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»Sobald meine Koffer gepackt sind, kehre ich nach England zurück!«
Aber er fing nicht an, sie zu packen oder packen zu lassen.
Die Hoffnung ist gar langlebig und zäh und schwer umzubringen; so begann auch die Peters noch am nämlichen Abend wieder aufzuleben. Es war allerdings nur ein winziges, schwach zuckendes Flämmchen, aber es bewies, daß die Hoffnung nicht ganz tot war, und hielt ihn ab, Hals über Kopf nach England zurückzureisen. Piano, piano! Er fand es doch besser, nichts zu überstürzen.
Aber glücklich fühlte er sich nicht – nichts weniger als dies. Nacht und Morgen verbrachte er ruhelos; er wanderte so lange in seinem Garten umher, bis er es nicht mehr aushalten konnte; dann machte er einen meilenweiten freudlosen Spaziergang am Ufer des Aco entlang, von dem er des Abends, zur Essenszeit, müde und staubbedeckt nach Hause zurückkam.
Auf ihrem schönsten Präsentierteller mit einer großartigen, beinahe prahlerischen Bewegung überreichte Marietta eine Visitenkarte, auf der zu lesen stand:
Card
∼le Udeschini
|
Sie war zweimal so groß als gewöhnliche Visitenkarten, und über dem Namen war in hübscher, kleiner, altmodischer Schrift mit Bleistift geschrieben:
»Um Mr. Marchdale für die gütige Rückgabe seiner Schnupftabaksdose zu danken.«
»Der Fürst-Kardinal Udeschini waren hier,« verkündigte Marietta in großsprecherischem Ton; aus ihrer Stimme klang aber auch noch etwas wie ein Vorwurf gegen Peter, daß er nicht zu Hause gewesen war.
»Das schließe ich daraus,« entgegnete er und tippte mit dem Finger auf die Karte; »Ihr müßt wissen, Marietta, daß wir Engländer sehr schnell von Begriff sind.«
»Er ist in einem Wagen gekommen,« teilte sie ferner mit.
»Nein, was Ihr nicht sagt! Wirklich!« spottete er.
» Ang – veramente –« beteuerte sie.
»War – war er allein?« forschte Peter zögernd – leise, leise hoffend.
»Nein, Signorino.« Und dann setzte sie verallgemeinernd in unbeschreiblich großartigem Ton hinzu: » Un amplissimo porporato non va mai solo!«
Für diesen amplissimo porporato hätte Peter sie eigentlich umarmen sollen, aber er war zu sehr von selbstsüchtigen Empfindungen erfüllt.
»Wer war denn mit ihm?« fragte er mit schlecht gespielter Gleichgültigkeit.
»Die Signorina Emilia Manfredi war mit ihm,« erwiderte Marietta ohne Ahnung davon, wie ihn dies harmlose Wort im innersten Herzen verwundete.
»Der Fürst-Kardinal Udeschini haben sehr bedauert, den Signorino nicht zu Hause getroffen zu haben,« fuhr Marietta fort.
»Der arme Mann – tat er das wirklich? Hoffen wir, daß die Zeit ihm Trost bringe,« sagte Peter gefühllos.
An sich selbst aber richtete er die Frage, ob er nicht am Ende gestern ein bißchen zu hastig gewesen sei: »Hätte ich mich noch einen Augenblick verweilt, so hätte ich dem Kardinal die Fahrt erspart, denn ich konnte mir ja denken, daß er kommen würde, ich weiß doch, wie genau es die Italiener mit solchen Dingen nehmen! Und wenn ich geblieben wäre, wer weiß – – «
Aber über dies »Wer weiß?« kam er nicht hinaus. Immerhin gewann er die Überzeugung, daß er tatsächlich »etwas zu hastig« gewesen sei, und dies wirkte auf seine lebensschwache Hoffnung wie ein Stärkungsmittel.
