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Feldkurat Otto Katz saß melancholisch über ein Zirkular gebeugt, das man gerade aus der Kaserne gebracht hatte. Es war ein Reservaterlaß des Kriegsministeriums.
»Das Kriegsministerium hebt für die Dauer des Krieges alle die Letzte Ölung der Armeeangehörigen betreffenden gültigen Vorschriften auf und setzt nachstehende Weisungen für die Militärgeistlichkeit fest:
§ 1. An der Front wird die Letzte Ölung aufgehoben.
§ 2. Schwerkranken und Verwundeten ist es nicht gestattet, sich wegen der Letzten Ölung ins Hinterland zu begeben. Die Militärgeistlichen sind verpflichtet, solche Personen augenblicklich den zuständigen Militärgerichten zur weiteren Amtshandlung zu übergeben.
§ 3. In den Krankenhäusern im Hinterland kann die Letzte Ölung massenweise auf Grund der Gutachten der Militärärzte erteilt werden, solange die Letzte Ölung nicht den Charakter einer Erschwerung für die zuständige Militärinstitution in sich birgt.
§ 4. In außergewöhnlichen Fällen kann das Kommando der Militärspitäler im Hinterland Einzelpersonen den Empfang der Letzten Ölung gestatten.
§ 5. Die Militärgeistlichen sind verpflichtet, auf Anordnung des Kommandos der Militärspitäler jenen die Letzte Ölung zu erteilen, die das Kommando vorschlägt.«
Dann las der Feldkurat noch einmal die Vorschrift, in welcher ihm angezeigt wurde, daß er am folgenden Tage im Militärspital auf dem Karlsplatz einen Schwerverwundeten versehen sollte.
»Hören Sie, Schwejk«, rief der Feldkurat, »ist das nicht eine Schweinerei? Wie wenn ich in ganz Prag der einzige Feldkurat wäre. Warum schickt man nicht diesen frommen Priester hin, der neulich bei uns geschlafen hat? Wir solln auf dem Karlsplatz versehen. Ich hab schon vergessen, wie man das macht.«
»Also wern wir uns halt einen Katechismus kaufen, Herr Feldkurat, dort wirds stehn«, sagte Schwejk, »das is so wie ein Fremdenführer für geistliche Hirten. In Emaus im Kloster hat ein Gärtnergehilfe gearbeitet, und wie er in die Schar der Laienbrüder eintreten wollt und eine Kutte gekriegt hat, damit er nicht seine Kleider zerreißen muß, hat er sich einen Katechismus kaufen müssn und lernen, wie man ein Kreuz schlägt, wer als einziger von der Erbsünde verschont worden is und was das is, ein reines Gewissen haben und andere solche Kleinigkeiten, und dann hat er ihnen unterderhand ausm Klostergarten die halben Gurken verkauft und is mit Schimpf und Schande ausm Kloster hinaus. Wie ich mit ihm zusammengekommen bin, so sagt er mir: ›Gurken hätt ich auch ohne Katechismus verkaufen können.‹«
Als Schwejk den gekauften Katechismus brachte, blätterte der Feldkurat darin und sagte: »Da schau her, die Letzte Ölung kann nur ein Priester erteilen, und zwar nur mit einem vom Bischof geweihten Öl. Also sehn Sie, Schwejk, Sie selbst können nicht die Letzte Ölung erteilen. Lesen Sie mir vor, wie man die Letzte Ölung erteilt.«
Schwejk las: »Die Letzte Ölung wird erteilt, indem der Priester den Kranken an den einzelnen Sinnen mit dem Krankenöle salbt und dabei betet: Durch diese heilige Salbung und seine mildreichste Barmherzigkeit vergebe dir der Herr, was du durch Sehen, Hören, Riechen, Sprechen, Tasten und Gehen gesündigt hast.«
»Ich möcht gern wissen, Schwejk«, ließ sich der Feldkurat vernehmen, »was der Mensch mit dem Tastsinn verschulden kann, können Sie mir das erklären?«
»Viele Sachen, Herr Feldkurat, zum Beispiel, er greift in eine fremde Tasche, oder auf einer Tanzunterhaltung – Sie verstehn mich ja, was dort alles zu sehn is.«
»Und mit dem Gang, Schwejk?«
»Wenn er zu hatschen anfängt, damit die Leute sich über ihm erbarmen.«
»Und mit dem Geruch?«
»Wenn ihm ein Gestank nicht gefällt.«
»Und mit dem Geschmack, Schwejk?«
»Wenn er an jemandem Geschmack findet.«
»Und mit der Sprache?«
»Das gehört schon mit dem Gehör zusamm, Herr Feldkurat. Wenn jemand viel quatscht und der andre ihm zuhört.«
Nach diesen philosophischen Erwägungen verstummte der Feldkurat und sagte: »Wir brauchen also vom Bischof geweihtes Öl. Hier haben Sie 10 Kronen und kaufen Sie eine Flasche. In der Militärintendantur gibts wahrscheinlich so ein Öl nicht.«
Schwejk machte sich also auf den Weg, um vom Bischof geweihtes Öl zu beschaffen. So etwas ist ärger als das Suchen nach dem Wasser des Lebens in dem Märchen der Božena Němcová.Bedeutende tschechische Schriftstellerin (1820-1862); sammelte tschechische und slowakische Märchen und Sagen.
