Wilhelm Hauff
Lichtenstein
Wilhelm Hauff

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Kapitel 35

Die Nacht, welche diesem entscheidenden Tag folgte, brachten Herzog Ulrich und seine Begleiter in einer engen Waldschlucht zu, die durch Felsen und Gesträuch ein sicheres Versteck gewährte und noch heute bei dem Landvolk die ›Ulrichshöhle‹ genannt wird. Es war der Pfeifer von Hardt, der ihnen auf ihrer Flucht als ein Retter in der Not erschienen war und sie in diese Schlucht führte, die nur den Bauern und Hirten der Gegend bekannt war. Der Herzog hatte beschlossen, hier zu rasten, um dann, sobald der Tag graute, seine Flucht nach der Schweiz fortzusetzen. Wohl wäre ihm hierzu die Nacht günstiger gewesen, denn die Bundestruppen hatten schon das Land besetzt, und es war wenig Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er sie täuschen und ungehindert entkommen würde; aber die Pferde waren von dem heißen Schlachttag ermüdet, und es war unmöglich, den Herzog und seine notwendige Begleitung von neuem beritten zu machen, ohne die Nachforschung des Feindes auf diesen Schlupfwinkel zu leiten.

Die Männer hatten sich um ein spärliches Feuer gelagert. Der Herzog war längst dem Schlummer in die Arme gesunken und vergaß vielleicht in seinen Träumen, daß er ein Herzogtum verloren habe; auch der alte Herr von Lichtenstein schlief, und Marx Stumpf von Schweinsberg hatte seine mächtigen Arme auf die Knie gestützt, sein Gesicht in die Hände verborgen, und man war ungewiß, ob er schlafe oder in Kummer versunken über das Schicksal des Herzogs nachdenke, das sich mit einem Schlag so furchtbar gewendet hatte. Georg von Sturmfeder besiegte die Macht des Schlummers, der sich immer wieder über ihn lagern wollte; er war der Jüngste unter allen und hatte freiwillig in dieser Nacht die Wache übernommen. Neben ihm saß Hans, der Pfeifer von Hardt; er sah unverwandt ins Feuer, und seine Gedanken schienen sich in einem Liedchen zu sammeln, dessen melancholische Weise er mit leiser, unterdrückter Stimme vor sich hin sang. Wenn das Feuer heller aufflackerte, schaute er mit einem trüben Blick nach dem Herzog, und wenn er sah, daß jener noch immer schlafe, versank er wieder in den flüsternden, traurigen Gesang.

»Du singst eine traurige Weise, Hans!« unterbrach ihn Georg, den die melancholischen Töne dieses Liedes unheimlich anregten, »es tönt wie Totengesang und Sterbelieder, ich kann es nicht ohne Schaudern hören.«

»Wir können alle Tage sterben«, sagte der Spielmann, indem er düster in die Flamme blickte, »drum sing' ich gerne ein solches Lied, es ist mir, als könnte ich mit solchen Gedanken würdiger sterben.«

»Wie kommst Du auf einmal zu diesen Todesgedanken, Hans? Du warst doch sonst ein fröhlicher Bursche zur Herbstzeit, und Deine Zither tönte auf mancher Kirchweih. Da hast Du gewiß keine Totenlieder gesungen.«

»Meine Freude ist aus«, erwiderte er und wies auf den Herzog, »all meine Mühe, all meine Sorge war vergebens; es ist aus mit dem Herrn und ich – ich bin sein Schatten; auch mit mir ist's aus; hätte ich nicht Frau und Kind, ich möchte heute nacht noch sterben.«

»Wohl warst Du immer sein getreuer Schatten«, sagte der junge Mann gerührt, »und oft habe ich Deine Treue bewundert; höre, Hans! Wir sehen uns vielleicht lange nicht mehr. Jetzt haben wir Zeit zu schwatzen, erzähle mir, was Dich so ausschließlich und eng an den Herzog knüpft, wenn es etwas ist, das Du erzählen kannst.«

Er schwieg einige Augenblicke und schürte das Feuer zurecht; ein unruhiges Feuer blitzte in seinen Augen, und Georg war ungewiß, ob es die Flamme oder eine innere Bewegung sei, was seine ausdrucksvollen Züge mit wechselnder Röte übergoß. »Das hat seine eigene Bewandtnis«, sagte er endlich, »und ich spreche nicht gern davon. Doch Ihr habt recht, Herr, auch mir ist es, als würden wir uns lange nicht mehr sehen, so will ich Euch denn erzählen. Habt Ihr nie von dem Armen Konrad gehört?«

