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Salomon schlenderte die Landstraße dahin. Er konnte doch nicht ewig fliegen. Ach was, sagte er sich, der Himmel ist überall, und mit seinem Kaffeekochen konnte er sich sein Brot in der ganzen Welt verdienen.
In einem Bauernhaus wollte er Milch und Brot und Speck.
»Hamm mar net, scherrt Euch zum Teiffe,« sprach die Bäuerin, »i brauch mei Zeig für die Kuhargäst«
»Ich bezahl's ja«, lächelte der König.
»Dös ist wurscht, sovui könnt Ihr Notniggl do net zohln.«
Da kam der Bauer: »Wos mächt' denn der damisch Gscherte do, schwing di, Freinderl, gäi, sunst pazi dir oane.«
Salomon ging aus diesen gastlichen Hallen. Unterwegs begegnete ihm ein armes, schwangeres Weib mit zwei kleinen zerlumpten Kindern. Der hatte die gute Bäuerin den Hund nachgehetzt, und sie weinte vor Hunger und Not. »Liebs Frauli, da«, sagte der König und gab ihr ein paar Handvoll Goldstücke. Dann lief er fort, denn er wollte, wie alle Menschen, die so schlecht waren wie er und das Geköpftwerden verdienen, keinen Dank.
Salomon schnupfte. Als er durch das weltberühmte Bad Lungenhausen kam, blieben alle Leute stehn. So was Komisches hatten sie schon lange nicht mehr gesehn. Es wird wohl ein Art Reklame der abends 49 auftretenden Schauspielertruppe sein. Die spielen doch heute »Die Kartoffelkomödie« vom Jakob Harringer. In diesem Kitsch und Schund kommt nämlich so ein Schlafrock vor.
»Nain, würkglich«, sprach die (von ihm noch geadelte!!) dicke, krumme Armeeuniversalscheuerpulvergroßindustriellensgattin – »ain sehrr kelungäner Aktör.«
Der las auf der Orts- und Badetafel: Bekanntmachung!! Auf, Kameraden, zur Königswahl! Junger intelligenter Mann als König gesucht. Nicht über sechs Jahre alt, muß blind, taubstumm und sonst auch ein ganzer Krüppel sein. Interessenten werden auf Wunsch kostenlos zum Krüppel geschlagen. Der Ministerpriesterrat der verwaisten, trauernden königlichen Haupt- und Räsidenzstadt . . .
Und nun sag ich's euch extra nicht!
Wer erkennt aus diesen scharfsinnigen, wie in Marmor gemeißelten klassischen Sätzen nicht die heldenhafte Größe unseres Lotschensepperl.
Als Salomon gerade noch seinen Steckbrief lesen wollte und die vor den Bankkirchen stehenden Droschken bewunderte, packte ihn jemand fest am Hals: »Ha, hab ich dich, Kerl miserabler, jetzt aber marsch mit dir, Spinaterer.« Es war ein großer, fetter Gendarm. Man dachte, er wolle mit seinem funkelnden Helm die Sonne aufspießen. Aber habt keine Angst, meine Lieben. Vergeßt nicht, daß der König fliegen konnte. Er flog ihm auch, als der böse Schanddarm schimpfend und 50 schwitzend vorm Gefängnis ankam, schön davon. –
Es war Abend geworden. Arbeiter strömten aus den Fabriken, Bürger ins Theater. Vorm »Papagei«, einer Künstlerkneipe, lauschte er den Klängen des wunderschönen »Kaiserwalzers« von Strauß.
»Jetzt braucht ihr nur mehr die zukünftigen Erfindungen und Leute bringen, dann haben wir den italienischen Salat fertig«, unterbrach der Doktor.
»Seien Sie still«, erwiderte der Baron, »sonst kommen Sie auch noch hinein; eigentlich – na, geben Sie Obacht«
Ja, von Strauß –
»Den hab ich auch auf dem Grammophon«, lächelte der König. Da könnte er eigentlich hineingehn. Die würden ihn schließlich für einen Schauspieler halten.
Es war ein zierlicher, reizender, vornehmer Raum. Alles mit purpurner Seide ausgeschlagen. Aus blauen Ampeln floß ein dämmerndes Licht, als sei's ein Abend im Juni. Die Kellner verneigten sich tiefst. Er bestellte alles, was die Karte enthielt. Natürlich Sekt. »Sofort, bitte gleich, Herr Direktor.«
Ach, sein ganzes Leid hatte er fast vergessen, das Leben ist doch gar nicht wert, daß man's ernst nimmt. Man muß ja doch sowieso sterben, also zu was sich aufregen. Den Ministern wollte er schon noch kommen. Zum weißen Ritter ging er, dem edlen Räuberhauptmann, der hilft ihm sicherlich, der hilft ja allen in ihrer Not und Bedrängnis. 51
Der Kapellmeister spähte durch das Guckloch der Bar nach zahlungs-, d. h. leistungsfähigen Schiebern. Aber es kam nur schäbiges Künstlerpack. Ja, Kapellmeister, es ist wirklich eine schmutzige Bande.
