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Oberst Friedrich Kraus, Besitzer des Prädikates: von Zillergut, nach irgendeinem Dorf in Salzburg, das seine Vorfahren bereits im achtzehnten Jahrhundert verfressen hatten, war ein ehrenwerter Idiot. Wenn er etwas erzählte, pflegte er lauter selbstverständliche Dinge zu sagen, wobei er fragte, ob alle die primitivsten Ausdrücke verstünden: »Also ein Fenster, meine Herren, jawohl. Wissen Sie, was ein Fenster ist?«
Oder: »Ein Weg, an dem auf beiden Seiten Gräben sind, heißt Straße. Jawohl, meine Herren. Wissen Sie, was ein Graben ist? Ein Graben ist eine Öffnung in der Erde, an der mehrere Leute arbeiten. Er ist eine Vertiefung. Jawohl. Man arbeitet mit Spaten. Wissen Sie, was ein Spaten ist?«
Er litt an einer Erklärungsmanie, der er mit einer Begeisterung frönte wie ein Erfinder, der von seinem Werk erzählt.
»Ein Buch, meine Herren, sind mehrere geschnittene Papierblätter von gleichem Format, die bedruckt und zusammengestellt, gebunden und mit Leim zusammengeklebt sind. Jawohl. Wissen Sie, meine Herren, was Leim ist? Leim ist ein Klebemittel.«
Er war so unglaublich blöd, daß die Offiziere ihm von weitem auswichen, um nicht von ihm hören zu müssen, daß das Trottoir ein erhöhter gepflasterter Streifen längs der Häuserfassaden und etwas anderes sei als die Fahrbahn. Und daß die Fassade eines Hauses jener Teil des Gebäudes ist, den wir von der Straße oder vom Trottoir aus sehen. Die rückwärtige Häuserfront können wir vom Trottoir aus nicht sehen, wovon wir uns augenblicklich überzeugen können, wenn wir die Fahrbahn betreten.
Er war bereit, diese interessante Tatsache sofort zu demonstrieren. Zum Glück wurde er jedoch überfahren. Seit dieser Zeit vertrottelte er noch mehr. Er hielt die Offiziere auf der Straße an und verwickelte sie in endlos lange Gespräche über Omeletten, Sonne, Thermometer, Stuten, Fenster und Postmarken.
Es war wirklich staunenswert, daß dieser Idiot verhältnismäßig schnell avancieren konnte und ungemein einflußreiche Leute hinter sich hatte, zum Beispiel einen hohen General, der ihm trotz seiner völligen militärischen Unfähigkeit die Stange hielt.
Bei den Manövern vollführte er mit seinem Regiment wahre Wunder. Niemals langte er irgendwo zur Zeit an. Er führte das Regiment in Kolonnen gegen Maschinengewehre, und vor Jahren bei den Kaisermanövern in Südböhmen war es geschehen, daß er ganz und gar verschwunden war und bis nach Mähren gelangte, wo er sich mit seinem Regiment noch einige Tage herumschlug, als die Manöver bereits vorüber waren und die Soldaten wieder in den Kasernen lagen. Es wurde ihm nachgesehen.
Sein freundschaftliches Verhältnis zu einem hohen General und anderen nicht weniger blöden Würdenträgern des alten Österreichs trug ihm verschiedene Auszeichnungen und Orden ein, durch die er sich ungewöhnlich geehrt fühlte, so daß er sich für den besten Soldaten unter der Sonne und den besten Theoretiker der Strategie und aller anderen militärischen Wissenschaften hielt.
Bei Regimentsrevisionen ließ er sich mit den Soldaten in Gespräche ein und fragte sie immer ein und dasselbe:
»Warum nennt man die beim Militär eingeführten Gewehre Mannlichergewehre?«
Beim Regiment hatte er den Spitznamen Mannlichertrottel. Er war ungewöhnlich rachsüchtig, vernichtete die ihm untergeordneten Offiziere, wenn sie ihm nicht gefielen, und wenn sie heiraten wollten, schickte er sehr schlechte Empfehlungen für ihre Gesuche nach oben.
