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Das gleiche Zimmer wie im vorigen Akt. Die Bettstellen sind hinausgeräumt. Der Anthrazitofen ist im Gang. Durch einen kleinen Diwan, einen Teppich, einen Tisch, mehrere Schaukelstühle ist der Raum wohnlich umgestaltet. Mit besserem Wohlbefinden, gepflegterem Äußeren sitzt Hubert am Tisch, vor sich Tinte und Papier, in der Hand die Feder. Am Tisch steht Mario Malloneck und ein anderes Individuum. Mario ist in der Kleidung amerikanisiert, Paletot, Hut. Auffälligkeiten in Schlips und Gamaschen. Handschuhe von hellem Leder. Der Mensch an seiner Seite zeigt weibliche Züge und weiblichen Geschmack.
Hubert. Nun hören Sie mal, Sie fragen mich aus, höchst naiv, als ob Sie ein Detektiv wären.
Mario. Ganz natürlich frag' ich Sie aus.
Hubert. Was finden Sie daran ganz natürlich?
Mario. Es ist mein gutes Recht, zu erfahren, was aus dieser Person geworden ist.
Hubert. Sie können von mir weiter gar nichts erfahren, als was ich Ihnen bereits gesagt habe: vor etwa fünf oder sechs Wochen hat die Dame mich aufgesucht. Sie war gänzlich ohne Subsistenzmittel, weil ihr Lump von Mann sie verlassen hat. Sie ist auf der Straße zusammengebrochen, und man hat sie ins Krankenhaus verbracht. Im Krankenhaus ist sie nicht mehr, wie Sie sagen; der Herr Apotheker Lamping, bei dem sie zuletzt gewohnt haben soll, weiß auch nichts von ihr. Man hat Sie schließlich an mich gewiesen. Wüßte ich, wo die Dame ist, wahrscheinlich würde ich's Ihnen nicht sagen.
Das Individuum. Erlauben Sie mal, wir sind nicht die Leute, mit denen man so, wie Sie glauben, umspringen kann. Der Herr und die Dame sind verheiratet.
Mario. Schweig, dummer Esel, du bist nicht gefragt worden. Ich will damit übrigens keineswegs sagen, daß der Gentleman unrecht hat, nur, man soll sich in meine Sachen nicht einmischen. Der Mann dieser Dame wäre ein Lump, wie Sie meinen: – aber wie? – meine Frau ist mir durchgebrannt! Von Beruf bin ich übrigens Koch. Ich weiß nicht, weshalb ich darum ein Lump sein sollte! Besonders, da Ihr verstorbener Vater es war, wie ich mir zu eröffnen erlaube, der mir als jungem Menschen vertrauensvoll die Küche vom Schwarzen Adler übergeben hat. Malloneck heiße ich! Vorname Mario! Sie werden gewiß von mir gehört haben.
Hubert. Ich dachte es mir, daß Sie der Schlingel sind.
Mario. Ich will es vom Sohn meines ehemaligen Prinzipales nicht weiter krummnehmen. Mit dem Schlingel spielen Sie auf mein jugendliches Alter an, als Ihr Vater mich zum Küchenchef machte. Mich würde Rothschild einstellen, glauben Sie mir, wenn er auch nur eine Ahnung von dem hätte, was ich leisten kann!
Hubert. Sie scheinen hier in Amerika manches gelernt zu haben.
Mario. Ach Gott, ich könnte auch boshaft sein. Reden Sie übrigens, was Sie wollen. Ich sehe ja, daß Sie nicht von der besten Gesundheit sind. Im Grunde habe ich Freude an Bosheiten. Und schließlich vergesse ich Ihrem verstorbenen Vater seine Guttaten an mir armem Lausejungen nicht.
Hubert. Mein Befinden, ob ich gesund oder krank bin, geht Sie nichts an.
Mario. Was haben Sie eigentlich gegen mich, wo ich hier einfach nach meiner Frau frage?
Hubert. Ich habe das gegen Sie, was man gegen bedenkliche, brüchige Existenzen hat, denen leider manchmal weibliche Wesen aus anderen Sphären zum Opfer fallen!
Mario. Haben Sie eigentlich gar keine Furcht, einen Menschen wie mich fortgesetzt zu reizen?
Hubert. Nein, nicht die allergeringste Furcht.
Mario. Sie riskieren dabei aber dies und das! würden es wenigstens riskieren, wenn ich nicht mehr gesunden Verstand hätte!
Hubert. Hat man Ihnen denn im Schwarzen Adler nie erzählt, wie ich mal mit einem Halunken Ihres Gelichters umgesprungen bin?
Mario. Kann ja sein. Aber, das war einmal! Sie wollen mir wahrscheinlich auch wieder alles ins Gewissen schieben, was mit Dörte geschehen ist. Einen Julinachmittag mit dreiundzwanzig Grad im Schatten will ich zugeben. Darüber hinaus bin ich für nichts verantwortlich.
Hubert. Ich werde mich hier nicht zum Richter aufwerfen. Vielleicht bietet sich aber bald Gelegenheit, etwas von Ihrer guten Natur zu zeigen, wenn Sie darauf noch Wert legen sollten. Gott befohlen! Ich stehe acht Tage vor der Heimreise und habe noch allerhand zu tun.
Mario. Well, da will ich Sie weiter nicht aufhalten. Und was Dörte angeht, die finde ich schon. Er geht, das Individuum folgt ihm.
Hubert. Gotthold! Gotthold springt herein, legt einen kleinen Revolver vor Hubert auf den Tisch.
Gotthold. Ich habe kein Auge von den Kerlen gelassen, Vater.
Hubert. Das war gut, Gotthold. Sie waren mir zu unerwartet auf den Leib gerückt, deshalb kam ich zu dir heraus und bat dich, ein bißchen aufzupassen. Ist dir an diesem Menschen nichts aufgefallen?