Er ging in mehrere Drogerien, und sobald er sagte: »Bitte ein Fläschchen vom Bischof geweihtes Öl«, brach man entweder in ein Gelächter aus oder versteckte sich entsetzt unter dem Pult. Schwejk gebärdete sich ungewöhnlich ernst.
Er entschloß sich also, sein Glück in den Apotheken zu versuchen. In der ersten ließ man ihn vom Laboranten hinausführen. In der zweiten wollte man auf die Rettungsstation telefonieren, und in der dritten sagte ihm der Provisor, daß die Firma Polak in der Langengasse, ein Geschäft mit Öl und Lack, das verlangte Öl entschieden auf Lager haben werde.
Die Firma Polak in der Langengasse war tatsächlich eine agile Firma. Sie ließ keinen Käufer aus, ohne seine Wünsche zu befriedigen. Verlangte er Kopaiwabalsam, goß man ihm Terpentin ein, und gut wars.
Als Schwejk kam und für zehn Kronen vom Bischof geweihtes Öl verlangte, sagte der Chef zum Gehilfen: »Gießen Sie ihm 10 Deka Hanföl Nummer 3 ein, Herr Tauchen.«
Und der Gehilfe sagte, während er Schwejk das Fläschchen in Papier wickelte, ganz geschäftsmäßig: »Es ist die beste Qualität, falls Sie noch einen Pinsel, Lack oder Firnis wünschen, wenden Sie sich gefälligst an uns. Wir werden Sie solid bedienen.«
Inzwischen prägte sich der Feldkurat aus dem Katechismus ein, was einst im Seminar nicht in seinem Gedächtnis haftengeblieben war. Sehr gut gefielen ihm einige ungewöhnlich geistreiche Sätze, über die er aufrichtig lachen mußte: »Der Name ›Letzte Ölung‹ kommt daher, daß diese Ölung gewöhnlich die letzte unter allen heiligen Salbungen ist, welche dem Menschen von der Kirche erteilt werden.«
Oder: »Die Letzte Ölung kann jeder katholische Christ empfangen, welcher zum Gebrauche der Vernunft gekommen und gefährlich erkrankt ist.«
»Der Kranke soll die Letzte Ölung womöglich empfangen, solange er noch bei voller Besinnung ist.«
Dann kam die Ordonnanz und brachte einen Brief, in welchem dem Feldkuraten angezeigt wurde, daß morgen bei der heiligen Handlung im Krankenhaus »Die Vereinigung adeliger Damen zur Pflege der religiösen Erziehung der Soldaten« anwesend sein werde.
Diese »Vereinigung« bestand aus hysterischen alten Weibern und verteilte unter die Soldaten in den Spitälern Heiligenbilder und Geschichten von einem katholischen Krieger, der für Seine Majestät den Kaiser stirbt. Diese Geschichten waren mit farbigen Bildchen geschmückt, die das Schlachtfeld veranschaulichten. Überall wälzten sich Menschen- und Pferdeleichen, umgeworfene Munitionswagen und Kanonen mit steil aufgerichteten Lafetten. Am Horizont brannte ein Dorf, explodierten Schrapnells, und im Vordergrund lag ein sterbender Soldat mit abgerissenem Bein. Ein Engel beugte sich über ihn und reichte ihm einen Kranz mit folgender Inschrift auf der Schleife: »Noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein.« Und der Sterbende lächelte selig, als bringe man ihm Gefrorenes.
Als Otto Katz den Inhalt des Briefes gelesen hatte, spuckte er aus und dachte: Das wird morgen wieder ein Tag sein!
