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Vierzig Jahre lang hatte Schangs Theodor den Wolfachern Seife gesotten und im Städtle und außerhalb desselben seine Talglichter leuchten lassen, als er anno 1877 seinem Sohn dies zu tun überließ.
Dieser hatte den Feldzug gegen Frankreich mitgemacht und sich ausgezeichnet bei Straßburg, wo er freiwillig mit andern sich meldete, einen Eisenbahnzug, den die Franzosen nicht mehr in die Festung gebracht und der vor dem Steintor stund, in Brand zu stecken.
Die Strapazen des Kriegs brachten dem jungen, starken Mann, den ich ein Jahr vor seinem Tode kennen lernte, ein frühes Grab. Er hatte kaum zehn Jahre das alte Geschäft des Vaters betrieben, als er sich zum Sterben niederlegen mußte.
Noch im Angesicht das Todes beschäftigte ihn das Kriegsleben. Einen Tag vor seinem Ende ließ er sich noch das Bildnis seines Generals, von Degenfeld, über seinem Bette aufhängen und erzählte nochmals den ganzen Verlauf das Gefechts von Nuits.
Sein Tod war für die greisen Eltern um so bitterer, als sie schon vor ihm zwei hoffnungsvolle Söhne in der Blüte des Lebens verloren hatten. –
Aber auch die alten Zunftgenossen in der Schifferschaft gingen, einer um den andern, fort in die Ewigkeit, und es ward immer einsamer um Theodor, den Seifensieder.
Der letzte, der ihn verließ, war sein Leidensgefährte von anno 1849, der Pariserbeck. Der brave, tüchtige Mann wurde ein Neunziger und sah seine ganze Familie lange vor ihm ins Grab steigen.
Merkwürdig war der Tod seines einzigen Sohnes Siegfried.
Als anfangs der fünfziger Jahre die Ruhr im oberen Kinzigtal grassierte und viele Opfer forderte, ergriff die Epidemie auch die Pariserbeckin. Ehe sie schied, sagte sie zu ihrem Liebling, dem Sohn, der im kräftigsten Jünglingsalter stund: »Siegfried, weine nicht, ich hol' dich bald!«
Der Siegfried hörte auf zu weinen, und als die Mutter tot war, sprach er: »Ihr werdet sehen, in drei Wochen um die dritte Stunde des Morgens, da die Mutter starb, werde auch ich sterben.«
Nach kurzer Zeit befiel auch ihn die gleiche Krankheit. Er wollte keinen Arzt. Ich sterbe doch, sprach er zu seiner Schwester, denn die Mutter holt mich, und du bleibst dann beim Vater.
Der Arzt wurde trotzdem gerufen, und der Siegfried befolgte alle seine Anordnungen, obgleich er sicher war, sie halfen nichts.
Am Tage vor seinem Tode ließ er die Dienstboten des Hauses kommen, erklärte ihnen, daß er bald sterbe, und mahnte sie, auch ferner seinem Vater treu zu dienen.
Dann berief er seine Freunde an sein Sterbelager und eröffnete ihnen, daß er in der kommenden Nacht um drei Uhr sterben werde. Sie sollten ihn nicht beweinen; er sterbe gern, er komme ja zur Mutter.
Ebenso nahm er Abschied von seinem Vater und von seiner Schwester.
Gegen Abend mußte man ihm einen Blumenstrauß aufs Bett bringen und ein Glas Wein. Auch einen Spiegel verlangte er, um sich die Haare zu ordnen. Nach dem Genuß des Weines schlief er ein. Als er wieder erwachte, sprach er: »Ich lebe noch, es ist noch nicht drei Uhr.«
Seine Freunde, sein Vater und seine Schwester umstanden ihn betend und auf sein Ende wartend. Als es vom Kirchenturme her die dritte Stunde schlug, gab er seinen Geist auf, wohl vorbereitet durch die Sterbsakramente des katholischen Christen.
