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Hyogo ist heute von einem zauberhaft durchsichtigen Lichtmeer umflossen, das unbeschreiblich ist, ein Frühlingslicht, das in seiner duftigen Körperlosigkeit den Dingen in der Ferne etwas Geisterhaftes, Überirdisches gibt. Die Formen, obgleich scharf umrissen, werden durch die zarten Farbentöne, die über ihnen schweben, gleichsam idealisiert; und die großen Hügel hinter der Stadt streben in ein wolkenlos leuchtendes Blau, das eher der Geist des Azurs zu sein scheint, als der Azur selbst.
Über den blaugrauen abfallenden Giebeldächern ist ein Schwirren und Wogen von merkwürdigen Gebilden, ein Schauspiel, das mir zwar nicht neu, aber immer gleich köstlich erscheint. Überall flattern, an großen Bambusstäben befestigt, ungeheure buntfarbige Papierfische, die genau das Aussehen und die Bewegungen von lebendigen Fischen haben. Die meisten sind zwischen fünf und fünfzehn Fuß lang, aber hie und da sehe ich ein Miniaturexemplar von kaum einem Fuß Länge an den Schweif eines größeren angeheftet. An einigen Stäben hängen vier oder fünf Fische in einer Höhe, die der Größe der Fische entspricht, die größten zu oberst. So wunderbar in Form und Farbe sind diese Gebilde, daß der erste Anblick den Fremden geradezu verblüfft. Die Leinen, an denen sie schweben, sind immer durch den Kopf durchgezogen, und der Wind, der in den geöffneten Mund freien Zutritt hat, schwellt nicht nur den Körper zu täuschender Lebenswahrheit der Form, sondern erhält ihn in steter Wellenbewegung. So steigen und sinken sie, schnellen und drehen sich genau so wie lebendige Fische, während der Schwanz auf und ab zuckt und die Flossen tadellose Schwimmbewegungen ausführen.
In dem Garten meines Hausnachbars sind zwei wunderbare Exemplare; einer hat einen orangefarbenen Bauch und blaugrauen Rücken, der andere schillert ganz silbern, und beide haben große geisterhafte Augen. Das leise Rauschen, mit dem sie gegen den Himmel segeln, ist wie das Streichen des Windes über Schilfrohr. In einer kleinen Entfernung sehe ich einen anderen großen Fisch mit einem kleinen roten Knaben auf dem Rücken. Dieser rote Knabe stellt »Kintoki« vor, das kraftstrotzendste aller Kinder, die je in Japan geboren waren, das schon als Säugling mit Bären rang und Koboldvögeln Fallen stellte.
Jedermann weiß, daß diese Papierkarpfen oder »Kois« nur zur Zeit des großen Knabengeburtsfestes im fünften Monat des Jahres ausgehängt werden. Ihr Erscheinen über einem Hause kündigt die Geburt eines Sohnes an und symbolisiert die Hoffnung der Eltern, ihr Sohn werde einstmals imstande sein, sich allen Hindernissen zum Trotz seinen Weg durch das Leben zu bahnen, ebenso wie der wirkliche »Koi«, der breite japanische Karpfen, große Flüsse gegen den Strom hinaufschwimmt. In vielen Teilen des südlichen und westlichen Japans finden sich diese »Kois« nur selten. An ihrer Statt sieht man lange schmale Baumwollflaggen, »Nobori« genannt, die wie Segel mit kleinen Klammern und Ringen senkrecht an Bambuspfählen befestigt sind und verschiedenfarbige Zeichnungen eines »Koi« in einem Wasserwirbel, oder des Shöki, des Besiegers der Dämonen, oder solche von Fichten, oder Schildkröten, oder anderen Glückssymbolen tragen.
Aber in diesen leuchtenden Frühlingstagen des Jahres 2555 der japanischen Zeitrechnung, wird der »Koi« zum Symbol von etwas Größerem als der Elternliebe: er wird zum Symbol der großen Zuversicht einer durch den Krieg regenerierten Nation. Die militärische Wiedergeburt des Reiches, das wahre Geburtsfest des »neuen Japan«, beginnt mit dem Sieg über China. Der Krieg ist zu Ende, die Zukunft, obgleich bewölkt, scheint voll Verheißungen; und wie groß die Schwierigkeiten sein mögen, die weiteren Errungenschaften im Weg stehen, Japan hat weder Furcht noch Zweifel.