»Oh ja«, erwiderte Georg, »das Gerücht davon kam noch weiter als bis zu uns nach Franken; war es nicht ein Aufstand der Bauern? Wollte man nicht sogar dem Herzog ans Leben?«

»Ihr habt ganz recht, der Arme Konrad war ein böses Ding. Es mögen nun sieben Jahre sein, da gab es unter uns Bauern viele Männer, die mit der Herrschaft unzufrieden waren; es waren Fehljahre gewesen, den Reicheren ging das Geld aus, die Armen hatten schon lange keines mehr, und doch sollten wir zahlen ohne Ende, denn der Herzog brauchte gar viel Geld für seinen Hof, wo es alle Tage zuging wie im Paradies.«

»Gaben denn Eure Landstände nach, wenn der Herr soviel Geld verlangte?« fragte Georg.

»Sie wagten eben auch nicht, immer nein zu sagen, des Herzogs Beutel hatte aber gar ein großes Loch, das wir Bauern mit unserem Schweiß nicht zuleimen konnten. Da gab es nun viele, die ließen die Arbeit liegen weil das Korn, das sie pflanzten, nicht zu ihrem Brot wuchs, und der Wein, den sie kelterten, nicht für sie in die Fässer floß. Diese, als sie dachten, daß man ihnen nichts mehr nehmen könne als das arme Leben, lebten lustig und in Freuden, nannten sich Grafen zu Nirgendsheim, sprachen viel von ihren Schlössern auf dem Hungerberg und von ihren bedeutenden Besitzungen in der Fehlhalde und am Bettelrain, und diese Gesellschaft war der Arme Konrad.«

Der Pfeifer legte sinnend seine Stirn in die Hand und schwieg. »Von Dir wolltest Du ja erzählen, Hans«, sagte Georg, »von Dir und dem Herzog –.«

»Das hätte ich beinahe vergessen«, antwortete dieser – »Nun«, fuhr er fort, »es kam endlich dahin, daß man Maß und Gewicht geringer machte und dem Herzog gab, was damit gewonnen wurde. Da wurde aus dem Scherz bitterer Ernst. Es mochte mancher nicht ertragen, daß rings umher volles Maß und Gewicht und nur bei uns kein Recht sei. Im Remstal trug der Arme Konrad das neue Gewicht hinaus und machte die Wasserprobe.«

»Was ist das?« fragte der junge Mann.

»Ha!« lachte der Bauer, »das ist eine leichte Probe. Man trug den Pfundstein mit Trommeln und Pfeifen an die Rems und sagte: ›Schwimmt's oben, hat der Herzog recht, sinkt's unter, hat der Bauer recht.‹ Der Stein sank unter, und jetzt zog der Arme Konrad Waffen an. Im Remstal und im Neckartal bis hinauf gegen Tübingen und hinüber an die Alb standen die Bauern auf und verlangten das alte Recht. Es wurde gelandtagt und gesprochen, aber es half doch nichts. Die Bauern gingen nicht auseinander.«

»Aber Du, von Dir sprichst Du ja gar nicht.«

»Daß ich's kurz sage, ich war einer der Ärgsten«, antwortete Hans, »ich war kühn und trotzig, mochte nicht gerne arbeiten und wurde wegen Jagdfrevel unmenschlich bestraft; da trat ich in den Armen Konrad, und bald war ich so arg als der Gaispeter und der Bregenzer. Der Herzog aber, als er sah, daß der Aufruhr gefährlich werden könne, ritt selbst nach Schorndorf. Man hatte uns zur Huldigung zusammenberufen, wir erschienen zu vielen Hunderten, aber bewaffnet. Der Herzog sprach selbst zu uns, aber man hörte ihn nicht an. Da stand der Reichsmarschall auf, erhob seinen goldenen Stab und sprach: ›Wer es mit dem Herzog Ulrich von Württemberg hält, trete auf seine Seite!‹ Der Gaispeter aber trat auf einen hohen Stein und rief: ›Wer es mit dem Armen Konrad vom Hungerberg hält, trete hierher!‹ Siehe, da stand der Herzog verlassen unter seinen Dienern. Wir andern hielten zu dem Bettler.«

»Oh schändlicher Aufruhr«, rief Georg, vom Gefühl des Unrechts ergriffen, »schändlich vor allen die, welche es so weit kommen ließen! Da war gewiß Ambrosius Volland, der Kanzler, an vielem schuld?«

