Gerhart Hauptmann
Die goldene Harfe
Gerhart Hauptmann

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Zehnte Szene

Das gleiche Zimmer wie in der achten Szene. Reichsgräfin Anna, Komteß Juliane.

Reichsgräfin Anna. Willst du jetzt weggehen, Kind? Der Wagen muß jeden Augenblick einfahren. Papa sagt, von den oberen Fenstern sieht man ihn schon.

Komtess Juliane. Chère maman, ich muß Luft schöpfen.

Reichsgräfin Anna. Willst du nicht wenigstens den Empfang abwarten?

Komtess Juliane. Mir ist wirklich nicht gut, chère maman. Eine halbe Stunde in frischer Luft wird mich wiederherstellen. – Sage übrigens um Himmels willen von meiner vorübergehenden Unpäßlichkeit nichts dem Grafen Friedrich-Alexis, maman. Ich sehe ihn bald, bitte grüß ihn einstweilen.

Sie geht schnell und erregt ab. Graf Friedrich-Günther tritt ein.

Graf Friedrich-Günther. Darf ich fragen, ob Sie die Komteß gesehen haben, Erlaucht?

Reichsgräfin Anna. Sie war eben hier, aber sie hatte es furchtbar eilig, ins Freie zu kommen. Ich weiß nicht, was heute mit ihr ist.

Graf Friedrich-Günther. Wir hatten einen Spaziergang verabredet.

Reichsgräfin Anna. Inzwischen ist die Nachricht gekommen, daß Ihr Bruder Friedrich-Alexis jeden Augenblick eintreffen muß. Von den oberen Fenstern aus sieht man bereits in der Ferne die Postkutsche.

Graf Friedrich-Günther. Mein Bruder kommt? Ich bin überrascht. Erst gestern habe ich einen Brief von ihm mit einem vertonten Gedicht erhalten: er werde kaum vor Verlauf von acht Tagen hierher zurückkehren, schrieb er mir, wenn er nämlich nicht anderswo dringend beansprucht würde. Weiß Juliane, daß mein Bruder erwartet wird?

Reichsgräfin Anna. Ja. Sie bat mich, den Grafen zu grüßen.

Graf Friedrich-Günther. Zugegen sein beim Empfange wollte sie nicht?

Reichsgräfin Anna. Das schien nicht in ihrer Absicht zu liegen.

Graf Friedrich-Günther. Dann will ich sehen, ob ich sie einhole.

Reichsgräfin Anna. Wollen Sie also auch nicht bei der Ankunft Ihres Alter ego zugegen sein?

Graf Friedrich-Günther. Wie geruhen Sie meinen Bruder zu nennen, Erlaucht?

Reichsgräfin Anna. Ihr andres Ich, wie Sie einer den andren oft genannt haben.

Graf Friedrich-Günther. Er wird erst ein wenig Toilette machen, denke ich mir, und ich werde dann meiner Ritterpflicht gegen Komteß Juliane genügt haben.

Das Posthorn klingt ganz nah, Reichsgraf Waldemar tritt ein.

Reichsgraf Waldemar. Der Reisewagen Ihres Bruders ist eben durchs Parktor eingebogen.

Graf Friedrich-Günther, nach kurzem Zögern. Nun, dann will ich ihn doch erst abwarten.

Er geht schnell ab. Reichsgraf Waldemar und Reichsgräfin Anna allein.

Reichsgräfin Anna. Was sind diese jungen Leute doch zerfahren und aufgeregt!

Reichsgraf Waldemar. Man braucht nicht das Gras wachsen zu hören, liebe Anna, um zu wissen, daß eine kleine Erregung bei Friedrich-Günther begründet ist. So ganz unbefangen wie sonst vermag er doch seinem Bruder kaum noch entgegenzutreten. Denn was er ihm schließlich zu offenbaren hat, ist höchstwahrscheinlich und nach meiner stillen Beobachtung Friedrich-Alexis nicht ganz gleichgültig. Ob es vielleicht sogar tragisch wirken kann, weiß ich nicht.

Reichsgräfin Anna. Du würdest meinen, es sei auch in Friedrich-Alexis seinerzeit eine ernstere Neigung für Juliane aufgekeimt?

Reichsgraf Waldemar. Es wäre kein Wunder, da die Zwillinge doch so überraschend gleichen Wesens sind.

Reichsgräfin Anna. Nimmst du also nicht an, Juliane und Günther seien einig geworden?

Reichsgraf Waldemar. Bisher nahm ich es an, und ich nehme es an. Ich glaubte sogar, die Sache sei auch zwischen den Brüdern völlig zum Austrag gebracht, was nach dem Auftauchen von Friedrich-Alexis, das mir nicht ganz gefallen will, wieder fraglich geworden ist. Ich hatte gehofft, er würde, so etwa bis zur Hochzeit, fernbleiben.

Graf Friedrich-Günther kommt zurück.

Graf Friedrich-Günther. Die Kutsche war leer. Friedrich-Alexis ist irgendwo ausgestiegen. Nur sein Gepäck wird abgeladen.

Reichsgraf Waldemar. Er ist vielleicht bei der Fasanerie ausgestiegen und will den schönen Weg durch den Park zu Fuß machen.

Reichsgräfin Anna. Auf diese Weise würde ihn Juliane abfangen, da sie eben auf dem gleichen Wege in entgegengesetzter Richtung davongegangen ist.

Reichsgraf Waldemar. Haben Sie nicht den Postillon befragt?

Graf Friedrich-Günther. Nein – ich weiß nicht, warum ich es nicht getan habe.

Reichsgräfin Anna. Sie können Juliane im Augenblick einholen, da sie kaum erst hinter der großen Ulme verschwunden ist.

Graf Friedrich-Günther, einen Augenblick schwankend, dann mit Entschluß. Nein! dann werde ich auf mein Zimmer gehn. Graf Friedrich-Günther ab.

Reichsgräfin Anna. Ich begreife das eine nicht: warum hat er noch nicht bei uns um sie angehalten?

Reichsgraf Waldemar. Ich habe den Eindruck, liebes Kind, daß hier in drei Menschenherzen schwere und schwerste Kämpfe im Gange sind.

Reichsgräfin Anna. Möge Gott sie zum Guten wenden!

 


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