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In Posen

Ein neuer Lebensabschnitt Hoffmanns begann mit der Übersiedlung nach Posen. Zum erstenmal in seinem Leben war der Jüngling aus der Hut seiner engeren und weiteren Familie entlassen. Die Folgen blieben nicht aus, seine lange zurückgedämmte Lebenslust schlug hohe Wogen. Das stark vertretene polnische Element in der östlichen Stadt gab dem Leben dort einen eigenen Reiz, für den Hoffmann keineswegs unempfänglich war.

Schon auf der Reise nach Glogau hatte er die Stadt berührt und war damals in »einem vortrefflichen Hotel, bei Madam Speichert«, abgestiegen. Dieses Hotel spielte als Mittelpunkt der deutschen Gesellschaft eine wichtige Rolle. Auch Hoffmann mußte Mitglied der »Ressource« werden, über die merkwürdigen Statuten dieser Gesellschaft spottete er später in den »Unterhaltungen der Serapionsbrüder«.

Die Posener »Ressource«

Erinnerst Du Dich wohl noch der Zeit, als wir das erstemal die Residenz verließen und nach dem kleinen Städtchen P. zogen? – Anstand und Sitte verlangten es, wir mußten uns sofort in den Klub aufnehmen lassen, den die sogenannten Honoratioren der Stadt bildeten. Wir erhielten in einem feierlichen, im strengsten Geschäftsstil abgefaßten Schreiben die Nachricht, daß wir nach geschehener Stimmensammlung wirklich als Mitglieder des Klubs aufgenommen worden, und dabei lag ein wohl fünfzehn bis zwanzig Bogen starkes, sauber gebundenes Buch, welches die Gesetze des Klubs enthielt. Diese Gesetze hatte ein alter Rat verfaßt, ganz in der Form des preußischen Landrechts, mit der Einteilung in Titel und Paragraphen. Etwas Ergötzlicheres konnte man gar nicht lesen. So war ein Titel überschrieben: »Von Weibern und Kindern und deren Befugnissen und Rechten«, worin dann nichts Geringeres sanktioniert wurde, als daß die Frauen der Mitglieder jeden Donnerstag und Sonntag des Abends in dem Lokal des Klubs Tee trinken, zur Winterzeit aber sogar vier bis sechsmal tanzen durften. Wegen der Kinder waren die Bestimmungen schwieriger und kritischer, da der Jurist die Materie mit ungemeinem Scharfsinn behandelt und unmündige, mündige, minderjährige und unter väterlicher Gewalt stehende Personen sorglich unterschieden hatte. Die unmündigen wurden gar hübsch ihrer moralischen Qualität nach in artige und unartige Kinder eingeteilt und letzteren der Zutritt in den Klub unbedingt untersagt, als dem Fundamentalgesetz entgegen: der Klub sollte durchaus nur ein artiger sein. Hierauf folgte unmittelbar der merkwürdige Titel von Hunden, Katzen und anderen unvernünftigen Kreaturen. Niemand solle, hieß es, irgendein schädliches wildes Tier in den Klub mitbringen. Hatte also ein Klubist sich etwa einen Löwen, Tiger oder Parder als Schoßhund zugelegt, so blieb alles Mühen vergebens, die Bestie in den Klub einzuführen, selbst mit verschnittenen Haaren und Nägeln verwehrten unbedingt die Vorsteher dem tierischen Schismatiker den Eintritt. Waren doch selbst gescheute Pudel und gebildete Möpse für nicht klubfähig erklärt und durften nur ausnahmsweise zur Sommerzeit, wenn der Klub im Freien speiste, auf den Grund der nach Beratung des Ausschusses erteilten Erlaubniskarte mitgebracht werden. Wir – ich und Lothar, erfanden die herrlichsten Zusätze und Deklarationen zu diesem tiefsinnigen Kodex, die wir in der nächsten Sitzung mit dem feierlichsten Ernst vortrugen und zu unserer höchsten Lust es dahin brachten, daß das unsinnigste Zeug mit großer Wichtigkeit debattiert wurde. Endlich merkte dieser, jener den heillosen Spaß, man traute uns nicht mehr, doch geschah nicht, was wir wollten. Wir glaubten nämlich, daß der förmliche Bann über uns ausgesprochen werden würde.