Es fehlte ihm die Hälfte des rechten Ohrs, die ihm in jungen Jahren ein Gegner wegen der wahrheitsgemäßen Konstatierung, daß Friedrich Kraus von Zillergut ein blitzblöder Kerl sei, im Duell abgeschlagen hatte.
Analysieren wir seine geistigen Fähigkeiten, so gelangen wir zu der Überzeugung, daß sie nicht besser waren als die, welche den großmäuligen Franz Josef als notorischen Idioten berühmt machten.
Derselbe Redefluß, derselbe Schatz an größter Naivität. Bei einem Bankett im Offizierskasino erklärte Oberst Kraus von Zillergut plötzlich, als die Rede auf Schiller kam: »Da hab ich euch gestern, meine Herren, einen Dampfpflug gesehn, der von einer Lokomotive angetrieben war. Stellen Sie sich vor, meine Herren, von einer Lokomotive, und nicht nur von einer, von zweien. Ich seh Rauch, geh näher, und es ist eine Lokomotive und auf der andern Seite die zweite. Sagen Sie mir, meine Herren, ist das nicht lächerlich? Zwei Lokomotiven, als ob nicht eine genug wäre.«
Er verstummte, und nach einer Pause bemerkte er: »Wenn das Benzin ausgeht, muß das Automobil stehnbleiben. Das hab ich gestern auch gesehn. Dann quatscht man vom Beharrungsvermögen, meine Herren. Es geht nicht, steht, rührt sich nicht, hat kein Benzin. Ist das nicht lächerlich?«
In seiner Beschränktheit war er ungewöhnlich fromm. Hatte zu Hause in seiner Wohnung einen Hausaltar. Ging häufig zum heiligen Ignaz zur Beichte und zur Kommunion und betete seit Ausbruch des Krieges für den Sieg der österreichischen und deutschen Waffen. Er vermengte das Christentum mit den Träumen von einer germanischen Hegemonie, Gott sollte helfen, die Reichtümer und Gebiete der Besiegten zu okkupieren.
Fürchterlich regte er sich jedesmal auf, wenn er in der Zeitung las, daß man wiederum Gefangene eingebracht habe.
Er sagte: »Wozu Gefangene einbringen? Erschießen soll man alle! Kein Erbarmen! Zwischen den Leichen tanzen! Alle Zivilisten in Serbien bis auf den letzten verbrennen! Die Kinder mit Bajonetten totschlagen!«
Er war um nichts schlimmer als der deutsche Dichter Vierordt, der während des Kriegs Verse veröffentlichte, Deutschland möge mit eiserner Seele Millionen französischer Teufel morden:
Und bis zu den Wolken möge sich
der Haufen der Gebeine und das dampfende
Fleisch türmen . . .
Nachdem er den Unterricht in der Einjährigfreiwilligenschule beendet hatte, ging Oberleutnant Lukasch mit Max spazieren.
»Ich erlaube mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, Herr Oberlajtnant«, sagte Schwejk fürsorglich, »daß Sie auf den Hund aufpassen müssen, damit er Ihnen nicht weglauft. Es kann ihm eventuell nach seinem alten Heim bange wern, und er könnt Reißaus nehmen, wenn Sie ihn losbinden möchten. Und ich möcht Ihnen auch nicht raten, ihn übern Hawlitschekplatz zu führen, dort treibt sich ein böser Fleischerhund ausm ›Marienbild‹ herum, der is sehr bissig. Wie er in seinem Rayon einen fremden Hund sieht, gleich is er auf ihn eifersüchtig, damit er ihm dort nicht was wegfrißt. Er is wie der Bettler vom heiligen Kastullus.«
Max sprang lustig herum, geriet unter die Füße des Oberleutnants, wickelte sich mit der Schnur um den Säbel und legte eine ungewöhnliche Freude über den Spaziergang an den Tag.