»Ihr könnt recht haben«, erwiderte der alte Spielmann, »doch hört weiter: der Herzog, als er sah, daß seine Sache verloren sei, schwang sich auf sein Roß, wir aber drängten uns um ihn her, doch noch wagte es keiner, den Fürsten anzutasten, denn er sah gar zu gebietend aus seinen großen Augen auf uns herab. ›Was wollt Ihr Lumpen?‹ schrie er und gab seinem Hengst die Sporen daß er sich hoch aufbäumte und drei Männer niederriß. Da erwachte unser Grimm; sie fielen seinem Roß in die Zügel, sie stachen nach ihm mit Spießen und ich, ich vergaß mich so, daß ich ihn am Mantel packte und rief: ›Schießt den Schelmen tot!‹«

»Das warst Du, Hans?« rief Georg und sah ihn mit scheuen Blicken an.

»Das war ich«, sagte dieser langsam und ernst, »aber es wurde mir dafür, was mir gebührte. Der Herzog entkam uns damals und sammelte ein Heer; wir konnten nicht lange aushalten und ergaben uns auf Gnad und Ungnad. Es wurden zwölf Anführer des Aufruhrs nach Schorndorf geführt und dort gerichtet; ich war auch unter diesen. Aber als ich so im Kerker lag und mein Unrecht und den nahen Tod überdachte, da graute mir vor mir selbst, und ich schämte mich, mit so elenden Gesellen, wie die andern elf waren, gerichtet zu werden.«

»Und wie wurdest Du gerettet?« fragte Georg teilnehmend. »Wie ich Euch schon in Ulm sagte, durch ein Wunder. Wir zwölf wurden auf den Markt geführt, es sollte uns dort der Kopf abgehauen werden. Der Herzog saß vor dem Rathaus und ließ uns noch einmal vor sich führen. Jene elf stürzten nieder, daß ihre Ketten fürchterlich rasselten, und schrien mit jammernder Stimme um Gnade. Er sah sie lange an und betrachtete dann mich.

›Warum bittest Du nicht auch?‹ fragte er. ›Herr‹, antwortete ich, ›ich weiß, was ich verdient habe, Gott sei meiner Seele gnädig.‹ Noch einmal sah er auf uns, dann aber winkte er dem Scharfrichter. Wir wurden nach dem Alter gestellt, ich, als der Jüngste, war der letzte. Ich weiß wenig mehr von jenen schrecklichen Augenblicken; aber nie vergesse ich den gräulichen Ton, wenn die Halsknorpel krachten.«

»Um Gottes willen hör auf«, bat Georg, »oder übergehe das Gräßliche!«

»Neun Köpfe meiner Gesellen staken auf den Spießen, da rief der Herzog: ›Zehn sollen bluten, zwei frei sein. Bringt Würfel her und laßt die drei dort würfeln!‹ Man brachte Würfel, der Herzog bot sie mir zuerst; ich aber sagte: ›Ich habe mein Leben verwirkt und würfle nicht mehr darüber!‹ Da sprach der Herzog: ›Nun, so würfle ich für Dich.‹ Er bot den zwei andren die Würfel hin. Zitternd schüttelten sie in den kalten Händen die Würfel, zitternd zählten sie die Augen: der eine warf neun, der andere vierzehn; da nahm der Herzog die Würfel und schüttelte sie. Er faßte mich scharf ins Auge, ich weiß, daß ich nicht gezittert habe. Er warf und deckte schnell die Hand darauf. ›Bitte um Gnade‹, sagte er, ›noch ist es Zeit.‹ ›Ich bitte, daß Ihr mir verzeihen mögt, was ich Euch Leids getan‹, antwortete ich, ›um Gnade aber bitt' ich nicht, ich habe sie nicht verdient und will sterben.‹ Da deckte er die Hand auf, und siehe, er hatte achtzehn geworfen. Es war mir sonderbar zumute, es kam mir vor, als habe er gerichtet an Gottes Statt. Ich stürzte auf meine Knie nieder und gelobte, fortan in seinem Dienst zu leben und zu sterben. Der Zehnte wurde geköpft, wir beide waren frei

