Wilhelm Hauff
Lichtenstein
Wilhelm Hauff

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel 11

Der Trupp, den Gefangenen in der Mitte, bewegte sich schweigend dem Rathaus zu. Nur eine einzige Fackel leuchtete ihnen voran, und Georg dankte dem Himmel, daß sie nur sparsame Helle verbreitete; denn er glaubte, alle Menschen, die ihm begegneten, müßten es ihm ansehen, daß er ins Gefängnis geführt werde. Nächst diesem beschäftigte ihn unterwegs vorzüglich ein Gedanke: Es war das erste Mal in seinem Leben, daß er in ein Gefängnis geführt wurde, er dachte daher nicht ohne Grauen an einen feuchten, unreinlichen Kerker. Das Burgverlies in seinem alten Schloß, das er als Knabe einmal besucht hatte, kam ihm immer vor das Auge. Er war einige Male im Begriff, seinen Führer darüber zu befragen, doch drängte der Gedanke, man möchte es für kindische Furcht ansehen, seine Frage immer wieder zurück.

Nicht wenig war er daher überrascht, als man ihn in ein geräumiges, schönes Zimmer führte, das zwar nicht sehr wohnlich aussah, denn es enthielt nur eine leere Bettstelle und einen ungeheuren Kamin, aber im Vergleich mit den Bildern seiner Phantasie eher einem Prunkgemach als einem Gefängnis glich. Der alte Kriegsmann wünschte dem Gefangenen gute Nacht und zog sich mit seinen Knechten zurück. Ein kleiner hagerer, ältlicher Mann trat ein: Der große Schlüsselbund, welcher an seiner Seite hing und jeden seiner Schritte wie mit Kettengerassel bezeichnete, gab ihn als den Ratsdiener oder Schließer kund. Er legte schweigend einige große Scheiter Holz ins Kamin, und bald loderte ein behagliches Feuer auf, das dem jungen Mann in der kalten Märznacht sehr zustatten kam. Auf die Bretter der breiten leeren Bettstelle breitete der Schließer eine große, wollene Decke, und das erste Wort, das Georg aus seinem Mund hörte, war die freundliche Einladung an den Gefangenen sich's bequem zu machen. Die harten Brettchen, nur mit einer dünnen Decke überlegt, mochten nun freilich nicht sehr einladend aussehen, doch lobte Georg die Bemühungen des Alten und sein Gefängnis.

»Das ist halt die Ritterhaft«, belehrte ihn der Schließer. »Die für den gemeinen Mann ist unter der Erde und nicht so schön, doch ist sie dafür desto besuchter.«

»Hier war wohl seit langer Zeit niemand?« fragte Georg, indem er das öde Gemach musterte.

»Der letzte war vor sieben Jahren ein Herr von Berger, er ist in jenem Bett verschieden. Gott sei seiner armen Seele gnädig! Es schien ihm aber hier zu gefallen, denn er ist schon in mancher Mitternacht aus seiner Bahre heraufgestiegen, um sein altes Zimmer zu besuchen.«

»Wie?« sagte Georg lächelnd. »Hierher soll er sich nach seinem Tod noch bemüht haben?«

Der Schließer warf einen scheuen Blick in die Ecken des Zimmers, die von dem unruhigen Flackern des Kaminfeuers kaum erhellt, sich bald vor-, bald zurückzudrängen schienen. Er legte das Holz zurecht und brummte: »Man spricht so mancherlei.«

»Und auf jener Decke ist er verschieden?« rief Georg, den bei allem jugendlichen Mut doch ein unwillkürlicher Schauder überlief.

»Ja, Herr!« flüsterte der Schließer leise, »dort auf jener Decke ist er abgefahren. Gott gebe, daß es nicht tiefer als ins Fegefeuer ging. Wir nennen deswegen die Decke nur das Leichentuch, das Zimmer aber heißt des Ritters Totenkammer!« Mit leisen Schritten, als fürchte er, durch jeden Laut den Toten zu erwecken, schlich er aus dem Gemach, desto vernehmlicher rauschten außen seine Schlüssel im Türschloß, als feierten sie seinen Triumph, einem greulichen Spuk entflohen zu sein.

»Also auf dem Leichentuch in des Ritters Totenkammer?« dachte Georg, und fühlte, wie sein Herz lauter pochte.

