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5.

Das Jahr 1847 hatte für Wolfe und Umgegend eine Heimsuchung gebracht, die mehr schadete, als die zwei Revolutionsjahre. Die alte Zunft der Schiffer war infolge von Verlusten und Unglück zusammengebrochen.

Die Schiffer hatten auch die Wutach, den wildesten Fluß des Schwarzwaldes, floßbar machen wollen und dabei viel Geld nutzlos ausgegeben. Bei 200 000 Gulden Schaden traf sie, und so ging die Schifferschaft zu Wolfe, die seit vielen Jahrhunderten geblüht hatte, unter. Armut war das Los fast aller Schiffer und vieler Bauern, die an ihnen verloren.

Auch der Schang, Theodors Vater, der Hollandfahrer, ward mit in den Fall hineingezogen. Da ergriff Theodor, der Seifensieder, nach der Revolution die alte Fahne der Zunft; er, der in unermüdlicher Arbeit sich Geld erworben, ließ die Schifferschaft und die Flößerei-Rechte auf der Kinzig nicht ehrlos untergehen.

Er griff den arm gewordenen Schifferherren wieder unter die Arme, gewann kapitalkräftige Genossen und rief die alte Schifferschaft wieder ins Leben.

Selbst eine neue Schifferordnung erstand, aber ganz im alten Zunftstile gehalten. Nur zwanzig Mitglieder darf die neue Zunft zählen, alle von Wolfe, und jeder, der eintritt, muß Lehre machen und Prüfung bestehen im Schifferwesen. Wer praktisch das nicht kann, was ein jeder Flözer kennen muß, darf – und das war vernünftig – nicht Mitglied der Zunft werden.

Unser Seifensieder griff zum Krempen und zur Axt und half Flöße einbinden an der Seite der Knechte, um ein zünftiger Schiffer werden zu können.

Die Flözergespanne von Wolfe, die seitdem brach gelegen und lebensmüde durch die Straßen geschlichen waren, jubelten wieder auf: der Turm-Sepple, der Grete-Hans, der Russ' und wie sie alle hießen, die lustigen Floßknechte. »Jetzt goht's bigott wieder ins Land, 's geit wieder Flözerzechen und die Logel wird wieder naß,« riefen sie, Theodor, den wackeren Seifensieder, preisend.

Hätten sie den alten Spruch gekannt, den wir kennen, sie hätten dem energischen Theodor die Hand geschüttelt mit einem: »Hui Seifensieder! Hui Seifensieder!«

Wem die neuen Schifferherren, bei denen sich auch der wohlhäbige Pariserbeck eingezunftet hatte, weniger imponierten, das waren die derben Flößerknechte von Schilte. Sie lebten der neuen Schifferschaft, die sie nicht für echt hielten, auf dem Wasser zu leid, wo sie konnten.

In seinen alten Tagen hat mir Theodor, der Seifensieder, mit Humor ein drastisches Beispiel davon erzählt, wie die Schiltacher mit dem Haupt der neuen Schifferschaft von Wolfe umgingen. Eines Tages hatten die von Schilte ein Floß in der Wolf liegen, gerade an deren Mündung in die Kinzig, die Wolfacher Schiffer aber ein solches hintendran im gleichen Bache.

Die letzteren wollten nun mit ihrem Flöz nebendurch fahren. Da machten die Schiltacher ein Gestör von dem ihrigen los, um den Weg zu versperren. Weil aber der Wolfacher Flöz schon im Gang war, fuhr er auf die losgelösten Stämme und strandete; seine Gestöre wurden zerrissen und viele Stämme zerbrochen.