Er kannte dieses Gesindel, wie er es nannte, aus der Ignatiuskirche, wo er vor Jahren Militärpredigten gehalten hatte. Damals wandte er an die Predigt noch viel Mühe, und die »Vereinigung« pflegte hinter dem Obersten zu sitzen. Zwei aufgeschossene Weibsbilder in schwarzen Kleidern mit Rosenkränzen hatten sich ihm einmal nach der Predigt angeschlossen und zwei Stunden lang über die religiöse Erziehung der Soldaten gesprochen, so lange, bis er ihnen endlich wutentbrannt gesagt hatte: »Verzeihen Sie, meine Damen, auf mich wartet der Herr Hauptmann mit einer Partie Färbl.«
»Also wir ham schon Öl«, sagte Schwejk feierlich, als er von der Firma Polak zurückkehrte. »Hanföl Nummer 3, beste Qualität, wir können damit ein ganzes Bataillon einschmieren. Es is eine solide Firma. Sie verkauft auch Firnis, Lack und Pinsel. Noch ein Glöckchen brauchen wir.«
»Wozu ein Glöckchen, Schwejk?«
»Wir müssen am Weg läuten, damit die Leute vor uns den Hut abziehn, wenn wir Gott den Herrn und dieses Hanföl Nummer 3 tragen, Herr Feldkurat. Das macht man so, und es sind schon viele Leute, die das nichts angegangen ist, eingesperrt worn, weil sie nicht den Hut gezogen ham. In Žižkov hat einmal der Pfarrer einen Blinden verprügelt, weil er bei so einer Gelegenheit nicht den Hut gezogen hat, und der is noch eingesperrt worn, weil man ihm bei Gericht nachgewiesen hat, daß er nicht taubstumm is und nur blind und daß er das Klingeln von dem Glöckchen gehört hat und Ärgernis erregt hat, obzwar es in der Nacht war. Das is wie am Fronleichnam. Sonst möchten sich die Leute gar nicht auf uns umschaun, und so wern sie vor uns den Hut ziehn. Wenn Sie also nichts dagegen ham, Herr Feldkurat, bring ichs gleich.«
Nachdem er die Zustimmung erhalten hatte, brachte Schwejk nach einer halben Stunde ein Glöckchen.
»Es ist vom Tor der Kneipe ›Zum Kreuzl‹«, sagte er, »es hat mich fünf Minuten Angst gekostet, und ich hab lang warten müssen, weil in einem fort Leute vorbeigegangen sind.«
»Ich geh ins Kaffeehaus, Schwejk, wenn jemand käm, soll er warten.«
Etwa eine halbe Stunde später kam ein grauer älterer Herr mit aufrechter Haltung und strengem Blick.
Aus seinem ganzen Äußern sprühten Zorn und Ingrimm. Er schaute drein, als wäre er vom Schicksal entsandt, um unseren elenden Planeten zu vernichten und seine Spuren im Weltall zu vertilgen.
Seine Sprache war scharf, trocken und streng: »Zu Hause? Ins Kaffeehaus gegangen? Ich soll warten? Gut, ich werde bis früh warten. Aufs Kaffeehaus hat er Geld, aber Schulden zahlen, das nicht. Ein Priester, pfui Teufel!«
Er spuckte in der Küche aus.
»Spucken Sie uns hier nicht herum!« sagte Schwejk, der den fremden Herrn mit Interesse betrachtete.
»Und noch einmal spuck ich aus, sehn Sie, so«, sagte hartnäckig der strenge Herr, zum zweitenmal auf den Fußboden spuckend, »daß er sich nicht schämt. Ein Militärgeistlicher, eine Schande!«
»Wenn Sie ein gebildeter Mensch sind«, machte ihn Schwejk aufmerksam, »dann gewöhnen Sie sich ab, in einer fremden Wohnung zu spucken. Oder glauben Sie, weil Weltkrieg is, können Sie sich alles erlauben? Sie solln sich anständig benehmen und nicht wie ein Menschenfresser, Sie solln fein vorgehn, anständig reden und sich nicht aufführen wie ein Gassenbub, Sie blöder Zivilist, Sie!«
Der strenge Herr stand vom Stuhl auf, begann vor Aufregung zu zittern und schrie: »Was unterstehn Sie sich da, wenn ich kein anständiger Mensch bin, was bin ich also, sprechen Sie . . .!«
»Ein Scheißer sind Sie«, entgegnete Schwejk, ihm in die Augen blickend. »Sie spucken auf die Erde, wie wenn Sie in der Elektrischen, im Zug oder in einem öffentlichen Lokal wärn. Ich hab mich in einem fort gewundert, warum dort überall Zettel hängen, daß das Spucken auf die Erde verboten is, und jetzt seh ich, daß das wegen Ihnen is. Man muß Sie wahrscheinlich überall sehr gut kennen.«
Der strenge Herr wechselte die Gesichtsfarbe und bemühte sich, mit einem Ansturm von Schimpfworten zu antworten, die an Schwejk und an den Feldkuraten adressiert waren.
»Sind Sie fertig mit Ihrer Rede?« fragte Schwejk ruhig (als das letzte »Lumpen seid ihr beide, wie der Herr, so der Knecht« verklungen war), »oder wolln Sie noch was hinzufügen, bevor Sie die Stiege hinunterfliegen?«
Da der strenge Herr bereits so erschöpft war, daß ihm kein würdiger Schimpfname mehr einfiel, weshalb er verstummte, nahm Schwejk an, daß er vergeblich auf eine Ergänzung warten würde.
