,« schrieb Professor Huxley, »werden sie auf Grund ihrer ›inhärenten Absurdität‹ verwerfen. Gleich der Evolutionslehre selbst, hat die Lehre der Seelenwanderung ihre Wurzeln in der Welt der Realität, und sie darf jene Unterstützung für sich in Anspruch nehmen, die das große Argument der Analogie bieten kann.«

Nun diese von Professor Huxley gebotene Stütze ist merkwürdig stark. Sie läßt das Wesen der Idee der Präexistenz beinahe vollkommen in der von Buddha verkündeten Form, obgleich sie uns nicht einen Schimmer der Einzelseele zeigt, wie sie vom Dunkel ins Licht, vom Tode zur Wiedergeburt, durch Myriaden Millionen Jahre flattert.

In der orientalischen Doktrin ist die psychische Persönlichkeit, ebenso wie der individuelle Körper, eine Zusammensetzung, die der Auflösung notwendig anheimfällt. Unter psychischer Persönlichkeit verstehe ich hier das, was Geist von Geist unterscheidet, – das »Ich« vom »Du«: das, was wir »Selbst« nennen: dem Buddhismus ist dies eine zeitweilige Verbindung von Illusionen. Was es dazu macht, ist das Karma. Was sich reinkarniert, ist das Karma, – die Totalsumme der Handlungen und Gedanken zahlloser, vorangegangener Leben, – von denen jedes als ein Ganzes in irgendeinem großen, spirituellen System der Addition und Subtraktion auf alle übrigen Einfluß nehmen kann. Wie ein Magnetismus wird das Karma von Form auf Form übertragen, von Phänomen auf Phänomen, durch die jeweilige Kombination die Beschaffenheit bestimmend. Das letzte Geheimnis der konzentrativen und schöpferischen Wirkungen des Karma erkennt der Buddhist als unerforschlich, aber den Zusammenhang der Wirkungen erklärt er als von »Tanha«, dem Lebenswunsch, bewirkt, dem entsprechend, was Schopenhauer den »Lebenswillen« nannte. In Herbert Spencers Biologie findet sich nun ein seltsames Analogon zu dieser Idee. Er erklärt die Übertragbarkeit der Anlagen und ihrer Variationen, durch eine Theorie von Polaritäten – Polaritäten der physiologischen Einheit. Zwischen dieser Theorie der Polaritäten und der buddhistischen Theorie des Tanha ist die Verschiedenheit viel weniger hervorstechend als die Ähnlichkeit. Karma oder Vererbung, Tanha oder Polarität sind in ihrem letzten Grunde unerklärlich; Buddhismus und Wissenschaft sind hier einig. Das Bemerkenswerte ist, daß beide dasselbe Phänomen unter verschiedenen Namen erkennen.

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Die außerordentliche Kompliziertheit der Methoden, durch die die Wissenschaft zu Konklusionen gelangt ist, die so merkwürdig mit den alten Vorstellungen des fernen Ostens übereinstimmen, muß den Zweifel erwecken, ob diese Konklusionen der Masse des abendländischen Volkes jemals klar gemacht werden könnten. Sicherlich könnte es scheinen, daß, ebenso wie die wahre Doktrin des Buddhismus der Mehrheit der Gläubigen nur durch Formen veranschaulicht werden kann, so auch die Ergebnisse der philosophischen Forschung den Massen nur durch Suggestion mitgeteilt werden könne, – Suggestion jener Fakten, oder Zusammenstellung von Fakten, die jedem natürlichen Intellekt zugänglich sind. Aber die Geschichte des wissenschaftlichen Fortschritts verbürgt die Wirksamkeit dieser Methode; und kein stichhaltiger Grund spricht für die Annahme, daß, weil die Methoden der höheren Wissenschaft über das geistige Fassungsvermögen der nicht gebildeten Klassen hinausgehen, die Ergebnisse dieser Wissenschaft nicht allgemein Eingang finden könnten. Die Dimensionen und das Gewicht der Planeten; die Entfernung und Zusammensetzung der Sterne; die Bedeutung von Wärme, Licht und Farbe; die Natur des Schalls und eine Menge anderer wissenschaftlicher Entdeckungen sind Tausenden vertraut, die von den Methoden, durch die solche Kenntnisse erreicht wurden, keinen Begriff haben. Andererseits haben wir Beweise, daß jeder große wissenschaftliche Aufschwung des letzten Jahrhunderts beträchtliche Modifikationen im Volksglauben herbeigeführt hat. Schon haben die Kirchen, obgleich noch immer an der Idee der eigens erschaffenen Einzelseele festhaltend, die Hauptlehre der physischen Evolution angenommen; und weder Verknöcherung des Glaubens, noch eine intellektuelle Rückschrittsbewegung braucht in nächster Zukunft befürchtet zu werden. Weitere Veränderungen der religiösen Ideen stehen bevor, und es ist sogar zu erwarten, daß sie sich eher schnell als langsam vollziehen werden. Freilich kann man ihre Natur nicht voraussehen, aber die gegenwärtigen intellektuellen Tendenzen lassen mit Bestimmtheit erwarten, daß die Lehre der psychologischen Evolution – wenn auch nicht auf einmal – allgemeine Geltung erhalten muß, so daß der ontologischen Spekulation keine Grenze gesetzt ist, und die ganze Auffassung des »Ego« möglicherweise durch die konsequente Durchführung der Präexistenzidee transformiert werden wird.

