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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Und dann wurde Marietta krank.

Als sie eines Morgens in Peters Schlafzimmer trat, um ihm seinen Tee zu bringen und die Jalousieen aufzuziehen, begrüßte sie ihn nicht mit dem gewohnten munteren » Buon' giorno, Signorino!«

Erstaunt darüber richtete er sich aus seinen Kissen auf und rief: » Buon' giorno, Marietta!«

Mit leisem Flüstern klang es zurück: » Buon' giorno, Signorino!«

»Was ist denn los? Warum müssen wir denn so geheimnisvoll miteinander flüstern?« fragte Peter.

»Ich habe mich erkältet, Signorino,« hauchte sie, auf ihre Brust deutend, »und kann nicht sprechen.«

Mittlerweile hatte sie die Jalousieen aufgezogen, und die Sonne überflutete das Zimmer. Er sah sie an und erschrak. Ihr Gesicht war ganz zusammengefallen und von fieberhafter Röte bedeckt.

»Kommt mal her zu mir,« sagte er, »und gebt mir die Hand.«

Sie wischte ihre alte braune Hand an ihrer Schürze ab und reichte sie ihm dann.

Trocken und heiß fühlte sie sich an.

»Sie haben Fieber,« erklärte er, »und müssen ins Bett, bis es vorbei ist.«

»Ich kann nicht ins Bett gehen, Signorino,« erwiderte sie.

»Warum nicht? Habt Ihr es schon versucht?«

»Nein, Signorino.«

»Man darf nie behaupten, daß man etwas nicht könne, ehe man es versucht hat! Also versucht, Euch ins Bett zu legen, und wenn es das erste Mal nicht gelingt, dann versucht es wieder und immer wieder.«

»Ich kann nicht ins Bett! Wer sollte denn des Signorinos Arbeit tun?«

»Zum Kuckuck mit des Signorinos Arbeit! Die wird der Signorino selbst besorgen. Ihr seid erkältet und habt Fieber und müßt jeden Zug vermeiden, und das könnt Ihr nur in Eurem Bett. Also verfügt Euch sofort in Euer Bett!«

Sie verließ das Zimmer.

Aber als Peter eine halbe Stunde später hinunterkam, hörte er sie in ihrer Küche hantieren.

»Marietta,« rief er und trat mit der Miene einer rächenden Nemesis in das Gelaß, »habe ich Euch nicht geheißen, zu Bett zu gehen?«

Sie duckte sich zusammen und sah verschüchtert drein, wie jemand, der auf einem Unrecht ertappt worden ist.

»Ja, Signorino,« flüsterte sie heiser.

»Heißt Ihr dies Bett?« fragte er.

»Nein, Signorino,« gestand sie zu.

»Wollt Ihr mich zwingen, Euch selbst zu Bett zu bringen?« fragte er.

»O nein, Signorino,« erwiderte sie entsetzt.

»Dann verfügt Euch sofort in Euer Bett. Tut Ihr's nicht in dieser Minute, so werde ich Euch böswilliger Gehorsamsverweigerung anklagen.«

» Bene, Signorino,« gab sie widerwillig nach.

Peter wanderte in den Garten hinaus, wo er den Gärtner an der Arbeit traf.

»Der kommt mir gerade recht,« sagte Peter und winkte ihn herbei.

»Ist ein Arzt im Dorf?« fragte Peter.

»Ja, Signorino, der Sindaco – Doktor Carretaji – ist Arzt.«

»Gut; dann geht, bitte, ins Dorf und ersucht ihn, noch heute hier vorzusprechen. Marietta ist nicht ganz wohl.«

»Ja, Signorino.«

»Wartet noch ein bißchen,« hielt ihn Peter zurück. »Gibt es vielleicht auch etwas wie Weiber im Ort?«

» Ah, machè, Signorino! Eine Menge! Eine Menge!« versicherte Gigi mit bedeutungsvollem Augenrollen.