Er war daher unschlüssig, ob er sich auf das Leichentuch legen sollte oder nicht. Aber er sah keinen Stuhl, keine Bank in der ganzen Totenkammer; der Boden, mit Backsteinen zierlich ausgelegt, war noch kälter als das kalte feuchte Leichentuch. Er begann sich dieser Untersuchungen, dieses Zögerns zu schämen, und bald nahm ihn das gastliche Lager des Verstorbenen auf.

Auch das härteste Lager ist weich für den, der mit gutem Gewissen zur Ruhe geht. Georg hatte sein Nachtgebet gesprochen und war bald entschlummert. Aber aus dem Leichentuch stiegen wunderliche Träume auf und lagerten sich bange über den jungen Mann. Er sah deutlich wie der alte Schließer zu dem großen Schlüsselloch hereinguckte und sich segnete, daß er auf der anderen Seite der Tür stehe, denn in der Totenkammer begann es, recht unheimlich zu werden. Es fing an, wunderlich umherzurauschen, auf den Backsteinen schlurften alte Sohlen in häßlichen Tönen. Georg glaubte zu träumen; er ermannte sich, er horchte, er horchte wieder, aber es war keine Täuschung. Schwere Tritte tönten im Gemach. Jetzt wurde das Feuer heller angeschürt. Der ungewisse Schein der Flamme spielte um eine große, dunkle Gestalt. Sie bewegte sich, der Weg vom Kamin zum Bett war gar nicht weit. Die Schritte kommen näher, das Leichentuch wird angefaßt und geschüttelt. Georg, von unabwendbarer Furcht befallen, drückt die Augen zu, aber als die Decke gerade neben seinem Haupt gefaßt wurde, als eine kalte, schwere Hand sich auf seine Stirn legte, da riß er sich los aus seiner Angst, er sprang auf und maß mit ungewissen Blicken jene dunkle Gestalt, die jetzt dicht vor ihm stand. Hell flackerten die Flammen im Kamin, sie beleuchteten die wohlbekannten Züge von Frondsberg.

»Ihr seid es, Herr Feldhauptmann?« rief Georg, indem er freier atmete und seinen Mantel zurechtlegte, um den Ritter nach Würde zu empfangen.

»Bleibt, bleibt«, sagte jener und drückte ihn sanft auf sein Lager nieder. »Ich setze mich zu Euch auf das Bett, und wir plaudern noch ein halbes Stündchen, denn es ist auf allen Glocken erst neun Uhr, und in Ulm schläft noch niemand als dieser Sprudelkopf, den man zur Abkühlung heute nacht recht hart gebettet hat.« Er faßte Georgs Hand und setzte sich zu seinen Füßen auf das Bett.

»Oh wie kann ich diese milde Nachsicht verdienen!« sprach Georg, »Stehe ich nicht in Euren Augen als ein Undankbarer da, der Euer Wohlwollen zurückstößt, und was Ihr gütig für ihn ausgesonnen mit rauher Hand zerreißt?«

»Nein mein junger Freund!« antwortete der freundliche Mann. »Du stehst vor meinen Augen als der echte Sohn Deines Vaters. Gerade so schnell fertig mit Lob und Tadel, mit Entschluß und Rede war er. Daß er ein Ehrenmann dabei war, weiß ich wohl, aber ich weiß auch, wie unglücklich ihn sein schnelles Aufbrausen, sein Trotz, den er für Festigkeit ausgab, machten.«

»Aber sagt selbst, edler Herr!« entgegnete Georg. »Konnte ich heute anders handeln? Hatte mich nicht der Truchseß aufs Äußerste gebracht?«

»Du konntest anders handeln, wenn Du die Weise und Art dieses Mannes beachtetest, welche sich Dir letzthin schon kundgab. Auch hättest Du denken können, daß Leute genug da waren, die Dir kein Unrecht geschehen ließen. Du aber schüttetest das Kind mit dem Bade aus und liefst weg.«

»Das Alter soll kälter machen«, erwiderte der junge Mann, »aber in der Jugend hat man heißes Blut. Ich kann alles ertragen, Härte und Strenge, wenn sie gerecht sind und meine Ehre nicht kränken. Aber kalter Spott, Hohn über das Unglück meines Hauses kann mich zum wütenden Wolf machen. Wie kann ein so hoher Mann nur Freude daran haben, einen so zu quälen?«