Gotthold. Aufgefallen? Ich wüßte nicht.
Hubert. Hat er dich nicht an jemand erinnert?
Gotthold. Himmel! – Aber das kann ja nicht sein. Das war doch unmöglich unser Koch Mario?
Hubert. Warum nicht? Es war wirklich Mario.
Gotthold. Mario? – Er springt nach der Tür und ruft die Treppe hinunter. Mario! Mario! – Warum hast du mir das denn nicht gesagt, Vater?
Hubert. Kennst du ihn denn so genau, den Mario?
Gotthold. Wie! und ob! Er ist ja mein bester Freund, Vater! Natürlich war er's. Ich kannte ihn nur nicht gleich wieder, weil ich ihn sonst immer im weißen Käppi, in der weißen Jacke, mit der weißen Schürze gesehen habe. Ach, Mario kann so furchtbar lustig sein! Und was der alles für Kunststücke kann! Hat er dir mal auf dem Kamm vorgespielt?
Hubert. Ich habe ihn ja heut zum überhaupt ersten Male zu genießen Gelegenheit gehabt, Gotthold.
Gotthold. Also wirklich, war das Mario, Vater?
Hubert. Natürlich! Wer sonst? Das war Mario. – Übrigens ist mir da ein Gedanke gekommen. Ich werde mal meinen Freund, den Policeman, aufsuchen. Mister Lehmann, Leihmän, Lohmän mag sich den Burschen mal bißchen anblinzeln.
Dorothea und Herbert treten ein. Sie sind winterlich straßenmäßig gekleidet. Dorothea sieht noch etwas leidend aus, ist aber in Kleidung und Betragen einfacher.
Herbert. Wir haben einen schönen Weg hinter uns, Hubert.
Hubert. Ist euch jemand begegnet, eh ihr ins Haus getreten seid?
Herbert. Ein schwarzer Kater ist uns begegnet. Aber da wir nicht abergläubisch sind, ist uns somit niemand begegnet.
Hubert. Ich gehe nur wenige Schritte nebenan auf das Cookbüro. Ihr bleibt wohl inzwischen hier, lieber Herbert? Ich bespräche nämlich gern mit dir noch dies und das, betreffend die Heimreise.
Herbert. Natürlich, wir bleiben hier bis zum Mittagbrot.
Gotthold. Weißt du, wer hier war, Onkel Herbert?
Hubert drückt ihm die Hand vor den Mund und stößt Gotthold mit sanfter Gewalt vor sich zur Türe hinaus. Weißt du, daß du ein Quatschkopf bist?
Herbert. Wer war denn hier?
Hubert, schon von draußen herein. Von mir ein alter, höchst fader Schulkamerad. Ab mit Gotthold.
Herbert. Der Spaziergang hat sich gelohnt, Frau Dorothee. Er hat Sie doch nicht zu sehr ermüdet?
Dorothea. Schon seit einigen Tagen spüre ich nichts mehr von der bleiernen Müdigkeit, die ich bis dahin nicht loswerden konnte.
Herbert. Sie haben beinahe vier Wochen das Bett gehütet. Auch das Fieber läßt eine Schwäche zurück. Nach alledem können wir mit dem Stande der Dinge heut mehr als zufrieden sein.
Dorothea. Eigentlich bin ich auch mehr als zufrieden.
Herbert. Es scheint, wir sind in der Wohnung allein. Bitte, Dorothee, wollen wir ablegen? Er nimmt ihr Hut und Mantel ab, nachdem er sich selbst von Stock, Hut und Mantel befreit. Dorothea tritt an den Ofen. Der Professor kämmt sein Haar. Der gute liebe Herr Bruder hat wahrhaftig nichts mehr als die Heimreise im Kopf. Koffer kaufen, Packen, Umpacken ist seine einzige Beschäftigung.
Dorothea. Mich hat das auch schon im stillen ein bißchen amüsiert. Er lebt schon dreiviertel im Thüringer Walde . . .
Herbert berührt eine Flasche, die auf dem Tisch steht. Hier hat er schon seine Flasche Wildunger. Apotheker Lamping hat sie ihm endlich beschafft.
Dorothea bringt ihr Haar in Ordnung usw. Apotheker Lamping! Ich weiß gar nicht, wie ich mich diesen lieben Lampings und überhaupt allen diesen guten Menschen hier, die so viel für mich getan haben, erkenntlich zeigen soll. Dazu fehlen mir wirklich alle und alle Mittel. Sie nimmt auf dem Sofa Platz.
Herbert. Ich habe Ihnen schon oft gesagt, das soll Ihnen keine Kopfschmerzen machen, Dorothee.
Dorothea trommelt nachdenklich auf dem Tisch. Und doch! Die Kopfschmerzen! – Ach, die Kopfschmerzen! –
Herbert, nach einigem Stillschweigen. Sei denn die Sache zum soundsovielten Male durchgesprochen. Ich bin seinerzeit des Rufes nicht würdig gewesen, der an mich ergangen ist. Durch mein Zögern und Zaudern, mein charakterloses und laues Verfahren sind wir beide zu Schaden gekommen. Unser Fall liegt aber insofern nicht ungünstig, als die Einsicht nicht zu spät gekommen ist, uns vielmehr durch ein deutliches und fast wunderbares Walten der Vorsehung aufgedrängt wurde. Was ist denn dabei nun wieder komisch, liebe Dorothee?
Dorothea. Ich weiß nicht, warum ich immer wieder, wenn Sie so etwas sagen, beinahe lachen und weinen muß.
Herbert. Mache ich Ihnen immer noch zu viel Umstände? – Trauen Sie mir noch immer nicht, Dorothee?