Sie traten auf die Straße, und Oberleutnant Lukasch wandte sich mit dem Hund dem Graben zu. An der Ecke der Herrengasse sollte er mit einer Dame zusammentreffen. Er war in dienstliche Gedanken vertieft. Was soll er morgen vor den Einjährigfreiwilligen in der Schule vortragen? Wie geben wir die Höhe eines Berges an? Warum geben wir die Höhe stets von der Meeresfläche aus an? Wie berechnen wir aus der Höhe über der Meeresfläche die einfache Höhe eines Berges von seinem Fuße aus gerechnet? Verflucht, warum gibt das Kriegsministerium solche Sachen ins Schulprogramm? Das ist doch Sache der Artillerie. Und es gibt doch Generalstabskarten. Wenn der Feind auf Kote 312 ist, wird es nicht genügen, darüber nachzudenken, warum die Höhe des Berges von der Meeresfläche aus angegeben wird, oder zu berechnen, wie hoch jener Hügel ist. Da schaut man halt auf die Karte und weiß es.
Aus diesen Gedanken riß ihn ein strenges »Halt!«, gerade als er sich der Herrengasse näherte.
Gleichzeitig mit dem »Halt« bemühte sich der Hund, sich samt der Schnur loszureißen, und stürzte mit Freudengebell auf den Mann zu, der das strenge »Halt!« gesprochen hatte.
Vor Oberleutnant Lukasch stand Oberst Kraus von Zillergut. Oberleutnant Lukasch salutierte, stand vor dem Oberst und entschuldigte sich, ihn nicht gesehen zu haben.
Oberst Kraus war bei den Offizieren bekannt wegen seiner Leidenschaft »anzuhalten«.
Er hielt das Salutieren für etwas, wovon der Erfolg des Krieges abhing und worauf die ganze Militärmacht aufgebaut war.
»Ins Salutieren soll der Soldat die Seele legen«, pflegte er zu sagen. Es war der schönste Korporalmystizismus.
Er achtete darauf, daß der, welcher die Ehrenbezeigung leistete, bis in die kleinste Einzelheit nach Vorschrift genau und würdig salutierte.
Er lauerte allen auf, die an ihm vorübergingen. Vom Infanteristen bis zum Oberstleutnant. Infanteristen, die flüchtig salutierten, als wollten sie sagen, indem sie das Schild der Mütze berührten: »Pfüat di Gott«, führte er selbst geradewegs in die Kaserne zur Bestrafung.
Für ihn galt kein: »Ich hab nicht gesehn.«
»Ein Soldat«, pflegte er zu sagen, »muß seinen Vorgesetzten in der Menge suchen und darf an nichts anderes denken als daran, seinen Pflichten nachzukommen, die ihm im Dienstreglement vorgeschrieben sind. Wenn er auf dem Schlachtfeld fällt, soll er noch vor dem Tod salutieren. Wer nicht salutieren kann, wer tut, als ob er nicht sehen würde oder nachlässig salutiert, ist bei mir eine Bestie.«
»Herr Oberleutnant«, sagte Oberst Kraus mit entsetzlicher Stimme, »die niedrigere Charge muß der höheren immer die Ehrenbezeigung leisten. Das hat sich nicht geändert. Und zweitens: Seit wann haben sich die Herren Offiziere angewöhnt, mit gestohlenen Hunden spazierenzugehn? Jawohl, mit gestohlenen Hunden. Ein Hund, der einem anderen gehört, ist gestohlen.«
»Dieser Hund, Herr Oberst . . .«, wandte der Oberleutnant ein.
»Gehört mir, Herr Oberleutnant«, unterbrach ihn der Oberst scharf, »es ist mein Fox.«
Und Fox oder Max erinnerte sich seines alten Herrn und merzte den neuen völlig aus seinem Herzen aus; er riß sich los, sprang auf den Oberst zu und bezeugte eine Freude, wie ihrer ein verliebter Sextaner fähig ist, wenn er bei seinem Ideal Verständnis findet.