»Ich brauche nur eine,« erklärte Peter, »und zwar eine, die hierher kommen und Mariettas Arbeit für einige Tage verrichten kann, das heißt, eine die kochen, reinmachen und derartige Dinge versteht. Glaubt Ihr, daß Ihr mir solch ein Weib verschaffen könnt, Gigi?«

»Meine Frau, Signorino,« schlug Gigi vor. »Vielleicht könnte sie den Signorino befriedigen?«

»Oh! Ich habe gar nicht gewußt, daß Ihr verheiratet seid! Meine schönsten Glückwünsche! Natürlich nehmen wir Eure Frau! Bittet sie, hierher zu kommen, um als Vizekönigin Mariettas Szepter zu ergreifen.«

Gigi eilte fort ins Dorf.

Peter ging ins Haus zurück und klopfte an Mariettas Schlafkammertür. Er fand sie im Bett mit dem Rosenkranz in der Hand. Konnte sie nicht arbeiten, so wollte sie wenigstens beten – auf diese Weise ging keine Zeit verloren. In Mariettas schlichtem Dasein schien es nur Arbeiten und Beten, Beten und Arbeiten zu geben.

»Aber Ihr seid nicht warm genug zugedeckt,« tadelte Peter.

Er holte seine Reisedecke und hüllte sie damit ein. Dann begab er sich in die Küche, zündete ein Feuer an, brachte Wasser zum Kochen und füllte es in eine Flasche.

»So, dies legt Ihr an Eure Füße,« sagte er, als er zu Marietta zurückgekehrt war.

»Aber ich kann doch nicht dulden, daß der Signorino mich so pflegt,« flüsterte das alte Weib mit heiserer Stimme.

»Das tut der Signorino gern – das ist ihm eine gesunde Bewegung,« beruhigte sie Peter.

Gegen Mittag kam Doktor Carretaji, ein Mann von mittleren Jahren mit einem von einer schwarzen Haarfranse umrahmten, einer Billardkugel gleichenden kahlen Schädel, eine dicke, mit dem unvermeidlichen Korallenhörnchen versehenen goldenen Kette über dem Magen, und mit dicken, haarigen Händen. Im ganzen machte er aber einen guten Eindruck und schien sein Geschäft zu verstehen.

»Sie hat einen Kehlkopfkatarrh mit, wie ich zu meinem Bedauern feststellen muß, beginnender Luftröhrenentzündung,« lautete sein Urteilsspruch.

»Ist irgendwelche Gefahr vorhanden?« fragte Peter besorgt.

»Nicht die mindeste. Sie muß zu Bette bleiben und öfters Nahrung zu sich nehmen: heiße Milch und ab und zu gewürzlose Kraftbrühe. Ich werde Ihnen eine Arznei schicken, aber die Hauptsache ist Wärme und kräftige Ernährung. Morgen spreche ich wieder vor.«

Nun erschien Gigis Weib. Sie war eine kräftige, rotbackige, schwarzäugige junge Frau und hieß Carolina Maddalena. Im Verlauf des Tages ging Peter häufig in Mariettas Zimmer aus und ein, um nachzusehen, ob sie ihre heiße Milch, Kraftbrühe und Arznei auch ordentlich nahm. Meistens duselte sie so vor sich hin, aber wenn sie ganz aufwachte, betete sie ihren Rosenkranz.

Am nächsten Tag war sie entschieden kränker.

»Ja – Luftröhrenentzündung, wie ich befürchtet habe,« sagte der Arzt. »Gefahr? Nein – keine, vorausgesetzt, daß sie richtig verpflegt wird. Ihrer Milch muß man ein bißchen Kognak zusetzen und sorgen, daß sie jede halbe Stunde eine kleine Tasse voll nimmt. Ich glaube, es würde Ihnen die Sache wesentlich erleichtern, wenn Sie eine Krankenpflegerin hätten, denn man muß heute nacht bei ihr wachen. Wenn Sie es wünschen, werde ich um eine barmherzige Schwester nach Verona telephonieren.«

»Ich wäre Ihnen sehr verbunden, Herr Doktor, wenn Sie dies besorgen wollten.«

Noch am Nachmittag kam Schwester Scholastika an und richtete sich im Krankenzimmer häuslich ein. Schwester Scholastika war jung, blaß, heiter und tüchtig, aber trotz all dieser Eigenschaften mußte sie ab und zu nach Peter schicken.