(Unterhaltungen der Serapionsbrüder. Erster Abschnitt.)

In dem Schoß dieser Ressource spielte sich dann auch jener lustige Streich ab, der mit Hoffmanns Versetzung nach dem entlegenen Plock in dem neu gewonnenen polnischen Teil Preußens endete. Ein ärgerlicher Zusammenstoß zwischen dem früheren Kammergerichtsrat Kühtze, bekannt durch sein mannhaftes Auftreten in der Angelegenheit zwischen Friedrich dem Großen und dem »Müller von Sanssouci«, und einem Major von Schmidtseck verschärfte die Spannung, die zwischen den Offizieren und den Zivilbeamten in Posen bestand. Kühtze nahm sich infolge dieses Zusammenstoßes das Leben. Der neu nach Posen versetzte Regimentskommandeur, Generalmajor von Zastrow, machte sich durch übermütiges Benehmen vollends verhaßt. Auf dem Karneval 1802 führte Hoffmann im Verein mit mehreren Freunden seinen Streich aus. Monatelang vor dem Karnevalsball in der Ressource arbeitete Hoffmann an Karikaturen sämtlicher mißliebiger Persönlichkeiten, darunter des Generals. Am Ball selbst wurden diese Karikaturen durch verkleidete Personen verteilt. Der Vorfall erregte großes Aufsehen. Zastrow wandte sich nach Berlin und erreichte, daß Hoffmann, der gerade zum Rat an der Posener Regierung ernannt werden sollte, nach Plock strafversetzt wurde, obgleich die amtliche Untersuchung kein Resultat ergab.

Hoffmann hat aber während der Posener Jahre noch eine Menge anderer Streiche vollführt, von denen wir nichts Näheres wissen. Kein Zweifel, dieser bis dahin sorglich von Onkels und Tanten behütete junge Mann war über die Stränge geschlagen, zum Teil verlockt durch einige lebenslustige Freunde, mit denen er sich in Posen zusammenfand. Hauptsächlich verkehrte er mit dem Regierungsrat Schwarz und seiner ebenfalls schriftstellernden Gattin. Schwarz hatte in Halberstadt zu dem engeren Kreise des ehrwürdigen Dichtervaters Gleim gehört. Aus dem Plan, mit Schwarz zusammen eine Oper zu schreiben, wurde nichts, wohl aber verbanden sich die Freunde zu einer andern Arbeit, einer »Kantate zur Feier des neuen Jahrhunderts«, zu der Schwarz den Text und Hoffmann die Musik verfaßte. Zu Silvester 1801 wurde das Werk in Speicherts Hotel im Rahmen der Ressource aufgeführt und errang allgemeinen Beifall. Auch sonst trat Hoffmann in Posen zum erstenmal als Komponist an die Öffentlichkeit. Er zog Goethes Singspiel »Scherz, List und Rache« in einen Akt zusammen und komponierte es. Die Arbeit wurde von der Truppe Karl Döbbelins aufgeführt. Hoffmann erwähnte diese Aufführung viele Jahre später in seiner Kritik von Beethovens Egmont-Musik, wobei er scherzhaft mystizierend verschwieg, daß er selbst der Komponist des aufgeführten Werkchens gewesen war.

... Die Musik zu »Erwin und Elmire« ist veraltet, und nur die lustige, echt italienische Buffonade »Scherz, List und Rache« erinnert sich Rez. vor mehreren Jahren in Posen von der Gesellschaft des Schauspieldirektors Karl Döbbelin, die sich damals dort befand, mehrmals mit der geratenen Komposition eines unbekannten Meisters aufführen gehört zu haben. Partitur und ausgeschriebene Orchesterstimmen sollen nachher zufällig verbrannt und durchaus nicht mehr zu haben gewesen sein.