Vielleicht liegt sogar eine zukünftige Gefahr in eben diesem maßlosen Selbstvertrauen. Dies ist kein neues, durch den Sieg geschaffenes Gefühl, es ist ein Rassegefühl, das häufige Siege nur noch verstärkt haben. Von dem Tage der Kriegserklärung an herrschte niemals auch nur für einen Augenblick der geringste Zweifel an dem endgültigen Sieg. Allgemeiner und tiefer Enthusiasmus machte sich überall bemerkbar, wenn auch keinerlei äußere Kundgebungen von Erregung stattfanden.
Ernste Männer machten sich gleich ans Werk, Geschichten über die japanischen Triumphe zu schreiben. Diese Geschichten, in wöchentlichen oder monatlichen Publikationen veröffentlicht und mit photolithographischen Zeichnungen oder Holzschnitten illustriert, fanden Verbreitung im ganzen Lande, lange, ehe fremde Beobachter es gewagt hatten, den endgültigen Ausgang des Kampfes vorherzusagen. Von allem Anfang an war sich die Nation ihrer Kraft und der Ohnmacht Chinas bewußt.
Die Spielsachenverkäufer brachten Legionen Dinge mit sinnreichem Mechanismus auf den Markt: chinesische Soldaten, die flüchteten, oder wieder solche, die von japanischen Reitern niedergestochen oder mit zusammengebundenen Zöpfen in Gefangenschaft fortgeführt wurden, oder vor berühmten Generalen, um Gnade flehend, den »Kotau« machten. An Stelle altmodischer Spielsachen, die Samurais in voller Rüstung vorstellten, erschienen Figuren aus Ton, Holz, Papier oder Seide, die japanische Kavallerie, Infanterie und Artillerie vorstellten, und Modelle von Festungen und Batterien, und Porträtfiguren von Kriegsberühmtheiten. Die Erstürmung der Schanzen von »Port Arthur« durch die Kumamoto-Brigade war der Gegenstand einer dieser sinnreichen mechanischen Spielsachen. Andere ebenso ingeniöse zeigten den Kampf des Matsushima-Kan mit chinesischen Panzerschiffen. Es wurden auch Myriaden von Miniaturgewehren verkauft, die durch Luftdruck mit lautem Knall Korke entluden, und Myriaden winziger Schwerter und zahllose kleine Hörner, deren unablässiges Blasen mir den Zinnhorntumult an einem längstvergangenen Neujahrsabend in Neworleans zurückrief.
Jede Siegesnachricht entfesselte eine ungeheure Produktion farbiger Abbildungen, roh hingeworfen und billig ausgeführt, die, wenn sie auch zumeist nur der Phantasie des Künstlers entsprungen waren, sich dennoch trefflich dazu eigneten, die öffentliche Liebe zum Ruhme anzufeuern. Auch wunderbare Schachfiguren tauchten auf; jede Figur stellte einen chinesischen oder japanischen Offizier oder Soldaten vor. Diese Ausführungen dürften heute, angesichts des russisch-japanischen Krieges, ganz besonderes Interesse hervorrufen. (D. Übers.)