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Eine eingehendere Betrachtung dieser Wahrscheinlichkeiten darf gewagt werden. Sie werden vielleicht von jenen, in deren Augen die Wissenschaft mehr eine Zerstörerin als eine Umbildnerin ist, nicht als Wahrscheinlichkeiten anerkannt werden. Aber solche Denker vergessen, daß das religiöse Gefühl etwas unendlich Tieferes ist als das Dogma; daß es alle Götter und Glaubensformen überlebt und daß es sich durch die intellektuelle Expansion nur vertieft, verinnerlicht und erstarkt. Daß die Religion als bloße Doktrin schließlich vergehen wird, ist eine Schlußfolgerung, zu der uns das Studium der Entwicklung führt; aber daß die Religion als Gefühl, ja selbst als Glauben an die geheimnisvolle Kraft, die Gehirne ebenso wie Sternbilder schafft, jemals ganz sterben könne, vermögen wir uns heute nicht vorzustellen. Die Wissenschaft bekämpft bloß irrige Erklärungen der Phänomene; sie verherrlicht nur das kosmische Mysterium und beweist, daß jedes Ding, so winzig es sein mag, unendlich wunderbar und unfaßbar ist. Und eben diese unverkennbare Tendenz der Wissenschaft, den Glauben zu vertiefen und zu erweitern, und das kosmische Gefühl zu erhöhen, rechtfertigt die Annahme, daß die zukünftigen Formen der abendländischen religiösen Ideen vollkommen von allen Modifikationen in der Vergangenheit abweichen werden; daß die abendländische Auffassung des »Selbst« in ein etwas der orientalischen Auffassung des »Selbst« Verwandtes münden wird; und daß alle gegenwärtigen kleinlichen metaphysischen Vorstellungen über »Persönlichkeit« und »Individualität« als Realitäten »an sich« verschwinden werden. Schon weist das zunehmende allgemeine Verständnis für die Tatsachen der Vererbung, wie die Wissenschaft sie lehrt, auf den Weg hin, auf dem wenigstens einige dieser Umwandlungen sich vollziehen werden. In dem zukünftigen Kampfe um die großen Fragen der Evolution wird die Volksintelligenz der Wissenschaft auf der Linie des geringsten Widerstandes folgen; und diese Linie wird zweifellos das Studium der Vererbung sein, da die zu erforschenden Phänomene, obgleich an sich unerklärlich, der allgemeinen Erfahrung vertraut sind und wenigstens teilweise Lösungen zahlloser alter Rätsel bieten. So kann man sich ganz wohl eine zukünftige abendländische Religionsform denken, die von der ganzen Macht der synthetischen Philosophie getragen ist; die sich vom Buddhismus hauptsächlich nur durch die größere Exaktheit ihrer Konzeptionen unterscheidet; die Seele als Kompositum auffaßt und die ein neues spirituelles Gesetz lehrt, das der Lehre des Karma gleicht.

Viele werden jedoch sogleich gegen diese Idee einen Einwand bereit haben. Eine solche Modifikation des Glaubens, werden sie sagen, würde die plötzliche Unterwerfung und Transformation der Gefühle durch die Ideen bedeuten. »Die Welt,« sagt Herbert Spencer, »wird nicht von Ideen beherrscht, sondern von Gefühlen, denen die Ideen bloß als Führer dienen.« Wie soll der Begriff einer Veränderung, wie die vorausgesetzte, mit der allgemeinen Kenntnis der Existenz des religiösen Gefühls im Abendlande und mit der Kraft des religiösen Emotionalismus versöhnt werden?