Dorothea. Damals habe ich mir freilich immer gedacht, Sie würden ganz gut auch ohne mich auskommen.
Herbert. Habe ich Ihnen das Gegenteil noch immer nicht hinreichend deutlich gemacht?
Dorothea. Heut haben Sie es mir wahr und wahrhaftig deutlich gemacht.
Herbert. Was für ein Dasein ich inzwischen geführt habe, das müssen Sie doch nun deutlich erkannt haben. Ihre rätselhafte und dunkle Reise mit diesem Mann nach Amerika, über die ich etwas Bestimmtes nirgend herausbringen konnte. Denn nochmals das Haus Ihres Vaters besuchen war mir nach dem, was Sie mir dort zu schmecken gegeben hatten, naturgemäß nicht mehr möglich, Dorothee. Meinem Bruder hätte ich schreiben können. Um seinetwillen wäre ich nicht über den großen Teich gereist. Ich hatte ein Gefühl, irgendwie an Ihnen gesündigt zu haben, Dorothee. Es packte mich elementar wie einen Zugvogel. Es war mir, als müßte ich etwas gutmachen und als brauchten Sie mich höchst notwendig. Und nun hat sich alles auf eine so geradezu staunenerregende Weise bestätigt.
Dorothea. Wenn ich nur so an Ihnen gesündigt hätte, wie Sie an mir . . .
Herbert. Sie haben gar nicht an mir gesündigt. Und wenn Sie an mir gesündigt hätten, was ist das in Anbetracht des Umstandes, wie man an Ihnen, wie Ihr Vater an Ihnen gesündigt hat.
Dorothea. Mein Vater hat furchtbar an mir gesündigt.
Herbert. Gott verzeihe ihm und erspare ihm dereinst die Verantwortung!
Dorothea. Er verzeihe ihm nicht und erspare ihm nicht die Verantwortung!
Herbert. Ich kann Ihren Schmerz begreifen, Dorothee.
Dorothea. Ich verzeihe mir nicht und erspare mir ebenfalls nicht die Verantwortung. Dir vielleicht kann ich es irgendwann mal ins Ohr sagen, was etwa meine Schuld in deinen Augen zu mildern imstande ist. Herbert, ich habe dich liebgehabt! Ich habe dich wirklich liebgehabt! Du kennst meinen Vater und wie er ist. Er hätte unmöglich in bezug auf Frauen ein Mönchsgelübde ablegen können. Vielleicht, daß ich darum, und als Kind meines Vaters, in ein Nonnenkloster nicht passen würde. Ich liebte dich, Herbert, mit Leidenschaft. Am liebsten hätte ich mich dir an den Hals geworfen. Aber das, wie du geartet warst, durfte ich nicht. Du hattest mir allzuoft gesagt, du schätztest in mir das schlicht-bescheidene, ländlich-unschuldsvolle Pastorskind. Nun, und so kam es. Mein Zustand wurde in einem einzigen unbewachten Augenblick von einem Menschen, den ich verachte, ausgebeutet. Sie erhebt sich und geht erregt hin und her. Nein, über die Sache komme ich nicht hinweg. Und dann gibt es ja Dinge, ganz andere Dinge, für welche die Schuld bei Vater liegt, die aber noch weniger aus der Welt zu schaffen sind.
Herbert. Das hast du mir zu überlassen. Die Entscheidung liegt ganz allein bei mir, liebes Kind.
Dorothea. Du sagst selbst, du wirst deine Karriere aufgeben um meinetwillen, das heißt: um unliebsamen Überraschungen vorzubeugen. Was soll daraus werden, wenn du gegen deine Neigung, und gewissermaßen deklassiert, den Schwarzen Adler wieder übernehmen willst.
Herbert. Das wird mich im höchsten Grade kaltlassen.
Dorothea. Mein Erzeuger ist auch mein Mörder geworden. Das Kind! – Die Angst vor dem Kind! Dabei wußte ich genau, ich konnte von diesem Subjekt kein Kind zur Welt bringen. Mein ganzer Körper, jede Zelle, jeder Blutstropfen wehrte sich. Und so bedurfte es nur noch der Seereise, um in dieser Hinsicht von Sorgen befreit zu sein. So wurde ich also für nichts geopfert.
Herbert. Dorothea, beruhige dich. Es ist vielleicht für uns beide besser, wenn wir ein bißchen auf meine nicht allzugut beleumdete professorale Pedanterie zurückgreifen. Was auch inzwischen geschehen ist, ich habe darüber mit Hubert gesprochen: wir entheben dich und vor allem enthebt dich der auf dich ausgeübte Zwang jeder Verantwortung.