Eben hatte eine schöne Männerstimme liebe, alte Lieder zur Laute gesungen. Erklang ein altes Waldhorn drein, und nun kam ein bildhübsches Dingelchen, vielleicht noch nicht sechzehn alt, und gaukelte wie ein Schmetterling, es war, als schneiten Rosen vom Himmel. Er konnte sich nicht satt sehen.
Blaues, rotes Licht funkelte in den Gläsern. Alte Stiche dämmerten von den Wänden. Es roch so hübsch nach Tee, Tabak, Wein, Puder, Frauen. Ihm war weihnachtlich und bang. Als käm ein Wunder.
Drüben, in seiner Nähe, hörte er mehrere so schrecklich gescheit reden und so über Welt und Gott schimpfen, daß ihm ganz angst und bang wurde. Es waren lauter frisch »aufgeführte« Dichter. Sie hatten wie ein Zündholz gebrannt und waren auch schon wieder wie ein solches fortgeworfen worden.
»Wie«, dachte Salomon, »wenn ich zu ihnen ginge und mich als Kollegen vorstellte. Nein, lieber nicht, er wollte nicht stören, er dichtete ja bloß, weil ihn manches gefreut, und die schrieben ja nur, weil sie alles ärgerte.«
Er war so versunken und es wurde ihm auf einmal ganz traurig zumute, daß er gar nicht sah, daß an seinem Tischchen Lore saß.
»Gefallen dir die da drüben nicht, gell, alter Mann?« 52
Wie er sich freute! Das war ja der liebe Schmetterling. Er wischte sich die guten strahlenden Äuglein.
»Ja«, fuhr sie fort, »mir gefallen sie auch nicht«
»Die müssen viel erlebt haben und viel Bitteres«, sprach Salomon.
»Ach wo«, lächelte sie und ließ entzückende Zähnchen blicken.
»Die kennen in der Welt nur die Kaffeehäuser, was draußen liegt, wissen sie gar nicht«
»Es ist so lieb von dir, daß du wie ein goldnes Engelchen dich zu mir alten Mann setzt. Ich bin dir so dankbar dafür, wenn ich wieder zu meinem Schloß komm, mußt du mich besuchen!«
,Wo bist du denn her?« lispelte Lore und nippte aus seinem Kelch.
»Das weiß ich selber nimmer, ich weiß bloß, daß ich einmal König war.«
Da brüllten aus der anderen Loge die Lilaloluteraten: »Kinder«, rief der Lange, »da drüben hockt ein König, sein Königreich guckt ihm aus der Tasche.« »Nein«, sagte einer melancholisch, »sein Königreich sitzt neben ihm.«
»Weißt du«, zwitscherte Lore, »ich glaub dir doch, daß du ein König bist und kein so'n Windbeutel wie die da drüben. Du mußt zum weißen Ritter gehn –«
»Das will ich ja jetzt«, unterbrach sie Salomon mit glücklichen Augen, »der edle Räuber hilft mir sicher.«
»Ach, das ist ja himmlisch, da nimmst du mich mit, Vaterle, ich mag diese Egoisten schon lang nimmer, mit 54 ihren Schmeicheleien und ihren Falschheiten. Ach, der weiße Ritter! Ich hab erst gestern wieder seine Geschichte gelesen in der ›Roten Fahne‹ (die war in meinem Königreiche, glaub ich, verboten, dachte der König, nur Fahnenstangen und Fahnenjungfrauen sind erlaubt). Ich mag ihn so gern, das muß ein feiner Mensch sein. Und da hat er ganz recht, daß er den bösen, neidigen Leuten alles nimmt. Ich würd's auch tun. Aber wieviel Gutes tut dieser liebe, goldige Mensch! Jeder Arme, Leidende ist sein Bruder. Aber« – und sie begann zu weinen – »wenn sie ihn einmal erwischen, dann wehe ihm, sie erschlagen ihn.«
»Wenn er mir nur wieder zu meinem Königreich verhilft, dann mache ich ihn zum Vizegeneralministerfeldwebelkönig, dann kann ihm kein Mensch mehr was tun.«
»Ach, Vaterle, und ich will dann mein Lebtag für dich beten, weil du so brav bist, – Kapellmeister, Frechdachs, spiel!«
Und dann sang sie mit einer rührenden Stimme: Mei Muatterl war a Wienerin.
