Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vorspiel

»Je dümmer ich gewesen bin, desto mehr Glück hatte ich in der Welt«

Kasperl Larifari in seinen Memoiren

Der Baron hatte eben die rührend sehnsüchtige »Humoreske« von Dvořák geendet und Irmelin träumte noch von verflossener Sommerzeit Das Mädchen brachte Mokka und die Gräfin sagte: »Balthasar, du wolltest uns doch Geschichten von deinem verstorbnen Freund vorlesen.«

Er hatte ja nur darauf gewartet und zog ein Bündel schmieriger, armseliger Fetzen heraus.

»Das mag wieder so ein Unsinn sein«, gähnte der Doktor freundschaftlich.

»Was wollen Sie denn, Sie grünes Reisig Sie. Ist vielleicht Ihnen dies ganze Leben mehr als Unsinn? Betrachten wir nur alle großen Erfindungen der Menschen, ob sie nicht erst als Blödsinn verschrien. Warum soll's da Büchern anders ergehen. Wer das Leben ein bißchen in seiner Tiefe erkannt, für den ist nichts mehr Unsinn. Oder, was haben Sie denn geleistet? Hosen auf der Schulbank durchgewetzt. Gescheit sind wir nur, solang wir dumme Kinder sind. Und vielleicht wenn wir Glück 22 haben«, schloß er mit einem resignierten Blick auf Irene, »wacht manchmal in einer lieben Stunde dieser goldne Kinderunsinn wieder auf.«

Er zündete sich eine Habana an, bot dem Doktor welche. Die Damen rauchten wollüstige Zigaretten. In Irmelin zitterten noch die letzten schwärmerischen Klänge nach.

Es dämmerte schon. Die Gräfin bat das Mädchen, die grünseidnen Vorhänge zu schließen. Von der Terrasse duftete der ganze Mai herein.

Die Amseln schluchzten. Der Steinbrunnen plätscherte melancholisch.

»Ja«, fuhr der Baron fort, »es ist der Deutschen größtes und einziges Verdienst, daß sie all ihre Besten verhungern lassen. Der arme Xaver Dampfkessel! Auf welchem Stern der Ewigkeit mag er wohl träumen. Ich durfte seine letzten Erdentage noch verschönen. Daß es die letzten waren, ahnte ich freilich nicht. Aber wer vierzig Jahre lang darbt, hungernd und frierend in harten Großstadtmansarden dahinsiecht, der blüht wohl auch nimmer unter der Sorge eines aufrichtigen Freundes auf. Ich hätte gern mein Leben für ihn hingegeben. Und es ist immer so auf unserer Pilgerschaft, ein ewiges Zu spät. Ich durfte tun, was ein schwacher Menschenbruder tun konnte, aber er hätte Engel und einen Gott verdient. Damals wußte ich schon, daß er einer der wenigen war, die den Ehrennamen Mensch zu Recht tragen. Ja, es ist das Schicksal alles Gütigen, daß es die Gemeinheit vernichtet.« 23

Irene läutete: »Liebe Anny, ich bin für niemand zu sprechen.«

»Du kennst mich, Balthasar«, wendete sie sich zu jenem »und weißt, daß ich mich von den Bedrängten nicht erst suchen lasse, aber ich hasse diese Komiteewirtschaft unserer Gesellschaft. Soll diese helfen, so drückt sie sich davon, indem sie flugs Komitees in ›Tätigkeit‹ setzt Und solche ›schöne Seelen‹ wollen mir heute wieder das Haus stürmen.« – Sogar der Widerspruchsgeist des Doktors gab ihr diesmal recht. Ja, er ergänzte: »Und was durch die Hände von öffentlichen Sammlungen fließt, bekommen ja nie die wirklich Elenden, Armen.«

Im Park begann eine Nachtigall.

Der Baron, der währenddem seine Papiere geordnet begann:

Das Räubermärchen.

Der König kochte sich gerade Kaffee. Sein Zepter lag verträglich neben der Kaffeemühle.

Die Krone wackelte auf seinem ehrwürdigen Haupt.

Dann setzte er sich auf die Herdplatte und schlürfte mit wonnigem Schaudern den Trank. Aah, heut hatten ihn doch keine Weiberhände verpfuscht.

Hyronimus Löschblatt, der hundertsechsunddreißigste Minister, pfiff zur Tür herein. Aus den Hosentaschen schauten ihm die neuen Befehle für die Untertanen. Von seinen Fingern und seinem Maul tröpfelte 24 noch Tinte. Er war keine Minute sicher, daß ihm nicht ein guter Gedanke kam.