Dieser Tod des jungen Pariserbecks, wie mir Theodor, der Seifensieder, ihn erzählt und wie er beglaubigt ist von vielen Zeugen, ist mindestens psychologisch im höchsten Grade interessant. –
Waren auch alle tot, die letzten von der Schifferzunft, unser Theodor blieb ihrem Geschäfte unentwegt treu und sandte Flöße ins Land bis in sein achtzigstes Lebensjahr und bis das letzte Floß die Kinzig passiert hatte.
Er war mit der Zeit auch Herr eigener Waldungen geworden im obern Tale, im Kaltbrunn. Und hier veranstaltete er in seinen hohen Jahren poesievolle Waldfeste, um Freunden und Verwandten eine Sommerfreude zu machen.
Seine einzige am Leben gebliebene Tochter hatte Theodor, der Seifensieder, treu seiner Zunft, in diese verheiratet und sie dem Sohne seines alten Freundes, des Seifensieders Schick in Kehl, der seines Vaters Geschäft übernommen, zur Frau gegeben.
Sie, ihr Mann, ihre Kinder und befreundete Familien von Wolfe bildeten die Gäste beim Waldtag, der jeweils fröhlich auf Kosten des Waldherrn begangen wurde. Man durfte diesen um so weniger schonen, als er jedes Jahr ein wertvolles Floß aus dem eigenen Waldbesitz die Kinzig hinuntersandte.
Aber er gab es von selbst nobel, der poesievolle Seifensieder von Wolfe. In aller Frühe, während die Sonne die ersten Strahlen auf die betauten Gräser im Tal warf, fuhr er mit seinen 25 - 30 Gästen per Bahn talaufwärts.
In Schenkenzell stiegen sie aus. Hier ließ der Wald- und Festherr ein flottes Frühstück servieren, während dessen die Wagen bereitgestellt und die Pferde eingespannt wurden.
Die »Damen«, Wibervölker und ihre Kinder bekamen Chaisen, die Herren wurden auf Leiterwagen verladen.
Nun ging's fröhlichen Sinnes gen Westen ins enge Waldtal hinein und hinauf bis Kaltbrunn. Beim »Waldhüterhaus« wurde abgestiegen, und die Fußwanderung begann steil bergan durch des Festherrn Wald hinauf auf den Roßberg.
Einsam steht hier zwischen zwei Bauernhöfen, rings umgeben von Wald, eine uralte Kapelle. Das Volk erzählt sich, es sei einst eine Stadt auf dem weltfernen Roßberg gestanden und die Kapelle noch der Rest der einstigen Kirche.
Alte Volkssagen trügen selten ganz, und es mag wohl einmal eine Bergwerkstadt hier oben gewesen sein, denn Silber und Kobalt finden sich reichlich in den Bergen ringsum. Lieferten doch noch im vorigen Jahrhundert die Gruben bei Wittichen in 13 Jahren mehr als 700 000 Gulden an Silber.
Sicher ist, daß die Kapelle noch 1480 Pfarrkirche für Kaltbrunn und Reinerzau war. –
Bei diesem kleinen Heiligtum ließ Theodor, der Seifensieder, Halt machen. Seine Gäste mußten eintreten und jedes sein Scherflein in den Opferstock werfen zur Restauration des zerfallenden Kirchleins.
Der Roßberg hat aber nicht bloß diese sagenhafte Kapelle zu Ehren des hl. Wendelin, sondern auch einen merkwürdigen Bauernhof und zwar den »untern«, der württembergisch, während der »obere« badisch ist.
Mitten durch den unteren Hof ging bis vor wenig Jahren die Landesgrenze, so daß ein Teil des Hofes badisch, der andere württembergisch war. Als Grenzstein diente der Ofen.
Starb nun im Haus jemand, der katholisch war, so wurde er auf die badische Seite verbracht, starb ein Protestant, dann kam er auf die württembergische Seite. So fiel die eine Leiche dem protestantischen Pfarrer des nahen württembergischen Dorfes Reinerzau zu, die auf der badischen Seite aber wurde von dem katholischen Pfarrer in Wittichen beerdigt.