Würden die Idee der Präexistenz und die Vorstellung der Seele als ein Vielfaches wirklich im Gegensatz zu dem religiösen Gefühl des Abendlandes stehen, könnte man keine befriedigende Antwort darauf geben. Aber sind sie wirklich in einem solchen Gegensatz? Die Idee der Präexistenz ist es sicherlich nicht; der abendländische Geist ist dafür schon vorbereitet. Wohl ist es wahr, daß die Auffassung des Selbst als einer Zusammensetzung, die der Auflösung anheimfällt, nur wenig besser erscheinen mag als die materialistische Idee der Vernichtung – wenigstens für diejenigen, die nicht imstande sind, sich von den alten Denkgewohnheiten loszusagen. Nichtsdestoweniger wird voraussetzungsloses Nachdenken zeigen, daß es keinen Gefühlsgrund gibt, die Auflösung des »Ego« zu fürchten. Tatsächlich, obgleich unbewußt, beten Christen und Buddhisten unablässig eben um diese Auflösung. Wer hat nicht oft gewünscht, sich von den schlechten Elementen seiner Natur zu befreien, von Neigungen zum Leichtsinn oder zur Ungerechtigkeit, von Impulsen, ungütige Dinge zu sagen oder zu tun, – von all diesem niedrigen Erbteil, das noch dem höhern Menschen anhaftet und seine höchsten Aspirationen zu Boden zieht? Aber das, dessen Abtrennung, dessen Vernichtung, dessen Tod wir so inbrünstig wünschen, ist nicht weniger gewiß ein Teil des psychologischen Erbes, des wahren Selbsts, als jene neueren und umfassenderen Fähigkeiten, die uns in der Verwirklichung unserer edleren Ideale unterstützen. Weit davon entfernt ein Gegenstand der Furcht zu sein, ist vielmehr die Auflösung des Selbst das Ziel der Ziele, auf das sich unsere Bestrebungen richten sollten. Was keine neue Philosophie uns zu hoffen verwehren kann, ist, daß die besten Elemente des Selbst fortschwingen werden, immer erhabenere Affinitäten suchen, sich zu immer höheren und höheren Kombinationen verbinden, bis die höchste Offenbarung kommt, und wir durch unendliche Vision, durch die Auslöschung alles Selbst, die absolute Realität gewahren.

Denn während wir wissen, daß selbst die sogenannten Elemente sich entwickeln, haben wir keinen Beweis, daß irgend etwas völlig vergehen kann. Daß wir sind, ist der Beweis, daß wir waren und daß wir sein werden. Wir haben zahllose Evolutionen, zahllose Universen überdauert. Wir wissen, daß alles im Kosmos Gesetz ist. Nicht der Zufall bestimmt, welche Verbindung das Planetensystem bilden, oder was die Sonne fühlen wird; was im Granit und Basalt verschlossen sein, oder sich in Pflanzen und Tieren vervielfältigen wird. Soweit die Vernunft aus Analogien schließen darf, ist die kosmische Geschichte jeder endgültigen psychischen oder physischen Vereinigung gerade so genau und sicher bestimmt, wie in der buddhistischen Lehre vom Karma.