Er öffnete die Tür, kehrte den strengen Herrn mit dem Gesicht zum Gang und versetzte ihm einen Stoß, für den sich nicht einmal der beste Spieler der besten internationalen Fußball-Meistermannschaft hätte schämen müssen.
Und hinter dem strengen Herrn erscholl Schwejks Stimme auf der Stiege:
»Nächstens, wenn Sie zu anständigen Leuten auf Besuch gehn, so benehmen Sie sich anständig.«
Der strenge Herr ging lange unter den Fenstern auf und ab und wartete auf den Feldkuraten.
Schwejk öffnete das Fenster und beobachtete ihn.
Schließlich kehrte der Feldkurat zurück; er führte den Gast ins Zimmer und ließ ihn sich gegenüber auf einem Stuhl Platz nehmen.
Schwejk brachte schweigend einen Spucknapf und stellte ihn vor den Gast.
»Was machen Sie da, Schwejk?«
»Melde gehorsamst, Herr Feldkurat, mit dem Herrn war hier schon eine kleine Unannehmlichkeit wegen Spucken aufn Fußboden.«
»Verlassen Sie uns, Schwejk, wir haben etwas miteinander zu erledigen!«
Schwejk salutierte.
»Melde gehorsamst, Herr Feldkurat, daß ich Sie verlasse.«
Er ging in die Küche, und im Zimmer wurde ein überaus interessantes Gespräch geführt.
»Sie sind das Geld für den Wechsel holen gekommen, wenn ich mich nicht irre?« fragte der Feldkurat seinen Gast.
»Ja, ich hoffe . . .«
Der Feldkurat seufzte.
»Der Mensch kommt in solche Situationen, daß ihm nur eine einzige Hoffnung bleibt. Wie schön ist das Wörtchen ›hoffen‹ aus jenem Kleeblatt, das den Menschen aus dem Chaos des Lebens emporhebt: ›Glaube, Hoffnung, Liebe‹.«
»Ich hoffe, Herr Feldkurat, daß der Betrag . . .«
»Gewiß, Verehrter«, unterbrach ihn der Feldkurat, »ich kann nochmals wiederholen, daß das Wort ›hoffen‹ den Menschen in seinem Kampf mit dem Leben stärkt. Verlieren auch Sie nicht die Hoffnung. Wie schön ist es, ein bestimmtes Ideal zu haben, ein unschuldiges reines Wesen zu sein, das Geld auf einen Wechsel leiht und die Hoffnung hat, ihn rechtzeitig eingelöst zu bekommen. Hoffen, unaufhörlich hoffen, daß ich Ihnen 1000 Kronen auszahlen werde, während ich in der Tasche nicht ganz hundert habe.«
»Sie haben also . . .« stotterte der Gast.
»Ja, ich habe also«, antwortete der Feldkurat.
Das Antlitz des Gastes nahm abermals einen zornigen und bösen Ausdruck an.
»Herr, das ist Betrug«, sagte er, indem er sich erhob.
»Beruhigen Sie sich, geehrter Herr . . .«
»Das ist Betrug!« schrie hartnäckig der Gast, »Sie haben mein Vertrauen mißbraucht!«
»Mein Herr«, sagte der Feldkurat, »Ihnen wird entschieden Luftveränderung guttun, hier ist es zu schwül!«
»Schwejk!« rief er in die Küche, »dieser Herr wünscht an die frische Luft zu gehn.«
»Melde gehorsamst, Herr Feldkurat«, ertönte es aus der Küche, »daß ich diesen Herrn schon einmal herausgeworfn hab.«
»Wiederholen!« lautete der Befehl, der schnell, scharf und energisch vollführt wurde.