»Mit gestohlenen Hunden herumzugehn, Herr Oberleutnant, verträgt sich nicht mit der Offiziersehre. Nicht gewußt? Ein Offizier kann keinen Hund kaufen, wenn er sich nicht überzeugt hat, daß er ihn ohne Folgen kaufen kann!« wetterte Oberst Kraus weiter, während er Fox-Max streichelte, der aus Niedertracht den Oberleutnant anzuknurren und die Zähne zu fletschen begann, als hätte ihm der Oberst, auf den Oberleutnant zeigend, gesagt: »Faß ihn!«
»Herr Oberleutnant«, fuhr der Oberst fort, »halten Sie es für richtig, auf einem gestohlenen Pferd zu reiten? Haben Sie nicht in der ›Bohemia‹ und im ›Tagblatt‹ die Anzeige gelesen, daß mir ein Stallpinscher verlorengegangen ist? Sie haben nicht das Inserat gelesen, das Ihr Vorgesetzter in die Zeitung gegeben hat?«
Der Oberst schlug die Hände zusammen.
»Wahrhaftig, diese jungen Offiziere! Wo ist die Disziplin? Der Oberst veröffentlicht Inserate, und der Oberleutnant liest sie nicht.«
Wenn ich dir, du alter Trottel, paar Ohrfeigen geben könnt, dachte Oberleutnant Lukasch, den Backenbart des Obersten betrachtend, der an einen Orang-Utan erinnerte.
»Kommen Sie auf eine Minute mit mir«, sagte der Oberst. So gingen sie denn und führten ein erquickliches Gespräch.
»An der Front, Herr Oberleutnant, kann Ihnen so eine Sache ein zweites Mal nicht passieren. Im Hinterland mit gestohlenen Hunden spazierengehn ist gewiß sehr angenehm. Jawohl! Mit dem Hund seines Vorgesetzten spazierengehn. In einer Zeit, wo wir täglich auf dem Schlachtfeld Hunderte Offiziere verlieren. Und Inserate werden nicht gelesen. Da könnt ich hundert Jahre inserieren, daß mir ein Hund verlorengegangen ist. Zweihundert Jahre, dreihundert Jahre!«
Der Oberst schneuzte sich laut, was bei ihm stets das Zeichen großer Aufregung war, und sagte: »Sie können weiter spazierengehn«, drehte sich um und entfernte sich, mit der Reitpeitsche wütend auf die Enden seines Offiziersmantels klopfend.
Oberleutnant Lukasch ging auf das gegenüberliegende Trottoir und vernahm abermals ein: »Halt!« Der Oberst hielt gerade einen unglücklichen Infanteristen, einen Reservisten, an, der an seine Mutter daheim gedacht und ihn übersehen hatte.
Der Oberst zog ihn eigenhändig in die Kaserne zur Bestrafung, wobei er ihn Meerschwein schimpfte.
Was mach ich mit diesem Schwejk? dachte der Oberleutnant. Ich zerschlag ihm das Maul, aber das genügt nicht. Sogar Riemen vom Leib schneiden ist für diesen Lumpen zuwenig. Ungeachtet dessen, daß er mit einer Dame zusammentreffen sollte, wandte er sich aufgeregt seinem Heim zu.
»Ich erschlag ihn, den Kerl!« sagte er sich, als er sich in die Elektrische setzte.
Inzwischen war der brave Soldat Schwejk in einer Unterredung mit der Ordonnanz aus der Kaserne verstrickt. Der Soldat hatte dem Oberleutnant einige Schriftstücke zur Unterschrift gebracht und wartete jetzt.
Schwejk bewirtete ihn mit Kaffee, und sie sprachen davon, daß Österreich den Krieg verlieren werde.
Sie führten dieses Gespräch, als handelte es sich um die natürlichste Sache der Welt. Es war eine unendliche Reihe von Aussprüchen, von denen jedes Wort sicherlich bei Gericht als Hochverrat definiert worden wäre und beide an den Galgen gebracht hätte.