Die Entlobung

Noch in der ersten Posener Zeit hatte Hoffmann die Absicht gehabt, seine langjährige Braut Minna baldigst heimzuführen. Zu dem ersten Weihnachtsfest eilte er nach Berlin, wo seine Gedanken ständig weilten. Aber bald daraus löste er die Verlobung aus keinem andern Grunde, als weil er in der wohlhabenden, verwöhnten und geistreichen Kusine nicht die richtige Gefährtin für sein Künstlerleben erwartete, von dem er immer noch träumte. Mehrmals hat er sich über seinen Schritt ausgesprochen. In der folgenden Briefstelle an Hippel deutet er die Gründe seines Entschlusses an:

 

Schriebe ich diese Selbstbiographie mit der Gewissenhaftigkeit Rousseaus, der mit seinen Bekenntnissen unter dem Arm vor den Richterstuhl des Ewigen treten wollte, so würde Minna D. mir die Hand – nicht zur Versöhnung, nein – weil ich schuldlos war – als alles mich verwünschte und den Treulosen schalt – freundlich bieten. – Ich habe mit Kraft ein Verhältnis vernichtet, welches sie und mich unglücklich gemacht haben würde. – Soviel von dieser Geschichte – willst Du das Detail davon um völlig überzeugt zu werden, wie wenig ich Vorwürfe verdiene, so will ich mich hinsetzen, und eine pragmatische Erzählung liefern. –

 

Im Herbst 1801 starb die alte würdige Großmutter Voeteri. Von ihrem Begräbnis kommend, traf er in Danzig mit Hippel zusammen. Dieses Zusammentreffen verlief äußerst unglücklich. Hoffmann hatte sich nach dem Eindruck Hippels verändert: »Eine ungewöhnliche Lustigkeit, die fast in possenreißende Skurrilität ausartete, und das Wohlgefallen am Obszönen ließen ahnen, daß irgendeine Veränderung, die sein Herz betroffen, ihn dem Gemeinen und besonders einer gewissen Laszivität zugewandt habe, die für ihn um so verderblicher sein mußte, als die südliche Heftigkeit seines Temperaments ihn immer auf Extreme führte.«

Hippel hatte richtig gesehen: Hoffmann fühlte sich in seiner Haut nicht wohl. Sein Künstlertum bäumte sich gegen das Versinken in der Beamtenlaufbahn auf. Hierin lag auch vielleicht der tiefere Grund für seine Entlobung mit Minna. Als seine Versetzung als Regierungsrat nach Plock herauskam, entschloß er sich ganz plötzlich zu einem Schritt, der auf sein Leben den denkbar größten Einfluß haben sollte. Er verheiratete sich mit Michalina Rohrer-Trzinska, der bildhübschen Tochter eines kleinen Stadtschreibers aus Posen, die ihr Leben lang nur gebrochen deutsch sprach und nie eine Zeile seiner Bücher gelesen hat. Der Regierungsrat Schwarz berichtet in seinen Erinnerungen, wie Hoffmann sich in die kleine Polin verliebte und ihr vergeblich nachstellte. Auf den Rat der Frau Schwarz heiratete er »Mischa« dann. Vielleicht war seine Wahl die richtige. »Mischa«, wie er sie nannte, wurde die treue Begleiterin seines umhergeworfenen Künstlerdaseins. Irgendeine Ahnung, mit wem sie verheiratet war, hat sie nie gehabt, und glücklich ist sie an der Seite dieses ruhelosen Mannes auch nicht geworden.

Über diese ganzen Vorgänge in Posen berichtet Hoffmann nach längerem Schweigen an Hippel, als er bereits in der Plocker Verbannung lebte.

Plock, den 25. Januar (an meinem 27. Geburtstag) 1803.

Mein einziger teuerster Freund!