Dorothea. Aber ich selbst? Wenn ich den Dunst der Gosse, den Gestank der Abwässer nicht mehr loswerde? Wenn ich mich, ohne ihn loszuwerden, ohne den ekelhaften, penetranten Fusel-, Schweiß-, Bulldoggen-, Bocks- und Blutgeruch loszuwerden, tagaus, tagein, jahraus, jahrein, Tag und Nacht waschen muß? Hast du denn eine Ahnung von meiner unaussprechlich fürchterlichen Besudelung? von meiner niederträchtigen, meiner entmenschten, bestialischen Entehrung und Entwürdigung? – Glaube mir: ich werde noch wahnsinnig! Was hast du davon, wenn ich am Ende auf das verfluchte Dach klettere und du deine Frau von den Pflastersteinen des Hotelhofes, mit verspritztem Hirn, eines Tages auflesen mußt? – Oh, hättet ihr mich doch draußen im Schneegestöber einschlafen lassen! . . . Und doch! und doch, Herbert, will ich nicht nein sagen! – Ich will die Hand nicht zurückstoßen, die du mir reichst, die so wunderbare Fügung nicht sträflich von mir weisen, die Hand Gottes nicht von mir weisen, die, fast sichtbarlich, in Erscheinung getreten ist! Wenn ich nur noch ein bißchen mehr Vertrauen und Zuversicht fühlen könnte! ein bißchen mehr Glauben und Sicherheit! Ich kann dies alles noch gar nicht recht glauben, die Wendung der Dinge, die doch schließlich eingetreten ist! – Und ich reiße dich halb und halb von einer neuen Beziehung los. Eine, die besser ist als ich, erhält von dir eine schmerzliche Absage! Du trägst ihre Briefe in deiner Tasche! – Aber was kann ich trotz allem tun? Was kann ich tun? Ich liebe dich! Zu übermenschlicher Großmut bin ich nicht fähig. So nimm mich! Mache mit mir, was du willst! Ihr habt mich ja sinnlos und willenlos, wie einen Gegenstand, auf der Straße gefunden und aufgelesen. Ich liebe dich! werfe mich dir nun doch noch an den Hals! Ich lasse dich nicht mehr von mir, Herbert! Du wirst mich, festhalten, läutern, reinigen! Die Liebe hoffet, glaubet und duldet ja alles, wie man sagt! Sie umschlingen einander unter glühenden Küssen. Dorothea tränenüberströmt. Ja, ja, nun ist alles gut! Alles Vertrauen ist wiedergekommen! Ich habe den Boden unter den Füßen wiedergefunden. – Dank, Geliebter! ewiglich! Innig verschlungen nimmt das Paar auf dem Diwan Platz.
Hubert von draußen herein.
Hubert. Soweit wäre nun alles in die Wege geleitet. Es ist also abermals die »Auguste Viktoria«. Sie verläßt Hoboken am siebenundzwanzigsten Februar und will in Cuxhaven am sechsten oder siebenten März eintreffen. Ich wünschte, Kinder, wir wären schon da!
Herbert. Auch wir haben heute einen entscheidenden Schritt vorwärts getan, Hubert. Wir beide sind eins! Nur der Tod kann uns scheiden!
Hubert. Ich habe das nicht anders erwartet, lieber Herbert, liebe Dorothee! Er drückt beiden die Hand. Nun möchte ich gern noch etwas Geschäftliches mit dir ordnen, mein Lieber! Wie wäre es, wenn wir es gleich abmachten?
Dorothea. Ich gehe inzwischen zu Leonore hinein. Dorothea und Herbert umarmen und küssen einander. Es ist, als ob sie für lange Zeit Abschied nähmen. In der Tür wendet sich Dorothea abermals um, und dasselbe Spiel wiederholt sich.
Hubert. Nu, nu, ihr nehmt ja Abschied, als ob ihr euch auf ein Jahrzehnt trennen wolltet. Es dauert ja nur einen Augenblick.
Dorothea geht hinaus.
Herbert. Jetzt erst, vor zwei Minuten, Hubert, bin ich – ein Mensch geworden! Ein Mensch, dessen Dasein einen Sinn, einen Wert bekommen hat.
Hubert. Da ist es am Ende sehr gut, wenn alles gleichsam hintereinanderweg erledigt wird.
Herbert. Ja, aber an was denkst du besonders?
Hubert. Wovon wir schon oft gesprochen haben. Ein Punkt, dessen Wichtigkeit gerade in diesem Augenblick, wo ihr beide einig geworden seid, nicht von der Hand zu weisen ist.
Herbert. Ja, wir beide sind einig geworden.
Hubert. Aber Dorothea ist noch verheiratet. Und irgendwie mit diesem Menschen ins reine zu kommen, womöglich schon hier in Amerika: das würde die Zukunft erheblich vereinfachen.
Herbert. Ja, aber wer weiß, in welcher Zuchthauszelle der Bursche zu finden ist!
Hubert. Du mußt dich an den Gedanken gewöhnen, ihm vielleicht schon binnen wenigen Minuten Auge in Auge gegenüberzustehn.
Herbert erbleicht, packt Hubert ums Handgelenk. Der Schurke ist aufgetaucht? Er ist hier in Meriden?
Hubert. Der Schurke ist aufgetaucht und ist hier in Meriden. Wenn du hierher ans Fenster trittst, kannst du seinen Busenfreund auf der gegenüberliegenden Seite der Straße Schmiere stehen sehen.
Herbert. Dieser Kerl da? Pfui Teufel noch mal! Wie wird man sich da zunächst verhalten?
Hubert. Ich nehme an, die Sache wird Geld kosten! Das ist ja auch der Standpunkt von unserem New Yorker Rechtsanwalt.
Herbert. Der Mensch hat die Frechheit, sich hier zu zeigen? Was will er denn hier? Verstehst du das?
Hubert. Was er will? Seine Frau natürlich. Er hat sich bereits in der ganzen Stadt nach ihr herumgefragt.
Herbert. Ich bin einfach dafür, daß man die Polizei benachrichtigt.
Hubert. Das wäre verkehrt. Ich bin nicht dafür. Man könnte ihn doch nur auf Zeugnis von Dorothea festsetzen, und das könnte auch irgendwie, bei einem so entschlossenen Kerl, ihr selbst zum Verhängnis werden.
Herbert. Nein! Gar nicht die Polizei behelligen!
Hubert. Schade, daß unser gerissener Anwalt nicht zur Stelle ist!
Herbert. In vierzig Minuten geht ein Zug, wir könnten mit Mario nach New York reisen. Wie soll ich aber, ohne über sie herzufallen, dieser Kanaille gegenüberstehn?!