Mittlerweile feierten die Theater den Krieg in einer noch anschaulicheren Weise. Es ist keine Übertreibung zu behaupten, daß beinahe jede Episode des Feldzugs auf der Bühne ihre Wiederholung fand. Ja, Schauspieler suchten sogar die Schlachtfelder auf, um dort Hintergründe und Szenen zu studieren und sich für ihre Darstellung nach der Natur zu bilden. Mit Zuhilfenahme von künstlichen Schneestürmen gelang es ihnen dann, eine wahrheitsgetreue Vorführung des Kriegsungemaches der Mandschurei-Armee zu geben. Jede tapfere Tat wurde allsogleich dramatisiert. So der Tod des Hornbläsers Shirakami Genjirō, In der Schlacht bei Söng-Hwan wurde einem japanischen Hornbläser, namens Shirakami Genjirō befohlen zum Appell zu blasen. Er hatte den Hornruf einmal ertönen lassen, als eine Kugel ihm die Lunge durchbohrte und ihn zu Boden warf. Seine Kameraden suchten ihm das Horn abzunehmen, denn sie sahen, daß die Wunde tötlich war. Er entwand es ihnen wieder, hob es abermals an seine Lippen, ließ mit Aufgebot seiner letzten Kraft den Ruf noch einmal mächtig ertönen und fiel tot nieder. der Heldenmut Harada Jinkishis, der sein Leben aufs Spiel setzte, um seinen Kameraden ein Festungstor zu öffnen, der Heroismus der vierzehn Reiter, die sich gegen den Ansturm von dreihundert Mann Infanterie behaupteten, der erfolgreiche Überfall unbewaffneter Kulis gegen ein chinesisches Bataillon; alle diese und viele andere Vorkommnisse wurden auf Tausenden von Theatern dargestellt. Ungeheure Illuminationen, bei denen auf einer Unzahl von Papierlaternen Loyalitätskundgebungen und patriotische Sprüche prangten, verkündigten den Ruhm der kaiserlichen Armee und erfreuten das Herz und die Augen der Soldaten, die mit der Eisenbahn ins Lager fuhren. In Kobé, wo unablässig Truppenzüge passierten, fanden solche Illuminationen wochenlang Abend für Abend statt, und die Bewohner auch der ärmsten Straße subskribierten immer wieder und wieder für Flaggen und Triumphbogen.
Aber die Triumphe des Krieges wurden auch durch die Industrie des Landes gefeiert. In Porzellan, Metall, kostbaren Geweben, ebenso wie in aktuellen Zeichnungen für Briefpapier und Umschläge wurden Siege und heroische Taten verewigt.
Man sah sie auf dem Seidenfutter der »Haori« Eine Art Oberkleid, das von Männern sowie auch von Frauen getragen wird und dessen Futter oft die herrlichsten Zeichnungen zeigt. und auf Frauentüchern von Chirimen, Chirimen ist eine Crêpeseide, die in verschiedenen Qualitäten erzeugt wird, von denen einige sehr kostbar und dauerhaft sind. Gürtelstickereien, Mustern von Seidenhemden und Kinderfestkleidchen, von billigen Waren wie Kaliko und Drillstoffen ganz zu schweigen.
Man sah sie auf Lackarbeiten aller Arten und auf den Seitenwänden und Deckeln von geschnitzten Kästchen, auf Tabaksbeuteln, Ärmelknöpfen, auf Haarschmucknadeln, Frauenkämmen und selbst Eßstäbchen. Zahnstocherpäckchen wurden in kleinen Schächtelchen feilgeboten, und jeder einzelne Zahnstocher trug in Miniaturschrift irgend ein Kriegsgedicht.
Und bis zum Friedensschluß oder wenigstens bis zu dem unsinnigen Versuch eines »Soshi« Die Soshis gehören zu den Plagen des modernen Japans. Sie sind meistens ehemalige Studenten, die sich ihren Lebensunterhalt verdienen, indem sie sich als gewalttätige Terroristen verdingen. Politiker verwenden sie entweder gegen die »Soshis« ihrer Gegner oder als Krakehler und Raufbolde zu Wahlzeiten. Privatpersonen verwenden sie manchmal zu ihrem persönlichen Schutz. Sie haben in den letzten Jahren bei den meisten Wahlkrawallen in Japan eine Rolle gespielt, auch bei einer Anzahl von Attentaten auf hervorragende Persönlichkeiten. Die Ursachen, die in Rußland den Nihilismus hervorriefen, zeigen viele Ähnlichkeiten mit den Ursachen, die in Japan die moderne Klasse der »Soshis« entwickelt haben. den chinesischen Bevollmächtigten während der Verhandlungen zu töten, war alles so eingetroffen, wie das Volk es wünschte und hoffte.