»Schafskopf«, rief der König und rührte erhitzt seinen Kaffee dabei »sieht er nicht, daß ich mit wichtigen Staatsgeschäften beschäftigt?«

Der Minister setzte natürlich – eigentlich brauchte er dies gar nicht erst zu tun – sein dümmstes Gesicht auf.

Dann griff Majestät in seinem großartigen Schlafrock herum und hinunter, zog erst eine Schnupftabakdose, Malzbonbons und Lebkuchen, ein Gebetbuch, eine Käsrinde, Spielkarten, Dukaten, einen Kreisel und eine Mundharmonika, ein Paar gedörrte Pflaumen hervor, die er sich, während das Wasser kochte, aus dem Schubladen gekripst, bis er endlich erfreut seinen Reichsapfel fand. Den warf er dem lächelnden Minister an den Kopf.

Im Königreich – seinen Namen hab ich wirklich vergessen – herrschten nämlich geordnete Verhältnisse und strengste Formen. Es war ein Ordnungsstaat, und der König hätte sich nie erniedrigt, selbst wenn er sterben müßte – und das ist doch wirklich viel für einen König –, irgendeinen anderen Gegenstand nach dem Erreger seiner Ungnade zu werfen. Tja, es war eben noch ein anständiger König, und die Menschen noch brave Untertanen und nicht so schlecht und gescheit wie heute.

Ja, wie er in seinem Schlafrock Ordnung hatte, so hielten sie die Minister, samt der Ruhe, im Staate. Und dann tat der Reichsapfel nicht weh, denn er war, praktisch 27 wie alles im Königreich – aus Gummi. Es war eine neue patentierte Erfindung.

»Aber Herr Baron«, unterbrach der Doktor, »erlauben Sie, damals war doch der Gummi noch gar nicht erfunden –«.

»Unterbrechen Sie mich nicht in meiner Geschichte. Sie glauben wohl bloß, unsere Zeit hat die Weisheit mit dem Löffel gegessen. Sie irren sich, Verehrter. Alles war schon da. Die Menschen erfinden nur, was sie erst vergessen. Paracelsus hat ganz andere Operationen geleistet als Sie, Bester; oder glauben Sie nicht?« – Mit diesem Hieb hatte der Doktor vorderhand genug, und die Damen baten den sich eben eine Creme de cacao einschenkenden Baron die Geschichte weiter zu erzählen.

»Aber bitte«, sprach dieser, »laßt euch doch von unserem alles besser wissenden Lexikon was erzählen.« Da umschlang ihn Irmelin und bettelte: »Aber Balthasar, wir glauben dir doch alles.« Da lächelte er fein und still und verträumt und fuhr fort.

Mieze, eine Hofkammerjungferdame, blickte zur Tür herein. Sie war ein liebes Ding, wie ein reifer Apfel, ein Veilchensträußel, wie so ein lieber, süßer Wiener Fratz.

»Pst, pst –« pste der König, »Mieze, wo steckst du denn immer. Schau her, was ich für dich hab.« Und er schenkte ihr, diesmal hatte er's auf den ersten Griff, einen halben Lebkuchen. »Magst nicht ein Schlückerl Kaffee?«

»Hoheit sind so gut«, lispelte sie errötend.

»Mein Gott, man muß doch irgendwas sein. Es ist ja 29 sonst so arg langweilig« – und er streichelte ihre lieblichen Wangen.

Da flog ihm ein Pantoffel an den Kopf. »Oha«, wütete er, »so eine . . .«

Es war die Frau Königin, die schrecklich eifersüchtig war und für seine Untertanenliebe gar kein Verständnis hatte. Er zog sich mit Würde seinen Schlafrock zurecht, warf der »Einen« einen verächtlichen, erhabenen Blick zu, nahm seinen Kaffee, hob die heruntergefallne Krone auf, putzte sie ab und schritt stolz wie ein Hahn zur Tür hinaus.

»Mein Gott«, seufzte die Königin, »so ein Mann, so ein Mann!«

»Tja«, echote der Hofnarr, der während der ganzen Zeit schlafend auf dem Küchenkasten hockte, »so ein Mann ist ein Mann.«

Als sich die Frau Königin von ihrem Schrecken erholt, hatte sie nichts als ein: »Sie frecher Affe, Sie –« dafür. Der aber schnarchte schon wieder.