Hubert. Ich kenne dich ja nicht wieder, Herbert. Nein, grade diesmal wirst du dein Phlegma brauchen, mein Sohn. Es ist alles verloren, wenn du diesem Kerl gegenüber nicht kalt, listig und womöglich katzenfreundlich bist. Ich kann ja gelegentlich andere Saiten aufziehen! Es ist leider nicht mehr möglich, eine persönliche Begegnung zwischen ihm und Dorothea ganz auszuschließen, da dieser Kerl draußen Schmiere steht. Ich habe jedenfalls Leonore gesagt, Dorothee nach Kräften abzulenken und festzuhalten.
Herbert. Du glaubst, er würde sich hier heraufwagen?
Hubert. Er hat sich bereits hier heraufgewagt. Du mußt ihn dir übrigens nicht wie einen Abdeckerlehrling vorstellen. Gotthold, mein Sohn Gotthold, kommt, wie ich mit meinen guten Augen festzustellen Gelegenheit hatte, höchst beglückt und Arm in Arm mit ihm, die Straße herauf.
Herbert. Na ja natürlich, es ist ja eben der alte Mario! Man hat ihn ja – ich vergesse das jetzt fast vollständig – drei oder vier Jahre im Hause gehabt. Er war schließlich sehr tüchtig und manchmal recht lustig. Selbst Mutter widerstand ja zuweilen seiner Komik nicht!
Hubert. Also wollen wir nun nur versuchen, ihn loszuwerden? Oder treten wir in die Hauptverhandlung ein?
Herbert. Was irgend möglich ist, wollen wir durchsprechen. Morgen nehmen wir ihn nach New York und bringen alles vor dem Notar in feste Form.
Hubert. Nun also kalt Blut! Er kommt, mein Junge!
In der Tür erscheint Mario, begleitet von Gotthold. Mario hat seinen rechten Arm weit aufgestreift und zeigt Gotthold eine blaue Tätowierung der Haut.
Gotthold. Das haben Sie sich alles mit der spitzen Nadel in die Haut stechen lassen, Mario?
Mario. Zu meinem Pläsiervergnügen, jawoll.
Gotthold. Was stellt denn das vor?
Mario. Das, was Hühner, Enten, Gänse, Schafe, Ziegen und auch manchmal Menschen miteinander tun.
Hubert, in einer Woge des Jähzorns, blaurot. Verschwinde, Gotthold! Keinen Mucks, Gotthold! Auf der Stelle hinaus mit dir! Gotthold verschwindet wie ein Licht.
Mario. Ich sage immer: Mensch, ärgere dich nicht! Was soll das dem Jungen denn schaden, wenn er etwas ganz Natürliches mal zu sehen kriegt?
Hubert. Das ist meine Sache! Ich bin sein Vater! Lassen Sie Ihre barbarischen Tätowierungen gefälligst bedeckt, Mario!
Mario, frech. Ich danke für Ihre Belehrung, Hubert! – Ah, aha, der Herr Professor Pfannschmidt! Ist mir sehr angenehm! Alte Bekannte, Herr Professor! Bitte sich hochgeneigt zu erinnern: dero Herrn Vater und dero Frau Mutter verwichener Küchenchef! Habe auch öfters den gelehrten Herrn Professor Doktor zu begrüßen und zu bewundern Gelegenheit gehabt. Gelegentlich auch eine Omelette mit Steinpilzen, die Euer Gnaden so gerne aßen, ein Rebhuhn oder eine Schnepfe mit dem obligaten Schnepfendreck zurichten dürfen. Verzeihen Sie meine Gesprächigkeit, ich habe, um mir die Zeit zu vertreiben, in der Unions-Bar einen Whisky zu mir gesteckt!
Hubert. Sie sind nun zum zweiten Male hier. Wollen Sie nun bitte diesmal den Grund Ihres Kommens in möglichst präziser Form zu Gehör bringen?
Mario. Dazu habe ich mir eben in der Bar den nötigen Mut gemacht.
Hubert. Nicht nötig, wir sind keine Menschenfresser.
Mario. Nach dem Ton, den Sie das erste Mal gegen mich anschlugen, kam es doch beinahe darauf hinaus. Ich habe ja ungefähr das Gefühl, Sie werden jetzt andere Saiten aufziehen. Ich ziehe jetzt jedenfalls, wie Sie bald merken werden, andere Saiten auf! Ich bin in der Bar mit mir schlüssig geworden.
Herbert. Ich weiß nicht, was mein Bruder mit Ihnen verhandelt hat. Wir sind, wie Sie wissen müssen, in den Temperamenten ein bißchen verschieden . . . Sie werden, solange Sie mich kennen, wohl kaum irgendeinen Ausbruch von Heftigkeit bei mir erlebt haben.
Mario. Nein. Ihre Ruhe war manchmal bis zur Lähmung aufreizend!
Herbert. Das ist Auffassungssache. Es mag wohl sein. – In bezug auf heute, das ist ja auch Ihnen klar, vermag nur die äußerste Ruhe uns weiterzubringen.
Mario. Man wird es ja sehen, meine Herrschaften.
Hubert. Worum handelt es sich also eigentlich?
Mario. Sie müssen ja wissen, worum es sich handelt, nämlich, worum es sich für Sie handelt. Worum es sich mir handelt, das weiß ich!
Herbert. Also sagen Sie uns, was Sie wissen und wollen, bitte.
Mario. Sehr einfach: ich weiß, meine Frau ist hier! Und ich will . . . ja, was will ich? – ich will sie abholen!
Längeres Stillschweigen.
Herbert. Ich wäre bereit zu einem Vergleiche, Herr Mario.
Mario. Bin ich Ihnen was schuldig, Herr Professor?
Herbert. Sie sind mir grade nichts schuldig, nein.
Mario. Na gut, und Sie sind mir auch nichts schuldig. Zu vergleichen gibt es da nichts. Was hätten zwei Leute untereinander auszugleichen, wo keiner dem anderen auch nur das allergeringste schuldig ist?