Aber kaum wurden die Friedensbedingungen bekannt, beeilte sich Rußland zu intervenieren, und nahm Frankreichs und Deutschlands Hilfe in Anspruch, um Japan zu unterdrücken. Das Bündnis fand keinen Widerstand. Die Regierung spielte »Jiujutsu« und täuschte die Erwartungen der Nation durch unvorhergesehene Nachgiebigkeit. Japan war nun schon lange darüber hinaus, an seiner militärischen Macht zu zweifeln. Die Kraft seiner Reserven ist wahrscheinlich weit größer, als man je zugegeben hat, und sein Unterrichtssystem mit seinen sechsundzwanzigtausend Schulen ist eine kolossale Drillmaschine. Auf seinem eigenen Boden konnte es Japan mit jeder Macht der Welt aufnehmen. Die Flotte war seine schwache Seite, und dieser Schwäche war es sich vollkommen bewußt. Es war eine kleine Flotte mit kleinen leichten Kreuzern, die jedoch wunderbar gehandhabt wurden. Wohl hatte ihr Admiral ohne Einbuße eines einzigen Schiffes die chinesische Flotte bei zwei Zusammenstößen vernichtet, aber sie war noch nicht stark genug, um der vereinigten Macht dreier europäischer Flotten Widerstand leisten zu können; und die Blüte der japanischen Armee war zu Lande in Anspruch genommen. Man hatte mit großem Scharfsinn den geeignetsten Moment für die Intervention gewählt, und wahrscheinlich hatte man mehr im Auge, als eine bloße Intervention. Die schweren russischen Schiffe wurden für den Kampf gerüstet, und schon diese allein hätten die japanische Flotte überwältigen können, obgleich der Sieg den Russen teuer zu stehen gekommen wäre. Aber plötzlich wurde die russische Aktion durch die englischen Sympathiekundgebungen für Japan unterbrochen. England war in der Lage, innerhalb einiger Wochen eine Flotte in die asiatischen Gewässer zu bringen, die imstande war, die vereinigten Flotten der europäischen Mächte in einem einzigen Gefecht zu vernichten. Und ein einziger Schuß eines russischen Kreuzers konnte einen Weltkrieg entfachen.
Aber in der japanischen Flotte herrschte ein unbezähmbares Verlangen, mit allen drei Mächten zugleich den Kampf aufzunehmen. Es wäre ein furchtbarer Kampf gewesen, denn kein japanischer Admiral hätte sich dazu verstanden, zu weichen, kein japanisches Schiff wäre dazu zu bringen gewesen, seine Segel zu streichen. Auch die Landarmee war gleich begierig auf den Krieg. Es bedurfte wirklich der ganzen Staatsklugheit und Energie der Regierung, um die Nation zurückzuhalten. Man unterdrückte die freie Äußerung und brachte die Presse zum Schweigen; und durch die Rückgabe der Halbinsel Liao-Tung an China im Austausch für eine größere Kriegsentschädigung als die ursprünglich verlangte, wurde der Friede gesichert. Die Regierung ging wirklich mit tadelloser Klugheit und Voraussicht vor. Denn in diesem Stadium der japanischen Entwicklung hätte ein kostspieliger Krieg mit Rußland die verhängnisvollsten Folgen für die Industrie, den Handel und die Finanzen haben können. Aber der nationale Stolz war tief verwundet, und noch jetzt vermag das Land das Vorgehen der Regierung nicht zu billigen.
Der Matsushima-Kan ist von China zurückgekommen und liegt vor dem Garten der Friedensfreunde verankert. Er ist kein eigentlicher Koloß, obgleich er Ungeheures geleistet hat; aber er sieht immerhin recht imposant aus, wie er so in dem klaren Licht daliegt, eine steingraue Festung aus Stahl, die aus der glatten blauen Flut emporragt. Die Besichtigung wurde der entzückten Bevölkerung freigegeben, die sich zu dieser Gelegenheit wie zu einer ganz großen Tempelfeier geschmückt hat. Auch mir wird gestattet, mich einigen von ihnen anzuschließen. Es sieht aus, als ob alle im Hafen vorhandenen Boote für die Besucher gemietet worden wären, so ungeheuer ist der Andrang der Fahrzeuge, die um das Panzerschiff wimmeln. Es ist unmöglich, die zahllosen Schaulustigen gleichzeitig an Bord zu lassen. Man bedeutet uns, zu warten, während Hunderte früherer Ankömmlinge hineingelassen werden und andere hinausströmen. Aber das Warten in der kühlen Seeluft ist nicht unwillkommen, und das Schauspiel der Volksfreude ist. interessant zu beobachten. Welch eifriges frohes Heranstürmen, wenn die Reihe an sie kommt! Welch Drängen und Wogen! Zwei Frauen fallen ins Meer, flugs werden sie von Teerjacken herausgefischt; sie sagen, sie seien nicht böse, hineingeplumpst zu sein, weil sie sich nun rühmen können, ihr Leben der Bemannung des Matsushima-Kan zu verdanken.