Theodor, der Seifensieder, stand als Schiffer auf der nahen Kinzigbrücke, sah den Schaden seiner Zunft und rief dem Flößergespann von Schilte zu: »Schämt euch, uns solchen Schaden zuzufügen!«

Da ergriff der Obmann des Gespanns, der rote Jos, das Wort und schrie von seinem Floß aus dem Mann auf der Brücke zu: »Was wit denn dau, dau liederli Seifesiederle dau? Gang dau huam un mach' Suaf un Liâchter!«

Der Oberamtmann von Wolfe, dessen Wohnung im alten Schloß an den Fluß grenzt, hatte das Zwiegespräch gehört, und Theodor, der geschmähte Schiffer, meinte: »Ich werde dich verklagen, der Herr Oberamtmann ist Zeuge!«

Diese Kronzeugenschaft rührte dem Roten das Herz, und er kam am Abend noch ins Haus des Seifensieders und tat Abbitte, die alsbald angenommen wurde. –

Die Hollandfahrten stellte die neue Schifferschaft ein. Sie ließ ihre Flöße nur bis Kehl gehen, wo sie an Händler, die vom Rhein heraufkamen, verkauft wurden. In Kehl in der Post war der Sammelplatz aller derer, die Tannen zu verkaufen hatten, und derer, die kaufen wollten.

Auch eine andere Neuerung führte Theodor, der Seifensieder, als Schifferherr ein, die nämlich, die Frauen der Schifferzunft bisweilen zu einer Pläsierfahrt auf den Flößen mitzunehmen und ihnen Straßburg, die wunderschöne Stadt, zu zeigen.

Es wurde dann auf dem Floß für »die Damen« aus Brettern eine Art Tribüne errichtet, in der sie nach Belieben stehen, sitzen, essen und trinken und die schöne Fahrt zu Wasser mitmachen konnten, ohne naß zu werden. Denn wenn das Floß über die Deiche schoß, sprühte das Wasser gewaltig zwischen den Tannen hervor, und die Wellen überzogen oft das ganze Floß.

Mir war es in meiner Knabenzeit das höchste Vergnügen, eine solche Floßfahrt mitmachen zu dürfen. Und heute noch auf einem Floß das ganze Kinzigtal hinabfahren zu können, müßte ein Genuß sein, den die Eisenbahn nie bieten kann.

Doch die Menschen unserer Tage haben Eile, Eile, Geld zu verdienen, um das Leben »genießen« zu können. Drum pressiert's so, und sie fahren mit der Eisenbahn. –

So wie die alten Wolfacher der Schiffer- und meiner Jugendzeit den Bürgern von Hasle gegenüber die reinsten Herren und römische Senatoren waren, so stachen auch die Wibervölker von Wolfe die von Hasle weit aus an Schönheit, an Eleganz und an konventioneller Bildung. Es waren Herrenwiber und die von Hasle Burewiber.

Meine Taufpatin, die Adlerwirtin, war damals die kleinste, aber feinste und schönste Frau von Hasle, und sie war – von Wolfe. Und später, aber noch in meiner Knabenzeit, heiratete ein Neffe meiner Großmutter eine Schifferstochter von Wolfe. Die war in ihrer dunklen Schönheit und stattlichen Gestalt eine wahre Königin.

Aber es gab in Hasle auch keine Jeannetten, keine Nannetten, keine Elisen und keine Josefinen – sondern nur Johannen, Mariannen, Lisen und Seppen.

Das kam aber von »demjenigen« und war »dasjenige«, wie mein alter Hausherr, der Kaufmann Haberer in Waldshut, zu sagen pflegte, daß die Wolfacher Schiffer-, Floß- und Handelsherren, die Haslacher aber nur Bäcker, Metzger, Schuster und Schneider waren. Von jenen schönen Frauen und ihren Schifferherren, die einst auf der Kinzig gen Strasburg fuhren, erlebten das neue Jahrhundert nur der Theodor und seine Jeannette.

Wer aber glauben wollte, der Held unserer Erzählung habe als Schiffer- und Floßherr seine Seifen- und Lichtermacherei im Stich gelassen, der würde ihn schlecht kennen.

Er blieb seiner Zunft treu bis zu deren Tod und machte noch lange nach ihrer Aufhebung Seife und Lichter. Drum blieb er auch trotz seiner Flößerei im Volksmund »der Seifen-Theodor« von Wolfe.

Hatte er aber wieder Lichter und Seife genug im Vorrat, so ging's in die Wälder des oberen Kinzigtales und hinab bis nach Hasle. Der Laugenmann wurde ein Waldmann und überwachte seine Tannen, bis sie gebunden in der Kinzig lagen und seine Flözer »ins Land« fuhren.