Saß ein Stromer auf der württembergischen Ofenseite und es kam ein königlicher Landjäger, so setzte er sich schnell auf die badische Seite der Ofenbank, und der Landjäger konnte ihm nichts anhaben. –
Von der Kapelle weg führte Theodor, der Seifensieder, seine Gäste in seinen Wald auf den Spielplatz, einen grünen Rasen inmitten der schönsten Tannenbäume.
Ringsum waren Sitzbänke und in der Mitte der Tanzboden.
Unter den schönen Volksweisen einer Handharmonika wurde getafelt: Schinken, Braten, Würste, Speck, Wein, Bier, Kirschenwasser, und zwischen hinein ein Tänzchen getan oder Spiele aller Art gemacht.
Was den sinnigen Festgeber doppelt ehrt, ist, daß er Buren und Bürinnen der benachbarten zwei Höfe samt ihren »Völkern«, ferner alle seine Waldarbeiter und wer sonst noch vom Tal herauf dem Festzug gefolgt war, einlud, am Feste al pari teilzunehmen.
So gestaltete sich der Tag zu einem Volksfest im Walde, und jung und alt auf und unter dem Roßberg erzählte noch lange von der Gastlichkeit des Waldherrn von Wolfe.
Am Nachmittag ging's zu Fuß über Stock und Stein, singend und jauchzend, waldab und hinaus nach Schenkenzell. Hier hatte der unermüdliche Gastgeber ein opulentes Diner bestellt von 30 - 40 Gedecken und lud dazu ein, bis alle Plätze besetzt waren.
Die Schenkenzeller Musik erschien und spielte während des Essens. Ehe die Sonne niedersank, ließ der Waldherr jeweils zur Belustigung aller Leute in Schenkenzell einen Luftballon über die Berge und Wälder hinauf in den Aether steigen. Und am Abend begleiteten die Schenkenzeller mit ihrer Musik Theodor, den Seifensieder, und seine Gäste unter Pauken- und Trompetenschall an den Bahnzug, der sie wieder talab führte nach Wolfe.
Wer sich am meisten freute, war unser Theodor, weil er viele Menschen fröhlich gemacht hatte. Und ich frage: Wo im deutschen Reiche lebte je ein Seifensieder, der solche Wald- und Volksfeste gegeben hat oder nur auf den Gedanken gekommen wäre, sie zu veranstalten? –
Die Kapelle auf dem Roßberg verdankt dem Theodor nicht nur manch Stück Geld zu ihrer Renovation, sondern auch ein neues Altarbild, eine Kreuzigungsgruppe, und sonstigen Altarschmuck.
Drum ward er auch eingeladen, als am Jörgentag des Jahres 1889 der Pfarrer von Schenkenzell, der damals auch Wittichen versah, das aus dem Staube gezogene Kirchlein einweihte.
Theodor, der Seifensieder, erschien, trotzdem der Weg ein beschwerlicher war für einen Siebziger und noch winterlich die Lüfte wehten, auf der Höhe des Roßbergs.
Der Pfarrer aber war mein Studienfreund Grämlich oder, wie er als Student hieß, »Döderlein«, einer der gutmütigsten Menschen der Welt, der in seiner Gutmütigkeit um keinen Preis Opposition gemacht hätte, selbst wenn es noch so leicht und noch so nötig gewesen wäre.
Der Döderlein war hocherfreut, als an jenem Tage Theodor, der Seifensieder, als Waldherr auf dem Roßberg erschien, und in der Freude seines Herzens nannte er den edlen Stifter Theodor in der Predigt und pries ihn und seine Anwesenheit, was der bescheidene Mann von Wolfe nicht gerne hörte.
Aber nach dem Gottesdienst lud er doch den Döderlein zu seinem auf den Roßberg mitgebrachten Frühstück ein, begleitete den guten Pastor bis Schenkenzell und bewirtete ihn dort noch einmal.
Gleich darauf wurde der Döderlein versetzt, hinunter nach dem Schapbach. Er hatte den Grundsatz, daß man mit den Wölfen heulen und mit dem Strom schwimmen müsse, drum bekam er Gegner, nicht bei den Buren, sondern anderswo.