»Sie weigert sich, ihre Milch zu trinken – vielleicht nimmt sie sie eher von Ihnen,« sagte die Schwester.

Dann nahm Peter einen halb gebieterischen, halb schmeichelnden Ton an: »Kommt, Marietta! Ihr müßt Eure Milch trinken! Der Signorino befiehlt es, und Ihr müßt dem Signorino gehorchen!«

Und stöhnend richtete Marietta sich auf, um die Milch zu schlürfen, während Peter ihr die Tasse an den Mund hielt.

Am dritten Tag sagte Schwester Scholastika morgens: »Sie bildet sich ein, es gehe ihr schlechter: ich selbst glaube das zwar nicht, aber sie beharrt dabei, daß sie am Sterben sei, und verlangt nach einem Priester. Wollen Sie nicht nach dem Geistlichen schicken? Aber bitte, lassen Sie ihn wissen, daß noch keine Veranlassung zur Spendung der heiligen Sterbsakramente vorhanden ist. Es würde ihr aber gut tun, wenn er käme und ihr zuspräche.«

Der Arzt, der soeben von der Kranken herauskam, stimmte der Ansicht der Schwester zu.

So schickte Peter denn Gigi ins Dorf, um den Pfarrer holen zu lassen, aber Gigi kam mit der Nachricht zurück, der Geistliche sei abwesend und komme erst am Sonnabend zurück – heute war Mittwoch.

»Was wollen wir nun machen?« fragte Peter die Schwester.

»Im Schloß Ventirose befindet sich ja Monsignore Langshawe,« erwiderte diese.

»Dürfte ich ihn denn bitten, zu kommen?« fragte Peter zweifelnd.

»Selbstverständlich,« entgegnete die Schwester, »in einem Krankheitsfalle kommt jeder Priester gerne.«

Also wurde Gigi mit einem Briefchen Peters an den Monsignore abgesandt.

In der denkbar kürzesten Frist fuhr ein Brougham vor, auf dessen Bock Gigi neben dem Kutscher thronte. Aber nicht Monsignore Langshawe entstieg dem Gefährt, sondern Seine Eminenz der Fürst-Kardinal Udeschini, begleitet von Emilia Manfredi.

Mit einem Lächeln so gütig, so liebreich, so sonnig, daß es auf Peter – wie dieser meinte – wirkte wie Sphärengesang, reichte der Kardinal ihm die Hand.

»Monsignore Langshawe ist auf Urlaub in Schottland, und deshalb komme ich an seiner Statt,« erklärte der Kardinal. »Ihr Bote hat mir erzählt, in welcher Verlegenheit Sie sich befinden.«

»Ich weiß keine Worte, Eurer Eminenz zu danken,« stammelte Peter, den Kirchenfürsten nach dem Krankenzimmer geleitend. Schwester Scholastika beugte die Kniee, küßte den Ring des Kardinals und empfing seinen Segen. Dann zogen sie und Peter sich zurück und gingen in den Garten.

Die Schwester gesellte sich zu Emilia Manfredi und ging mit dieser auf und ab, während Peter sich auf seine Gartenbank setzte und, Zigaretten rauchend, wartete.

Beinahe eine Stunde verstrich, bis der Kardinal herauskam. Peter erhob sich und ging ihm entgegen.

Der Kardinal lächelte, aber um seine Augen lag eine verdächtige Röte.