In Wirklichkeit waren sie wohl gar nicht in Gefahr gewesen zu ertrinken, denn eine Legion gewöhnlicher Schiffer standen hilfsbereit da.
Aber den Männern des Matsushima-Kan schuldet das Volk etwas weit Wichtigeres, als das Leben zweier junger Frauen, und das Volk ist redlich bemüht, ihnen mit Dank zu lohnen, denn Geschenke anzunehmen, wie sie Tausende gern darbieten möchten, ist ihnen durch ein Disziplinarverbot untersagt. Die Offiziere und die Mannschaft müssen schon sicherlich ermüdet sein, aber sie begegnen dem Andrang der Schaulustigen und ihren Fragen mit der entzückendsten Liebenswürdigkeit. Man zeigt ihnen alles bis ins Detail; die ungeheure Kanone mit ihrem Ladeapparat und dem Zielmechanismus, die Schnellfeuerbatterien, die elektrischen Scheinwerfer mit ihrem weitstrahlenden Leuchtmechanismus. Ich selbst, der ich als Fremder einer besonderen Erlaubnis bedarf, werde überall umhergeführt, hinauf und hinab, ja man gestattet mir sogar, einen flüchtigen Blick auf das Porträt der kaiserlichen Majestäten in der Kajüte des Admirals, und man erzählt mir den höchst aufregenden Verlauf der großen Schlacht am Yalu. Unterdessen führen an diesem goldenen Frühlingsmorgen die alten kahlen Männer, die Frauen mit ihren Babies das Kommando auf dem Schiffe. Offiziere, Kadetten, Blaujacken sparen keine Mühe, sich ihnen gefällig zu zeigen. Einige unterhalten sich mit den Großvätern, einige lassen die Kinder mit ihren Schwertgriffen spielen und lehren sie ihre kleinen Händchen hochzuheben und »Teikoku-Banzai« zu rufen. Und für die müden Mütter werden Matten ausgebreitet, auf die sie sich in dem Schatten zwischen den Verdecken niederkauern können.
Diese Verdecke waren vor wenigen Monaten noch von dem Blute tapferer Männer gerötet, hie und da sieht man noch schwarze Flecke, die dem Scheuerstein Trotz geboten haben, und das Volk blickt auf diese Male mit zärtlich frommer Andacht. Das Admiralschiff wurde zweimal von enormen Granaten getroffen und seine unbeschützten Teile durch einen Hagel von Projektilen durchbohrt. Es hielt den Ansturm aus, aber büßte die Hälfte seiner Besatzung ein. Sein Tonnengehalt ist bloß viertausendzweihundertachtzig, und seine Angreifer waren zwei chinesische Panzerschiffe, jedes siebentausendvierhundert Tonnen.
Von außen zeigt sein eherner Leib keine tiefen Risse, denn die geborstenen Platten wurden wieder ersetzt, aber mein Führer weist stolz auf die zahlreichen ausgebesserten Stellen der Verdecke, auf das stählerne Takelwerk, auf den Rauchfangfirst und auf gewisse schreckliche Vorsprünge mit den kleinen aus ihnen hervorragenden Spitzen in dem fußdicken Stahl der Geschützbänke. Er bezeichnet uns unten den Weg, den die Granate, die das Schiff durchbohrte, genommen hat.