»Das ist gut, Herr Feldkurat«, sagte Schwejk, als er vom Flur zurückkehrte, »daß wir mit ihm Schluß gemacht ham, bevor er uns hier einen Radau geschlagen hat. In Maleschitz war ein Schenkwirt, ein Schriftkundiger, der auf alles Zitate aus der Heiligen Schrift gehabt hat, und wenn er jemandem mit dem Ochsenziemer eins heruntergehaut hat, hat er immer gesagt: ›Wer der Rute spart, haßt seinen eigenen Sohn; doch wer ihn liebet, züchtiget ihn beizeiten, ich wer dir geben, dich hier im Wirtshaus zu raufn!‹«
»Sehn Sie, Schwejk, wie es mit so einem Menschen endet, der den Priester nicht ehrt«, lachte der Feldkurat. »Der heilige goldzüngige Johannes hat gesagt: ›Wer den Priester ehrt, ehrt Christus, wer den Priester demütigt, demütigt Jesus Christus, dessen Stellvertreter der Priester ist.‹ Für morgen müssen wir uns einwandfrei vorbereiten. Machen Sie eingerührte Eier mit Schinken, kochen Sie einen Bordeauxpunsch, und dann werden wir uns der Meditation widmen, denn wie es im Abendgebet heißt: ›Herr suche diese Wohnung gnädig heim und halte alle Nachstellungen des bösen Feindes ferne von ihr.‹«
Auf der Welt gibt es standhafte Menschen, zu denen auch der bereits zweimal aus der Wohnung des Feldkuraten hinausgeworfene Mann gehörte. Gerade als das Nachtmahl fertig war, läutete jemand. Schwejk öffnete, kam bald darauf zurück und meldete: »Er is wieder da, Herr Feldkurat. Ich hab ihn derweil ins Badezimmer eingesperrt, damit wir in Ruh nachtmahln können.«
»Daran tun Sie nicht gut, Schwejk«, sagte der Feldkurat, »Gast ins Haus, Gott ins Haus. In alten Zeiten hat man sich bei Gastmählern von Mißgeburten belustigen lassen. Führen Sie ihn her, er soll uns unterhalten!«
Schwejk kehrte bald darauf mit dem standhaften Mann zurück, der düster vor sich hin blickte.
»Setzen Sie sich«, forderte ihn der Feldkurat freundlich auf, »wir beenden gerade unser Nachtmahl. Wir haben Hummern und Lachs gehabt und jetzt noch eingerührte Eier mit Schinken. Ja, uns gehts fein, die Leute borgen uns Geld.«
»Ich hoffe, daß ich nicht zum Scherz hier bin«, sagte der düstere Mann, »ich bin heute schon zum drittenmal hier. Ich hoffe, daß sich jetzt alles aufklären wird.«
»Melde gehorsamst, Herr Feldkurat«, bemerkte Schwejk, »daß er nicht loszuwerden is, wie ein gewisser Bouschek aus Lieben. Achtzehnmal am Abend ham sie ihn bei ›Exner‹ herausgeschmissen, und immer is er ihnen wieder zurückgekommen, daß er die Pfeife dort vergessen hat. Er is ihnen zum Fenster hineingekrochen, zur Tür, aus der Küche, über die Mauer ins Lokal, durchn Keller in den Ausschank und hätt sich vielleicht aus dem Schornstein heruntergelassen, wenn ihn die Feuerwehr nicht vom Dach heruntergeholt hätt. So ausdauernd war er, daß er Minister oder Abgeordneter hätt wern können. Sie ham für ihn gemacht, was sie konnten.«
Der standhafte Mann wiederholte hartnäckig, als achte er nicht auf das, was man sprach: »Ich will Klarheit haben und wünsche angehört zu werden.«
»Es sei Ihnen gewährt«, sagte der Feldkurat, »sprechen Sie, geehrter Herr. Sprechen Sie, solange Sie wolln, und wir werden einstweilen unser Mahl fortsetzen. Ich hoffe, daß Sie dies beim Erzählen nicht stören wird. Schwejk, tragen Sie auf.«
»Wie Ihnen bekannt ist«, sagte der Standhafte, »wütet der Krieg. Den Betrag habe ich Ihnen vor dem Krieg geborgt, und wenn nicht Krieg wäre, möcht ich nicht auf Bezahlung drängen. Aber ich habe traurige Erfahrungen gemacht.«
Er zog ein Notizbuch aus der Tasche und fuhr fort: »Ich habe alles eingetragen. Oberleutnant Janata war mir 700 Kronen schuldig und hat die Kühnheit gehabt, an der Drina zu fallen. Leutnant Praschek ist an der russischen Front in Gefangenschaft geraten und ist mir 2000 Kronen schuldig. Hauptmann Wichterle, der mir den gleichen Betrag schuldet, hat sich hinter Rawaruska von den eigenen Soldaten umbringen lassen. Oberleutnant Maschek, der in Serbien gefangen ist, schuldet mir 1500 Kronen. Es gibt mehr solcher Leute hier. Einer fällt in den Karpaten mit einem unbezahlten Wechsel von mir, einer gerät in Gefangenschaft, einer ertrinkt mir in Serbien, einer stirbt in Ungarn im Spital. Jetzt begreifen Sie meine Befürchtungen, daß dieser Krieg mich ruinieren wird, wenn ich nicht energisch und unerbittlich sein werde. Sie können einwenden, daß bei Ihnen keine direkte Gefahr droht. Schaun Sie.«