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Der Einfluß der Wissenschaft wird bei der Umwandlung der abendländischen Glaubensformen nicht der einzige Faktor sein. Sicher wird die orientalische Philosophie noch einen weiteren bilden. Das Studium des Sanskrit, des Pali und des Chinesischen, und die unermüdlichen Forschungen der Philologen in allen Teilen des Ostens machen Europa und Amerika mit allen großen Formen des orientalischen Gedankenlebens schnell vertraut. Das Studium des Buddhismus wird im ganzen Abendlande mit Interesse betrieben; und die Resultate dieser Studien zeigen sich Jahr für Jahr immer deutlicher in den geistigen Schöpfungen der höchsten Kultur. Die philosophischen Schulen sind nicht weniger davon beeinflußt als die moderne Literatur. Ein Beweis, daß die Überprüfung des Problems des Ego sich auf allen Gebieten dem abendländischen Geist aufdrängt, kann nicht bloß in der gedankenreichen Prosa der Gegenwart gefunden werden, sondern auch in der Poesie. Ideen, die eine Generation früher unmöglich gewesen wären, zerstören gangbare Auffassungen, verändern alte Geschmacksrichtungen und entwickeln höhere Gefühle. Die schöpferische Kunst, von höherer Inspiration erfüllt, offenbart uns, was für neue und auserlesene Sensationen, welches bisher unvorstellbare Pathos, welche wundersame Vertiefung emotioneller Kraft durch die Erkenntnis der Idee der Präexistenz in der Literatur gewonnen werden kann. Selbst aus der Belletristik erfahren wir, daß wir bis jetzt nur auf einer Hemisphäre gelebt haben; daß wir bloß halbe Gedanken gedacht haben, daß uns ein neuer Glaube not tut, um die Vergangenheit mit der Zukunft, über die große Parallele der Gegenwart zu verknüpfen, und so unsere emotionelle Welt zu einer vollkommenen Sphäre abzurunden. Die klare Überzeugung, daß das Selbst vielfach ist, ist, wie paradox die Behauptung auch scheint, der unvermeidliche Schritt zu der größeren Überzeugung, daß die vielen Eins sind, daß das Leben eine Einheit ist, daß es kein Endliches gibt, sondern nur ein Unendliches. Bis nicht mit dem blinden Stolz, der das Selbst für etwas Einziges hält, aufgeräumt und das Gefühl des Selbst und des Individualismus vollständig zersetzt ist, kann die Erkenntnis des Ego als eines Unendlichen – des wahren Kosmos – nie erreicht werden. Zweifellos wird die einfache, gefühlsmäßige Überzeugung, daß wir in der Vergangenheit dagewesen sind, sich viel früher entwickeln als die intellektuelle Überzeugung, daß die Vorstellung des Ego als Einheit eine Fiktion der Selbstsucht ist. Aber die zusammengesetzte Natur des »Selbst« muß schließlich anerkannt werden, obgleich ihr Mysterium bestehen bleibt. Die Wissenschaft postuliert sowohl eine hypothetische physiologische Einheit, wie auch eine hypothetische psychologische Einheit; aber beide postulierten Einheiten trotzen der äußersten Macht der mathematischen Schätzung und scheinen sich in reine Schemenhaftigkeit aufzulösen. Der Chemiker muß für seine Arbeitszwecke ein letztes Atom annehmen; aber die Tatsache, deren Symbol das angenommene Atom ist, kann vielleicht nur ein Kraftzentrum sein, ja eine Leere, ein Wirbel, wie in der buddhistischen Vorstellung.

»Form ist Leere, und Leere ist Form. Was Form ist, das ist Leere; was Leere ist, ist Form. Perzeption und Konzeption, Name und Wissen, – all dies ist Leere.« Für die Wissenschaft und für den Buddhismus gleicherweise löst sich der Kosmos in eine ungeheure Phantasmagorie, – ein Spiel ungekannter und unermeßlicher Kräfte; der buddhistische Glaube jedoch beantwortet die Frage »Woher und Wohin« in seiner eigenen Weise – und prophezeit in jeder großen Evolutionsperiode eine Zeit spiritueller Expansion, in der die Erinnerung an frühere Leben zurückkehrt und gleichzeitig die ganze Zukunft unverschleiert dem visionären Blick sichtbar wird, – bis in den Himmel der Himmel.

Die Wissenschaft bleibt hier stumm. Aber ihr Schweigen ist das Schweigen der Gnostiker, – Sigé, die Tochter der Tiefe und die Mutter des Geistes.

Was wir uns mit der vollen Zustimmung der Wissenschaft gestatten können zu glauben, ist, daß uns wundersame Offenbarungen erwarten. In der jüngsten Zeit haben sich neue Kräfte und Gefühle entwickelt, der Sinn für Musik, die immer wachsenden Fähigkeiten des Mathematikers. Und wir dürfen mit Recht erwarten, daß noch höhere, heute unvorstellbare Fähigkeiten sich in unseren Nachkommen entwickeln werden. Man weiß auch, daß gewisse geistige, zweifellos ererbte Fähigkeiten sich nur in späterer Zeit entwickeln – und das Durchschnittsalter der menschlichen Rasse wächst stetig. Mit gesteigerter Langlebigkeit können sicherlich durch die Ausgestaltung des größeren zukünftigen Gehirnes plötzlich Kräfte entstehen, die nicht weniger wunderbar sind als die Fähigkeit, sich an frühere Geburten zu erinnern. Die Träume des Buddhismus können kaum übertroffen werden, weil sie das Unendliche berühren; aber wer möchte sich vermessen, zu sagen, daß sie sich nie verwirklichen werden?

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