Er wurde wider seinen Willen versetzt und starb bald darauf an stillem Gram darüber, daß er in einer Zeit gelebt, in der es schwer ist, zwei Herren zu dienen, und welche stärkere Charaktere verlangt, als der von Natur aus schwach angelegte, sonst brave und gutmütige Döderlein einer war.
Bei den Buren war er beliebt, und seinem Leichenzug folgten ganze Völker von Kinzigtälern und Schapbachern.
Und um mich, der ich in der Konviktszeit gerne mit ihm verkehrte, hatte er später ein besonderes Verdienst. Er lieferte mir, solange er auf dem hohen Schwarzwald, bei Villingen, Pfarrer war, die Preißelbeeren, jene würzige Waldfrucht, beliebt als »Beilage« zum Ochsenfleisch. –
Bis zum Jahre 1893 hielt Theodor, der Seifensieder, seine Waldfeste ab. In diesem Jahre starb sein »Oberförster«, der Gebert von Schenkenzell, welcher ihm mehr denn drei Jahrzehnte hindurch seine Waldungen besorgt hatte, und der Waldherr verkaufte seines hohen Alters halber die Forste an den Fürsten von Fürstenberg. –
In die Jahre seiner Waldfeste war noch ein viel größeres und höheres Fest gefallen, ein Fest, das zu feiern wenigen vergönnt ist.
Am Abend des 8. Januar 1888 war das ganze Städtchen Wolfe auf den Beinen.
Vom Herrengarten am Südende des Städtchens aus zog ein gewaltiger Fackelzug mit Musik durch die Hauptstraße hinauf und über die Kinzig in die Vorstadt.
Vor dem Hause des Seifen-Theodors hielt der Zug. Der Liederkranz trug den »Tag des Herrn« vor, der Bürgermeister hielt eine Rede, und dann begaben sich Deputationen aller Vereine in die Wohnung und überbrachten Wünsche und Geschenke – Theodor, dem Seifensieder, und seiner Jeannette.
Am Fenster erschien dann der Gefeierte und dankte seinen Mitbürgern für die Huldigung, die mit einem feierlichen Bankett im Herrengarten den Vorabend schloß.
In der Frühe des 9. Januar erschienen Kinder, Enkel und Verwandte und brachten ihre Wünsche und überreichten Geschenke.
Wie groß in diesem feierlichen Moment Theodor, der Seifensieder, wieder dachte, zeigt der Umstand, daß das gefeierte Ehepaar inmitten der Huldigungen, die ihm zuteil wurden, der treuen Dienerin nicht vergaß, der Nannette, die seit 25 Jahren des Hauses Köchin und Buchhalterin war und ein Wolfacher Kind ist, was schon ihr Name besagt. Sie erhielt am Festmorgen ein Ehrendiplom und eine goldene Uhr mit goldener Kette.
Jetzt erst ordnete sich der Festzug zum Kirchgang, denn es war heute – der goldene Hochzeitstag der Seifensiedersleute.
In der Kirche verlas der Pfarrer die Glückwünsche des Erzbischofs, und nach dem Gottesdienst erschien der Oberamtmann Benckiser und überreichte vom Großherzog die silberne Medaille und die Bildnisse des Landesvaters und der Landesmutter. Denn Theodor, der Seifensieder, war allzeit seit 1849 ein loyaler Untertan, Anhänger der »liberalen Sache«, der ja auch der Großherzog stets huldigte.
Im Salmen war das Festessen mit unzähligen Gedecken, bei dem aus einem goldenen Becher getrunken wurde, den das Ehepaar bei seiner ersten Hochzeit zum Geschenk erhalten hatte, hierauf war Theatervorstellung und am Abend noch ein Tanz.
Solange Wolfe steht und die Sonne übers Kinzigtal auf- und untergeht, ist noch keines Seifensieders goldene Hochzeit so begangen worden, wie die von Schangs Theodor und seiner Jeannette.
Wer aber glauben wollte, der gefeierte Seifensieder hätte bei den ihm dargebrachten Huldigungen der Armen und der Niederen vergessen, kennt unsern Mann nicht.