Dann setzte er sich, wenn er nicht selbst mitfahren wollte, am andern Tag in den Omnibus und reiste gen Kehl, wo seine Tannen wieder landeten, um den Rhein hinab verkauft zu werden.

Wie treu er aber neben seiner Schifferei zur alten Handwerker-Zunft hielt, geht daraus hervor, daß er von seiner Jungmeisterzeit an bis 1862, wo die Zünfte aufgehoben, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und die Kleinhandwerker ruiniert wurden, das dritte Amt in der Zunft bekleidete, das des Zunftschreibers.

Es war eine alliierte Zunft, welcher Theodor, der Seifensieder, in Wolfe angehörte. Ihre Zunftstube hatten sie im Ochsen, und zu ihr gehörten die Weiß- und Rotgerber, die Seifensieder, die Färber, die Säckler, die Kappenmacher, die Sattler und – die Buchbinder.

Und Meister war unser Theodor nicht bloß für sich, sondern auch für andere, selbst in seiner Schifferherrenzeit. Als Schiffer hat er noch Lehrbuben in der Seifensiederei ausgebildet und darunter, was viel heißen will, zwei von Hasle, denen er heute noch bezeugt: »Es waren zwei lustige Buben, ich hatte vieles durchzumachen mit ihnen.«

Der eine war des »Cafetiers Hermann«, ein entfernter Verwandter von mir von meiner väterlichen Großmutter her.

Der Hermann, ein langer, schwarzer, lebensfroher Bursche, hatte kaum ausgelernt, als die Revolution ausbrach. Da wurde er, ohne heimzukehren, Freischärler und zwar nicht bei den Haslachern, die kein Pulver rochen, sondern bei denen, die vornen dran waren, als die Preußen kamen.

Bei Waghäusel stand er so tapfer für die Freiheit im Gefecht, daß er einen Schuß erhielt, an dessen Folgen er heute noch zu leiden hat.

Später ließ er sich in Hasle als Seifensieder nieder und zwar im Hause des großen Revolutionsmannes, des Naglers Bührer, der nach Amerika ausgewandert war.

Aber der gute Hermann, ein braver, fleißiger Meister, prosperierte – ein Zeichen, daß er mit mir verwandt ist – in seinem Geschäft nicht und mußte es aufgeben.

Tapfer, wie er war, suchte er sein Brot, wo er es fand, und wurde – Holzmacher. Von Zeit zu Zeit störten an dieser Arbeit ihn die Schmerzen seiner Wunde, die er für die Freiheit erhalten, und zum Zeitvertreib lernte er in diesen kranken Tagen das Zitherspielen und wurde darin Virtuos.

Holzmacher und Zitherspieler reimt sich zwar nicht zusammen, aber der Hermann machte es reimen, und wenn er kein Holz zu spalten hatte oder keines sägen konnte, so gab er »Zitherstunden« für Hasle und Umgegend.

Ja, heute, da er, ein hoher Siebziger, nicht mehr Holzmachen kann, lebt er nur vom Zitherspiel, und dies Spiel »beim Zachmann« gelernt zu haben, gilt in und um Hasle so viel, als wenn vor fünfzig Jahren einer gesagt hätte, er sei im Klavierspiel ein Schüler von Liszt. –

Der zweite Lehrbube Theodors, des Seifensieders, war ein Schulkamerad von mir, des »Goris Xaveri« oder, wie er im engeren Knabenkreise hieß, »der Gorile«, weil sein Vater Gregor (Gori) hieß.

Des Goriles Vater war der erste tote Mensch, den ich sah, da ich etwa fünf Jahre alt war.

Seine Mutter heiratete später einen Gendarmen; der Xaveri aber war der reichste unter uns Buben, denn er besaß 6000 Gulden »angefallenes« Vermögen.

Seifensieder geworden, gründete er ein Geschäft in Basel, wo er bald, wie sein Vater, an der Schwindsucht starb. –

Die Schifferschaft von Wolfe war zwar auch eine Zunft und eine sehr alte Zunft und trotzdem den edlen Volksbeglückern, die anno 62 die Zünfte gänzlich töteten, entgangen.