Alles lauschte, und sie vergaßen ihre dummen Gespräche von Mode, Speisen und Liebe.
»Der kann lachen, der alte Herr«, sagte einer.
Aber Salomon ward wieder traurig.
»Geh«, bat Lore »wer wird denn wegen so einem Königreich den Kopf hängen lassen, komm, sing mit, das kannst sicher.« Und ob er's konnte. Es war ja eins von seinen Lieblingsliedern: Glücklich ist, wer vergißt – 55
Und ihr, weil ihr so lacht, braucht nicht glauben, daß Salomon schlecht sang, weil er ein König war.
»Und nun wollen wir auch tanzen«, jubelte Lore, »mit den Affen da drüben mag ich nicht, die sind noch nicht trocken, aber mit dir schon, weil du ihn zum Vizegeneralfeldwebelministerkönig machen willst«
Und dann spielten die Musiker, sie beteten natürlich alle Lore an und hörten (ihr wißt doch, Musiker haben feine Ohren) beim Alten die Goldstücke klimpern, ja, da spielten sie all die schönen Walzer: Wo die Zitronen blühn; Frühlingsstimmen; Wein, Weib, Gesang; Künstlerleben; Die Werber – ich weiß die Namen gar nicht mehr alle, aber hör ich so liebe, recht schmeichelnde, blühende Klänge, dann denk ich immer an Lore, an das süße Kind. –
Als Salomon und Lore aus dem »Papagei« schwebten – er war ja auch so glücklich mit diesem liebsten Vögelchen – schneite es. »Gott, wie schön«, jauchzte sie »das ist wie im Kino.« (Nein, entschuldigt, ich hab mich verschrieben, sie wollte sagen, wie im Märchen.)
In ihrem blonden Wuschelhaar hing der Schnee. Ich, Xaver Dampfkessel, hätte ihr ihn fortgeküßt, aber ihr dürft's dem alten König nicht verübeln, daß er nicht wußte, was man in solchen Fällen tut, wenn der Schnee leis wie ein lieber Kindertraum sinkt, wenn man ein junges Blut im Arm hält und dem Himmel so nah ist.
Und nun denkt ihr wohl, daß der König ein Auto nahm – in seinem Schlafrock war noch viel Geld – und dann . . . 56 verträumtes Hotelchen, lauschige Zimmer in Seide und herrlichen Düften und am heimlich knisternden Kamin, es brennt sonst kein Licht, auf einem brokatnen Kissen hockt Salomon und erzählt von seinem Königreich, seinem feinen Kaffee, seinem Kreisel, seinen Gesammelten Werken. Und Lore träumt, wenn sie nicht gerade wie eine Nachtigall ihre lieben, süßen Lieder jubelt.
Ätsch, oder glaubt ihr, da es so schon ziemlich früh war, sie erwarteten auf dem Hauptbahnhof die erste Elektrische? Nein, ich muß euch leider, da ich streng der Wahrheit gemäß berichte, enttäuschen, wie auch wohl im Leben so viele Freundesbriefe, so manche Liebe und Hoffnungen enttäuschen.
Sie gingen Hand in Hand zum alten, efeuumsponnenen Stadttor hinaus. Verspätete Liebhaber schlichen heim. Es war so schön, der Morgen dämmerte. In der Ferne leuchteten die Berge. Es schneite nimmer, der Mond schwamm oben blaß und verschlafen.
Junge Bäuerinnen, die Gemüse und Butter zur Stadt brachten, schauten sie groß an. Dann wurde es leerer auf der Landstraße, nur ab und zu ein Schloß, ein paar Bauernhäuser herum. Raben saßen auf den Telegraphenstangen – Gott, schon wieder vergaß ich's, die waren ja noch nicht erfunden, eigentlich könnte ich sie jetzt schon erfinden lassen, aber nein, ich will keine Unordnung in meinem Märchen; also sie hockten auf der Straße, auf Bäumen, na, ihr wißt ja alle, wo Raben und Krähen hocken. Lore sang von der dummen Liebe, von Rosen und 59 Mai und Sommer und Vergänglichkeit Ihm wurde ganz frühlingshaft, und er fütterte den Raben seinen letzten Lebkuchen.
Sie gingen dem großen, großen, finstern Wald zu. –