Herbert. Herr Mario, Sie verstehen mich nicht. Oder besser: Sie wollen mich nicht verstehen.
Mario. Dann können Sie mich ja gefälligst aufklären.
Hubert. Gehen wir doch nicht lange wie die Katzen um den heißen Brei herum! . . .
Herbert. Erlaube, ich will nur zu Ende reden. Ich appelliere an Ihre Vernunft, an Ihre Menschlichkeit, Herr Mario! Lassen Sie uns, was wir beide ja zur Genüge wissen, nicht unnütz aufrühren. Überantworten wir es der Vergessenheit. Die Brutalität des Pastors Angermann hat, sagen wir: drei Menschen auf die falsche Bahn gebracht: Frau Dorothee, Sie und nicht minder mich. Wollen wir das nicht zu unser aller Nutzen wieder gutmachen?
Mario. Das ist eine Art, die heikle Geschichte anzufassen, die jedenfalls – zu Hubert gewandt – aussichtsreicher als Ihre ist.
Hubert. Aussichtsreich oder nicht, meines Bruders Sache ist seine Sache. Ich werde nie anders mit Ihnen umspringen, als man mit Ihresgleichen umspringen muß. Was hat mein Vater an Ihnen getan! Sie sind ein verlauster Lümmel gewesen, zwei Drittel verhungert, von der Straße hat er Sie weggeholt, er hat Sie was Tüchtiges lernen lassen! Und wie haben Sie sich dessen würdig erwiesen? Es fehlt Leuten, Burschen ihres Kalibers eben jedes noch so geringe Maß von Dankbarkeit.
Mario. Inwiefern war ich undankbar?
Hubert. Sie haben gewußt, was zwischen meinem Bruder und Dorothea Angermann im Gange war, und haben doch nicht gezögert, sein Lebensglück – er war der Sohn Ihres Prinzipales und Wohltäters! – zu zerstören und zu vernichten, wobei Sie mit einem Zynismus ohnegleichen vorgegangen sind.
Mario. Oho! Ich bin auch nur ein Mensch in solchen Sachen! Ein Heiliger bin ich wahrhaftig nicht! Wenn ich mir auch zu meinem Spaß immer eine Tonsur rasieren lasse! Und übrigens war sie majorenn. Es sind immer zweie nötig bei solchen Sachen!
Herbert. Hubert, laß! Ich ertrage es schwer! Wir können diese Sachen nicht aufrühren.
Mario. Es ist mir übrigens nicht bekannt, daß Sie, Ihrem alten Papa gegenüber, gerade ein Muster von Dankbarkeit gewesen sind, eher las man das Gegenteil. Mein Vorgänger in der Küche hat mir Wunderdinge erzählt, wie Vater und Sohn miteinander gekracht haben. Einmal kam Ihre Frau Mutter ganz aufgelöst und nicht mehr bei Sinnen in die Küche gerannt, und man hatte Not, ihr das Küchenmesser zu entreißen, das sie in ihrer Wildheit gepackt hatte. Sie hätte sich sonst vielleicht, und zwar Ihretwegen, ums Leben gebracht!
Herbert. Um Gottes willen, nicht aufregen, Hubert! Du hast selbst gesagt, auf welche Weise man diese ganze Verhandlung führen soll.
Hubert. Aber dieser Bursche darf nicht vergessen, daß ich etwas mehr von ihm weiß, als er glaubt, und daß er mit einem Fuße dort steht, wo mit beiden zu stehen ihm verteufelt wenig gefallen dürfte.
Mario. Und Dorothee Gott sei Dank neben mir! Kommt man mir hier mit solcherlei Finten und denkt mir derart zu Leibe zu gehen, so ist man wahrhaftig schiefgewickelt. Sie aber können in Ihr Notizbuch schreiben: mein Bruder Hubert hat meine Zukunft schlimmer verpfuscht, als dreitausend Engel und Boten Gottes in zehn Jahren Arbeit wieder gutmachen können!
Hubert. Ich bitte, reden Sie keinen Stuß! Sie wollen Geld sehen, das ist ja schließlich die Hauptsache!
Mario. So? Will ich Geld sehen? Warten wir ab!
Herbert. Ich sage mich von allem los, lieber Hubert, was du Herrn Mario gegenüber geäußert hast. – Verstehen wir einander als gleichwertig! Korrigieren wir an unserem Leben, was offenkundig fehlerhaft daran gewesen ist. Sie haben Dorothee nicht geliebt, Sie dachten gar nicht daran, Sie zu heiraten. Sie wurden mit ihr gewaltsam zusammengekuppelt. Breiten wir den Mantel christlicher Liebe über das, was dann geschehen ist. Sie kamen in Not . . .
Hubert. Er hat fünfzehn- bis zwanzigtausend Mark, Dorotheens Vermögen, durchgebracht.
Mario. Und was haben Sie nicht alles durchgebracht? Sind Sie nicht eben noch, als Ihr Bruder kam, wie das ganze Städtchen weiß, am Verhungern gewesen?
Herbert. Hören Sie nicht auf meinen Bruder! Sagen Sie mir, nur mir, ob ein Ausgleich, eine Einigung irgendwie möglich ist. Unter welcher Bedingung würden Sie Dorothee freigeben?
Mario. Unter keiner Bedingung würd' ich sie freigeben!
Herbert. Sie wollen Dorothea nicht freigeben?
Mario. Nie! – Bedanken Sie sich bei Ihrem Bruder Hubert dafür!
Herbert. Hubert, willst du uns nicht allein lassen? Zu Mario. Sie haben jedenfalls nur mit mir zu tun. Denken Sie, welche Anhänglichkeit Sie schließlich immer an meine Eltern gehabt haben. Und vergessen Sie nicht, wir sind Landsleute! Ich wünschte, daß Sie verständig wären und in eine Begleichung der Sache willigten, die gleichsam eine Korrektur des Schicksals ist. Zu Schaden kommen sollen Sie nicht! Ich bin jedes Opfer zu bringen bereit! Das Opfer wird ein erhebliches sein!