Nach wie vor übte drum die Schifferzunft von Wolfe noch einige Jahre unbeschrieen ihre Zunft-Privilegien aus. Im Jahre 1867 ereilte jedoch auch sie ihr Schicksal. Ihre alten Zunft- und Stapelrechte wurden aufgehoben und alle badischen Staatsangehörigen befugt, Holz zu kaufen, zu verkaufen und zu verflözen.

Doch der wackere Theodor forcht sich nit. Er gründete mit dem Pariserbeck ein Kompagnie-Geschäft für Holz- und Waldwirtschaft, und das betrieb er, bis der letzte Floz die Kinzig passierte. –

Das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, galt schon bei den alten Römern als Lebensweisheit, und auch Theodor, der Seifensieder, handelte darnach.

Wenn er sich mit Seifensieden, Stangen-, Rinden- und Holzhandel müde gearbeitet hatte, so spannte er aus und erholte sich auf der Jagd oder beim Fischfang.

Das Fischerrecht in der Kinzig hatten in Wolfe ehedem in sinniger Art die schulpflichtigen Knaben als Privileg. Die Revolution von 1849 nahm es ihnen, und der erste, an den die Stadt es verpachtete, war Theodor, der Seifensieder. Er trieb die Fischerei, später mit künstlicher Forellenzucht, fast ein halbes Jahrhundert.

Er und sein Freund Mathis, der Törlebeck, waren viele Jahre lang die unzertrennlichen Genossen beim Jagen und Fischen, und manch Jagdabenteuer erlebten sie, manch ein Häslein erlegten sie und manch ein Fischlein verspeisten sie.

Jagen und Fischen war unserem Theodor nur noch ein halbes Vergnügen, nachdem sein Freund frühzeitig, schon 1874, das Zeitliche gesegnet hatte.

Anläßlich des Fischens hat der Seifen-Theodor seine Heldentaten aus der Knabenzeit wiederholt und als vorzüglicher Schwimmer und Taucher zwei erwachsenen Menschen das Leben gerettet. –

Aber auch an der allgemeinen »Fidelität« und am gesellschaftlichen Leben seiner Mitbürger nahm er wesentlichen Anteil. So gehörte er lange Zeit hindurch, bis in die Mitte seiner fünfziger Jahre, zu den »Narrenvätern« der guten Stadt Wolfach, deren sie in jenen Tagen fünfe zählte: den Adlerwirt, den Schützenwirt, den Lithographen Neef und die Gebrüder Jean und Theodor Armbruster.

Damals machten die Wolfacher denen von Hasle den Rang streitig um die Palme der Narretei, während heute Hasle oben ist und Jung-Wolfe nichts mehr leistet.

Zur Zeit von Theodors Narrenvaterschaft hatten die Wolfacher eine famose Einleitung der Fastnachtszeit, die Hasle nicht kannte, und das war der sogenannte »Wohlauf«.

Der wurde am Fastnacht-Montag in aller Frühe »ausgerufen«. Narren-Väter und -Söhne sammelten sich in den buntesten Kostümen beim unteren Tor, versehen mit allerlei Instrumenten, als Trommeln, Körnern, Pfeifen, Hafendeckeln, Wasserkübeln u. a.

Die Musikanten gruppierten sich um einen Mann in weißem Hemd und weißer Zipfelkappe, der von anderen getragen wurde. Es war dies der Herold des »Wohlauf«. Unter Musik setzte sich der Zug in Bewegung durchs Städtle und Vorstädtle. An verschiedenen Hauptpunkten wurde gehalten; die Instrumente schwiegen und der Mann mit der Zipfelkappe rief:

Wohlauf im Namen des Herrn Entechrist, Antichrist.
Der Narrentag vorhanden ist.
Der Tag fängt an zu leuchten
Dem Narren, wie dem G'scheiten,
Der Narrentag, der nie versag';
Wünsch' allen Narren einen guten Tag!

Mit dem Wohlauf ward die Narrenfreiheit eingeleitet. Am Dienstag gaben dann die Wolfacher irgend ein großes Stück, ein Ritterspiel mit Turnier oder, mit Vorliebe, den Munderkinger Landsturm, und alle »Völker« aus dem oberen Kinzigtal zogen Wolfe zu, um sich an diesen Stücken zu ergötzen.