»Auf diese Art äußert sich immer sein Zorn«, belehrte ihn Frondsberg. »Je kälter und schärfer er aber von außen ist, desto heißer kocht in ihm die Wut. Er war es, der auf den Gedanken kam, Dich nach Tübingen zu senden, teils weil er sonst keinen wußte, teils auch, um das Unrecht, das er Dir angetan, wiedergutzumachen. Denn in seinem Sinn war diese Sendung höchst ehrenvoll. Du aber hast ihn durch Deine Weigerung gekränkt und vor dem Kriegsrat beschämt.«

»Wie?« rief Georg. »Der Truchseß hat mich vorgeschlagen? So kam also jene Sendung nicht von Euch?«

»Nein«, gab ihm der Feldhauptmann mit geheimnisvollem Lächeln zur Antwort, »nein. Ich habe ihm sogar mit aller Mühe abgeraten, Dich zu senden, aber es half nichts, denn die wahren Gründe konnte ich ihm doch nicht sagen. Ich wußte, ehe Du eintratst, daß Du Dich weigern würdest, dieses Amt anzunehmen. – Nun, reiße doch die Augen nicht so auf, als wolltest Du mir durch das lederne Koller ins Herz hineinschauen. Ich weiß allerlei Geschichten von meinem jungen Trotzkopf da!«

Georg schlug verwirrt die Augen nieder. »So kamen Euch die Gründe nicht genügend vor, die ich angab?« sagte er. »Was wollt Ihr denn so Geheimnisvolles von mir wissen?«

»Geheimnisvoll? Nun, so gar geheimnisvoll ist es gerade nicht, denn merke für die Zukunft: Wenn man nicht verraten sein will, so muß man weder bei Abendtänzen sich gebärden wie einer, der vom St.-Veits-Tanz befallen ist, noch nachmittags um drei Uhr zu schönen Mädchen gehen. Ja, mein Sohn, ich weiß allerlei«, setzte er hinzu, indem er lächelnd mit dem Finger drohte, »ich weiß auch daß dieses ungestüme Herz gut württembergisch ist.«

Georg errötete und vermochte den lauernden Blick des Ritters nicht auszuhalten. »Württembergisch?« entgegnete er, nachdem er sich mit Mühe gefaßt hatte. »Da tut Ihr mir Unrecht; nicht mit Euch zu Feld ziehen zu wollen, heißt noch nicht, sich an den Feind anzuschließen; gewiß, ich schwöre Euch –«

»Schwöre nicht!« fiel ihm Frondsberg rasch ins Wort. »Ein Eid ist ein leichtes Wort, aber es ist doch eine drückend schwere Kette, die man bricht, oder von der man zerbrochen wird. Was Du tun wirst, das wird so sein, daß es sich mit Deiner Ehre verträgt. Nur eines mußt Du dem Bund an Eides Statt geloben, und dann erst wirst Du aus Deiner Haft entlassen: In den nächsten vierzehn Tagen nicht gegen uns zu kämpfen.«

»So legt Ihr mir also dennoch falsche Gesinnungen unter?« sprach Georg bewegt. »Das hätte ich nicht gedacht! Und wie unnötig ist dieser Schwur! Für wen und mit wem sollte ich denn auf jener Seite kämpfen? Die Schweizer sind abgezogen das Landvolk hat sich zerstreut, die Ritterschaft liegt in den Festungen und wird sich hüten, den nächsten Besten, der vom Bundesheer herüberläuft, in ihre Mauern aufzunehmen, der Herzog selbst ist entflohen –«

«Entflohen?« rief Frondsberg aus.«Entflohen? Das weiß man noch nicht so gewiß; warum hätte der Truchseß denn die Reiter ausgeschickt?« setzte er hinzu. »Und überhaupt, wo hast Du diese Nachrichten alle her? Hast Du den Kriegsrat belauscht? Oder sollte es wahr sein, was einige behaupten wollen, daß Du verdächtige Verbindungen mit Württemberg unterhältst?«

»Wer wagt dies zu behaupten?« rief Georg erblassend.

