Gerhart Hauptmann
Die goldene Harfe
Gerhart Hauptmann

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Fünfte Szene

Das Musiksälchen wie in der ersten Szene. Komteß Juliane an der goldenen Harfe, Jutta bei ihr.

Jutta. Man sagt von der Harfe, sie besitze den poesie- und seelenvollen Silberton . . . – Sie sind nicht sehr bei der Sache, Komteß.

Komtess Juliane. Das ist die Trägheit meiner Natur – es fehlt mir in allen Dingen die Ausdauer.

Jutta. Das wollte ich und das mag ich nicht hören, Komteß! Sie sagen jetzt öfters solche Dinge. Sie springen überhaupt jetzt auf eine mich wirklich manchmal beängstigende Weise aus einer wahren Ausgelassenheit in eine unbegründete Traurigkeit.

Komtess Juliane. Nichts auf Erden ist unbegründet. Du weißt ja, wo mein Tempel der Hoffnung bisher gestanden hat und noch immer steht, Jutta. Ich fühlte es gestern, als ich die versäumte Blumenspende auf seinen Stufen niederlegte.

Jutta. Und vor kaum einer halben Stunde sind Sie hier mit den Worten eingetreten: »Es war herrlich! ich habe mit den Zwillingen wieder einen prachtvollen Morgenritt gemacht!«

Komtess Juliane. Ich leugne nicht, daß ich das gesagt habe. Überhaupt empfinde ich jetzt manchmal, vielleicht mehr als je, das Glück des Augenblicks – aber der Gram liegt auf der Lauer. Sie stützt ihr Haupt an die Harfe und weint still.

Jutta. Aber, aber, Sie weinen, Komteß! Den Grund dazu sehe ich wirklich nicht, mag auch alles auf Erden, wie Sie sagten, seinen Grund haben.

Komtess Juliane. Da ist auch durchaus nichts zu sehen, Jutta, wo alles im Gefühle begründet ist. Je schöner wir die Ferne aufleuchten sehen, um so tiefer empfinden wir auch das Dunkel. Werden jemand die Augen für überirdische Gesichte aufgetan, so sieht er auch das Irdische auf eine neue Art.

Jutta. Werfen Sie den Kleinmut ab, Komteß – jetzt, wo zwei der herrlichsten Troubadoure in Ihrem Dienst unermüdlich wetteifern.

Komtess Juliane, gefaßt. Wenn das Einfache nur so einfach wäre, wie du es einfach hinsprichst, Kind! Mich fröstelt manchmal, wenn ich tief innen plötzlich erkenne, was da alles miteinander um den Vorrang ringt.

Jutta. Kräftig und resolut, sagt mein Vater, müsse der Mensch das Leben anfassen.

Komtess Juliane. Dein Vater hat recht – deshalb brauche ich aber nicht unrecht zu haben, wenn ich sage: je höher die Gipfel, je tiefer die Abgründe. – Nun zeige mir aber den schwierigen Fis-Akkord.

Jutta. Ja, nun, Komteß, kann ich wieder die Saiten vor Tränen nicht sehen. Das haben Sie nun aus mir gemacht!

Komtess Juliane. Nun also, Jutta, du weinst über mich . . .

Jutta. Weil Sie das Gottgegebene, Heiter-Freie und Große nicht im freien und großen Sinne hinnehmen.

Komtess Juliane. Kleine Jutta, ich fürchte mich . . .

Jutta. Fürchten? wieso? vor was?

Komtess Juliane. Vor dem Leben, dem Glück, vor allem, Jutta! Manchmal habe ich Furcht, einen Schritt zu tun, weil ich mich einem dunklen Etwas zu nähern fürchte, was vielleicht unvermeidlich ist.

Jutta. Das nenne ich krankhafte Selbstqual – Sie müssen gesund werden!

Komtess Juliane. Die beiden Grafen, die du mit so verzückten Augen siehst: – oftmals muß ich über sie seufzen . . .

Jutta. Das, liebste Komteß, begreife ich nicht.

Komtess Juliane. Du hast recht, ich begreife es selber nicht. Aber trotzdem diese beiden Menschen mit ein und demselben Pulsschlag durchs Leben gehen – ich seh' im Geist, wenn der eine lacht, jedesmal den anderen in Tränen . . . Und mein schmerzhaft weit geöffnetes Auge zeigt mir manchmal einen noch ganz anderen Unterschied.

Jutta. Nichts, sagen Sie nichts! zu oft haben Ihre Visionen mir bange gemacht.