Mit immer höhersteigender Teilnahme hatte Georg der Erzählung des Pfeifers von Hardt zugehört; aber als er schloß, als sich das sonst so kühn und listig blickende Auge mit Tränen füllte, da konnte er sich nicht enthalten, seine Hand zu fassen, sie fest und herzlich zu drücken. »Es ist wahr«, sagte der junge Mann, »Du hast Schweres an Deinem Landesherrn verschuldet, aber du hast auch schrecklich gebüßt, denn Du hast den Tod dennoch erlitten; jenes schnelle Zücken des Schwertes ist nichts mehr gegen das Gefühl, so viele bekannte Menschen hinrichten und den Tod immer näherkommen zu sehen! Und hast Du nicht durch ein Leben voll Treue, durch Aufopferung und Wagnis aller Art den Fürsten versöhnt, an den Du Deine Hand legtest? Wie oft hast Du ihm die Freiheit, vielleicht das Leben gerettet! Wahrlich, Deine Schuld ist reichlich abgetragen.«

Der arme Mann hatte, nachdem er seine Erzählung geschlossen, wieder mit düsterem Sinnen ins Feuer geschaut. Er hätte ganz teilnahmlos geschienen, wenn nicht unter den Worten Georgs nach und nach ein trübes Lächeln auf seinen Zügen erschienen wäre. »Meint Ihr«, sagte er, »ich hätte gebüßt und meine Schuld abgetragen? Nein, solche Schulden tilgen sich nicht so bald, und ein geschenktes Leben muß für den ausgesetzt werden, der es uns fristete. Das Umherschleichen in den Bergen, Kundschaft bringen aus Feindes Lager, Höhlen zeigen, wo man sich verbergen kann, das ist keine schwere Sache, Herr, und das allein tut's nicht. Ich weiß, ich werde noch einmal für ihn sterben müssen und dann, Herr, nehmt Euch meines Weibes und meiner Tochter an.«

Eine Träne fiel in seinen Bart; doch als schämte er sich, so weich zu sein, verbarg er sein Gesicht in der Hand und fuhr fort:

»Doch dazu bin ich noch nicht gut genug; wie jeder Kriegsmann, wie jeder im Volk, darf ich für ihn sterben; oh könnte ich durch meinen Tod seine Huldigung abändern und ihm das Land wieder verschaffen, noch in dieser Stunde wollte ich sterben!«

Der Herzog erwachte; er richtete sich auf, er sah mit verwunderten Blicken um sich her, als sei er durch einen Zauber in diese Erdschlucht versetzt und sehe jetzt erst diese Felsen und Bäume, das spärliche Feuer und die von den Flammen beschienenen Männer, seine Begleiter; er bedeckte seine Augen mit der Hand, doch er sah wieder auf, als prüfe er, ob diese Erscheinungen bleiben; – sie blieben, und schmerzlich sah er bald den einen, bald den andern an. »Ich habe heute ein Land verloren«, sprach er, »es hat mich nicht so geschmerzt als dieses Erwachen, denn ich habe es im Traum wieder und noch viel schöner besessen.«

»Seid nicht ungerecht, Herr«, sagte Marx Stumpf von Schweinsberg, indem er sich aus seiner gebückten Stellung aufrichtete, »seid nicht ungerecht gegen diese Wohltat der Natur. Wie unglücklich wäret Ihr, wenn Ihr auch im Schlummer, der Eure Kräfte für das schwere Unglück stärken soll, Euren Verlust noch fühltet, auch da noch so düster darüber gebrütet hättet. Ihr seid finster und verschlossen eingeschlummert, jetzt sind Eure Züge freundlicher; verdanken wir dies nicht Eurem Traum?«

»So hätte ich nie erwachen mögen, oh, daß ich Jahrhunderte fortgeträumt hätte und dann erwacht wäre; es war so schön, so tröstlich, was ich träumte!«

Er stützte die Stirn in die Hand und schien schmerzlich bewegt. Der alte Herr von Lichtenstein war von den Stimmen der Sprechenden geweckt worden; er kannte Ulrich und wußte, daß man ihn nicht über seinen schmerzlichen Verlust brüten lassen dürfe; er nickte ihm daher näher und sprach:

»Nun, und wollt Ihr uns nicht auch sagen, was Ihr geträumt habt? Vielleicht liegt auch für uns ein Trost darin, denn wißt, ich glaube an Träume, wenn sie in einer wichtigen verhängnisvollen Stunde in unsere Seele einziehen, und ich glaube, sie kommen von oben, um uns zu trösten.«