»Mr. Marchdale,« sagte er, »Ihre Haushälterin befindet sich in großen Gewissensnöten wegen einer oder zwei Verfehlungen, die sie sich Ihnen gegenüber hat zu schulden kommen lassen. Ehrlich gestanden, erscheinen sie mir nicht von Belang, aber ich konnte sie nicht dazu bestimmen, meine Auffassung zu teilen. Sie wird sich nicht eher zufriedengeben, als bis sie Ihre Vergebung erhalten hat.«

»Verfehlungen gegen mich?« fragte Peter. »Falls nicht ein Übermaß von Geduld mit meinen Schrullen als Verfehlung bezeichnet werden kann, wüßte ich keine zu nennen.«

»Das ist einerlei,« entgegnete der Kardinal; »ihr Gewissen beschwert sie, und sie muß ihm Genüge tun. Wollen Sie mitkommen?«

Der Kardinal ließ sich am Kopfende von Mariettas Bett nieder und ergriff ihre Hand.

»Nun, meine Liebe,« sagte er in dem gütigen, zärtlichen Ton, in dem man zu einem geliebten Kinde spricht, »hier ist Mr. Marchdale. Nun sage ihm, was du auf dem Herzen hast. Er ist bereit, dich anzuhören und dir zu verzeihen.«

Ängstlich ruhten Mariettas Augen auf Peters Gesicht.

»Zuerst,« begann sie in heiserem Flüsterton, »bitte ich den Signorino, mir zu verzeihen, daß ich ihm so viel Last und Mühe mache. Ich bin des Signorinos Magd, aber statt ihn zu bedienen, verursache ich ihm nur Mühe.«

Sie hielt inne; der Kardinal lächelte Peter zu.

Peter antwortete: »Marietta, wenn Ihr so redet, dann muß der Signorino weinen. Ihr seid die beste Dienerin, die es je gegeben hat. Jetzt gebt Ihr mir die Gelegenheit – wenn sie Euch nicht so viel Leiden verursachte, würde ich mich freuen – Euch zu zeigen, wie lieb ich Euch habe und wie dankbar ich Euch bin.«

»So, liebes Kind,« bemerkte der Kardinal, »du siehst also, daß der Signorino dies nicht schwer nimmt. Nun zum nächsten Fall! Sprich weiter!«

»Ich habe den Signorino um Vergebung zu bitten für meine Unverschämtheit,« flüsterte Marietta.

»Unverschämtheit?« stammelte Peter ganz verdutzt. »Ihr seid niemals unverschämt gewesen.«

» Scusi, Signorino,« fuhr sie mit ihrer heiseren Stimme fort. »Ich habe dem Signorino manchmal widersprochen. Ich habe ihm auch widersprochen, als der Signorino mir gesagt haben, daß St. Antonius von Padua in Lissabon geboren sei. Es ist immer unverschämt von einem Dienstboten, seiner Herrschaft zu widersprechen. Und nun sagen Allerhöchst Seine Eminenz auch, daß der Signorino recht haben. Ich bitte den Signorino also um Verzeihung.«

Wieder lächelte der Kardinal Peter zu.

»Ihr liebe alte Frau,« sagte Peter halb lachend, halb schluchzend, »wie könnt Ihr mich wegen einer bloßen Meinungsverschiedenheit um Verzeihung bitten? Ihr liebes, altes Geschöpf, Ihr!«

Lächelnd tätschelte der Kardinal Mariettas Hand.

»Der Signorino ist viel zu gut,« seufzte Marietta.

»Mache weiter, meine Liebe,« mahnte der Kardinal.

»Ich habe mich der Todsünde der üblen Nachrede schuldig gemacht. Ich habe schlecht von dem Signorino gesprochen,« fuhr sie fort. »Ich sagte – ich habe zu den Leuten gesagt – der Signorino seien einfältig – einfältig und dumm. Damals habe ich's auch gemeint, aber jetzt weiß ich, daß es nicht wahr ist. Ich weiß, daß es nur daher kommt, daß der Signorino ein Engländer ist.«

Nochmals lächelte der Kardinal Peter zu, und wieder erwiderte dieser halb lachend, halb schluchzend: »Marietta, natürlich bin ich einfältig und dumm! Kommt! Seht auf! Lacht und versprecht mir, Euch nicht mehr mit solchen Dingen abzuquälen.«

Mit mattem Lächeln blickte sie zu ihm auf.

