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Das Arbeits- und Privatgemach der Reichsgräfin Anna, wie in der achten und zehnten Szene.
Reichsgräfin Anna, Komteß Juliane.
Komtess Juliane. Du hast recht, Mutter, du hast in jeder Beziehung recht, Mutter.
Reichsgräfin Anna. Es wird mir ja unendlich schwer, dir einmal sagen zu müssen, daß ich dich nicht verstehe, daß ich mit deinem Verhalten nicht einverstanden bin. Du hast bisher in allen Dingen einen vorbildlichen Takt gezeigt, und wenn ich mich nicht irre, ist er dir nun abhanden gekommen.
Komtess Juliane. Mir ist alles abhanden gekommen, Mutter. Ich weiß nicht mehr, wer und was ich bin, weiß kaum noch, wo ich bin und was ich tun oder lassen soll – ob ich überhaupt noch ein Recht habe, mich zu achten . . .
Reichsgräfin Anna. Du brauchst nicht so heftig mit dir ins Gericht gehen. Freilich . . .
Komtess Juliane. Ich gehe lange nicht streng genug mit mir ins Gericht. Ich hatte lange das Leben gelebt, zu dem ich allein befähigt bin. Ich hätte es niemals dürfen aufgeben. Musik, Dichtung, der stille Umgang mit der Natur: das sind jene Dinge, für die ich, scheint es, allein geschaffen bin. Im übrigen bin ich der Welt nicht gewachsen.
Reichsgräfin Anna. Juliane, niemand will je in deine Freiheit eingreifen. Mit aller nur möglichen Sorgfalt wurde die Welt deiner stillen Neigungen von uns Eltern gepflegt und umhegt. Wirf bitte die Schuld von dem, was sich heut entwickelt hat, nicht auf uns! Hast du mir nicht selbst von der Belebung, von der Erneuerung, ja geradezu von dem Glück gesprochen, womit die Zwillinge unser verborgenes, einsames Leben beschenkt haben? Es wäre ganz allein deine Schuld, wenn sich der Himmel verdüstern sollte.
Komtess Juliane. Ganz recht, maman, es ist meine Schuld.
Reichsgräfin Anna. Du hast mit dem Grafen Alexis musiziert. Wenn er, was du ja besser wissen mußt als ich, eine Neigung für dich empfindet, mußte er wohl, aus deinem ganzen Verhalten, den Schluß ziehen, daß sie nicht unerwidert blieb. Er unterbrach seinen Aufenthalt, weil ihm Pflichten das auferlegen – und du wiegst nun den Grafen Günther in den Glauben, er sei der Bevorzugte. Wir dachten: gut, sie hat ihre erste Entscheidung korrigiert, und die zweite Entscheidung ist nun endgültig. Schlimm für Alexis, dachten wir, doch hat er vielleicht schon vorher die richtige Ahnung gehabt und sich beizeiten zurückgezogen. Aber nein: er ist wieder da, und der arme Graf Günther schleicht einsam, wie sein eigener Schatten, herum – Papa sagt, geradezu mitleiderregend. – Und wenn man den Leuten glauben darf, so sind die beiden Brüder zerfallen, diese rührenden Vorbilder allerinnigster Brüderlichkeit. Es heißt, sie streiten die halbe Nacht, und es komme mitunter zu schrecklichen Auftritten.
Komtess Juliane. Gewiß, ich bin schuldig geworden, maman, nur freilich auf eine unmerkbare Weise. Ich könnte nicht sagen, wie ich's geworden bin.
Reichsgräfin Anna. Meine beste Juliane, ich kann es dir sagen. Wir sind Frauen, und du bist eben nicht mehr und nicht weniger als auch nur ein Weib. Du warst vielleicht ein wenig verstiegen und hast dein wahres Wesen vernachlässigt. Nun rächt sich das. Nun bist du den weiblichen Schwächen vielleicht widerstandsloser als andre ausgeliefert. Anstatt dich von vornherein in der Stille zu fragen, welchem von beiden Männern deine tiefere Neigung gehöre, und die seinige dann zu ermutigen, hast du bald die Leidenschaft des einen, bald die des anderen angefacht und jeden glauben gemacht, er wäre der einzige.
Komtess Juliane. Wenn du meinst, maman, so mag es so sein. Eine Absicht der Art ist mir jedoch nicht bewußt geworden.
Reichsgräfin Anna. Warum hast du dich nicht mit Günther verlobt, wie Papa und ich sicher annahmen?