Der Herzog schwieg noch eine Weile, er schien über die Worte des Ritters nachzusinnen, dann fing er an, zu erzählen. »Mein Schwager, Wilhelm von Bayern, hat mir heute zur Probe seiner Freundlichkeit die Burg meiner Ahnen niedergebrannt. Dort hausten seit undenklichen Zeiten die Württemberger, und das Land, das Wir besitzen, trägt von diesem Schloß den Namen. Es scheint, als habe er damit Uns eine Todesfackel anzünden, und mit diesen Flammen Unser Wappen und Gedächtnis und selbst den Namen Württemberg vertilgen wollen. Und fast könnte er recht haben; denn mein einziges Söhnlein, Christoph, ist in fernen Landen, mein Bruder Georg hat noch keine Kinder, und ich – bin geschlagen, verjagt, sie haben wiederum mein Land besetzt, und wo ist Hoffnung, daß ich es wieder einmal erlange? Wie ich nun so ganz verlassen und elend hier am Feuer saß, wie ich nachdachte über mein kurzes Glück und wie ich vielleicht mein Unglück selbst verschuldet habe; wie ich bedachte, auf welch schwachen Stützen meine Hoffnung beruhe, und wie selbst der Name Württemberg auslöschen könne, gleich den letzten Funken in der Asche meiner Stammburg, da übermannte mich der Jammer, und bitterer als je fühlte ich die Schläge meines Schicksals. Unter diesen Gedanken entschlief ich. Doch wie im Wachen meine Seele mit Sehnsucht und Trauer auf den Höhen des roten Berges und um die rauchenden Trümmer von Württemberg schwebte, so erging sich mein Geist auch im Traum dort.«

Ulrich hielt inne; es war, als fülle ein Bild seine Seele, das zu schön, zu groß sei, um es mit sterblichen Lippen zu beschreiben; ein milder Friede lag auf den Zügen des unglücklichen Fürsten, und ein wunderbarer Glanz drang aus seinen aufwärts gerichteten Augen. Die Männer umher blickten ihn staunend an; sie hingen an seinen Lippen und lauschten auf seine Rede, die ihnen so Wichtiges zu verkünden schien.

»Hört weiter«, fuhr er fort. »Ich sah herab auf das schöne Neckartal. Der Fluß zog wie sonst in schönen blauen Bogen hin, aber das Tal und die Berge schienen mir lieblicher, glänzender, die Wälder auf den Höhen waren verschwunden, die Wiesen waren nicht mehr, sondern von Berg zu Berg zog sich ein großer Garten voll grüner Reben, und im Tal sah man Obstbäume und schöne blühende Gärten ohne Zahl. Ich stand entzückt und schaute immer wieder hin, denn die Sonne erschien freundlicher, der Himmel blauer und reiner, das Grün der Reben und Bäume glänzender als jetzt. Und als ich mein trunkenes Auge erhob und hinüberschaute über den Neckar, da gewahrte ich auf einem Hügel am Fluß ein freundliches Schloß, das im Glanz der Morgensonne sich spiegelte; es lag so friedlich da, daß sein Anblick meiner Seele wohltat, denn keine Gräben und hohe Mauern, keine Türme und Zinnen, kein Fallgatter, keine Zugbrücke erinnerte an den Zwist der Völker und an das unsichere, wechselnde Geschick der Sterblichen.

Und als ich verwundert über den tiefen Frieden des Tales und jenes unbewachten Schlosses mich umsah, waren auch die Mauern meiner Burg verschwunden; doch hier wenigstens log der Traum nicht, denn ich sah ja gestern die Zinnen stürzen und den Wartturm sinken, von welchem sonst mein Panier in den Lüften wehte. Kein Stein von Württemberg war mehr zu sehen, aber ein Tempel stand dort mit Säulen und Kuppeln, wie man sie in Rom und Griechenland findet. Ich dachte nach, wie dies alles auf einmal so habe kommen können, da gewahrte ich Männer in fremder Kleidung, die nicht weit von mir standen und auf das Land hinabschauten.