Eben, als ihr der mitteluntere Reichsoberkoch ihre Stiefelchen auszog, denn sie war in einem Wohltätigkeitstee, erschien Käskuchen Graf von Kuhwedel, der dreiundzwanzigste Minister: »Majestät lasse um ein Taschentuch bitten.«

»Er bekäme keins, habe erst vor acht Tagen eins bekommen und er solle in diesen teueren Zeiten Wäsche sparen, Kaffee habe er auch schon wieder gekocht und den teueren Zucker gewüstet. Von den Pflaumen, die sie für 31 die Waisenstaatsanwaltsbewahranstalt hergerichtet, fehlen natürlich auch welche!«

Kuhwedel verneigte sich rückwärts gehend so lange, bis er in den Holzkorb fiel.

»Hä hä hä«, meckerte der Hofnarr, »jetzt kann die Kuh im Stall wedeln.«

Die Königin nahm ihren neunten Hauszepter aus der Schublade.

»Seit wann tragen denn die Märchenköniginnen auch Zepter«, fiel der eintretende Schauspieler ein.

»Als wenn die Frauen nicht schon immer Zepter hielten«, sprach Balthasar galant – und befahl die dreizehn Amtsrichter, die alle Zipflmeier hießen, in den Hof zum Wäscheaufhängen. Das war nämlich ein hohes Ehrenamt, nicht jeder durfte, und die Geladenen mußten selbstverständlich in voller Amtstracht erscheinen. Einmal gab es einen großen Krach, weil die Königin mit dem Sanitätssunutatsmarmeladsmedizinnoberräten wechseln wollte.

Als sie dann allein in ihr himmelblaues Gemach trat, fiel ihr Blick, wie immer, auf das Bild eines schönen jungen Mannes. Ja, sie war wohl oft zu hart mit ihrem innigstgeliebten, einzigen Kinde gewesen. Wo wird er sein? Hat er ein warmes Bett, geht's ihm schlecht; wenn er nur da wär, oder wenn sie ihm doch wenigstens ein Expreßpaket mit warmen Socken, Geräuchertem, Marzipan, Gänseleberpastete und ein paar Handvoll goldener Taler, drauf ihr neuestes Porträt, senden könnte! Ach, fiel ihr ein, 33 die Post ist ja noch nicht erfunden, die kommt erst im zweihundertachtzehnten Jahrhundert dran. Aber Kundschafter wollte sie aussenden und sie telephonierte.

»Na na na«, grinste der Doktor.

Telephonierte also gleich ans königliche Kundschafterbüro.

Der König wollte erst im Rotblaugrüngelbgoldnen Salon ein wenig dichten und an seinem Trauerlustspiel weiterarbeiten. (Es war der sechshundertneunzigste Band seiner Gesammelten Werke.) Ja, es wäre einst fast zum Kriege gekommen mit einem Nachbarstaat, denn dort war dessen Häuptling, pardon König, von seiner Lieblingsdichterin Hedwigkurt Malöhr derart aufgehetzt, daß nur mehr ein Waggon ff. ungarische Salami den Frieden retten konnte. Die war natürlich furchtbar erbost – nicht die Salami, die Malöhr, weil es einen und noch dazu königlichen Autoren gab, der so langsam arbeitete, daß sie immer eine Ewigkeit auf das Abschreiben warten mußte.

Das konnte er aber nicht, denn im danebenliegenden Himbeermarmeladreichstagssaal hockte Lotschensepperl, der berühmte Ministerpräsident, am Boden – es war sonst kein Mensch da, und wenn er nicht gerade Daumen lutschte, schrie er furchtbar und andauernd, daß sich sogar die Ohren der aufgestellten königlichen Marmorbüsten bogen: WIR, das Volk . . WIR, das Volk . . .

Ja, wenn wir König gewesen wären, wir hätten uns einfach Ruhe befohlen. Da könnt ihr sehen, wie gut mein 35 König war, das heißt, der König vom Königreich, dessen Namen ich wirklich vergessen. Er wollte einfach »das Volk« nicht stören. Er wußte es ja. Wie oft schon hatte er die Minister gebettelt: »Laßt mich doch auch mal ein bißchen regieren, ich möcht mich auch mal mit Sorgen ins Bett legen!« Aber da vereinigten sie sich, das konnten sie recht gut, taten die Tintenfinger erst auf die Tintennase und dann aufs Tintenherz: »das sei nicht königlich!«

So ging er also ins Musikzimmer und ließ sich auf dem Orchestrion ein paar Waldteufelwalzer spielen. Es war so schön, daß er unwillkürlich schnell den Zepter in die Tasche steckte und zu tänzeln begann. Da – fiel was hinunter und zerbrach.