»Schließlich habe ich mir gestern ja gar keine Zeit gelassen, auf den Busch zu klopfen,« meinte er, und natürlich war aus der Feststellung dieser Tatsache zu folgern, daß er sich nächstens einmal mehr Zeit dazu lassen würde.
Doch trotz alledem befand er sich in sehr gedrückter Stimmung.
»Der Signorino essen ja gar nichts,« rief Marietta mit mißtrauisch in die Höhe gezogenen Brauen.
»Ich habe nie gesagt, ich würde es tun,« gab er zurück.
»Sind der Signorino nicht wohl?« fragte sie ängstlich.
»O doch – così, così. Der Signorino befindet sich ziemlich wohl!«
»Also ist das Essen –,« nur mit Anstrengung vermochte sie diese schreckliche Vermutung auszusprechen – »ist das Essen nicht gut?«
»Das Essen,« beruhigte er sie, »ist, soweit man es beurteilen kann, ohne zu essen, sehr gut. Ich dulde nicht, daß man meine Köchin verleumdet.«
»Ah–h–h!« atmete Marietta erleichtert auf.
»Es ist weder der Signorino, noch das Essen schuld,« fuhr Peter traurig und nachdenklich fort, »aber die ganze Welt ist verkehrt, die Zeit ist aus den Fugen. Das Geschlecht ist es, das Geschlecht, das ist krank, das bedarf der Wiederherstellung!«
»Welches Geschlecht?« fragte Marietta.
» Das Geschlecht,« erwiderte Peter. »Nach der übereinstimmenden Ansicht aller Rhetoriker gibt es nur ein Geschlecht, das schöne Geschlecht, das häßliche Geschlecht, das liebenswerte Geschlecht, das barbarische Geschlecht. Wir Männer bilden kein Geschlecht, nicht einmal eine Sekte. Wir sind nur Anhängsel, Trabanten, Marketender – euer Spielzeug, eure Federbälle, die ihr mit euren Raketten, je nach Laune, bald hierhin, bald dorthin schlagt. Wir werden vom Weib geboren, in Windeln gewickelt und aufgezogen; hernach werden wir vom Weib betrogen, zum Narren gehalten, angelockt und abgestoßen, bald gestreichelt, bald gekratzt und gequält, und zu guter Letzt ist es auch noch ein Weib, das uns in unser Leichentuch hüllt. Des Mannes Leben, Geburt und Tod: alles dreht sich um das Weib, so selbstverständlich wie die Türe in der Angel. Misanthrop bin ich schon seit lange, jetzt denke ich aber ernstlich daran, auch noch ein Misogyn zu werden. Würdet Ihr mir dazu raten, Marietta?«
»Ein Misogyn? Was ist das, Signorino?« fragte die verdutzte Marietta.
»Ein Weiberhasser,« erklärte er, »ein Mann, der das Geschlecht verabscheut und abschwört; ein Mann, der die rosenrote Brille von den Augen genommen hat und nun das Weib sieht, wie es ist; ein Mann, der sich im Weib auskennt. Ja, ich glaube, ich werde ein Misogyn – es ist der einzige Weg, sich vor euch zu retten. Während meines Spaziergangs heute nachmittag habe ich über alles nachgedacht, was an Unheil das Geschlecht seit Beginn der Welt schon gestiftet hat. War es nicht ein Weib, das durch sein todbringendes Gelüste die Sünde und all unser Leid in die Welt gebracht hat? War nicht auch jene Pandora ein Weib, das all die beflügelten Übel, die uns heute noch peinigen, aus der Büchse hat entschlüpfen lassen, worin sie so wohl verwahrt waren? Doch ich will Euch nicht alles aufzählen, was hierüber noch anzuführen wäre, sondern will gleich auf den Kern der Sache losgehen und Euch fragen, ob der Dichter Wahrheit singt, der uns berichtet, daß im Grunde ihres Herzens jede Frau ›eine böse Sieben‹ sei.«
Marietta blickte gottergeben zum Himmel und schwieg.