Der eine dieser Männer zog vor den übrigen meine Aufmerksamkeit auf sich; er hatte einen schönen Knaben an der Hand, dem er das Tal zu seinen Füßen und die Berge umher und den Fluß und die Städte und Dörfer in der Nähe und Ferne zeigte. Ich betrachtete den Mann, er trug die Züge meines Bruders Georg, und es war mir, als müsse er zum Stamm meiner Ahnen gehören und ein Württemberg sein; er stieg mit dem Knaben den Berg hinab ins Tal, und die andern Männer folgten ihm in ehrerbietiger Entfernung; den letzten hielt ich auf und frage ihn, wer jener gewesen sei, der dem Knaben das Land gezeigt habe? ›Das war der König‹, sagte er und stieg mit den anderen den Berg hinab.«

Der Herzog schwieg und sah die Ritter forschend an, als wollte er ihre Meinung hören; sie schwiegen lange; endlich nahm der Ritter von Lichtenstein das Wort und sprach. »Ich bin fünfundsechzig Jahre alt und habe vieles gesehen und gehört auf Erden, und manches, worüber der menschliche Geist erstaunte und wo ein frommer Sinn den Finger der Gottheit sah. Glaubt mir, auch die Träume kommen von Gott, denn nichts geschieht auf Erden ohne Ursache. Es hat in alten Zeiten Seher und Propheten gegeben, warum sollte nicht auch in unseren Tagen der Herr seiner Heiligen einen herabsenden, daß er einem Unglücklichen im Traum die dunklen Pforten der Zukunft öffnen und ihn einen Blick in künftige, schönere Tage tun lasse? Drum seid getrosten Mutes, Herr! Eure Feste hat der Feind verbrannt. Ihr habt an einem Tag ein Herzogtum verloren, aber dennoch wird Euer Name nicht verlöschen, und Euer Gedächtnis wird nicht verloren sein in Württemberg.«

»Ein König«, sprach der Herzog sinnend, »ist es nicht vermessen, jetzt, wo ich hinaus muß ins Elend, jetzt an einen König meines Stammes zu denken? Kann nicht auch die Hölle solche Träume vorspiegeln, um uns nachher desto bitterer zu täuschen?«

»Was zweifelt Ihr an der Zukunft?« sagte Schweinsberg lächelnd. »Hätte einer Eurer ritterlichen Ahnen, die auf Württemberg hausten, hätte einer wissen können, daß seine Enkel Herzoge sein, daß das weite schöne Land ihren Namen Württemberg tragen würde? Nehmt Euren Traum als den Wink des Schicksals hin, daß Euer Name in ferner, ferner Zeit auf diesem Land bleiben, daß die späteren Fürsten Württembergs die Züge eures Stammes tragen werden.«

»Wohlan, so will ich hoffen«, erwiderte Ulrich von Württemberg, »will hoffen, daß Uns das Land verbleibe, wie dunkel auch jetzt unsere Lose seien. Mögen unsere Enkel nie so harte Zeiten sehen wie Wir, möge man auch von ihnen sagen, sie sind – furchtlos!«

»Und treu!« sprach der Bauer mit Nachdruck und stand auf. »Doch ist es Zeit, Herr Herzog, daß Ihr aufbrecht. Das Morgenrot ist nicht mehr fern, und über den Neckar wenigstens müssen wir kommen, solange es noch dunkel ist.«

Sie standen auf und waffneten sich. Die Pferde wurden herbeigeführt, sie saßen auf, und der Pfeifer ging voran, den Weg aus der Schlucht zu zeigen. Die Reise des Herzogs zum Land hinaus war mit großer Gefahr verbunden, denn der Bund suchte seiner mit aller Mühe habhaft zu werden. Um auf einen Weg zu gelangen, wo er sicher seinen Feinden entgehen könnte, war der Herzog genötigt, noch einmal über den Neckar zu gehen. Dieser Übergang war nicht ohne Gefahr. Ein starker Gewitterregen hatte den Fluß angeschwellt, so daß es nicht möglich schien, ihn mit den Pferden zu durchschwimmen. Die Brücken aber waren zum größten Teil vom Bund besetzt worden; doch auch hier wußte Hans guten Rat, denn er hatte durch treue Leute ausgespäht, daß die Brücke von Köngen noch frei sei. Man hatte sich wohl nicht die Mühe genommen, sie zu besetzen, weil sie Eßlingen und dem feindlichen Lager allzu nahe war, als daß man hätte glauben können, der Herzog werde dort vorüberkommen. Dieser Weg schien wegen seiner großen Gefahr die meiste Sicherheit zu gewähren. Ihn wählte Ulrich, und so zogen sie still und vorsichtig dem Neckar zu.