Er steckte dem Feldkuraten sein Notizbuch unter die Nase: »Da sehn Sie: Feldkurat Mathias in Brünn, vor einer Woche in der Isolierabteilung im Krankenhaus gestorben. Ich möcht mir die Haare ausraufen. 1800 Kronen hat er mir nicht bezahlt und geht in die Cholerabaracke einen Menschen versehen, der ihn nichts angegangen ist.«
»Das war seine Pflicht, lieber Herr«, sagte der Feldkurat, »ich geh auch morgen versehen.«
»Und auch in die Cholerabaracke«, bemerkte Schwejk, »Sie können mitgehn, damit Sie sehn, was es heißt, sich zu opfern.«
»Herr Feldkurat«, sagte der standhafte Mann, »glauben Sie mir, ich bin in einer verzweifelten Situation. Führt man deshalb Krieg, damit er alle meine Schuldner aus der Welt schafft?«
»Bis man Sie assentieren wird und Sie ins Feld gehen wern«, bemerkte Schwejk abermals, »so wern wir mitm Herrn Feldkurat eine heilige Messe lesen, damit der himmlische Gott gibt, daß die erste Granate Sie zu zerreißen geruht.«
»Herr, das ist eine ernste Sache«, sagte der Standhafte zum Feldkuraten, »ich verlange von Ihnen, daß Ihr Diener sich nicht in unsere Angelegenheit einmischt, damit wir zu Ende kommen können.«
»Erlauben Sie, Herr Feldkurat«, ließ sich Schwejk vernehmen, »befehlen Sie mir gefälligst wirklich, ich soll mich nicht in Ihre Angelegenheiten mischen, sonst wer ich weiter Ihre Interessen verteidigen, wie sichs für einen ordentlichen und anständigen Soldaten schickt. Der Herr hat vollkommen recht, er will allein von hier weggehn. Ich hab auch nicht gern Auftritte, ich bin ein Gesellschaftsmensch.«
»Schwejk, mich fängt es schon zu langweilen an«, sagte der Feldkurat, als bemerke er nicht die Anwesenheit des Gastes, »ich hab geglaubt, daß der Mensch uns unterhalten und uns Anekdoten erzählen will, und er verlangt, ich soll Ihnen befehlen, Sie solln sich nicht hineinmischen, obzwar Sie schon zweimal mit ihm zu tun hatten. An einem Abend, wo ich vor so einer wichtigen religiösen Handlung stehe, wo ich alle meine Sinne zu Gott wenden soll, belästigt er mich mit einer dummen Geschichte wegen lausigen 1200 Kronen, lenkt mich ab von der Prüfung meines Gewissens, von Gott, und will, ich soll ihm noch einmal sagen, daß ich ihm jetzt nichts gebe. Ich will nicht länger mit ihm sprechen, um mir diesen heiligen Abend nicht zu verderben. Sagen Sie ihm selbst, Schwejk: ›Der Herr Feldkurat gibt Ihnen nichts!‹«
Schwejk erfüllte den Befehl und brüllte dem Gast ins Ohr.
Der standhafte Gast blieb jedoch weiterhin sitzen.
»Schwejk«, forderte diesen der Feldkurat auf, »fragen Sie ihn, wie lange er glaubt, daß er hier noch herumgaffen wird!«
»Ich rühr mich nicht von hier, solang ich nicht bezahlt bekomme!« sagte hartnäckig der Standhafte.
Der Feldkurat stand auf, ging zum Fenster und sagte:
»In diesem Fall übergebe ich ihn Ihnen, Schwejk. Machen Sie mit ihm, was Sie wolln.«
»Kommen Sie, Herr«, sagte Schwejk, den unliebsamen Gast an der Schulter packend, »aller guten Dinge sind drei.«
Und er wiederholte seine Funktion rasch und elegant, während der Feldkurat einen Trauermarsch auf das Fenster trommelte.
Dieser der Meditation gewidmete Abend durcheilte mehrere Phasen. Der Feldkurat näherte sich Gott so andächtig und inbrünstig, daß noch um Mitternacht aus seiner Wohnung der Gesang drang:
»Wie wir abgezogen sind,
weinten sich die Mädel blind . . .«
Mit ihm sang auch der brave Soldat Schwejk.
Im Militärspital verlangten zwei Menschen nach der Letzten Ölung. Ein alter Major und ein Bankdisponent, ein Reserveoffizier. Beide hatten in den Karpaten eine Kugel in den Bauch bekommen und lagen nebeneinander. Der Reserveoffizier hielt es für seine Pflicht, sich mit den Sterbesakramenten versehen zu lassen, weil sein Vorgesetzter nach der Letzten Ölung verlangte. Sich nicht auch versehen zu lassen, hielt er für eine Subordinationsverletzung. Der fromme Major tat es aus Klugheit, denn er glaubte, ein Gebet könne einen Kranken gesund machen. In der Nacht vor der Letzten Ölung starben jedoch beide, und als sich am Morgen der Feldkurat mit Schwejk einstellte, lagen sie mit schwarz verfärbten Gesichtern unter einem Leichentuch wie alle, die an Erstickung sterben.