»Seine Majestät der Kaiser muß davon ganz blöd sein«, erklärte Schwejk, »er war nie gescheit, aber dieser Krieg gibt ihm den Rest.«
»Er is blöd«, erklärte der Soldat aus der Kaserne mit Bestimmtheit, »ganz blöd. Er weiß vielleicht gar nicht, daß Krieg is. Kann sein, daß sie sich geschämt ham, ihms zu sagen. Wenn er auf dem Manifest an seine Völker unterschrieben is, so is das Lug und Trug. Man hats ohne sein Wissen in Druck gegeben, er kann schon überhaupt an nichts denken.«
»Er is fertig«, fügte Schwejk mit Kennermiene hinzu, »er macht unter sich, und man muß ihn füttern wie ein kleines Kind. Neulich hat ein Herr im Wirtshaus erzählt, daß er zwei Ammen hat und daß Seine Majestät der Kaiser dreimal täglich an der Brust is.«
»Wenn nur schon Schluß wär«, seufzte der Soldat aus der Kaserne, »und sie uns verdreschen möchten, damit Österreich schon mal a Ruh hat.«
Und sie fuhren beide fort in dem Gespräch, bis Schwejk schließlich Österreich mit den Worten endgültig erledigte: »So eine blöde Monarchie soll gar nicht auf der Welt sein«, wozu der andere, um diesen Ausspruch gewissermaßen in praktischer Hinsicht zu ergänzen, hinzufügte: »Wie ich an die Front komm, verduft ich ihnen.«
Als sie hierauf fortfuhren, die Meinungen des tschechischen Volkes über den Krieg zu verdolmetschen, wiederholte der Soldat aus der Kaserne, was er heute in Prag gehört hatte: daß man in Nachod Kanonen höre und daß der russische Zar über Nacht in Krakau sein werde.
Dann sprachen sie davon, daß man aus Böhmen Getreide nach Deutschland schaffe, daß die deutschen Soldaten Zigaretten und Schokolade bekämen.
Hierauf gedachten sie der Zeit der alten Kriege, und Schwejk wies ernsthaft nach, daß es früher, als man Stinktöpfe in eine belagerte Burg geworfen habe, auch kein Honiglecken gewesen sei, in so einem Gestank zu kämpfen. Er habe gelesen, wie man eine Burg irgendwo drei Jahre lang belagert hätte und der Feind nichts anderes getan habe, als sich täglich auf solche Art mit den Belagerten zu unterhalten.
Er hätte gewiß noch manches Interessante und Lehrreiche gesagt, wenn ihr Gespräch nicht durch die Rückkehr Oberleutnant Lukaschs unterbrochen worden wäre.
Mit einem fürchterlichen, niederschmetternden Blick auf Schwejk unterschrieb er die Schriftstücke, und während er den Soldaten entließ, winkte er Schwejk, ihm ins Zimmer zu folgen.
Die Augen des Oberleutnants schossen fürchterliche Blitze. Er setzte sich auf einen Stuhl und überlegte, auf Schwejk blickend, wann er mit dem Massaker beginnen sollte.
Zuerst geb ich ihm paar übers Maul, dachte der Oberleutnant, dann zerschlag ich ihm die Nase und reiß ihm die Ohren ab, und das Weitere wird sich schon finden.
Und ihm gegenüber blickten ihn aufrichtig und gutherzig die beiden gutmütigen und unschuldigen Augen Schwejks an, der die Stille vor dem Sturm mit den Worten zu unterbrechen wagte:
»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, Sie sind um die Katze gekommen. Sie hat die Schuhkrem aufgefressen und hat sich unterstanden zu krepieren. Ich hab sie in den Keller geworfen, aber in den nebenan. So eine brave und hübsche Angorakatze wern Sie nicht mehr finden.«
Was soll ich mit ihm machen? fuhr es dem Oberleutnant durch den Kopf, er hat ja um Christi willen so einen blöden Ausdruck.
Und die gutherzigen, unschuldigen Augen erstrahlten unerschütterlich in Weichheit und Sanftmut, zu der sich der Ausdruck eines völligen seelischen Gleichgewichtes gesellte, als wäre alles in Ordnung und nichts geschehen, und als ob es, auch wenn etwas geschehen wäre, doch nur in Ordnung sei, daß überhaupt etwas geschah.