Als sie aus dem Wald ins Feld herauskamen, säumte schon das Morgenrot den Horizont. Sie ritten jetzt auf besserem Wege schärfer zu, und bald sahen sie den Neckar schimmern, und die hochgewölbte Brücke lag nicht mehr fern von ihnen. In diesem Augenblick sah sich Georg um und gewahrte eine bedeutende Anzahl Reiter, die von der Seite her hinter ihnen zogen. Er machte seine Begleiter darauf aufmerksam. Sie sahen sich besorgt um und musterten den Zug, der wohl fünfundzwanzig Pferde betragen mochte. Es schien bündische Reiterei zu sein, denn des Herzogs Völker waren gesprengt und zogen nicht mehr in so geordneten Scharen wie diese.

Noch zogen jene ruhig ihren Weg und schienen die kleine Gesellschaft nicht zu bemerken, aber dennoch schien es ratsam, die Brücke zu gewinnen, wo sich drei Wege schieden, ehe man von ihnen angerufen und befragt würde. Der Pfeifer lief voran, so schnell er konnte, der Herzog und die Ritter folgten ihm in gestrecktem Trab, und je weiter sie sich von den Bündischen entfernten, desto leichter wurde ihnen ums Herz, denn alle bangten nicht für ihr eigenes Leben, wohl aber für die Freiheit Ulrichs.

Sie hatten die Brücke erreicht, sie zogen hinauf, aber in demselben Augenblick, wo sie oben auf der Mitte der hohen Wölbung angekommen waren, sprangen zwölf Männer, mit Spießen, Schwertern und Büchsen bewaffnet, hinter der Brücke hervor und besetzten den Ausgang, Der Herzog sah, daß er entdeckt war und winkte seinen Begleitern rückwärts. Lichtenstein und Schweinsberg, die letzten, wandten ihre Rosse, aber schon war es zu spät, denn die bündischen Reiter, die ihnen im Rücken nachgezogen waren, hatten sich in Galopp gesetzt und den Eingang der Brücke in diesem Augenblick erreicht und besetzt.

Noch war es zu dunkel, als daß man den Feind genau hätte unterscheiden können, doch nur zu bald zeigten sich seine feindlichen Absichten. »Ergebt Euch, Herzog von Württemberg«, rief eine Stimme, die den Rittern nicht unbekannt schien. »Ihr seht, es ist kein Ausweg da zur Flucht!«

»Wer bist Du, daß Württemberg sich Dir ergeben soll?« antwortete Ulrich mit grimmigem Lachen, indem er sein Schwert zog. »Du sitzt ja nicht einmal zu Roß; bist du ein Ritter?«

»Ich bin der Doktor Calmus«, entgegnete jener, »und bin bereit, die vielen Liebesdienste zu vergelten, die Ihr mir erwiesen habt. Ein Ritter bin ich, denn Ihr habt mich ja zum Ritter vom Esel gemacht. Aber ich will euch dafür zum Ritter ohne Roß machen. Abgestiegen, sag' ich im Namen des durchlauchtigsten Bundes.«

»Gib Raum, Hans«, flüsterte der Herzog mit unterdrückter Stimme dem Spielmann zu, der mit gehobener Axt zwischen ihm und dem Doktor stand, »geh, tritt auf die Seite. Ihr Freunde, schließt Euch an, wir wollen plötzlich auf sie einfallen, vielleicht gelingt es, durchzubrechen!« Doch nur Georg vernahm diesen Befehl des Herzogs, denn die zwei andern Ritter hielten wohl zehn Schritte hinter ihnen den Eingang besetzt und waren schon mit den bündischen Reitern im Gefecht, die umsonst dieses ritterliche Paar zu durchbrechen und zu dem Herzog durchzudringen versuchten. Georg schloß sich an Ulrich an und wollte mit ihm auf den Doktor und die Knechte einsprengen: aber diesem war das Flüstern des Herzogs nicht entgangen. »Drauf, ihr Männer! Der im grünen Mantel ist's; lebendig oder tot!« rief er, drang mit seinen Knechten vor und griff zuerst an. Sein langer Arm führte einen fünf Ellen langen Spieß. Er zückte ihn nach Ulrich, und es wäre vielleicht um ihn geschehen gewesen, da er ihn in der Dunkelheit nicht gleich bemerkte. Doch Hans kam ihm zuvor, und indem der berühmte Doktor Kahlmäuser nach der Brust seines Herrn stieß, war ihm die Axt des Pfeifers tief in die Stirn gedrungen. Er fiel, so lang er war, mit Gebrüll auf die Knechte zurück. Sie stutzten, der Bauersmann schien ein schrecklicher Kämpfer, denn seine Axt schwirrte immer noch in der Luft, er bewegte sie wie eine Feder hin und her; sie zogen sich sogar einige Schritte zurück. Diesen Augenblick benützte Georg, riß dem Herzog den grünen Mantel ab, hing ihn sich selbst um und flüsterte ihm zu, sein Pferd zu spornen und sich über die Brüstung der Brücke hinabzustürzen. Der Herzog warf einen Blick auf die hochgehenden Wellen des Neckars und hinauf zum Himmel. Es schien keine andere Rettung möglich, und er wollte lieber auf Leben und Tod den Sprung wagen, als seinen Feinden in die Hände fallen. Doch der Anblick, der sich ihm in diesem schrecklichen Moment darbot, zog ihn noch einmal zurück.