Am Festtag erhielten 86 Hausarme je 1 Pfund Zucker, ½; Pfund Kaffee, einen Laib Brot und eine Mark. Die Armen im Spital bekamen Wein und Brot und sämtliche Schulkinder, 280 an der Zahl, jedes eine große Brezel, wie solche in meiner Schulzeit alljährlich von der Gemeinde ausgeteilt wurden.
Die Armen zogen mit in die Kirche und die Schuljugend am Nachmittag während des Festessens vor den Salmen und brachte dem Jubelpaar in dankbarer Erinnerung an die bereits genossene Brezel ein Hoch aus.
Noch zwei Tage schlug das Fest seine Wellen im Städtle, bis es, wie alles auf der Welt, gänzlich vorüber war.
Theodor, der Seifensieder, aber setzte sich hin und schrieb wieder Erinnerungen an die Festtage und verzeichnete alle Reden, Geschenke, Gratulationen, Gedichte und Telegramme.
Man muß staunen, welche Menge von Dichtern und Dichterlingen in diesen Festtagen zu Ehren des Jubelpaares aufgetreten ist. Es regnete förmlich Gedichte. Sie reichen aber alle nicht an die poesievolle, sinnige Natur des Gefeierten hin, drum will ich keines hier anführen. –
Bald nach der goldenen Hochzeitsfeier klopfte, wie es so gerne geschieht, der Tod etwas an bei Theodor, dem Seifensieder. Da schickten ihn die Aerzte nach Kissingen, und nachdem er dreimal dort Kur gemacht, konnte er rüstig und munter am 15. November 1895 seinen achtzigsten Geburtstag feiern. Diesen beging er im Kreise seiner Altersgenossen, indem er alle Männer von Wolfe, die achtzig und darüber waren, zu einem Mittagessen in sein Haus einlud. Die ältesten waren Spitäler, wie denn überhaupt die ärmsten Leute die ältesten werden aus naheliegenden Gründen.
Anno 1897, da dieses Buch zum erstenmal erschien, war Theodor, der Seifensieder, der älteste Bürger seiner Vaterstadt und er und seine Jeannette das zweitälteste Ehepaar im Amt Wolfach-Haslach. Der »Dohlenbacherbur« in der »alten Wolfe« und seine Frau allein waren älter. Sie hatten die diamantene Hochzeit hinter sich. Theodor, der Seifensieder, aber schrieb in seine Memoiren: »Wenn uns der liebe Gott die Gnade schenkt, werden wir am 9. Januar 1898 die diamantene Hochzeit auch feiern können. Ueber dieselbe soll später an passender Stelle geschrieben werden.«
Und richtig, der Theodor sollte auch noch seine diamantene Hochzeit erleben. Denn in so hohen Jahren halten Geist und Herz den Leib aufrecht, und an beiden fehlte es dem Theodor nicht.
Er blieb noch jung in seinem Herzen und frisch in seinem Geiste. Zur Sommerszeit trug er stets eine Blume im Knopfloch; denn er war ein großer Blumenfreund. In seinem Garten, in unmittelbarer Nähe des Funkenbads, hatte er über 100 Rosenstöcke.
Oft konnten die Badegäste im Sommer einen starken, breitschultrigen, greisen Mann mit der Miene eines alten, schneidigen Generals und einem grauen, eleganten Schnurrbart in diesem Garten bei den Rosen stehen sehen.
Wenn »Damen« vorübergingen und seinen Rosenflor bewunderten, lud er sie ein und gab ihnen Rosen und Rosenbouquets. Es war Theodor, der Seifensieder, der, eingedenk seines einstigen Wahlspruchs: »Schöne Mädchen lieb ich gern –« die Wibervölker gerne mit Blumen beschenkte.
Und wenn er zur Sommers- oder Winterszeit am Nachmittag die Straße hinunterging in die Krone zum Kaffee, so sprangen ihm alle Kinder entgegen mit dem Rufe: »Gutsele-Vater«! Denn die Kleinen wußten, daß er stets seine Taschen mit Bonbons gefüllt hatte, um sie ihnen zu schenken.