Der nicht sehr empfehlenswerte schwäbische Dialektdichter Weizmann hat bekanntlich einen Ausfall seiner Landsleute an der Donau, der Munderkinger, im Jahre 1798 persifliert.

Der Sang hebt an:

Auf, auf, ihr Bürger, stauhd ins G'wehr!
D' Franzosa rucket ei,
Se breachet scho wia's Teufels Heer
Bei isere Feldere rei.

Ihr Burger, fasset Mut und List,
Sonst goht es hinterfür,
Verkloibet 's Toar mit Dreck und Mist
Und teand da Riegel für!

Das Heldengedicht schildert dann, wie sie auszogen, die wackeren Munderkinger, der Schultheiß voran mit einem geweihten Säbel, mit der Feuerspritz, gefüllt mit heißem Wasser, und mit Büchsen, geladen mit Erbsen.

Und es schließt mit der Rede eines Burgers an sein Weib, das mit einer Lade voll Erbsen ihn begleitet, und der nach einem Fehlschuß also spricht:

Komm, Urschel, Ursula. komm, mer meand (müssen) jetzt hoi,
Mei Schiaßerei hoißt nix,
Du hollst zwoi nuie Flintastoi
Und au mei Doppelbüchs.

Des isch a Büchs, so geit's koi Büchs,
Schiar d' Erbselad goht nei.
Es fehlt ihr nu der Hah', sost nix,
No seand d' Franzose mei.

Auch das Belagerungs-Manöver bei Munderkingen, von dem gleichen Dichter, spielten die Wolfacher, und die Völker vom oberen Tal hatten ihre helle Freude daran, denn die Sprache Weizmanns und der Munderkinger ist fast gar auch die ihre, die stark »schwäbelt«.

Am Aschermittwoch Nachmittag begruben die Wolfacher die Fastnacht. Ein Strohmann wurde von vier Mann durch die Straßen getragen, und die Narren gingen hintennach. Vor dem Tore ward er in einem Acker beerdigt.

Hierauf begab sich der Zug zum Stadtbrunnen zurück, allwo die leeren ledernen Geldbeutel gewaschen wurden.

Die Narrenväter jener Tage hat Theodor, der Seifensieder, alle überlebt, und er gedachte oft wehmutsvoll der toten Freunde, die einst mit ihm so viele Jahre des Lebens Lust teilten und längst ruhten auf dem einsamen Kirchhof draußen am Wolfbach. –

Auch Mitglied und Mitgründer »des Herrengartens« war der Meister Seifensieder. Vornehmer als die Haslacher, wie sie allzeit waren, gründeten die Wolfacher 1837 eine Art Museum, wo die Herren und die besseren Bürger, vorab die Schiffer, zusammenkamen.

Es liegt dasselbe außerhalb des alten Stadttores in einem Garten und bekam den für den aristokratischen Geist der Wolfacher bezeichnenden Namen »der Herrengarten«, und sein Wirt hieß allzeit »der Herrengärtner«.

Im Jahre 1897 waren es sechzig Jahre, daß Theodor, der Seifensieder, Mitglied des Herrengartens wurde. Er hat die Mitgliedschaft auch nicht verloren, als er 1849 unter die Freischärler und Revolutionäre gezählt wurde. Er war 1897 noch der einzig Lebende aus der Gründungszeit und meint in seinen Memoiren: »Ich habe im Herrengarten viele, ja viele meiner schönsten Tage und Nächte verlebt und dort in den sechzig Jahren manche Ohm Bier getrunken.« –

Ich selber war nach dreißig Jahren, anno 95, wieder einmal im Herrengarten, fand an seinen Wänden eine große Anzahl von Bildern toter Mitglieder, die ich fast alle noch lustig und im Leben gekannt, von lebenden Gästen aus jenen Tagen nur noch den greisen Bezirksarzt Herrmann, und wehmütig ging ich wieder von dannen.