Ein ganzes volles Jahr hab' ich geschwiegen, wenn Du aber glaubst, daß das Andenken an Dich während dieser Zeit auch nur einen Augenblick aus meiner Seele gewichen sei, tust Du mir sehr unrecht. – Wenn ich (vorzüglich in dem vergangenen Frühjahr) mich mit allem, was mich umgab, und mit mir selbst überworfen hatte, so nahm ich Deine Briefe vor; vorzüglich die älteren, welche Du mir aus Arnau schriebst, versetzten mich dann in jene glückliche Jahre zurück als es nur meine Fantasie war, die mir Höllen und Paradiese schuf, und als noch kein eiserner Zwang der Wirklichkeit mich fesselte, und es gelang mir im Andenken an jene Zeit wieder ruhig zu werden. – Es ist mir oft, als hätt' ich all jene Briefe in einer anderen Lage selbst geschrieben, aber konnten auch zwei Menschen gleicher empfinden, als wir? –

Du schriebst in Deinem letzten Briefe, unser letztes Zusammensein in Danzig hätte nicht so, wie vormals, die reine unverdorbene Laune, den Erguß der innigen Freundschaft herbeigeführt, aber Freund – Wein, der eben gärt, hat niemals einen guten Geschmack, und ich war damals wirklich im Gären. – Ein Kampf von Gefühlen, Vorsätzen pp, die sich geradezu widersprachen, tobte schon seit ein paar Monaten in meinem Innern – ich wollte mich betäuben, und wurde das, was Schulrektoren, Prediger, Onkels und Tanten liederlich nennen. – Du weißt, daß Ausschweifungen allemal ihr höchstes Ziel erreichen, wenn man sie aus Grundsatz begeht, und das war denn bei mir der Fall. – Ich lebte in einer überaus lustigen Verbrüderung, wenn ich so sagen darf – die letzten leuchtenden Blitze, welche wir schleuderten, waren aber solche Geniestreiche, die empfindlichen Leuten, die wir nur für zu unschädlich hielten, Haare und Bart versengten. – Sie nahmen es übel und borgten sich vom Olymp in B. her solche Gegenblitze, die mich endlich hierher an einen Ort schleuderten, wo jede Freude erstirbt, wo ich lebendig begraben bin.

... Daß Du mich vergessen haben solltest, fällt mir nicht ein, willst Du mich daher wiedersehen, so bestimme, wenn und wie ich Dich besuchen soll auf Deinem Rittergute. – Führen Dich etwa aber Deine Geschäfte oder sonstige Zufälle im künftigen Frühlinge nach Thorn, so wäre es ganz herrlich, ich würde alsdann um die von Dir bestimmte Zeit dort eintreffen, und die Reise, da Thorn von hier nur 12 Meilen entfernt ist, mit der ordinären Post machen, weil ich so sparsam als möglich zu Werke gehen muß. – Wenn Du eben so lebhaft als ich es fühlst, daß wir uns niemals, niemals zu lieben aufhören können, daß wir uns aber wieder von Mund zu Mund sagen müssen was wir jetzt tun und was wir künftig tun wollen, so bin ich sehr glücklich! – Ich habe mich unter der Zeit im Malen und vorzüglich im Treffen ziemlich vervollkommnet – ich werde daher Dich, Deine Frau und kleine Familie auf ein Tableau bringen, wenn ich bei Dir bin, und überhaupt nicht bei Dir als Regierungsrat Hoffmann, sondern als Miniaturmaler Molinari auftreten, da ich, wenn ich zehn Schritte von Thorn gehe, vor der Hand meinen Namen verleugnen muß.

Daß ich Regierungsrat geworden bin (seit einem Jahr), siehst Du aus obigem, daß ich aber seit drei Vierteljahren verheiratet bin, kannst Du aus obigem nicht ersehen, daher sage ich es Dir besonders! – Vielleicht hast Du durch Zufall einige Nachrichten von dem tragischen Ende der zweiten Liebesepisode in meinem Leben aus B. erhalten. – – Jetzt leb' ich wie ein Heiliger, der Buße tut, oder eigentlicher wie jeder Christ leben soll, in der Hoffnung des Zukünftigen. – Denke Dir, Freund, was ich empfinden muß, wenn ich auf alles, was nur meinen Sinn für die Künste, für den Umgang mit geistreichen Personen, der den Geschmack bildet, geradehin ganz Verzicht zu leisten genötigt bin? – Ich müßte verzweifeln, oder vielmehr, ich würde längst meinen Posten aufgegeben haben, wenn nicht ein sehr liebes, liebes Weib mir alle Bitterkeiten, die man mir hier bis auf die Neige auskosten läßt, versüßte, und meinen Geist stärkte, daß er die Zentnerlast der Gegenwart tragen, und noch Kräfte für die Zukunft behalten kann.