Das freute den alten General, wenn er von Kindern sich umringt sah und sie ihm ihr »Vergelt's Gott« sagten. Und er meinte mit Recht, die Tausende Vergelt's Gott, die er aus Kindermund schon erhalten habe, müßten von Segen sein. –
Was mich an Theodor, dem Seifensieder, bei Durchlesung seiner Erinnerungen und der vielen Briefe, die er mir über sein Leben geschrieben, am meisten zur Bewunderung des Mannes antrieb, ist sein unverwüstlicher Optimismus.
Da findet sich, einzelne Momente im Gefängnis ausgenommen, nie eine Klage über Heimsuchungen und Schicksalsschläge. Und was hat der Mann alles mitgemacht an leiblichen und geistigen Schmerzen!
Zweimal hat er einen Arm gebrochen, zweimal den Fuß, dreimal Rippen, einmal die Achsel auseinander gefallen, öfters ist er sonst verunglückt oder war er in Lebensgefahr beim Holzflößen, beim Fuhrwerk oder im Walde beim »Holzriesen«.
Die letzten 25 Jahre seines Lebens litt er am Star, einer Familienkrankheit, und wurde öfters operiert. Später erblindete das eine Auge ganz, das andere verdunkelte sich mehr und mehr, und der brave Mann stand vor der gänzlichen Erblindung.
Das alles aber schrieb er nieder ohne jede Klage und ohne jedes Murren, und sein Humor leuchtete trotzdem noch aus allen seinen Zügen. Er glich einem General, der viele Schlachten geschlagen, viele Wunden davon getragen, aber immer gesiegt hat.
Aus den Mienen seiner getreuen Jeannette aber schaute im achtzigsten Lebensjahr ein so liebes, sinniges Großmütterle, wie ein heiterer Herbstabend nach einem langen Tage voll Sturm und Regen.
Sie las dem augenkranken Manne täglich stundenlang vor, und die Nannette besorgte ihm seine Korrespondenz, so daß ihm auch geistiger Weise nichts abging.
Was er aber der Nannette diktierte, ist klar und frisch, wie aus einem jungen Gehirn, und von Humor und lebensfrohem Sinne durchzogen.
Im Sommer saß er in seinem Rosengarten, im Winter fütterte er die hungrigen Vögel vor seinem Fenster, – alle Tage ging er noch aus, nachmittags zum Kaffee und abends zu seinem Schoppen.
Was ihn noch besonders ehrte, war sein Stolz auf sein Handwerk. Nie hat er es bereut, ein Seifensieder geworden und es fast ein halbes Jahrhundert lang gewesen zu sein. Dieser Stolz zeichnete alle alten Meister aus, darum sprach er gern von seinem »ehrbaren Handwerk«.
Und in der Tat, ein Seifensieder und Lichtermacher, der seinen Mitmenschen für Talglichter und Seife sorgt, also Licht und Reinheit in die Welt bringt, ist der menschlichen Gesellschaft mehr zum Segen und Nutzen, als mancher Universitätsprofessor, der sein Licht leuchten läßt zum religiös-sittlichen Schaden seiner Zuhörer.
Wie manches Lichtlein aber hat Theodor, der Seifensieder, im ganzen Kinzigtal leuchten lassen, den Lustigen und Fröhlichen bei Hochzeiten und Tänzen, den Durstigen beim Schoppen, den Kranken beim Leiden und Sterben!
Und wie viele schwarze Wäsche hat er mit seiner Seife rein und schneeweiß gemacht, an den Bächlein und an den Brünnelein in Berg und Tal!
Aber auch wie manchen Flözer hat er weinfröhlich gemacht bei den Flözerzechen in Willstätt!
Wie manchem Kind eine Freude bereitet durch seine »Gutsele«!
Wie manch ländlich Herz erfreut bei seinen Waldfesten!