»So viel Müh hamr uns gegeben, Herr Feldkurat, und jetzt ham sies uns verdorben«, ärgerte sich Schwejk, als man ihnen in der Kanzlei meldete, daß die beiden ihrer nicht mehr bedurften.
Und es war wahr, sie hatten sich Mühe gegeben. Sie waren in einer Droschke gefahren, Schwejk hatte geläutet, und der Feldkurat hatte das Fläschchen mit dem Öl in eine Serviette gewickelt in der Hand gehalten und mit ernsthaftem Gesicht die Vorübergehenden, die den Hut zogen, gesegnet.
Es waren ihrer freilich nicht viele, obwohl Schwejk bemüht war, mit seinem Glöckchen einen ungeheuren Lärm zu machen.
Der Droschke liefen ein paar unschuldige Knaben nach, von denen einer hinten aufsaß, worauf seine Gefährten unisono anhuben: »Dem Wagen nach, dem Wagen nach.«
Und Schwejk läutete dazwischen, der Droschkenkutscher schlug mit der Peitsche nach rückwärts, in der Wassergasse holte eine Hausmeisterin, Mitglied der Marienkongregation, die Droschke laufend ein, ließ sich im Fahren segnen, bekreuzigte sich, spuckte hierauf aus: »Sie fahren mit dem Herrgott wie von Teufeln gejagt! Schwindsucht kann man kriegen!« und kehrte atemlos zu ihrem früheren Platz zurück.
Am meisten beunruhigte die Stimme des Glöckchens den Droschkengaul, den es offenbar an etwas aus vergangenen Jahren erinnerte, denn er blickte unaufhörlich nach hinten und machte von Zeit zu Zeit den Versuch, auf dem Pflaster zu tanzen.
Das war also die Mühe, von der Schwejk gesprochen hatte. Der Feldkurat ging inzwischen in die Kanzlei, um die finanzielle Seite der Letzten Ölung zu erledigen, und rechnete dem Rechnungsfeldwebel aus, daß das Militär-Ärar ihm an 150 Kronen für das geweihte Öl und den Weg schulde.
Dann folgte ein Streit zwischen dem Spitalskommandanten und dem Feldkuraten, wobei der Feldkurat mehrmals mit der Faust auf den Tisch schlug und erklärte: »Glauben Sie nur ja nicht, Herr Hauptmann, daß die Letzte Ölung umsonst ist. Wenn ein Offizier von den Dragonern zu den Pferden ins Gestüt kommandiert wird, so zahlt man ihm auch Diäten. Ich bedaure wirklich, daß die beiden die Letzte Ölung nicht erlebt haben. Es wäre um 50 Kronen teurer.«
Schwejk wartete inzwischen unten in der Wachstube mit dem Fläschchen heiligen Öls, das bei den Soldaten aufrichtiges Interesse erregte.
Jemand meinte, daß sich mit diesem Öl sehr gut Gewehre und Bajonette reinigen ließen.
Ein junger Soldat aus dem böhmisch-mährischen Hochland, der noch an Gott glaubte, bat, man möge nicht über solche Dinge sprechen und die heiligen Geheimnisse nicht in die Debatte ziehen. Wir müssen christlich hoffen.
Ein alter Reservist blickte den Grünschnabel an und sagte: »Hübsches Hoffen, daß dir ein Schrapnell den Kopf abreißt. Man hat uns was aufgebunden. Einmal is irgendein klerikaler Abgeordneter zu uns gekommen und hat von Gottes Frieden gesprochen, der sich über die Erde wölbt, und wie Gott sich keinen Krieg wünscht und will, daß wir alle in Frieden leben und uns vertragen wie Brüder. Und schaut euch ihn an, den Ochsen, seit der Krieg ausgebrochen is, betet man in allen Kirchen für den Sieg der Waffen, und vom lieben Gott spricht man wie von einem Generalstabschef, der diesen Krieg lenkt und dirigiert. Hier aus dem Militärspital hab ich schon hübsch viel Begräbnisse herausfahren gesehn, und abgeschnittene Beine und Arme führt man von hier in Wagenladungen fort.«
»Und die Soldaten werden nackt begraben« sagte ein anderer Soldat, »und ihre Montur zieht man wieder einem andern lebenden an, und so gehts fort.«
»Solang wirs nicht gewinnen«, bemerkte Schwejk.