Von Berlin aus tröstet man mich sehr – ich soll in eine neue deutsche Provinz versetzt werden, welches denn nur mein Wunsch ist, an dessen Erfüllung ich aber sehr zweifle. –

Durch Schleinitz, der ein Freund von B. ist, könntest auch Du zu meiner Erlösung beitragen, indessen ist es hierzu noch nicht Zeit, und wir können darüber sprechen! – Schreibe mir indessen, ob Du auf die Güte jenes Kanals baust? –

Alle Stürme haben zu toben aufgehört, und Du wirst in mir ganz den alten Königsberger, Berliner, Leipziger, Dresdener, Dessauer pp (aber nicht Danziger) wiederfinden! Ich bin schwatzhaft geworden, merk' ich! –

Auch geb' ich mich wieder mit literarischen Arbeiten ab. – Willst Du, wenn Du keine öconomica treibst, d. h. im Winter, wieder rezensieren? –

Ich bin ein Tor gewesen, daß ich Dir nicht längstens schrieb, mir ist so wohl geworden indem ich mit Dir spreche, daß meine Frau, die mir gegenübersitzt und ein Kindermützchen strickt, schon ein paarmal gefragt hat, warum ich denn in eins fort lächle?

– Liebst Du mich noch, so vergilt nicht Gleiches mit Gleichem – schreibe mir, ich beschwöre Dich bei dem Andenken unserer herrlichen Jugendzeit in K. sehr bald.

Unser Briefwechsel soll nicht wieder so schändlich von mir unterbrochen werden – ein merkwürdigstes Jahr kann man doch nur einmal erleben – der Superlativ schließt ja jeden Nebenmann aus! –

Grüß' Deine Frau sehr herzlich von mir, und sag' ihr, daß ich Dir den Maler Molinari empfohlen habe – es kann ja derselbe sein, der Dich gemalt hat. – Adio, – Ich bitte Dich schreib mir bald.

Plock, ohne Datum.

Du hast in Deinem Briefe einen Punkt berührt, den ich, wenn ich meine Biographie zur Belehrung, wie man nicht handeln soll, wenn man eine gesunde Stirn und Nase für das Grab konservieren will, schriebe, sehr umständlich abhandeln würbe. Ja ja – in meiner ersten Erziehung, zwischen den vier Mauern mir selbst überlassen, liegt der Keim mancher von mir hinterher begangenen Torheit. – Deine gütige Freundschaft nennt die Frucht jener bizarren Einsamkeit Originalität – es ist aber wie ich wohl weiß und empfunden habe nichts als Starrköpfigkeit – Ungeschick! Das Übersehen der Verhältnisse, die jedem, der als Knabe nachgeben und sich schicken in die Umstände gelernt hat, ins Auge fallen, hat mir einen guten Teil der Ruhe für lange Zeit gekostet. Ich mag die teuflische Geschicklichkeit, womit man mich zum Werkzeug einer ausgedachten Rache machte, gar nicht berühren, indessen soviel laß Dir gesagt sein, daß der wirkliche Hergang der Sache eine Ansicht gibt, die gewiß niemand erwartet. – Soviel von der famosen Gillrayade!

Nachdem ich beinahe zwei Jahre hindurch von allen Menschen recht schief beurteilt worden bin und ich es unter meiner Würde gehalten habe, die nachplappernde Menge überschreien und eines Besseren belehren zu wollen, ist mir das Urteil der Welt ziemlich gleichgültig geworden, nur wenigen mag ich so wie ich bin erscheinen, und daß Du unter diesen wenigen obenanstehst, versteht sich wohl von selbst ...