Oberleutnant Lukasch sprang auf, versetzte aber Schwejk keinen Schlag, wie er ursprünglich beabsichtigt hatte. Er fuchtelte ihm vor der Nase mit der Faust herum und brüllte: »Sie haben den Hund gestohlen, Schwejk!«
»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß ich von keinem solchen Fall während der letzten Zeit weiß, und ich bin so frei, Herr Oberlajtnant, zu bemerken, daß Sie mitm Max nachmittag spazierengegangen sind, so daß ich ihn nicht hab stehln können. Mir wars gleich auffallend, wie Sie ohne Hund gekommen sind, daß wahrscheinlich was geschehn sein muß. Das nennt man Situation. In der Brenntegasse is ein gewisser Taschner Kunesch, und der hat nicht mitm Hund spazierengehn können, ohne daß er ihn verloren hätt. Gewöhnlich hat er ihn irgendwo im Wirtshaus gelassen, oder jemand hat ihm ihn gestohlen, oder jemand hat sich ihn ausgeborgt und nicht zurückgegeben . . .«
»Schwejk, Rindvieh, Himmellaudon, halten Sies Maul! Entweder sind Sie ein raffinierter Nichtsnutz, oder Sie sind ein Kamel und ein ungeschickter Idiot. Sie sind nichts als Beispiele, aber ich sage Ihnen, mit mir spieln Sie sich nicht! Woher haben Sie diesen Hund gebracht? Wie sind Sie zu ihm gekommen? Wissen Sie, daß er unserem Herrn Oberst gehört, der sich ihn wieder genommen hat, wie wir einander zufällig begegnet sind? Wissen Sie, daß das ein schrecklicher Skandal ist? Also sagen Sie die Wahrheit, haben Sie ihn gestohlen oder nicht?«
»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, ich hab ihn nicht gestohlen.«
»Haben Sie davon gewußt, daß es ein gestohlener Hund ist?«
»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, ich hab gewußt, daß der Hund gestohlen is.«
»Schwejk, Jesusmaria, Himmelherrgott, ich erschieß Sie, Sie Vieh, Sie Rind, Sie Ochs, Sie Idiot, Sie. Sind Sie so blöd?«
»Melde gehorsamst, ich bin so blöd, Herr Oberlajtnant.«
»Warum haben Sie mir einen gestohlenen Hund gebracht, warum haben Sie mir diese Bestie in die Wohnung gesetzt?«
»Damit ich Ihnen eine Freude mach, Herr Oberlajtnant.«
Und Schwejks Augen schauten gutmütig und sanft dem Oberleutnant ins Gesicht, der sich setzte und seufzte:
»Warum straft mich Gott mit diesem Rindvieh?«
In stiller Resignation saß der Oberleutnant auf dem Stuhl und hatte das Gefühl, als habe er nicht nur nicht die Kraft, Schwejk eine Ohrfeige zu geben, sondern nicht einmal die, sich eine Zigarette zu drehen: Er wußte selbst nicht, warum er Schwejk fortschickte, um die ›Bohemia‹ und das ›Tagblatt‹ zu holen und ihm das Inserat des Obersten zu zeigen.