»So ein Pfeifendeckel will was gewinnen«, ließ sich aus der Ecke ein Korporal vernehmen. »An die Front mit euch, in die Schützengräben und vorwärts über die Drahtverhaue, Minen und Feuerwerfer. Sich im Hinterland herumwälzen, das trifft jeder, und keiner hat Lust zu falln.«
»Ich glaub auch, daß es sehr schön is, sich von einem Bajonett durchbohren zu lassen«, sagte Schwejk, »und es ist auch nicht schlecht, eine Kugel in den Bauch zu kriegen, und noch besser is, wenn einen eine Granate zerreißt und man sieht, daß die eigenen Beine samtn Bauch etwas weit von einem entfernt sind. Es wird einem so komisch zumut, daß man früher darüber stirbt, bevors einem jemand erklären kann.«
Der junge Soldat seufzte aufrichtig. Ihn dauerte sein junges Leben und daß er in einem so dummen Jahrhundert geboren worden war, um abgeschlachtet zu werden wie eine Kuh auf der Schlachtbank. Warum war denn das alles?
Ein Soldat, Lehrer von Beruf, bemerkte, als lese er Gedanken: »Manche Gelehrten erklären den Krieg als eine Folgeerscheinung der Sonnenflecke. Sobald so ein Fleck entsteht, kommt immer etwas Fürchterliches. Die Eroberung Karthagos . . .«
»Lassen Sie sich Ihre Gelehrsamkeit«, unterbrach ihn der Korporal, »und gehn Sie lieber das Zimmer kehren, heut sind Sie an der Reihe. Was gehn uns Ihre dummen Flecke auf der Sonne an. Meinetwegen können zwanzig dort sein, ich kauf mir nichts dafür.«
»Diese Flecke auf der Sonne ham wirklich eine große Bedeutung«, mischte sich Schwejk ein, »einmal hat sich so ein Fleck gezeigt und noch am selben Tag hab ich bei ›Banzet‹ in Nusle Dresch bekommen. Seit der Zeit hab ich immer, wenn ich ausgegangen bin, in der Zeitung gesucht, ob sich nicht wieder ein Fleck gezeigt hat. Und wie er sich gezeigt hat, lebwohl Marie, bin ich nirgends hingegangen, und nur so hab ichs überlebt. Wie damals der Vulkan Mont Pelé die ganze Insel Martinique vernichtet hat, hat ein Professor in der ›Národní Politika‹ geschrieben, daß er die Leser schon längst auf einen großen Fleck auf der Sonne aufmerksam gemacht hat. Und die ›Národní Politika‹ is halt nicht rechtzeitig auf dieser Insel angekommen, und so hats die Leute auf dieser Insel davongetragen.«
Inzwischen traf der Feldkurat oben in der Kanzlei mit einer Dame von der »Vereinigung für adelige Damen zur Pflege der religiösen Erziehung von Soldaten« zusammen, einer alten, widerwärtigen Sirene, die bereits vom frühen Morgen an im Spital herumging und überall Heiligenbilder verteilte, die die verwundeten und kranken Soldaten in die Spucknäpfe warfen.
Mit ihrem dummen Gequatsche, sie möchten aufrichtig ihre Sünden bereuen und sich wahrhaft bessern, damit der liebe Gott ihnen nach dem Tode ewigen Frieden gebe, brachte sie bei ihrem Rundgang alle in Erregung.
Sie war blaß, als sie mit dem Feldkuraten darüber sprach, wie der Krieg, statt zu veredeln, aus den Soldaten Tiere mache. Unten hätten die Maroden die Zunge auf sie herausgesteckt und ihr gesagt, sie sei eine Vogelscheuche und eine himmlische Ziege. »Das ist wirklich schrecklich, Herr Feldkurat, das Volk ist verdorben.«
Und sie erzählte eifrig, wie sie sich die religiöse Erziehung des Soldaten vorstelle. Nur wenn der Soldat an Gott glaube und religiöses Gefühl besitze, kämpfe er tapfer für seinen Kaiser, dann fürchte er nicht den Tod, weil er wisse, daß das Paradies seiner harre.
Die Schwätzerin sagte noch manche ähnliche Dummheit, und man merkte, daß sie entschlossen war, den Feldkuraten nicht lockerzulassen, bis sich dieser höchst ungalant empfahl.
»Wir fahren nach Hause, Schwejk!« rief er in die Wachstube. Auf dem Heimweg legten sie keine Ehre ein.
»Nächstens soll versehen fahren, wer will«, sagte der Feldkurat, »da soll man sich wegen der Seele, die man erlösen will, mit ihnen ums Geld herumschlagen. Die Rechnungsoffiziere sind eine Bagage.«
Als er in Schwejks Händen das Fläschchen mit dem »geweihten« Öl erblickte, verfinsterte sich sein Gesicht: »Die beste Lösung ist, Schwejk, wenn Sie mir und sich mit diesem Öl die Stiefel schmieren werden.«
»Ich wer versuchen, auch das Schloß damit zu öln«, fügte Schwejk hinzu, »es knarrt schrecklich, wenn Sie in der Nacht nach Haus kommen.«
So endete die Letzte Ölung, zu der es nicht gekommen war.