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Gottfried Keller

Die Schweiz feiert den neunzehnten Juli dieses Jahres, da vor hundert Jahren am gleichen Tage Gottfried Keller, einer ihrer besten Söhne, geboren wurde.

Obgleich Keller wie kein anderer Schweizer Dichter neben ihm durchaus Schweizer ist, reicht das Wipfel- und Wurzelsystem dieses Baumes über die Schweizer Grenze weit hinaus, in die deutsche Welt.

Deren heilige Not, die tiefe Tragik ihres augenblicklichen Zustandes darf uns Deutsche nicht hindern, mit voller Seele an dieser schweizerischen Feier teilzunehmen. Wir haben finstere Tage erlebt, gedenken wir um so mehr der gesegneten: der, an dem uns Keller geschenkt wurde, war ein froher, gesegneter Tag.

Es ist gleichgültig, wo Keller zuerst erkannt und geliebt wurde. Wichtig ist nur, daß man ihn überhaupt erkennt und liebt: dennoch wollen wir uns das Verdienst, ihn am frühesten erkannt, ihm die Ruhmesleiter gehalten zu haben, nicht schmälern lassen. Und dafür ist die kleine, große Schweiz uns ewig Dank schuldig.

Viel größer freilich ist unsere Dankesschuld an die Schweiz, durch die uns der Dichter geschenkt wurde.

Über Kellers Werk sich in diesem Augenblick eingehend zu verbreiten, erübrigt sich: es ist bekannt und ist klassisch geworden. Dieses wundervolle Denkmal poetischer Gestaltungskraft könnte nur mit der deutschen Sprache, dem deutschen Wesen selbst untergehen.

Überdies: echte Dichtung steht über allem, was von ihr gesagt werden kann. Wäre es anders, sie hätte keinerlei Beruf und Berechtigung. Was sollte man einem poetischen Körper wahrhaft hinzufügen können, der durch und durch Ausdruck, und zwar sein eigener, höchster Ausdruck ist? Worte, die seine Qualitäten wiederholen wollen, erreichen sie nie, hüllen ihn meist nur in Nebel und können höchstens auf ihn hinweisen.

Überdies: jedes poetische Kunstwerk ist ein Mysterium schon seines immateriellen Stoffes wegen, einer Art sprachlichen Tones, den ich hier einmal als ein jener paradiesischen Erde Verwandtes nehmen will, aus der Jehova den Adam formte. In reinem Zustand wird diese olympische Erde wohl nicht mehr zu finden sein, aber ebensowenig ein Werk der Kunst, dem sie nicht beigemischt wäre.

Will man dies einmal gelten lassen, so wird man den irdisch-himmlischen Körper Kellerscher Kunst als ein Gemisch von spezifisch schweizerischer Erde mit olympischer ansehen. Keller hat diese Mischung geliebt. Es würde schwer zu entscheiden sein, ob sein Herz mehr zum himmlischen oder zum schweizerischen Mischungsteil hingeneigt hätte, wenn er auf einen von beiden hätte verzichten müssen.

Keller, der seelenruhige Betrachter, lehnt versonnen, gleichsam aus dem Giebelfenster eines Patrizierhauses, betrachtet die Leute auf der Gasse, betrachtet, was im Hause gegenüber, was auf den Dächern, was an den Berglehnen über und hinter den Dächern, in Wald, Feld, Weide und Weiler geschieht. Er ist mit der Seele auf dem Rathaus und erwägt das Schicksal von Stadt und Vaterland. Insoweit ist er schweizerischer Ratsherren- und Bürgergeist, wenn sich auch sein Betrachtertum zum Sehertum steigert! In seiner Werkstatt ist er ein anderer.

Auf dem Marktplatz in Altdorf sieht man noch heut die Eidgenossen in den Ring treten und ihre Angelegenheiten in der Weise verhandeln, wie es in der Tiefe der Zeiten bei den germanischen Gemeinfreien üblich war. Die alten städtischen Geschlechter der Schweiz haben mit ihren Vorfahren im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert noch einen ziemlich realen Zusammenhang, während nach den Stürmen und Springfluten, die verheerend über Deutschland gegangen sind, ein ähnliches Verhältnis selten ist. Die Schweiz, von Kriegsstürmen seit Jahrhunderten unberührt, stützt sich zudem auf ein pietätvoll-eigensinnig-konservatives Altbürgertum. In diesem aber ist viel gutes Mittelalter erhalten geblieben. Dadurch mag sich eine Empfindung rechtfertigen, die mir Keller in seiner Werkstatt als einen Verwandten etwa Peter Vischers, des Erzgießers, oder einen verspäteten Wenzel Jamnitzer erscheinen läßt, der seinen Kunstfleiß und seine geduldige Bildkraft auf das neunzehnte Jahrhundert überträgt.

Kellers Werk ist gewachsen und ist gearbeitet. Es ist, natürlich im übertragenen Sinne, gegossen, gehämmert, gefeilt. Es hat jenes Köstliche an sich, was recht wohl mit reicher Goldschmiedekunst vergleichbar ist. Aber es geht in seinem beweglichen Glanz, in der unausweichlichen, lebendigen Realität seiner Gestalten darüber hinaus. Es ist durchdrungen von kindhaftem Lebensglück. Davon ist ein Vibrieren in seinen kleinsten Teilen. Es ist durchleuchtet von einer warmen Festlichkeit, jener wundervollen Festivitas aller wahren Kunstwerke. Die deutsche Romantik ist dagewesen: das Kellersche Werk verleugnet sie nicht. Allein die Romantik hat keinen Gestalter von gleicher Kraft und gesunder Männlichkeit.

Kellers Kunst ist im wesentlichen jugendlich. Der Dichter ist reif, aber niemals alt geworden. Das Lachende eines Züricher Frühlings- und Sommertags ist ihm treu geblieben. Als Dionysier liebte Keller den Wein. Unvergeßlich ist mir ein echter Meistersingertag, an dem Zürich sein großes Frühlingsfest, das Sechseläuten, feierte. Ich hatte das Glück, das wundervolle Schweizer Kleeblatt, die großen Drei: Gottfried Keller, Conrad Ferdinand Meyer und Arnold Böcklin, einträchtig miteinander im hellen Sonnenlichte dem Dämmer einer Weinstube entgegenstreben zu sehen. Und ich bin überzeugt, daß die Sonne der Schönheit in den goldenen Schalen beim Gastmahl Platons nicht köstlicher gefunkelt hat als im Weine Gottfried Kellers und freilich auch in den Gläsern seiner erlauchten Genossen.

1919.


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