Frondsbergs durchdringende Augen ruhten prüfend auf den Zügen des jungen Mannes. »Höre, Du bist mir zu jung und zu ehrlich zu einem Bubenstück«, sagte er, »und wenn Du etwas der Art im Schild führst, hättest Du Dich wohl nicht vom Bund losgesagt, sondern auch ferner Württembergs Spion gemacht.«

»Wie? Spricht man so von mir?« unterbrach ihn Georg, »Wenn Ihr nur ein Fünkchen Liebe zu mir habt, so nennt mir den schlechten Kerl, der so von mir spricht!«

»Nur nicht gleich wieder so aufbrausend!« entgegnete Frondsberg und drückte die Hand des jungen Mannes. »Du kannst denken, daß, wenn ein solches Wort öffentlich gesprochen würde oder ich an diese Einflüsterungen glaubte, Georg von Frondsberg nicht zu Dir käme. Aber etwas muß denn doch an der Sache sein. Zu dem alten Lichtenstein kam öfters ein schlichter Bauersmann in die Stadt; er fiel nicht auf zu einer Zeit, wo so vielerlei Menschen hier sind. Aber man gab uns geheime Winke, daß dieser Bauer ein verschlagener Mann und ein geheimer Botschafter aus Württemberg sei. Der Lichtensteiner zog ab, und der Bauer und sein geheimnisvolles Treiben war vergessen. Diesen Morgen hat er sich wieder gezeigt. Er soll vor der Stadt lange Zeit mit Dir gesprochen haben; auch wurde er in Deinem Haus gesehen. Wie verhält sich nun diese Sache?«

Georg hatte ihm mit wachsendem Staunen zugehört. »So wahr ein Gott über mir ist«, sagte er, als Frondsberg geendet hatte, »ich bin unschuldig. Heute früh kam ein Bauer zu mir und –«

»Nun warum verstummst Du auf einmal«, fragte Frondsberg, »Du glühst ja über und über, was ist es denn mit diesem Boten?«

»Ach! Ich schäme mich, es auszusprechen und dennoch habt Ihr ja schon alles erraten; er brachte mir ein paar Worte von – meinem Liebchen!« Der junge Mann öffnete bei diesen Worten sein Wams und zog einen Streifen Pergament hervor, den er dort verborgen hatte. »Seht, dies ist alles, was er brachte«, sagte er, indem er es Frondsberg bot.

»Das ist also alles?« lachte dieser, nachdem er gelesen hatte. »Armer Junge! Und Du kennst also diesen Mann nicht näher? Du weißt nicht, wer er ist?«

»Nein er ist auch weiter nichts als unser Liebesbote, dafür wollte ich stehen!«

»Ein schöner Liebesbote, der nebenher unsere Sachen auskundschaften soll; weißt Du denn nicht, daß es der gefährlichste Mann ist, es ist der Pfeifer von Hardt.«

»Der Pfeifer von Hardt?« fragte Georg. »Zum ersten Mal höre ich diesen Namen, und was ist, wenn er der Pfeifer von Hardt ist?«

»Das weiß niemand recht; er war beim Aufstand des armen Konrad einer der schrecklichsten Aufrührer, nachher wurde er begnadigt; seit dieser Zeit führt er ein unstetes Leben und ist jetzt ein Kundschafter des Herzogs von Württemberg.«

»Und hat man ihn aufgefangen?« forschte Georg weiter, denn unwillkürlich nahm er wärmeren Anteil an seinem neuen Diener.

»Nein, das gerade ist das Unbegreifliche; man machte uns so still als möglich die Anzeige, daß er sich wieder in Ulm sehen lasse; in Eurem Stall soll er zuletzt gewesen sein, und als wir ihn ganz geheim ausheben wollten, war er über alle Berge. Nun, ich glaube Deinem Wort und Deinen ehrlichen Augen, daß er in keinen anderen Angelegenheiten zu Dir kam – Du kannst Dich übrigens darauf verlassen, daß er, wenn es derselbe ist, den ich meine, nicht allein Deinetwegen sich nach Ulm wagte. Und solltest Du je wieder mit ihm zusammentreffen, so nimm Dich in acht, solchem Gesindel ist nicht zu trauen. Doch der Wächter ruft zehn Uhr. Lege Dich noch einmal aufs Ohr und verträume Deine Gefangenschaft. Vorher aber gib mir Dein Wort wegen der vierzehn Tage, und das sage ich Dir, wenn Du Ulm verläßt, ohne dem alten Frondsberg Lebewohl zu sagen –.«

»Ich komme, ich komme«, rief Georg, gerührt von der Wehmut des verehrten Mannes, die jener umsonst unter einer lächelnden Miene zu verbergen suchte. Er gab ihm Handtreue, wie es der Kriegsrat verlangte; der Ritter aber verließ mit langsamen Schritten die Totenkammer.


 << zurück weiter >>