»Na, jez is se kaputt . . ., macht nix . . ., Maxe«, schrie der König, »da hast du einen Groschen, laufen Sie mal schnell zum Volksbazar nüber und hol mir eine neue Krone.« –

Dann hatte er auf der Sternbräukellerlandtagsterrasse mit seinem Kreisel gespielt. Bis wieder seine königliche Trauerstunde kam und er in den großen Gemüsegarten hinauslief. Er dachte an seinen einzigen Sohn, der vielleicht krank oder schon lang tot war.

Dort hockte auch auf einem Petersilienbeet seine Scholastika und weinte. Ihre ganze Ebnergie war beim †††. Da saßen nun wieder verträglich die beiden Leutchen, pardon, Majestäten und klagten um ein verlorenes Glück. Ob sie es wohl je wiederfänden?

»Salamon«, schluchzte Scholastika, »du darfst schon wieder Kaffee kochen, gelt, und ein Taschentücherl 36 bekommst du auch, ja, magst du nicht in die Stadt gehn und mir Baldrian holen, mein Herz ist so schwach.«

Salamon holte die Markttasche und ging. Dies war freilich den Hofherren und Ministern und Hausknechten ein Dorn im Auge. Denn sie konnten ihm manchmal doch kein X für ein U machen, was eigentlich das einzige war, was sie konnten.

Auf dem großen dreiviertelten Exzellenzenplatz bemerkte er einen Volksauflauf. Tja, der König hatte sogar Leute. Natürlich, sonst wär es ja kein Volk. »Was habt ihr denn da gemacht,« sprach der König, »einen Menschen totgeschlagen und noch dazu einen lieben Bekannten von mir, der mir oft so schöne Geschichten erzählt«

»Majestät«, sagte der immer zufällig anwesende Stadtrat . . ., na, ich mag ihn nicht nennen, da er zufällig noch lebt, er war nämlich so blöd, daß er unmöglich sterben konnte, – »Majestät wisse, der da hat gesagt, als wir fest und tüchtig und frisch, fromm, fröhlich, frei über unsere Nachbarn, die Müllerhansinegertotten, schimpften, ja, da sagte dieser schamlose Verbrecher und Hochverräter: ›Ach Gott, liebe Brüder, die Müllerhansingertotten sind doch auch Menschen.‹ – Da mußten wir ihn doch erschlagen.«

»Ihr habt einen Heiligen erschlagen«, sagte der König traurig.

Tja, wir heute sind nicht so dumm und roh und erschlagen deshalb einen Menschen. Oder?

Traurig ging der König – den Baldrian vergaß er 38 natürlich – in eine Tabaktrafik und kaufte sich eine Zeitung.

»Hätten Se bei mich och hawen können«, sagte ein kleiner Straßenjunge.

»Na, da!« und Salamon schenkte ihm einen Dukaten.

Dann setzte er sich auf eine Bank in den Feldherrnanlagen. Ihren damaligen Namen weiß ich nimmer. Sie wurden nämlich jedesmal – und das passierte sehr oft, wenn ein tapfrer Feldmarschall mit Prügel und zerrissner Hose heimkam – nach ihm benannt. Auch gab es Feldmarschälle in der Woche wie Schwammerl im Wald. Salamon wollte eben einen vor seiner Nase baumelnden Fliederzweig zum Pfeifenausputzen abbrechen, als ihm eine markante Schutzmannsstimme ihr »Dürfen Sie nicht tun, das kostet zehn Mark Strafe« zuposaunte, »na (und die Stimme wurde immer väterlicher, weicher), Sie brauchen noch keine Angst zu haben, diesmal schenk ich's Ihnen noch und warne dich bloß.«

»Herr Schutzmann«, rief der König erfreut, »da haben Sie meine Visitenkarte, Sie müssen mit mir Kaffee trinken. Bringen Sie mir aber die Visitenkarte wieder mit, bei den teueren Papierpreisen muß sie öfter reichen, sagt meine Frau.«