Und mich selbst hat er anno 87 schon entzückt, da ich mit ihm an der Kinzig hin von Wolfe nach Schilte und zurück fuhr und er mir erzählte von seiner Jugendzeit, von seiner Wanderschaft, seinem Forellenfangen und seinen Jagden. Ich befand mich im August des genannten Jahres in Hofstetten, als an einem Sonntag der Präsident des badischen Fischerei-Vereins, Oberbürgermeister Schuster von Freiburg, in Hasle eine Versammlung hielt und mich einlud, ihn andern Tags nach Wolfe und Schilte zu begleiten.
Er wollte die beiden Hauptfischer, in Wolfach Theodor, den Seifensieder, und in Schiltach den Bäcker Christian Sauter besuchen.
Ich fuhr mit, und da sah ich nach vielen Jahren den Theodor zum ersten Male wieder und lernte ihn kennen als einen Mann, wie unsereiner ihn brauchen konnte.
In Schilte stellte der Bäcker Christian herrliche Forellen auf den Tisch des Ochsenwirts, und wir alle waren lustig und heiter, wie der Augusttag, der sonnig über Berg und Tal lag und selbst die düsteren Straßen von Schilte erleuchtete.
Nun sind der Oberbürgermeister und der Theodor und der Bäckermeister unter den Toten. Ich lebe noch, ein alter, schwermütiger Mann.
An jenem Tage aber dachte ich mir: »Der Theodor Armbruster ist ein Mann, der viel zu erzählen weiß und mit dem ich öfters umgehen möchte.«
Jahre kamen und Jahre gingen, wir sahen uns nimmer. Da verriet mir eines Tages im Herbst 1896 der Pfarrer Knöbel von »der alte Wolfe« in einem Briefe, Theodor, der Seifensieder, habe seine Memoiren niedergeschrieben. Alsbald ging ich daran, sie zu bekommen.
Es gelang. Ich versprach dem alten Schiffer, einen Flöz einzubinden aus den Waldbäumen seines Lebens und mit Schangs Theodor hinauszufahren ins Land.
Er hat sich dessen baß gefreut und doppelt gefreut, nachdem er als »Bachvogt« meinen Floz, d. i. mein Buch gelesen und taxiert hatte.
Ich hatte meine Leser und Leserinnen gebeten, am 9. Januar 1898 die diamantene Hochzeit vom Theodor und von der Jeannette nicht zu vergessen und ihnen mit einer Postkarte zu gratulieren. Je unbekannter der Gratulant wäre und je weiter weg er wohne, um so mehr werde es dem wackern Paar Freude machen.
Die Jubelfeier, der ich leider gesundheitshalber nicht anwohnen konnte, fand richtig am genannten Tage statt. Das ganze Städtchen beteiligte sich an derselben. Am Vorabend brachte man dem Jubelpaar einen Fackelzug mit Musik. Am Tage selbst bewegte sich ein langer, festlicher Zug der Kirche zu, um auch Gott die Ehre zu geben und den Bund aufs neue von ihm segnen zu lassen.
Im »Bad« fand das Festessen statt, während dessen von allen Seiten Glückwünsche eintrafen. Ueber 400 derselben kamen von Lesern der Waldleute, was Theodor, den Seifensieder, am meisten freute.
Er und seine Jeannette dankten einem jeden der Gratulanten mittelst einer Karte mit beider Bildnis und Faksimile-Unterschrift.
Der Großherzog von Baden ließ dem Theodor zum Jubeltag den Orden vom Zähringer Löwen überreichen.
Es waren die letzten Glücksstrahlen, die das Leben dem greisen Paar am 9. Januar 1898 in reicher Fülle zukommen ließ.
Schon im folgenden Juli holte der Tod den wackeren Seifensieder im 83. Lebensjahre. Im gleichen Alter verließ drei Jahre später seine Jeannette das Leben, nachdem sie täglich, so lange sie gehen konnte, das Grab ihres Theodor besucht hatte.
Auch die treue Nannette hat bald nach ihrer Herrschaft der Tod abgerufen. Und wenn dies Büchlein nicht wäre, würde Theodor, der Seifensieder, schon vergessen sein, selbst in seiner Vaterstadt.
Ich aber beschließe sein Andenken mit dem schönen Zunftgruß:
»Hui Seifensieder! Hui Seifensieder!«