Komtess Juliane. Willst du mir glauben, ich möchte manchmal des Nachts, wenn ich aus schwerem Traume auffahre, ein Licht nehmen und zu den Zwillingen in die Schlafkammer tasten – ich möchte mit der Kraft einer Geistererscheinung die Rechte erheben und sie fort, weit fort weisen. Um ihretwillen, ohne Rücksicht auf mein Geschick . . .

Jutta. Nein, Komteß, solche Rückfälle ertrage und dulde ich nicht! Wie hat mein Vater gestern gesagt? »So lobe ich mir unsre allgeliebte Komteß, mit heiterer Seele und lachendem Herzen, von starken Armen durchs Leben getragen!«

Komtess Juliane. Ich gebe zu, daß dein Protest etwas für sich hat. Ich will versuchen, gesund zu werden.

Von draußen dringen Läufe und Melodien einer Flöte.

Jutta umarmt Juliane. Ja, ja, geben Sie sich alle erdenkliche Mühe, Komteß. Sie zuckt zusammen, wird aufmerksam. Horch, das ist der Musik-Graf – er übt! – – Ich bin vorhin durch den Park gekommen, ich hörte das ununterbrochene übermütige Lachen der beiden Grafen aus der Mansarde herab. Schon den ganzen Morgen, sagt der Gärtner, halle der Park von ihrer Lustigkeit.

Komtess Juliane. Nun ja, mag sein, es sind glückliche Menschen, Frohnaturen, wie Goethe sagt. Ich leugne nicht, daß sie mich oft und oft in ihren Übermut mit hineinreißen.

Jutta. Wobei wohl meistens Alexis der Führer ist.

Komtess Juliane. Dabei ist Alexis immer der Führer.

Jutta. Hätte Günther am Ende mit Ihnen, Komteß, eine gewisse Ähnlichkeit? ich meine, mit Ihrer Neigung zur Eingezogenheit und Versonnenheit.

Komtess Juliane. Er ist ein Dichter – das wäre nicht unmöglich. Ich bilde mir übrigens ein, ich hätte dir eine Vorliebe gerade für den versonnenen Günther abgemerkt.

Jutta. Ich finde, Komteß, man muß zu ihm aufschauen.

Komtess Juliane. Kannst du in deinem Herzen etwas begraben, wenn es dir deine Freundin anzuvertrauen das Bedürfnis hat?

Jutta. Ich bin Ihr verkörpertes Schweigen, Komteß.

Komtess Juliane. Nun also, in deine Seele gesprochen: weißt du, daß eine Locke von mir mit Heinz-Herbert im Sarge liegt?

Jutta. Offen gesprochen, es geht die Sage.

Komtess Juliane. Ist das nicht eine Art Vermählung für die Ewigkeit?

Jutta. Solche Gedanken müssen Sie abweisen, sie haben im Diesseits kein Bürgerrecht. Eine volle, köstliche Menschenblume wie Sie versündigt sich, wenn sie so denkt, am Leben! am Leben, Komteß, das Gott ihr als ein höchstes Geschenk gegeben hat.

Komtess Juliane. Auch Günther trägt eine Locke von mir auf der Brust.

Jutta. Ich weiß von der Zeremonie, die vor Jahren, als die drei Kameraden ins Feld zogen, stattgefunden hat.

Komtess Juliane. Aber Alexis hat meine Locke fortgeworfen.

Jutta. Er ist weniger tief, an Empfindsamkeit leidet er nicht: ein schöner Zug an ihm ist das mitnichten.

Komtess Juliane. Und doch würde ich heute wünschen, wünschen von ganzer Seele, Kind, auch Günther hätte die Locke fortgeworfen . . .

Jutta. Sie nehmen die Dinge doch wohl immer irgendwie etwas schwerer, als sie sind. Minnedienst, Frauendienst, Gottesdienst, das ist doch bei Kavalieren ein und dasselbe und selbstverständlich.

Komtess Juliane. Ich werde die Empfindung nicht los, die Träger der Locke hätten irgendwie Macht über mich.

Jutta fällt Komteß Juliane um den Hals. Nun, möchte doch Günther über Sie Macht haben!

Komtess Juliane. Höre, höre: ich habe Verdacht, daß gerade in dies Licht hineinzufliegen die kleine Motte Jutta im Begriff ist?!

Jutta. Komteß, warum nicht?! Mag ich zu Asche verkohlen!

 


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