»Die Zunge,« fuhr Peter fort, »ist des Weibes Waffe, wie die Faust die Waffe des Mannes ist – aber sie ist eine viel mörderischere Waffe. Mit Worten zerschlägt man keine Knochen, aber mit ihnen bricht man Herzen. Wenn wir Männer von unsern Fäusten nur zum zehnten Teil soviel Gebrauch machen wollten, als ihr von euren giftigen Zungen, würdet ihr uns für reißende Bestien erklären, und die Gerichtshöfe könnten die Arbeit gar nicht mehr bewältigen. Das ist mir auf meinem Spaziergange auch klar geworden: das Weib ist das willenlose Geschöpf ihres Temperamentes, und Mann und Kinder, nicht zu vergessen die Dienstboten, sind dessen Opfer. Die Frau ist gleich einem Paket Stecknadeln, und der Mann ist das Nadelkissen. Wenn ein Weib liebt, so ist es nicht der Mann, den es liebt, sondern seine Schmeichelei. Des Weibes Liebe ist nichts als zurückgespiegelte Eigenliebe. Der Mann, der heiratet, legt sich freiwillig in Eisen. Die Ehe ist wie ein großes Vogelhaus in einem schönen Garten: die Vögel draußen sehnen sich hineinzukommen, und die, die darin sind, wissen, daß nichts so beneidenswert ist, als die Vögel draußen. Nun schießt Ihr mal los! Sagt, was Ihr zu alledem meint. Ratet Ihr mir, ein Misogyn zu werden?«
»Ich verstehe das nicht, Signorino,« sagte Marietta geduldig.
»Natürlich versteht Ihr das nicht,« gab Peter zu. »Wer in aller Welt hätte auch je einen solchen Unsinn verstanden? Das ist ja gerade das Schlimme: könnte man es verstehen und glauben, so würde man Ruhe finden und sich in sein Schicksal ergeben! Aber ach und nochmals ach! Ich habe es nie fertig gebracht, an die gänzliche Verderbtheit des Menschengeschlechts zu glauben, und nun gelingt es mir auch nicht, ich mag's anstellen, wie ich will, mich davon zu überzeugen, daß das Weib etwas gänzlich Unwünschenswertes sei! Um dessentwillen sehen Sie mich in Tränen zerfließen, um dessentwillen bin ich unfähig, mein Mahl zu verzehren. O, zu denken, zu denken,« brach er plötzlich leidenschaftlich los, unwillkürlich in seine Muttersprache verfallend, »daß sie noch vor vierzehn Tagen mit nassen Kleidern in meiner Küche saß und mir den Tee einschenkte, als ob sie die Herrin des Hauses wäre!«
Tag um Tag ging vorüber. Er konnte nicht nach Ventirose gehen, oder glaubte wenigstens, er könne es nicht. Er nahm seine früheren Lebensgewohnheiten wieder auf, lebte in seinem Garten oder ging am Ufer des Flusses spazieren und beobachtete das Kastell mit sehnsüchtigen, erwartungsvollen Augen. Der Fluß schwatzte und schwatzte, die Sonne schien hell und heiß, der Springbrunnen plätscherte, die Vögel flogen geschäftig hin und her; die Blumen strömten ihre berauschenden Düfte aus; der Gnisi blickte drohend herab; talaufwärts dehnte sich die fruchtbare Landschaft; die Schneegefilde des Monte Sfiorito schimmerten in allen Farben des Regenbogens, mit Ausnahme ihres angestammten Weiß. Alles war, wie es immer gewesen – aber in ihm war alles, alles anders geworden. Eine Woche verging auf diese Weise, ohne daß er auch nur den Schatten der Duchessa erblickt hätte. Und dennoch traf er keine Vorbereitung zum Packen seiner Koffer.