»Der Signorino ist zu gut, viel zu gut,« flüsterte sie.

Nach einer kurzen Stille sagte der Kardinal: »Nun noch das letzte, meine Liebe!«

Stöhnend wälzte Marietta ihren Kopf auf ihrem Kissen hin und her.

»Du brauchst dich nicht zu fürchten,« ermutigte sie der Kardinal, »Mr. Marchdale wird dir gewiß auch dies vergeben.«

»O – o – o –,« jammerte Marietta und stierte eine Weile die Decke an.

Der Kardinal tätschelte ihre Hand. »Mut, nur Mut!« sagte er.

»O – Signorino mio,« jammerte sie, »dies können Sie mir nimmermehr vergeben. Es ist wegen des Ferkels, des porcellino. Der Signorino erinnern sich doch noch des kleinen Schweins, das Sie Francesco nannten? Der Signorino haben mich geheißen, das kleine Schwein wegzugeben, ihm eine Heimat zu suchen, und ich habe dem Signorino gesagt, ich wolle es zu meinem Neffen, dem Pächter bei Fogliamo bringen. Erinnern sich der Signorino?«

»Ja, ja, Ihr liebes altes Geschöpf,« erwiderte Peter, »ich erinnere mich.«

Marietta atmete tief auf, als gelte es, alle Kraft zusammenzuraffen.

»Nun, ich – ich brachte Francesco nicht zu meinem Neffen. Der – der Signorino haben ihn gegessen.«

Peter vermochte kaum, sein Lachen zurückzuhalten, und brachte nur ein »Oh!« heraus.

»Ja,« flüsterte Marietta, »er war doch von des Signorinos Geld gekauft, und ich wollte des Signorinos Geld nicht zum Fenster hinauswerfen. So kam es, daß ich den Signorino hintergangen habe – der Signorino haben ihn als Hühnerpastete gegessen.«

Diesmal konnte Peter nicht an sich halten – er lachte hell auf. Selbst der Kardinal mußte schleunigst zu einer Prise Zuflucht nehmen.

»Ich habe Francesco umgebracht und den Signorino hintergangen. Ich bereue es tief, und es tut mir sehr leid,« schloß Marietta.

Peter kniete neben ihrem Bette nieder.

»Marietta, Euer Gewissen ist allzuzart! Was das Umbringen des Francesco betrifft – wir sind alle sterblich, und auch er konnte nicht ewig leben. Und den Signorino habt Ihr in bester Absicht hintergangen! Ich erinnere mich der Hühnerpastete noch sehr wohl, denn es war die beste, die ich je gegessen habe. Ihr müßt Euch um das Ferkel nicht mehr grämen.«

Lächelnd drehte Marietta ihren Kopf ihm zu.

»Der Signorino vergeben seiner Magd?« flüsterte sie.

Peter konnte nicht anders – er beugte sich hinab und küßte sie auf ihre runzlige braune Wange.

»Jetzt wird es ihr leichter ums Herz sein,« sagte der Kardinal. »Ich will noch eine Weile bei ihr bleiben.«

Peter ging. – Es war eine kindische, eine lächerliche Szene gewesen, wird vielleicht mancher sagen. War sie dies wirklich? Jedenfalls war es Peter trotzdem zu Mute, als sei sein Herz voll ungeweinter Tränen. Und als er an den Kardinal dachte, sich dessen Antlitz, sein Lächeln, seine Worte, den Ton seiner Stimme, die Art, mit der er Mariettas Hand getätschelt hatte, wieder vergegenwärtigte, da überkam ihn ein eigenartiges, ihm neues Gefühl von freudiger Begeisterung.

»Welch ein himmlischer alter Mann,« sagte er zu sich selbst.