Komtess Juliane. Ich bin die einzig Schuldige nicht, wenn es unterblieben ist.
Reichsgräfin Anna. Ich halte dich für die einzig Schuldige.
Komtess Juliane. Und du wirst recht haben. Ich will alles tun und mich davon überzeugen, nach deiner sicherlich besseren Einsicht, maman . . . Aber was soll ich weiter tun?
Reichsgräfin Anna. Einem von beiden deine Hand reichen.
Komtess Juliane. Oder keinem von beiden: wäre das nicht besser, maman?
Reichsgräfin Anna. Das wäre ja nur ungefähr die jetzige Lage.
Komtess Juliane. Wie wäre das: ich könnte weit fort gehen – mit Meister Gherardini und Jutta endlich die Romreise unternehmen, von der öfter die Rede gewesen ist.
Reichsgräfin Anna. Du bist frei – wir würden dir nicht hineinreden. Es wäre aber nicht einzusehen, warum du dein Glück verscherzen solltest, das sicherlich niemals wiederkehrt, und eine so gute Partie sozusagen.
Komtess Juliane. Du meinst . . . wen? – mit der guten Partie?
Reichsgräfin Anna. Eben den, den du wählst, Juliane.
Komtess Juliane. Also auch du siehst beide als gleichwertig. Damit ist mir jedoch nicht gedient, maman. Gebraucht, du und Papa, euer Elternrecht und bestimmt mir durch ein Machtwort den Gatten. Das scheint mir eine Art Hoffnungsblick.
Reichsgräfin Anna. Ich gestehe, daß mir Günther sympathischer ist. Er bietet in seiner stillen und tiefen Art, meiner unmaßgeblichen Ansicht nach, mehr Garantien für eine glückliche Ehe.
Komtess Juliane. Nun, so wird Günther mein Jawort erhalten – wenn er nämlich je auf dergleichen zu sprechen kommt.
Reichsgräfin Anna. Hat er noch nicht davon gesprochen?
Komtess Juliane. Nein, mit keiner Silbe, maman.
Reichsgräfin Anna. Und Alexis?
Komtess Juliane. Hat ebensowenig davon gesprochen.
Reichsgräfin Anna. Aber das sind recht eigentümliche Bewerber, wie man zugeben muß!
Komtess Juliane. Wenn nun aber Günther ohne Alexis auf die Dauer nicht leben kann?
Reichsgräfin Anna. Das wird er müssen. Er muß ohne ihn leben. Alexis wird ebenfalls eine Frau nehmen, und dann wird alles in Ordnung sein.
Komtess Juliane. Wenn aber nun Günther ohne Alexis unglücklich wird . . .?
Reichsgräfin Anna. Juliane, du wirst ihn glücklich machen.
Komtess Juliane. Auch wenn ich selber nicht glücklich bin?
Reichsgräfin Anna. Mädchen, Mädchen, mach mich nicht wahnsinnig! Dann heirate doch Alexis meinethalben – trotzdem ich glaube, daß er mit seiner Lebenslust, seiner Musik und seinem Schuß Frivolität leichter über den Verzicht hinwegkommen würde.
Komtess Juliane. Also du meinst, es sei auch für ihn ein Verzicht? Du erkennst also an, daß etwas, wofür ich nicht verantwortlich bin, im Spiele ist.
Reichsgräfin Anna. Leider hast du es aufkommen lassen.
Komtess Juliane. Gut, maman, ich werde von nun an deine gehorsame Tochter sein, deine reuige und gehorsame Tochter. Das Gehorchen mag mir ermöglichen, Schicksal zu spielen und, blind wie dieses, die Entscheidung herbeizuführen.
Reichsgräfin Anna streicht Komteß Juliane über den Scheitel. Kind, nimm es nicht allzu feierlich!
Komtess Juliane. Ich bin wohl bei allem ein wenig zu feierlich. – Aber es ist doch nun einmal so: mach' ich Alexis lachen, so Günther weinen. Und teile: ich das Lachen an Günther aus, so . . .
Reichsgräfin Anna. Der schöne Alexis wird auch dann lachen, jedenfalls aber sein Lachen schnell wiedergewinnen, mein Kind.
Komtess Juliane. So –? Ja, dann wäre ja alles gut, liebe Mutter. Sie bricht in Schluchzen aus und verbirgt ihr Gesicht am Halse der Mutter.