Die Knechte hatten die Speere vorgestreckt und drangen vor. Der Pfeifer stand noch immer, obgleich aus mehreren Wunden blutend, und schlug mit der Axt ihre Speere nieder. Seine Augen blitzten, seine kühnen Züge trugen den Ausdruck von freudiger Begeisterung, und das Lächeln, das um seinen Mund zog, war nicht das der Verzweiflung, nein, seine mutige Seele erbebte nicht vor dem nahenden Tod, er blickte ihm mit stolzer Freude entgegen als sei er der Kampfpreis, um den er so viele Sorgen und Gefahren auf sich genommen habe. Noch einen schlug er mit seiner starken Rechten zu Boden, da stieß ihm einer der Knechte von der Seite her die Hellebarde in die Brust, in diese treue Brust, die noch im Tod ein Schild für den unglücklichen Fürsten war, dem nie ein treueres Herz geschlagen hatte. Er wankte, er sank zusammen, er heftete das brechende Auge auf seinen Herrn. »Herr Herzog, wir sind quitt«, rief er freudig aus und senkte sein Haupt zum Sterben.

An ihm vorüber ging der Weg der Knechte, die mit Freudengeschrei näher zudrangen – da warf sich Georg von Sturmfeder in die Mitte, seine Klinge schwirrte in der Luft, und so oft sie niederfiel, zuckte einer der Feinde am Boden. Es war der letzte Schild Herzog Ulrichs von Württemberg, sank dieser noch, so war Gefangenschaft oder Tod unvermeidlich. Drum wandte er sich zum letzten Mittel. Er warf noch einen tränenschweren Blick auf die Leiche jenes Mannes, der seine Treue mit dem Tod besiegelt hatte. Dann riß er sein mächtiges Streitroß zur Seite, spornte es, daß es sich hoch aufbäumte, wandte es mit einem starken Druck rechts, und – in einem majestätischen Sprung setzte es über die Brüstung der Brücke und trug seinen fürstlichen Reiter hinab in die Wogen des Neckars.

Georg hielt inne mit Fechten, er sah dem Herzog nach. Roß und Reiter waren niedergetaucht, doch das mächtige Tier kämpfte mit den Wirbeln, schwamm, arbeitete sich herauf, und wie die beste Barke schwamm es mit dem Herzog den Strom hinab. Dies alles war das Werk weniger Augenblicke, einige der Knechte wollten hinabspringen ans Ufer, um sich des kühnen Ritters zu bemächtigen, doch einer, der Georg am nächsten war, rief ihnen zu: »Laßt ihn schwimmen, an dem ist nichts gelegen, das hier ist der grüne Vogel, das ist der grüne Mantel, den laßt uns fassen.« Georg blickte dankbar auf zum Himmel! Er ließ sein Schwert sinken und ergab sich den Bündischen. Sie schlossen einen Kreis um ihn und ließen es willig geschehen, daß er abstieg und zu der Leiche jenes Mannes trat, der ihnen so schrecklich erschienen war. Georg faßte die Hand, welche noch immer die blutige Axt festhielt. Sie war kalt. Er suchte, ob das treue Herz noch schlage, aber der tödliche Stoß der Lanze hatte es nur zu gut getroffen. Das Auge, das einst so kühn und mutig blickte, war gebrochen, geschlossen der Mund, der auch in den trübsten Stunden einen ungebeugten, frohen Sinn verkündete. Seine Züge waren erstarrt, aber noch schwebte um seine Lippen jenes Lächeln, das den letzten Gruß, den er seinem Herrn entbot, begleitet hatte. Georgs Tränen fielen auf ihn herab. Er drückte noch einmal die Hand des Pfeifers, schloß ihm die Augen zu und schwang sich auf, um den Knechten in ihr Lager zu folgen.


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