Der Herrengarten kam mir an jenem Feiertag-Nachmittag – es war Christi Himmelfahrt – vor wie eine Leichenhalle, in der ich Tote besucht. –

Aber auch in ernsten Dingen ging der Seifensieder seinen Mitbürgern voran.

In Wolfe war, so lang ich denken kann, immer ein hitziges Klima, und es brannte oft und viel. Selbst von Hasle her wurde manchmal Hilfe begehrt bei Bränden.

Mehrfach zeichnete sich dabei durch Opfermut und Tatkraft der Seifen-Theodor aus. Er drang unter Lebensgefahr durch Feuer und Rauch, um zu retten und zu helfen. Drum war er auch eifrig bemüht, eine Feuerwehr einzuführen, und gehört ebenfalls zu deren Gründern in seiner Vaterstadt.

Nachdem die Spielerei mit dem Bürgermilitär – von den Franzosen ins Badische gekommen – in der Revolution von 1849 untergegangen war, entstanden in den Städten und Städtchen die Feuerwehren, die zweifellos nützlicher und vernünftiger sind als die einstige Soldätles-Spielerei der Bürger und Handwerker. –

Als Narrenvater hatte unser Theodor durch die Wäscherei der Geldbeutel am Aschermittwoch die Erfahrung gemacht, daß es notwendig sei, auch wieder zu sparen. Drum wurde er in den fünfziger Jahren auch einer der Gründer der Wolfacher Sparkasse.

Während diese Gründung ihren Segen bloß den Wolfachern und den Buren ringsum spendet, hat unser Seifensieder noch ein anderes Institut ins Leben bringen helfen, das heute einen kleinen Weltruf hat.

Von altersher besaß Wolfe ein Mineralbad, einen Eisensäuerling. Es hieß das Funkenbad im Volksmund, der diesen Namen bildete aus dem ursprünglichen, der Junkerbad war.

Die Junker von Wolfe, einst so zahlreich wie die späteren Schiffer, hatten sich auf einer Anhöhe hinter der Stadt dies Bad angelegt. Es saßen im Mittelalter »Geschlechter« oder, wie sie später hießen, Junker genug in Wolfe, wie in Hasle, sind aber in beiden Städtchen alle längst ausgestorben.

So hausten in Wolfe zeitweilig die Edelknechte von Hademarsbach, Langenbach, von Gippichen, von Elzach und waren ansäßig die Geschlechter Schultheiß, Schöblin, Sebach, Knobloch, Lemp, Wild u. a. – so zahlreich, daß sie sich schon den Luxus eines eigenen Bades wie auch einer »Ritterstube« leisten konnten.

Die »besseren« Bürgerfamilien des Mittelalters sind in unseren Städten und Städtchen alle ausgestorben, und die heutigen »besseren Bürger« stammen überall aus dem »gemeinen, leibeigenen Volke«, das ja immer die Generationen erneuern muß, nachdem die besseren Leute in Siechtum und Wohlleben untergegangen sind.

Das »Funkenbad« wurde bis herauf in die fünfziger Jahre von auswärts nur spärlich besucht. Die berühmten und heilkräftigen Bäder der Nachbarschaft am Fuße des Kniebis überflügelten es, und das Bad der alten Junker von Wolfe sank dem Trümmerhaften zu.

Da kam 1856 aus Rippoldsau, wo er das dortige Bad umgestaltet, auf eine vorher nie gekannte Höhe gebracht und seinem Sohne übergeben hatte, Balthasar Göringer, kaufte das Funkenbad und gründete mit Theodor, dem Seifensieder, das Kiefernadelnbad.

Was im Volke schon längst lebte, der Glaube an die Heilkraft der Kiefernadeln, ergriffen die zwei Gründer und errichteten ein Heilbad mit Kiefernadelnpräparaten.

Da wurden Kiefernadelnextrakt, Kiefernadelnöl, Kiefernadelngeist, Kiefernadelnseife, Kiefernadelnwolle (ein Ersatz für Bettfedern) fabriziert und mit ihnen praktiziert.

Die Kur war für alles mögliche gut, wie alle neuen Heilmittel, und alles strömte Wolfe zu, um gesund zu werden, wie einst Juden und Heiden zum Teich Bethesda.