Mit den beim Inseratenteil auseinandergefalteten Zeitungen kehrte Schwejk zurück. Er blickte strahlend drein und meldete freudig: »Es is dort, Herr Oberlajtnant, so hübsch beschreibt ihn der Herr Oberst, diesen gestohlenen Stallpinscher, daß es eine Freude is, und gibt noch dem, was ihn zurückbringt, 100 Kronen Belohnung. Das is eine sehr hübsche Belohnung. Gewöhnlich gibt man 50 Kronen. Ein gewisser Božetěch in Koschirsch hat sich nur so ernährt. Er hat immer einen Hund gestohlen, dann hat er in den Inseraten gesucht, wo sich einer verlaufen hat und is gleich hingegangen. Einmal hat er einen hübschen schwarzen Spitz gestohlen, und weil der Besitzer sich nicht gemeldet hat, hat ers probiert und hat selbst ein Inserat in die Zeitung gegeben. Er hat einen ganzen Fünfer verinseriert, bis sich schließlich ein Herr gemeldet hat, daß es sein Hund is, daß er ihm verlorengegangen is und daß er gedacht hat, daß es vergeblich wär, ihn zu suchen. Daß er nicht mehr an die Ehrlichkeit der Menschen glaubt. Daß er aber jetzt sieht, wie sich doch noch ehrliche Menschen finden, was ihn sehr freut. Er is herich grundsätzlich dafür, Ehrlichkeit zu belohnen. Dann hat er ihm zum Andenken sein Buch über die Pflege von Blumen in Haus und Garten geschenkt. Der liebe Božetěch hat den schwarzen Spitz bei den Hinterfüßen gepackt und ihn diesem Herrn um den Kopf geschlagen, und seit der Zeit hat er sichs verschworen, daß er nicht inserieren wird. Lieber verkauft er den Hund dem Wasenmeister, wenn sich niemand in den Inseraten um ihn melden will.«
»Gehn Sie schlafen, Schwejk«, befahl der Oberleutnant, »Sie sind imstand, bis früh zu blödeln.« Er ging ebenfalls zu Bett, und in der Nacht träumte ihm, daß Schwejk auch ein Pferd des Thronfolgers gestohlen und ihm gebracht habe und daß der Thronfolger das Pferd bei der Truppenschau erkannte, als er, der unglückliche Oberleutnant Lukasch, vor seinem Zug darauf ritt.
Am Morgen war dem Oberleutnant zumut wie nach einer durchzechten Nacht, in der man ihn geohrfeigt hatte. Ein ungewöhnlich schwerer seelischer Alp lastete auf ihm. Gegen früh schlief er, entkräftet von dem fürchterlichen Traum, noch einmal ein und wurde von einem Pochen an der Tür geweckt; das gutmütige Gesicht Schwejks zeigte sich. Schwejk fragte, wann er den Herrn Oberlajtnant wecken solle.
Der Oberleutnant stöhnte im Bett: »Hinaus, Rindvieh, das ist ja schrecklich!«
Als er dann bereits wach war und Schwejk ihm das Frühstück brachte, war der Oberleutnant von der neuen Frage Schwejks überrascht: »Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, möchten Sie nicht wünschen, daß ich Ihnen einen andern Hund verschaff?«
»Wissen Sie, Schwejk, daß ich Lust hätte, Sie vors Feldgericht zu schicken?« sagte der Oberleutnant mit einem Seufzer. »Aber man würde Sie freisprechen, denn etwas so kolossal Dummes hat man sein Lebtag nicht gesehn. Schaun Sie sich im Spiegel an. Ist Ihnen nicht schlecht von Ihrem blöden Ausdruck? Nun, sagen Sie die Wahrheit, Schwejk. Gefalln Sie sich?«
»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, ich gefall mir nicht, ich bin in diesem Spiegel ganz schief oder so was. Da ham sie mal beim Chinesen Stanek so einen bauchigen Spiegel gehabt, und wenn sich jemand hineingeschaut hat, hat er geglaubt, er muß kotzen. Das Maul so, der Kopf wie ein Geschirrschaff, der Bauch wie von einem besoffenen Kanonier, kurz, eine feine Nummer. Der Herr Statthalter is vorbeigegangen, hat hineingeschaut, und gleich ham sie den Spiegel heruntergeben müssen.«
Der Oberleutnant kehrte sich ab, seufzte und hielt es für angezeigt, sich statt mit Schwejk lieber mit dem weißen Kaffee abzugeben.
Schwejk hantierte bereits in der Küche, und Oberleutnant Lukasch vernahm seinen Gesang:
»Grenevill zieht in den Krieg
durch das Tor in voller Zier.
Auf den Helm die Sonne scheint, und das hübsche Mädel weint . . .«
Und Schwejk fuhr fort:
»Wir Soldaten, wir sind Herrn,
uns haben die Mädel gern,
fassen Löhnung jeden Tag,
kennen keine Sorg und Plag . . .«
Dir gehts freilich gut, Lackl, dachte der Oberleutnant und spuckte aus.
