Heinrich Hansjakob
Erinnerungen einer alten Schwarzwälderin
Heinrich Hansjakob

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Die letzten Schwarzwälder aus der Fremde hatten das Tal passiert. Kalter Nebel lag über Wald und Weide, und eisiger Reif bedeckte am Morgen die sterbenden Gräser am Bach hin. Es war einsam und kalt geworden bei der Mühle.

Da kam eines Tages – der Bachjok und der Dillesepp standen gerade beieinander auf der Straße – aus dem Nebel heraus von Triberg her ein Mann mit einem leeren Handkarren, den er vor sich herschob.

Er war ein guter Fünfziger, blaß, bartlos mit scharfen Zügen. Auf seinem Haupte trug er einen hohen Filzhut mit einer großen, silberähnlichen Schnalle am Hutband; Kniehosen und ein langer Rock bedeckten seinen Leib.

»Da kommt, glaub' ich, der alte Löwenwirt von Triberg,« nahm der Dillesepp das Wort, als der Mann aus dem Nebel in Sehferne trat.

»Ja, der ist's,« antwortete leise der Bachjok. »Der ist auch ein armer Mann geworden ohne seine Schuld. Er wird wohl Holz holen wollen, ich geb's ihm aber billig.«

»Grüß Gott, Klaus!« rief er sodann laut dem Ankömmling zu. »Was suchst du Gutes da unten am Bach bei dem Nebel?«

»Gute Morge beisammen,« sprach der Angerufene, seinen Karren zum Stehen bringend. »Bei dir such' ich was, Bachjok, einige Dielen. Du weißt, ich treib' schon längst das Dreherhandwerk, seitdem ich um meine Sach' gekommen bin. Jetzt geht das Spinnen wieder an, und am letzten Samstag, als die Weiber aus den Bergen herab zur Wallfahrt kamen, hab' ich schon viele Spinnräder zum Reparieren bekommen. Jede pressiert mit ihrem Rad, und drum sollt' ich ein paar Dielen haben zu Trittbrettern an Spinnräder.«

»Die kannst du haben, Klaus,« erwiderte der Bachjok, »und ich geb' sie dir billig; denn ich weiß, was du mitgemacht hast an Unglück und Heimsuchung.«

»Ja, ja,« seufzte der Klaus. »Gott weiß es, ich hab' viel mitgemacht: aber man muß sich auf der Welt in alles schicken, und ich sage mit Hiob: Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, sein Name sei gebenedeit.«

»So spricht aber nicht jeder, wie du,« fiel der Bachjok ein. »Du hast ein Gottvertrauen, wie man es selten findet. Ich könnt' mich nicht so drein schicken, wenn man mir meine Wirtschaft zum Hirschen und meine Säge nähme um einiger Lumpen willen.«

»Ich dank' alle Tage Gott,« nahm der Klaus wieder das Wort, »daß er mir die Gnade gegeben hat, mich in mein Schicksal zu finden. Es wär' sonst zum Verzweifeln. Die erste Zeit konnt' ich's auch nicht, aber mein braves Weib hat mich immer wieder aufgerichtet, und jetzt bin ich ans Elend gewöhnt durch die Jahre, die darüber hingegangen sind.«

»Ja,« meinte der Dillesepp, »ich wär' auch schon längst verzweifelt, wenn des Hirschwirts Schoppen nicht wären. Die allein lassen es mich vergessen, daß ich um Hab und Gut gekommen bin.«

»Sepp, halt' dein Maul!« sprach der Bachjok. »Du bist ein leichtsinnig's Luder, du hast deine Sache versoffen und bist durch deine eigene Schuld drum gekommen; den Löwenwirt aber haben schlechte Kerle, Lumpen von deiner Sorte, ins Unglück gestürzt.«

»Ich hab' aber doch mehr davon gehabt als der Löwenwirt,« lachte der Dillesepp mit seinem roten Weingesicht. »Ich hab' meine Sache selber versoffen, ihm haben es andere besorgt.«

»Ihr seid ein glücklicher Mensch, Sepp, daß Ihr Euch so zu trösten wißt,« meinte der Löwenwirt. »Ich hab's härter genommen, und 's hat länger gedauert, bis das Unglück verschmerzt war.«

»Die Lumpen,« sprach der Bachjok, »machen sich das Leben immer am leichtesten. Unglücklich auf dieser Welt sind eigentlich nur die ehrlichen Leute, die es mit dem Leben ernst nehmen.«

»Doch, Klaus,« fuhr er fort, »jetzt wollen wir den Bretterhandel abmachen, und dann lad' ich dich ein zu einem Morgenbrot bei einer guten Flasche. Du hast mir in deinen besseren Tagen auch manchen Schoppen umsonst eingeschenkt.«

Der Bachjok trat nun mit dem Triberger Dreher auf den Platz bei der Säge und zeigte ihm seinen Vorrat an Brettern.

»Da hab' ich,« sagte er, »eine kleine Partie trockener Ware, doch ist sie ziemlich voll von Astmalen. Ich geb' sie aber um so billiger.«

»Die Aeste genieren mich nicht groß,« antwortete der Klaus, »billig ist mir die Hauptsache.«

»Ich geb' sie dir – vier Stück – um einen Gulden,« sprach der Bachjok.

»Einverstanden! Aber ich hab' keinen Heller im Sack. Du mußt mir borgen, bis ich die Spinnräder fertig habe. Ich hab' das letzte Geld, das ich für Pfeifen und Spulen gelöst, diesen Morgen hergegeben, um für meine Kinder Brot zu kaufen.«

»Klaus!« rief jetzt der wackere Bachjok, »wenn's so ist, so kosten die Dielen keinen Heller; die schenk' ich dir in dein Unglück hinein. Ich weiß, du würdest an meiner Stelle auch so handeln.«

Tränenden Auges ergriff der Klaus die Rechte des braven Mannes und sprach: »Vergelt's Gott tausendmal! Mein Weib und meine Kinder müssen am SamstagSamstag ist der Wallfahrtstag in Triberg. hinauf zur Wallfahrt und für dich beten. So hilft unser Herrgott, wenn man sich schickt in seine Heimsuchungen.«

»Bangen Herzens bin ich diesen Morgen zu dir herabgefahren und habe gefürchtet, du würdest einem armen Mann nicht borgen; denn einem Gantmann, und wäre er noch so unschuldig, borgt niemand mehr. Und jetzt schenkst du mir die Bretter. Also nochmals – vergelt's Gott tausendmal!«

»Komm, Klaus, so oft du was brauchst von mir, ob du Geld hast oder nicht – meine Säge und mein Wirtshaus stehen dir offen« – sprach der Bachjok, des armen Mannes Hand schüttelnd, und fuhr dann fort: »Der Dillesepp hilft dir jetzt die Bretter laden, und ich geh' hinüber in mein Haus und richte unser Morgenbrot. Dazu trinken wir vom Besten, auf daß du dich wieder etwas vergissest.« –

Fröhlich und weinselig fuhr eine Stunde später der arme Dreher talaufwärts, dem Städtle zu. Die Morgensonne hatte den Nebel verjagt, und licht und helle war's in Berg und Tal, wie in der Seele des Mannes, der mühsam seinen Karren bergauf zog.

Auf dem Karren aber lag ich, das Tannenkind vom Fallbach, und der den Karren schob, war dein – Urgroßvater Nikolaus Kaltenbach. –

So schloß eines Abends meine Freundin die Erinnerungen aus ihrer Jugend.

 


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