Ich selbst wallte, wie schon oben erwähnt, 1864 dahin und atmete Kiefernadelndämpfe ein gegen Heiserkeit.

Viele mochten Stärkung finden; wer leer ausging, waren, wie immer in der Welt, die Erfinder und Gründer, Balthasar und Theodor, welch letzterer noch Geld einbüßte.

Vor Wolfe draußen aber hatte sich in der Zeit, da ich dort vergeblich Heilung suchte, ein anderer Gründer niedergelassen, der auch in »Kiefernadeln« machte und ein Heidengeld verdiente.

In Mannheim lebte in jenen Jahren ein Kind Israels, das mit seinem Vornamen Lazarus hieß und ein Tabakgeschäft betrieb mit der Spezialität nikotinfreier Zigarren.

Zu diesem Lazarus trat ein junger, bildschöner Kaufmann ein, der durch seinen Vater, den ich gar wohl kannte, aus dem Kinzigtal stammte und trotz seiner Jugend ein schlauer, findiger Mann war.

Der wußte von dem Kiefernadeln-Sport und schlug seinem Chef Lazarus vor, in Kiefernadeln-Zigarren zu machen und mit seinen nikotinfreien Glimmstengeln Kiefernadeln-Oel in Verbindung zu bringen.

Dem Lazarus, welchem man einen guten Gedanken nicht zweimal zu sagen brauchte, leuchtete die Idee so sehr ein, daß er alsbald von Mannem nach Wolfe fuhr und den ganzen Teich Bethesda mit allem, was drum und dran war, kaufen wollte.

Die Gründer, welche damals noch von goldenen Bergen träumten, forderten aber so viel dafür, daß der Lazarus meinte, er käme zu seinem Ziel etwas billiger.

Er ging nun hin, kaufte dem Oberförster von Hetzendorf sein Gütchen zwischen Husen und Wolfe ab und richtete dort ein Etablissement ein zur Gewinnung von Kiefernadeln-Oel, mit dem sein nikotinfreier Tabak angespritzt werden sollte.

Zum Fabrikdirektor aber ernannte er den Erfinder der guten Idee. Der mauerte einen großen Kessel ein, engagierte lauter schöne Buremeidle und ließ durch sie in allen Wäldern Kiefer-Nadeln sammeln, kochte sie in seinem Kessel, schöpfte das Oel ab und sandte es, duftig wie Morgentau im Tannenwald, seinem Chef Lazarus Morgentau nach Mannem.

Der betaute mit dem Oel seinen Tabak, machte Zigarren und wickelte sie in Staniol.

Jetzt sandte er seinen Fabrikdirektor zuerst zu den Aerzten, vorab in den Universitätsstädten, legte ihnen Muster vor und ließ sich von ihnen Atteste geben, daß die Kiefernadeln-Zigarre vorzüglich sei für schwindsüchtige Raucher und für alle Bresten der Atmungsorgane.

Es regnete Zeugnisse und Empfehlungen, mit denen der junge Direktor tapfer auf Reisen ging und einen riesigen Absatz erzielte.

In jenen Tagen kamen die ersten in Staniol gewickelten Zigarren ins Kinzigtal, und der Prokurist des Lazarus, den ich damals kennen lernte, hatte seine helle Freude, wenn er sah, wie die Bauern und Bauernbursche die neumodischen Zigarren samt dem Staniol rauchten, was er ihnen noch als kraftvermehrend anriet.

Während so der gewandte Vertreter des Lazarus bald im Schweiße seines Angesichts Oel sott, bald Reisen machte, kam sein Chef auch auf eine neue Idee und erfand, was die Gründer des Kiefernadelnbades nicht erfunden: Kiefer- Nadeln-Pastillen und Kiefernadeln-Syrup.

Das dazu nötige Oel wurde ebenfalls im Kinzigtal gewonnen, Pastillen und Syrup aber in Mannem fabriziert.

Jetzt ging der Fabrikdirektor in seiner Eigenschaft als Reisender auch für diese Kiefernadeln-Präparate ins Zeug. Schlau und gerieben, wie er war, wußte er, wie man's machen muß. Er besuchte den damals berühmten Tenoristen Wachtel und die noch berühmtere Sängerin Patti und gewann sie für seinen Syrup und seine Pastillen.