»Waaas, ein König biste, aber Junge, haste du een Schween!« –

»Schau, schau, da steht's ja schon; ja, unser berühmtes, neuestes amerikanisches Börsen- und Welt- und Geld-Rübenblatt ist wirklich gut, vor einer Viertelstunde passiert's, jetzt steht's schon drin. Tja, das ist das Lügen so 41 gewohnt, daß es selbst alles glaubt, was es daherlügt-« Er putzte sich seine Hornbrille und las: Heute, am 87ten fand der gefährliche, fürchterliche, ganz hundsgemeine Hochverräter Gerechtedelehrlich seinen längst verdienten Tod. Er hatte die Ehre und wurde von einigen achtzehnjährigen Generälen unserer Armee und von braven tapferen, sechzigjährigen, vaterländischen Männern erschlagen, als er gerade wieder den gefährlichen, boshaften, gemeinen Ausspruch tat: Unsre Nachbarn, die Müllerhansinegertotten, sein auch Menschen. Wir hoffen, daß endlich so verdiente Männer, denen das Vaterland in schwerster Stunde alles verdankt, zu Ministern gemacht werden. Von solchen netten Leuten ist es ein Vergnügen, sich regieren zu lassen. Möge unser huldvoller Monarch jeden dieser tapfern Heldenjungen mit einer Kiste von Orden zieren. Wir finden nur das Eine sehr bedauerlich, daß unsre apostolische Majestät, es muß dies ein Irrtum sein, dieses verkommene Subjekt für seinen Freund, ja für einen Heiligen [Anmerkung der Redaktion: Ein Ding, das uns gänzlich unbekannt, vielleicht weiß es einer unserer braven, braven Leser] erklärte.

»Hm, Hm«, dachte der König, »ja, derfens denn dös überhaupt, mich bekritteln?«

Aber er lächelte schon wieder, als er in die berühmten Neuesten amerikanischen Börsen- und Welt- und Geld-Rübenblattlausnachrichten blickte: »Ja, so was gibt's bei mir nicht.«

Armer König, du denkst und – – Er las nämlich von den 42 Schusternazizulus, ach einen Nachbarstaat (er erinnerte sich, einmal eine Truppe auf dem Jahrmarkt in einer Menagerie schuhplatteln gesehen zu haben), daß dort die Königswürde nur mehr Gympelnasial-Säuglinge bekämen. Und das Land werde nur von den obersten Oberlehrern, Kadetten, Grätenrätenbiesterministern und den Garnichtsoohneversitäten regiert Wer einen Schnurrbart bekäme oder trug, wurde zum Scheiterhaufen verbannt. Desgleichen wer etwas gelernt, geleistet, gearbeitet, geschrieben (letzteren wurden erst die Hände abgehackt und die Zunge herausgerissen). Wer die neuen Regenten nicht anbetete, wurde aufgehängt.

»Ach Gott«, sagte der König. »Die Menschen machen wie die Affen alles nach. Wenn am Ende mein Volk . . .« Er war verärgert und sah gar nicht die hübschen Kindermädel um ihn, bis ihn ein Leierkastenmann mit ›Heul dir im Siegerkranz‹ aufschreckte. Er gab ihm zwei Taler. [Was, da guckt ihr, andächtige Zuhörer, wie ich mit diesen lumpigen Talern und Goldstücken herumspringe; ja, wer hat, der hat.]

Dann eilte er fort und kam gerade noch in die lilane

Reichstagssitzung

Es waren circa sechshundert Minister anwesend. Genau weiß ich es nimmer. Wir nennen nur die berühmten Namen: Fliegenleim, Hinterfotzingerlale, Hoppeigichttoni, Trottelhold, Affenschmalz, Flohlöwe, 43 Veilchendarm, Graf von Ähäh, der Herr von Bar, Hyronimus Löschblatt, Käskuchen Graf von Kuhwedel. Und es waren noch viel Berühmtere darunter. Wer kennt sie nicht alle, die Edlen!

»Neinnn«, schrie der Minister Wastlmeier Baron von Zipflhuber, »der der bebekommt's nnnicht, derder ffreche Kerl hot ämol mmeiner Gkattin gäsagt, sie passe gut zu mich.«

Von Salomon nahm kein Hund Kenntnis. Dafür war er auch König. Nur der Hofnarr, der auf einem Kronleuchter in der linksrechtsvornhintern Ecke saß und dort oben miaute, winkte ihm zu.

Er setzte sich auf den alabasternen Thron, der ganz rückwärts, für die Brezel- und Würstelfrau im Parkettboden eingegraben, wie ein verlassenes Schaf dastand.