In der Tür zeigte sich Schwejks Kopf: »Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, man is hier aus der Kaserne um Sie, Sie solln augenblicklich zum Herrn Oberst kommen, die Ordonnanz is da.«
Und vertraulich fügte er hinzu: »Vielleicht wirds wegen dem Hunterl sein.«
»Ich hab schon gehört«, sagte der Oberleutnant, als sich die Ordonnanz im Vorzimmer bei ihm melden wollte.
Das sagte er mit bedrückter Stimme und entfernte sich mit einem vernichtenden Blick auf Schwejk.
Es war kein Rapport, es war etwas Ärgeres. Der Oberst saß äußerst mürrisch in einem Fauteuil, als der Oberleutnant seine Kanzlei betrat.
»Vor zwei Jahren, Herr Oberleutnant«, sagte der Oberst, »haben Sie sich gewünscht, nach Budweis zum 91. Regiment versetzt zu werden. Wissen Sie, wo Budweis liegt? An der Moldau, ja an der Moldau, und es mündet dort die Eger oder etwas Ähnliches. Die Stadt ist groß, sozusagen freundlich, und wenn ich mich nicht irre, hat sie einen Kai. Wissen Sie, was ein Kai ist? Das ist eine Mauer, die über dem Wasser erbaut ist. Jawohl. Übrigens gehört das nicht hierher. Wir haben dort Manöver abgehalten.«
Der Oberst verstummte, und während er ins Tintenfaß blickte, ging er schnell zu einem andern Thema über: »Mein Hund hat sich bei Ihnen den Magen verdorben. Er will nichts fressen. Da schau her, im Tintenfaß ist eine Fliege. Das ist merkwürdig, daß auch im Winter Fliegen ins Tintenfaß fallen. Ist das eine Unordnung.«
Also äußer dich schon, alter Schöps, dachte der Oberleutnant.
Der Oberst stand auf und ging einige Male in der Kanzlei auf und ab.
»Ich habe lange nachgedacht, Herr Oberleutnant, was ich Ihnen eigentlich tun soll, damit sich so was nicht wiederholen kann, und habe mich erinnert, daß Sie gewünscht haben, zum 91. Regiment versetzt zu werden. Das Oberkommando hat uns neulich mitgeteilt, daß beim 91. Regiment ein großer Mangel an Offizieren herrscht, weil die Serben alles erschlagen haben. Ich verbürge mich Ihnen mit meinem Ehrenwort, daß Sie binnen drei Tagen beim 91. Regiment in Budweis sein werden, wo man ein Marschbataillon formiert. Sie müssen nicht danken. Die Armee braucht Offiziere, die . . .«
Und da er nicht wußte, was er noch sagen sollte, schaute er auf die Uhr und sprach: »Es ist halb elf, höchste Zeit, zum Regimentsrapport zu gehen.«
Damit war das angenehme Gespräch beendet, und dem Oberleutnant war bedeutend leichter zumut, als er die Kanzlei verließ und die Einjährigfreiwilligenschule betrat, wo er die Mitteilung machte, daß er in den nächsten Tagen an die Front fahren und deshalb einen Abschiedsabend veranstalten werde.
Als er nach Hause kam, sagte er Schwejk bedeutungsvoll: »Wissen Sie, was ein Marschbataillon ist, Schwejk?«
»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, ein Marschbataillon ist ein Marschbatjak, und eine Marschka is eine Marschkumpatschka.Dem Deutschen entnommene Bezeichnung für Marschbataillon und Marschkompanie bei der tschechischen Mannschaft. Wir kürzens immer so ab.«
»Also, Schwejk«, sagte der Oberleutnant mit feierlicher Stimme, »ich teile Ihnen mit, daß Sie mit mir mit dem Marschbatjak abgehn werden, wenn Ihnen diese Abkürzung lieber ist. Aber glauben Sie nicht, daß Sie an der Front solche Blödheiten anstellen werden wie hier. Sind Sie froh?«
»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß ich froh bin«, entgegnete der brave Soldat Schwejk. »Das wird was Wunderbares sein, wenn wir beide zusamm für Seine Majestät den Kaiser und seine Familie fallen wern . . .«