Beide bezeugten ihm, daß sie vorzüglich seien gegen Heiserkeit und man singen könne, wie ein Engel, so man die Kiefernadeln-Pastillen vorher nehme.

Jetzt hatten diese Präparate noch weit mehr Absatz als die Zigarren, und es regnete Geld in das Haus des Lazarus in Mannem.

Die Mädchen, welche droben im Kinzigtal Kiefernadeln sammelten, mußten so um sich greifen in den Waldungen, daß ihnen schließlich das Sammeln verboten wurde.

Surrogate dafür anzuwenden, dazu waren der Lazarus und sein Adjutant zu – ehrlich. Außerdem haben derartige Modeartikel nicht allzu lange Zug, und so kam es, daß die Geschichte nach dreijähriger Dauer und reichem Gewinn ein Ende hatte, wie alles auf Erden, ob Schwindel oder nicht.

Der Lazarus aber zog nach Amerika, führte in New-York die Kiefernadeln-Segnungen ein und spielte dazu eine Art Wunderdoktor.

Wie es ihm ergangen, meldet keines Sängers Lied. Sein Prokurist Schweiß aber lebt heute noch in der schönen Breisgaustadt und erzählt mit Humor aus jenen lustigen Tagen, da er Kiefernadeln-Oel fabrizierte, auf Kiefernadeln-Zigarren reiste und für des Lazarus' Pastillen und Syrup die Heldentenöre und Primadonnen gewann. –

Das Funkenbad in Wolfe aber existiert heute noch in seiner Eigenschaft als Kiefernadeln-Heilquelle, und nicht bloß Deutsche, auch Franzosen, Engländer und Amerikaner weilen im Sommer in Wolfe, um Heilung zu suchen.

Seinen Besitzer hat es seitdem oft gewechselt und ist keiner ein reicher Mann geworden, weil die Wolfacher zu nobel sind und ihre Luft, ihre Kiefernadeln und ihre Diners zu billig an die Fremden verkaufen.

Aber eine Fremdenstadt ist Wolfe im Sommer, während das viel schöner und waldiger gelegene Hasle vereinsamt in den Strahlen der Sonne liegt, trotzdem das alte Kuhfleisch in Wolfe noch viel zäher sein soll als in Hasle. –

Die letzte Gründung, an der Theodor, der Seifensieder, in seiner Vaterstadt sich in erster Linie beteiligte, war die einer Realschule mit Latein; letzteres für solche, die studieren wollen.

Ich halte, so wenig ich die gute Absicht verkenne, nichts darauf, daß bald in jedem Städtle eine »bessere« Schule entsteht.

Wir haben ohnedies viel zu viel derartige Schulen und demnächst ein studiertes Proletariat, das gefährlichste von allen.

Je »gebildeter« in den Realschulen der kleinen Städte die Buben der Schuster, Schneider, Schreiner und Sattler werden, um so unlieber werden sie beim Handwerk des Vaters bleiben wollen. Sie halten sich mit der Bildung für zu gut dazu.

Bei den Söhnen der Kaufleute kommt dann noch der Einjährig-Freiwilligen-Gigel dazu. Sie bekommen dabei allerlei Gewohnheiten, die in die Kaserne und ins Offizierskasino sehr gut passen mögen, aber nicht in die Werkstätten und Bureaus der Geschäftsleute. Drum sind diese »gebildeten« Reserveleutnants meist verloren fürs eigentliche Geschäft.

Unser Theodor, der Seifensieder, hat bei seinem einfachen Volksschullehrer, den er, wenn er ihn prügeln wollte, in die Waden pfetzte, genug gelernt, um ein tüchtiger Seifensieder, ein kundiger Schiffer und ein vermöglicher Mann zu werden. Und sein Vater Schang handelte hellen Geistes bis nach Amsterdam hinunter, ohne eine Realschule besucht zu haben.

Nicht die Schule und nicht die bessere Bildung machen den Mann, sondern das Leben und der gesunde Menschenverstand, den man aber nicht auf höheren Schulen holen kann, sondern von den Windeln her mitbringen muß.


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