Lotschensepperl, der Ministerpräsident, läutete: Scholastika, die Königin aller Königinnen, hätte hunderttausend Dukaten [ja, meine Lieben, Geld war im Königreich wie Heu!] für die Armen, Waisen, Invaliden bestimmt. Er, der Ministerpräsident, sehe aber gar nicht ein, zu was die Armen, Waisen und Invaliden Geld nötig hätten. Die Armen und Invaliden sollten, wenn's ihnen so nicht paßt, einfach sterben, und die Waisen sollen in die Fabrik gehen. Er schlage also vor, damit das Geld nicht hinausgeschmissen wäre, sei er in seiner aufopfernden Vaterlandsliebe gerne bereit (Bravo links, Hurra rechts, Hoch Mitte), also gerne bereit, fünfzigtausend der Dukaten einzustecken. Er wolle sich so schon lange Aktien vonTripstrill und 45 Schlarafflen kaufen. Da kämen ihm diese lumpigen Fünfzigtausend gerade recht Die übrigen Zwanzigtausend (was, der konnte rechnen! Ja, solche Leute brauchten wir heute!) schenke er dann den anderen Ministern.

Stürmischer Beifall ward dem weisen Mann. Dann bimmelte es wieder: Sein Antrag sei also angenommen, nachdem sie alle, wie es einem Ordnungsstaate gezieme, ein Herz und ein Sinn. Inzwischen wünsche er dem hochniedern Hause gesegnete Mahlzeit, fröhliche Weihnachten und ein glückliches Neujahr. Dann wolle er also die nächste Sitzung in fünfzehn Jahren halten und auch für heute mit einem kernhaften, markerfüllten Frohe Ostern schließen, denn er müßte Ski fahren gehn.

Nur der Hofnarr piepte: er bitte die hohen Häuser, die dritten Fünfzigtausend (da könnt ihr sehn, wie so ein Narr rechnen konnte, gut, daß es keine Narren mehr gibt) von den Hunderttausend per Bank oder Postscheck seiner verstorbnen Schwiegermutter zu überweisen. – Natürlich beachtet man so einen Menschen in einem Himbeermarmeladreichstagundnachtsaal nicht.

Da erhob sich der König. Er war erzürnt. Manchem Vorhang erschien er wie ein gütiger, alter Prophet: er bitte, das Geld den Armen, Waisen und Invaliden zu geben. Seine Frau schimpfe sonst. Und die Armen frieren jetzt, wo so viel Schnee draußen liegt Und sie sollen sich mit dem Geld warme Kleider und was Gutes zu essen kaufen. –

[Lieber Leser, sag's den Lolulaliteraten nicht, daß der 47 König erst in den Anlagen saß, sonst haun sie deinen Xaver Dampfkessel.]

Da meckte eine starke, gewaltige Stimme durch den Saal aller Säle und Kanäle: »Was wollen Sie denn überhaupt, Sie alter Kaffeekocher, für was sind Sie denn König, daß du das Maul hältst. Überhaupt – ich, der Herr von Bar, der alles bar bezahlt und trotzdem er keine Barmittel . . .«

(Anmerkung des Übersetzers: Er konnte natürlich nur von seinen geistigen Mitteln sprechen, denn Geld hat er.)

» . . . alles in die Bar trägt, setze Sie einfach ab und verhafte dir.«

»Ja«, schrien Lotschensepperl und Fliegenleim und Hinterfotzingerlale und Trottelhold und Affenschmalz und Flohlöwe und Veilchendarm und Hyronimus Löschblatt und Käskuchen Graf von Kuhwedel und Wastlmeier Baron von Zipfelhuber und alle, alle die verdienten Männer des Vaterlands, »wir setzen ihn ab und köpfen ihn.«

,Was, köpfen wollt ihr mich, ihr undankbare Bande –« sprach's und flog durchs Fenster davon.

Wie sie da alle gafften. Der einzige Hofnarr klatschte.

Ja, da schaut ihr auch, was, ihr dachtet wohl, geflogen wird nur in Tausendundeine Nacht, nein, auch in den Märchen von mir, Xaver Dampfkessel, fliegt man. Ja, ich könnte euch sogar weismachen: der König hatte eine neue, noch nicht patentierte Erfindung, nein, ich will euch ehrlich die Wahrheit sagen: er ist wirklich geflogen. 48

 


 << zurück weiter >>