Mario. Sie wollen mir meine Frau doch nicht abkaufen?!
Hubert. Mein Bruder dachte vielleicht höchstens an ein Schmerzensgeld.
Mario. Wie, wenn ich nun diese Sache bekanntmachte?! Allein hier in Amerika bekannt machte: Herr Professor Dr. Pfannschmidt aus Deutschland bietet mir Geld für meine Frau und bildet sich trotzdem ein, mir, der ich diesen schmutzigen Handel ablehne, moralisch überlegen zu sein.
Hubert. Wie lange werden Sie noch so fortfahren?
Herbert, mehr und mehr unbeherrscht. Wie lange werden Sie nicht begreifen, welcher Entschlossenheit Sie gegenüberstehen? Ich sage Ihnen, es ist kein Gedanke daran, daß Sie jemals wieder diese Frau entehren! daß Sie sich jemals wieder an ihr versündigen!
Mario. Und ich sage Ihnen, Sie werden mir Dorothee nie entreißen!
Herbert. Sie kennen mich nicht, Sie wissen nicht, wer und wie ich bin! Sollten Sie diese Unglückliche nicht freilassen, so werden Sie, werde ich, ich, der gesetzte Mann und Professor, nur noch die blutrote Farbe vor meinen Augen sehen!
Mario. Wollen Sie jemand mit solchen Reden ins Bockshorn jagen, so müssen Sie sich jemand anders aussuchen!
Herbert. Nein, ganz allein Sie, Sie such' ich mir aus!
Mario. Gehören Sie etwa dem Verein zur Rettung gefallener Mädchen an? Mit so etwas bin ich nicht kirre zu machen! Ich will Ihnen sagen, wie es steht: Sie haben ganz einfach mit der Frau eines anderen unerlaubten Verkehr gehabt!
Herbert fährt Mario an die Gurgel und schüttelt ihn. Hubert wirft sich auf ihn mit erhobenem Stock. Mario wird mehrmals mit dem Hinterkopf gegen die Wand gestoßen. Dorothea stürzt herein, ihr folgt Leonore.
Dorothea. Was ist denn geschehen? Was geht denn hier vor?
Herbert und Hubert lassen ab von Mario. Dieser sucht seine zerrissenen Sachen in Ordnung zu bringen.
Mario. Du bist hier? Ich bin ja in eine schöne Kaschemme geraten! Du hast dir ja eine hübsche Räuberhöhle ausgesucht!
Dorothea. Wo kommst du so plötzlich her, Mario?
Mario. Das war es: das eben wollte ich dich auch fragen. – Willst du nicht auch noch über mich herfallen, wie deine beiden Ludenbrüder über mich hergefallen sind?
Hubert, indem er Herbert mit Gewalt bändigt. Jetzt bin ich's, der dir Ruhe gebietet, wenn hier nicht ein Totschlag geschehen soll!
Dorothea. Was hat man dir angetan, Mario?
Mario. Du alte Schalaster, hab dich nicht! Als ob du nicht auch im Komplotte wärst! Ich werde doch hier nicht lebendig herauskommen!
Herbert und Hubert dringen aufs neue auf ihn ein. Dorothea stellt sich schützend vor ihn.
Dorothea. Rührt ihn nicht an! oder aber: beseitigt erst mich!
Leonore. Mäßige dich, Hubert! Mäßige dich, Herbert!
Mario. Hab' ich das um dich verdient, Dörte? Dich durfte nur einer mal schief ansehen, der konnte die Beine in die Hand nehmen, sonst hatte er gleich ein halb Dutzend Klingen im Unterleib! Und du läßt dieses Pack so über mich herfallen!
Dorothea. Nein! Glaube das nicht von mir, Mario!
Mario. Was hätte ich Übles an dir getan? Ich wollte nichts anderes als vorwärtskommen! Ich habe mit dir geradezu renommiert! Was kann ich dafür, wenn diese Amerikaner uns über sind! Sie haben uns ausgesogen und ausgebeutet! Ich habe gespielt, habe Geld verspielt! Warum? – weil ich Geld gewinnen wollte! Ich habe dir hundertmal gesagt: wenn wir Geld haben, gehen wir nach Deutschland zurück, und dann wollen wir dem Vater Pastor gründlich die Augen auswaschen! Und nun brennst du mir durch und läßt mich allein?! verrätst mich und lebst mit einem andern?!
Dorothea. Das ist nicht richtig, du hast mich verlassen, hast mich mit Fäusten von dir getrieben, Mario! Du gingst weg und bist nicht wiedergekommen! Woche um Woche schleppte ich mich hungernd und frierend in den Gassen des Chinesenviertels herum, Nächte habe ich im Polizeigewahrsam verbringen müssen.
Mario. Und ich hab' dich gesucht und fand dich nicht. Ich hab' dich gesucht wie eine Stecknadel. Was kann ich dafür, daß New York so riesenmäßig und übervölkert ist?!
Dorothea. Nein, dafür kannst du nichts, Mario.
Mario. Frag Karl, frag Eduard, frag den grünen Emil danach, ob ich nicht mehr tot als lebendig gewesen bin! Sie haben mich mehrere Male nur mit Mühe vom Selbstmord abgebracht!
Dorothea. Ich kenne dich ja, das glaube ich dir ja! Wer weiß es besser als ich? du bist ja im Grunde nicht böse. Ich hab' ja manchmal sogar gestaunt, wie gut du bist. Er ist mal über die Barriere in den Hudson gesprungen, weil mir mein Sonnenschirmchen hinuntergeweht worden war!