Die Danziger Reise

Das Zusammentreffen der Freunde in Danzig hatte keine angenehme Erinnerung in beiden zurückgelassen, dennoch aber hatte die alte Stadt auf Hoffmann den denkbar stärksten Eindruck gemacht. Im Durcheinander der widersprechendsten Empfindungen hatte er die Stadt besucht, und sicher gibt die Danziger Erzählung »Der Artushof«, die er später schrieb, seine damalige Stimmung wieder. Wie Traugott, der Held dieser Erzählung, zwischen zwei, ja drei Frauen steht, so mag Hoffmann auch während seines Aufenthaltes in Danzig zwischen Minna und Mischa geschwankt haben. Aus der Erzählung erkennen wir, welche Teile Danzigs den stärksten Eindruck auf Hoffmann gemacht hatten. Es war die grandiose Aussicht des Karlsberges auf die Danziger Bucht mit der weit dahinter liegenden, allerdings mehr geahnten als geschauten Landzunge von Hela und jener altertümliche Teil der Stadt um das Rathaus herum, insbesondere der alte Artushof, der noch heute eine Sehenswürdigkeit bildet.

 

Der Artushof

Gewiß hast du, günstiger Leser! schon recht viel von der alten merkwürdigen Handelsstadt Danzig gehört. Vielleicht kennst du all das Sehenswerte, was sich dort befindet, aus mancher Beschreibung; am liebsten sollt' es mir aber sein, wenn du selbst einmal in früherer Zeit dort gewesen wärest und mit eigenen Augen den wunderbaren Saal geschaut hättest, in den ich dich jetzt führen will. Ich meine den Artushof. – In den Mittagsstunden wogte drängend und treibend der Handel den mit Menschen der verschiedensten Nationen gefüllten Saal auf und ab, und ein verwirrtes Getöse betäubte die Ohren. Aber wenn die Börsenstunden vorüber, wenn die Handelsherren bei Tische saßen, und mir einzelne geschäftig durch den Saal, der als Durchgang zwei Straßen verbindet, liefen, dann besuchtest du, günstiger Leser! der du in Danzig warst, den Artushof wohl am liebsten. Nun schlich ein magisches Helldunkel durch die trüben Fenster, all das seltsame Bild- und Schnitzwerk, womit die Wände überreich verziert, wurde rege und lebendig. Hirsche mit ungeheuren Geweihen, andere wunderliche Tiere schauten mit glühenden Augen auf dich herab, du mochtest sie kaum ansehen; auch wurde dir, je mehr die Dämmerung eintrat, das marmorne Königsbild in der Mitte nur desto schauerlicher. Das große Gemälde, auf dem alle Tugenden und Laster versammelt mit beigeschriebenen Namen, verlor merklich von der Moral, denn schon schwammen die Tugenden unkenntlich hoch im grauen Nebel, und die Laster, gar wunderschöne Frauen in bunten schimmernden Kleidern, traten recht verführerisch hervor und wollten dich verlocken mit süßem Gelispel. Du wandtest den Blick lieber auf den schmalen Streif, der beinahe rings um den Saal geht, und auf dem sehr anmutig lange Züge buntgekleideter Miliz aus alter reichsstädtischer Zeit abgebildet sind. Ehrsame Bürgermeister mit klugen bedeutsamen Gesichtern reiten voran auf mutigen, schön geputzten Rossen, und die Trommelschläger, die Pfeifer, die Hellebardierer schreiten so keck und lebendig daher, daß du bald die luftige Soldatenmusik vernimmst und glaubst, sie werden nun gleich alle zu jenem großen Fenster dort hinaus auf den langen Markt ziehen. – Weil sie denn nun fortziehen wollten, konntest du nicht umhin, günstiger Leser! insofern du nämlich ein rüstiger Zeichner bist, mit Tinte und Feder jenen prächtigen Bürgermeister mit seinem wunderschönen Pagen abzukonterfeien. Auf den Tischen rings umher lag ja sonst immer auf öffentliche Kosten Papier, Tinte und Feder bereit, das Material war also bei der Hand und lockte dich unwiderstehlich an.

(Aus »Der Artushof«.)


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