»Als sie kam,« sagt er, »warf die Erschütterung Männer so hoch in die Luft« (er hebt seine Hand zwei Fuß über Deck), »im selben Augenblick wurde alles pechschwarz, man konnte nicht die Hand vor den Augen sehen. Dann fanden wir, daß eine der Backbordkanonen zersplittert worden war und die ganze dortige Mannschaft getötet hatte. Vierzig Mann waren auf der Stelle tot, weit mehr schwer verletzt, in diesem Teile des Schiffes konnte sich kein einziger retten. Das Deck geriet in Brand, weil der Munitionsvorrat explodiert war, und so mußten wir zugleich kämpfen und uns bemühen, das Feuer zu löschen. Selbst Schwerverwundete, denen die Haut in Fetzen von Gesicht und Händen herunterhing, arbeiteten, als fühlten sie keinen Schmerz, und Sterbende beteiligten sich mit dem letzten Aufgebot ihrer Kräfte an der Arbeit des Wasserzureichens. Aber es gelang uns, den Ting-Yuen mit einer Salve aus unseren Haubitzen endlich zum Schweigen zu bringen. Den Chinesen standen europäische Kanoniere bei. Hätten wir es nicht mit Europäern zu tun gehabt, unser Sieg wäre allzu leicht gewesen!«
Er spricht die richtige Stimmung aus ... Nichts hätte an diesem schönen Frühlingstag das Herz der Matsushima-Männer so erfreuen können als der Befehl, die Anker zu lichten, um zum Angriff der großen russischen Kreuzer an der fernen Küste zu schreiten.
Als ich vor einigen Jahren von Shimonoseki in die Hauptstadt fuhr, sah ich unterwegs viele Regimenter, die sich eben zum Kriegsschauplatz begaben. Sie hatten alle weiße Uniformen, denn die heiße Jahreszeit war noch nicht vorüber. Diese Soldaten sahen so völlig wie Studenten aus, die ich unterrichtet hatte (und wirklich waren Tausende unter ihnen eben erst aus der Schule entlassen worden), daß ich mich des Gefühls nicht erwehren konnte, es sei doch grausam, solche Jünglinge in die Schlacht zu schicken. Der Ausdruck der Knabengesichter war so offenherzig, so frohgemut, so völlig unbewußt des schweren Ernstes des Lebens!
»Fürchten Sie nichts für sie,« sagte ein mitreisender Engländer, der sein Leben in Feldlagern zugebracht hatte, »sie werden sich sicherlich trefflich bewähren.«
»Das weiß ich,« antwortete ich, »aber ich denke an Fieber, Frost und den Winter in der Mandschurei; all dies ist furchtbarer, als die Gewehrläufe der Chinesen.«
Der Hornruf, der beim Anbruch der Dunkelheit die Mannschaft zum Appell zusammenrief oder die Ruhestunde verkündete, war seit Jahren eine meiner Sommerfreuden in den japanischen Garnisonstädten gewesen. Aber während der Kriegsmonate berührte mich dieser langgezogene klagende Ruf ganz anders. Ich glaube nicht, daß an der Melodie etwas Besonderes ist, aber mir war's manchmal, als ob sie mit einem besonderen Gefühl gespielt würde; und wenn sie von allen Hörnern einer Division zugleich in die sternenhelle Nacht hinausschallte, hatte dieser reiche Zusammenklang von Tönen eine melancholische Süßigkeit, die mir unvergeßlich bleiben wird. Und ich versank in einen traumhaften Zustand, in dem es mir war, als riefe ein Geisterhorn die Jugend und Kraft von Tausenden in das Schattenreich ewiger Ruhe.
Con expressione è a volontà.
Heute nun ging ich, um die Rückkehr einiger Regimenter zu sehen. Auf der Straße, die sie passieren sollten und die von Kobé nach der Nanko-San-Station führt (dem größten Tempel, dem Geiste des Helden Kusunoki Masashigé geweiht), waren laubgeschmückte Triumphbogen errichtet worden. Die Bürger hatten sechstausend Yen subskribiert, um der Ehre teilhaftig zu werden, den rückkehrenden Soldaten das erste Mahl anzubieten; und viele Bataillone hatten diesen liebreichen Willkommensgruß schon empfangen. Die Zelte in dem großen Tempelhof, wo die Truppen aßen, waren mit Flaggen und Festons dekoriert; für alle Regimenter hatte man Geschenke vorbereitet, Süßigkeiten, Zigarrenpäckchen und Tücher, die mit Gedichten zum Preise der Tapferkeit bedruckt waren. Vor dem Tempeltore war ein wirklich sehr schöner Triumphbogen errichtet worden; er trug auf seinen beiden Fassaden Willkommensworte in chinesischen Goldbuchstaben, und auf seiner Spitze thronte ein Falke, der mit seinen ausgebreiteten Fittichen einen Erdglobus beschattete.