Schwester Scholastika und Emilia gingen noch immer im Garten spazieren. Als Peter aus dem Haus trat, blieben sie stehen und Emilia sagte: »Ihre Einwilligung vorausgesetzt, Signore, hat mich Schwester Scholastika als Stellvertreterin angenommen. Ich werde jeden Morgen kommen und den Tag über bei Marietta bleiben. Dies wird Schwester Scholastika, die jede Nacht bei ihr wachen muß, einige Erleichterung gewähren.«

Von da an kam Emilia jeden Morgen durch den Park und über die Plankenbrücke, die nun als ständige Einrichtung galt und liegenblieb. Ein- oder zweimal in der Woche holte der Kardinal sie im Brougham ab und machte auch Marietta einen kurzen Besuch.

Marietta erholte sich von Tag zu Tag mehr. Nach Verlauf von etwa zwei Wochen durfte sie nachmittags aufstehen und ein paar Stunden im Garten in der Sonne sitzen. Gegen Ende der dritten Woche konnte sie schon den ganzen Tag auf sein, aber Gigis hagebüchene Carolina Maddalena herrschte noch immer als Vizekönigin in der Küche, und Emilia kam nach wie vor jeden Morgen.

»Warum nur die Duchessa nie kommt?« wunderte sich Peter. »Es würde sich einfach gehören, daß sie sich auch einmal nach dem armen alten Weib umsähe!«

So oft er an den Kardinal Udeschini dachte, quoll in seinem Herzen das nämliche eigenartig freudige Gefühl auf, das er an dem Tag empfunden, an dem der Kirchenfürst Marietta zum ersten Male besucht hatte. Anfangs vermochte er dies Gefühl nur in einen allgemeinen, unbestimmten Begriff zu fassen: »Er ist ein Mann, der einem den Glauben an die Menschen, das Vertrauen in die menschliche Natur wiedergeben kann!« Aber nach und nach verdichtete sich dies unbestimmte Gefühl und fand, als die Zeit gekommen war, eine weniger unbestimmte Erklärung.

Es war an einem Nachmittag, und er hatte soeben den Kardinal und Emilia an ihren Wagen begleitet. Nun stand er noch am Tor und blickte der in der Ferne verschwindenden Equipage nach.

»Welch himmlischer alter Mann! Welch himmlischer alter Mann!« dachte er.

Und während er in seinen Garten zurückging, hörte er sich plötzlich mit lauter Stimme sagen: »Und du kannst niemals wissen, welchen Einfluß deine Lebensführung auf den Glauben deines Nebenmenschen ausüben wird.«

Diese Worte waren an das Bild des Kardinals, das er in seinem Innersten trug, gerichtet und hatten sich ihm zufällig, ohne jede Willenstätigkeit auf die Lippen gedrängt. Überrascht, als wären sie von einem andern gesprochen worden, vernahm er sie. Er konnte sich nicht erinnern, wann und wo er dies gelesen hatte. Vielleicht bei Emerson? Er hatte seit Jahr und Tag keine Zeile von Emerson mehr unter den Augen gehabt!

Den ganzen Abend gingen ihm diese Worte durch den Kopf, und das Gefühl von Freude, das bei dem Gedanken an den Kardinal sein Herz erfüllte, war kein unbestimmtes mehr, aber es hatte sich dadurch nur verstärkt.

Als der Kardinal das nächste Mal in die Villa Floriano kam und Peter die Hand reichte, schüttelte sie dieser zum ersten Male nicht, wie er bisher immer getan, nach englischer Sitte, sondern beugte sich über sie und küßte den Ring.

Erstaunt sah der Kardinal auf.

Dann ließ er seine Augen noch einmal mit scharfem, forschendem Blick auf Peters Antlitz ruhen. Und nun wurde sein Blick sanft und mild und ein wunderbar reines, süßes Feuer leuchtete auf in seinen Augen.

» Benedicat te Omnipotens Deus, Pater, et Filius, et Spiritus Sanctus,« sprach er und machte das Zeichen des Kreuzes über ihm.


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