Hubert. Aber meine liebe und, mit allem Respekte, verehrte Frau Dorothee, ich erlaube mir ganz gehorsamst zu bemerken, wenn Ihre Meinung diese ist . . .
Herbert. Sind wir am Ende gar indiskret, und sollten wir euch wohl besser allein lassen?
Dorothea, sehr ruhig, sehr bestimmt. Das tut nicht not, jetzt im Augenblick! Daß hier aber kein beliebiger Fremder, sondern mein Ehegatte steht, darf man trotz allem nicht außer acht lassen. Wenn ihr über ihn herfallt und ihn brutalisiert, so müssen die Schläge natürlich auch mich treffen!
Herbert. Du fühlst dich noch immer so weit solidarisch mit ihm?
Dorothea. Das ist nicht zu ändern, das liegt in den Tatsachen! –
Herbert. – – Soll ich hier etwa nochmals in Konkurrenz treten? Das ginge zu weit! Ich vermöchte das nicht.
Mario. Ihren Hochmut kennen wir längst, Herr Professor. Es gab nicht einen Angestellten im Schwarzen Adler, der nicht gewußt hätte, daß Sie ihn nur über die Achsel angucken!
Herbert. Mag immerhin sein, ich bestreite es nicht. –
Hubert. – – Nun ist ja wohl Ruhe eingetreten.
Herbert. Es ist eine Art Gewitter gewesen, welches die Atmosphäre auf gewisse Weise gereinigt hat.
Hubert. Und Dorothea? Wie denkt sie darüber?
Dorothea. – – Was ich über die seltsamen Dinge, die sich mit uns Menschen begeben, denken soll, weiß ich nicht. Ich weiß jedenfalls, daß ich eine Zeitlang vergessen hatte – wie durch eine Erleuchtung weiß ich es jetzt –, welcher Weg für mich der einzig gangbare ist! In eure Welt kann ich nicht mehr zurückkehren!
Herbert. Ich glaube es schaudernd selbst, liebe Dorothee!
Hubert, bitter. Kein Mensch vermag etwas gegen Erleuchtungen!
Dorothea. Du bist überrascht und mehr noch gekränkt und mehr noch beleidigt, Herbert. Den Ernst und den Zwang und die Pein deines Schicksals kenne ich. Du hattest dir ganz Ungeheures abgerungen! – Beurteile mich nicht falsch, guter Herbert! Du nimmst mich noch als Persönlichkeit, während ich nicht mehr als ein Bündel aufgepeitschter, dunkler Triebe, ein Bündel Nerven und – ich kann es wahrhaftig nicht anders ausdrücken! – brünstiger Sehnsucht nach Vernichtung bin!
Herbert lacht traurig auf. Du hast ja hübsche Worte gefunden! hübsche Worte für eine Sache – die eine häßliche ist.
Dorothea. Was heißt denn häßlich und hübsch, guter Herbert? Du könntest es etwa wild und zahm nennen. Die Gerüche sind nicht die besten dort unten, die Worte und Taten oft zynisch und ekelhaft. Die Welt wie oben, nur um vieles furchtbarer. Ein Klima, das wie die sonderbare, frierende Wollust von vierzig Grad Fieber ist. Ihr seid vielleicht dem abgekühlteren Erdball angepaßt, während wir noch in der Zeit leben, wo er heißer war, und gewissermaßen noch kochendes Blut haben! – –
Hubert. Kurz und gut: so haben Sie denn doch in diesem seltsamen Kampfe gesiegt, hochmögender und geschätzter Herr Mario!
Mario. Ich habe gesiegt, Ihr Hohn ist mir gleichgültig! Mit Weibern muß man ganz einfach Bescheid wissen!
Hubert. Wer Bescheid weiß, weiß nicht mit ihnen Bescheid. Bleibt nur noch die Frage, wie wir insgesamt und jeder einzelne zum Beschluß kommen.
Dorothea. Ich reise natürlich mit dir nach New York, Mario! Geht in die Küche, um sich anzuziehen.
Mario. Ich bin nicht schuld, daß es so gekommen ist. Es hätte auch können anders kommen. Ein bißchen honetter hätten Sie brauchen sein.
Hubert, höhnisch. Oho, lieber Herbert, hörst du das?
Mario, zynisch. Eine Frau loswerden ist besser, als sich eine aufhalsen: wenn Sie also ein bißchen . . .
Hubert, wie vorher. Oho! Immer besser! Na, vielleicht können wir später, nach Jahren mal, ein Geschäft machen.
Dorothea kommt, für die Straße angezogen, aus der Küche. Wir wollen es kurz machen, Mario! – Zu den Brüdern. An Dank bin ich arm. Irgendein nennenswertes Eigentum habe ich nicht. Ihr habt viel Gutes an mir getan, ihr habt mich dem Leben zurückgegeben. Welchem Leben, dafür ist niemand verantwortlich! Vergiß mich, Herbert! auch Sie, Hubert, vergessen Sie mich!
Leonore, die mit hereingekommen ist, versucht sie festzuhalten. Dorothee, übereile dich nicht! Bleib! Vielleicht läßt sich alles noch ausgleichen.
Dorothea schnell und wortlos hinaus. Mario folgt zögernd, nicht ohne Verlegenheit.
Leonore drückt sich das Taschentuch in den Mund und eilt nach der Küche. Hubert sitzt und trommelt auf der Tischplatte. Herbert schreitet in gemachter Gleichgültigkeit langsam der Tür zu, hinter der Dorothea verschwunden ist. Dann packt es ihn nach und nach gewaltsam, er weint, weint.
Hubert. Herbert, Kopf hoch! Kopf hoch, Herbert!
Herbert, von lautlosem Schluchzen geschüttelt, an seiner Brust.