Zuerst wartete ich mit Manyemon auf dem Bahnperron, der sehr nahe dem Tempel ist. Als der Zug einfuhr, bedeutete eine Schildwache den Zuschauern, die Plattform zu räumen; und draußen auf der Straße hielt die Polizei den Andrang zurück und ließ allen Verkehr einstellen. Einige Minuten später zog das Bataillon ein. In regelmäßigen Reihen marschierten sie durch den Triumphbogen, an ihrer Spitze ein ergrauter Offizier, der beim Gehen ein wenig hinkte und eine Zigarette rauchte. Die Menge verdichtete sich um uns, aber keinerlei Hochrufe wurden laut, man hörte nicht einmal sprechen, einzig der dröhnende Schritt der Soldaten unterbrach die Stille.
Ich konnte gar nicht glauben, dies seien dieselben Männer, die ich in den Krieg hatte ziehen sehen. Nur die Nummern auf den Achselklappen machten mir klar, daß es sich doch so verhalte. Sonnverbrannt und finster waren die Gesichter; viele von ihnen trugen große Barte. Die dunkelblauen Winteruniformen waren beschmutzt und zerrissen, die Schuhe zur Formlosigkeit vertreten, aber der taktfeste, rhythmische Schritt war der Schritt wetterfester Soldaten. Es waren keine Knaben mehr, sondern gestählte Männer, fähig, es mit jedem Kriegsheer der Welt aufzunehmen. Männer, die Blut vergossen, Bollwerke gestürmt hatten, Männer, die auch vieles erduldet, von dem die Geschichte nichts erzählen wird. Die Gesichtszüge zeigten weder Freude noch Stolz. Die scharf spähenden Augen hatten kaum einen Blick für die Willkommensgrüße, die Flaggen, die Dekorationen, den Triumphbogen mit dem den Erdball überschattenden Kriegsfalken. Vielleicht weil diese Augen oft Dinge gesehen hatten, die Menschen ernst stimmen. Ein einziger Mann nur lächelte beim Vorübergehen und rief mir die Erinnerung an ein Lächeln wach, das ich auf dem Antlitz eines Zuaven gesehen hatte, da ich als Knabe der Rückkehr eines Regiments aus Afrika beiwohnte: ein höhnisches Lächeln, das durchbohrte. Viele der Zuschauer waren sichtlich bewegt, denn sie fühlten intuitiv den Grund dieser Wandlung. Aber wie dem auch sei, jetzt waren die Soldaten bessere Soldaten, und jetzt harrten ihrer Willkommensgrüße, Geschenke und die warme Liebe des Volkes und dann Ausruhen und Behagen in ihren heimatlichen Feldlagern.
Con expressione è a volontà.
Ich sagte zu Manyemon: Lafcadio Hearns alter Diener. (D. Übers. »Heute werden sie in Osaka und Nagoya sein. Sie werden das Hornsignal vernehmen und beim Appell ihrer armen Kameraden gedenken, die niemals die Heimat wiedersehen werden.«
Der Greis antwortete mit schlichtem Ernst: »Die Leute im Okzident glauben vielleicht, daß die Toten niemals zurückkehren. Aber wir denken anders darüber: die japanischen Toten kehren alle zurück, sie kennen den Weg. Von China und von Chosen werden sie kommen, und die tief im Meeresgrunde ruhen, alle kehren sie zurück, alle. Alle sind sie jetzt mit uns – alle. Und wenn es dunkelt, scharen sie sich zusammen und harren des Signalrufs. Und sie werden ihn auch an jenem Tage hören, an dem die Truppen des Sohnes des Himmels gegen Rußland marschieren.«