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Ich war ein kleines Weilchen allein gesessen, denn die Froschkinder hatten sich in verschiedene Richtungen zerstreut. Da erblickte ich eine lustige Fliege. Sie hatte einen breiten Kopf mit großen Augen, einen Rumpf mit sechs Beinen und vier schönen, blauen, glänzenden Flügeln, und darauf folgte ein langer, schmaler Teil. Aber glaubst du, daß das Geschöpf damit fertig war? Nein, du kannst dir nicht denken, wie wunderlich das beschaffen war. Jetzt folgte nämlich wieder ein breiter Kopf mit zwei großen Augen, ein neuer Rumpf mit sechs Beinen und vier Flügeln, die aber gar nicht so schön waren wie die ersten vier. Sie waren ganz schlicht, unansehnlich und braun. Nach dem Rumpf kam wieder ein langer, schmaler Teil – und jetzt erst war das Tier fertig.
»Du bist aber ein drolliger Kauz!« sagte ich, »wie heißt du denn?«
Das Tier antwortete nicht, sondern setzte sich auf einen Halm, der aus dem Wasser aufragte. Aber auch das tat es in sehr merkwürdiger Weise. Mit dem halben Körper ruhte es. Mit der anderen Hälfte flog es. Plötzlich begann der sitzende Teil den Halm entlang zu kriechen und den fliegenden nachzuziehen.
»Krieche nicht, krieche nicht!« rief ich erschrocken, »du wirst ertrinken, das Wasser paßt nicht für geflügelte Wesen. Denk an deine Flügel, deine schönen, glänzenden Flügel, die gehen zugrunde, und du selbst kommst um. Nimm dich in acht!«
Aber nichts half. Zuerst verschwand die eine Hälfte im Wasser und dann die andere.
»Das unverständige, törichte Ding,« dachte ich, »ja, so geht es, wenn man nicht auf guten Rat hört. Jetzt fliegst du nie wieder!«
Kaum hatte ich das gedacht, als ich das Doppelwesen wieder den Halm hinaufkriechen, seine viele Flügel ausbreiten und mit vielen merkwürdigen Schwenkungen und Hebungen und Senkungen fortfliegen sah, so als sei gar nichts passiert.
»Da siehst du's,« sagte ich zu mir selbst, »wer hat dich auch um Rat gefragt? Ein jedes versteht wohl selbst am besten, was ihm taugt und was es tun kann.« Und weißt du, ich fühlte mich wirklich ganz beschämt.
Nach einem Weilchen kam ein ebensolches kleines Doppelwesen herangeflogen. Jetzt setzte sich der braungeflügelte Teil auf ein Blatt, das im Wasser wuchs. Der blau beflügelte Teil stellte sich gerade darüber auf und wehrte sich aus allen Kräfte dagegen, ins Wasser getaucht zu werden. Nach einem Weilchen gelang es ihm auch, den braungeflügelten Teil in die Höhe zu ziehen, und dann flog das Doppelwesen wieder davon. Ich hatte diesmal ganz ruhig zugesehen, aber als ich plötzlich ein Einzelwesen erblickte, das eifrig herumflog, konnte ich nicht lassen, es zu fragen:
»Wo ist denn deine andere Hälfte?«
»Die suche ich ja eben,« war die Antwort, »hast du sie gesehen?«
»Nein,« sagte ich, »ich habe nur zwei gesehen, und die stellten sich gar zu närrisch an.«
»Was taten sie denn?« fragte die Hälfte, die blau beflügelt war, und ließ sich auf einem Blatt neben mir nieder.
»Sie stürzten sich ins Wasser und wollten sich ertränken,« sagte ich, »das andere Paar, das ich sah, war doch ein bißchen klüger, denn die tunkten sich nur ein wenig ein.«
»Ja,« sagte die blaue Hälfte und sah sich forschend um, »ja, natürlich tunkten sie sich ein.«
»Aber wer seid ihr denn eigentlich?« fragte ich.
»Weißt du das nicht? Wir sind doch Libellen, kleine Libellen!«
»Libellen?« sagte ich ganz erstaunt, »ja, du vielleicht, du kannst eine Libelle sein, aber die anderen, mit den acht Flügeln und den zwölf Beinen, das sind doch keine Libellen?«
Da lachte der Blaubeflügelte und sagte:
»Aber begreifst du denn nicht, daß du Mann und Frau zusammen gesehen hast? Ich glaubte, das wüßtest du? Ich bin ein Libellenmann, und ich suche eine Frau.«
Ich saß ganz starr vor Staunen da.
»Ja so,« sagte ich endlich und dann schwieg ich wieder.
»Hast du keine Frau gesehen?« fragte der Blaue nach einem Weilchen.
»Soll das vielleicht solch ein braunbeflügeltes Wesen sein?« fragte ich,
»Na, ja, natürlich,« sagte der Blaue ungeduldig.
»Nein,« sagte ich, »eine einzelne Frau habe ich nicht, gesehen.«
Aber nach einer Weile fragte ich:
»Warum wollen eure Weibchen sich denn ertränken und euch mitziehen?«
»Ertränken?« rief der Blaue. »Was fällt dir ein? Niemand will sich ertränken. Wenn wir so herumfliegen, wie du es eben sahst, dann sind wir auf der Suche, wo wir unsere Eier hinlegen sollen.«
Der Blaue schlug mit den Flügeln, flog auf und sah sehr wichtig und geschäftig aus.
»Die Weibchen werden doch wohl die Eier legen?« wagte ich einzuwenden.
»Natürlich,« sagte der Blaue, »aber während sie die Eier irgend einem grünen Wesen in sichere Hut geben, halten wir sie fest, die Weibchen, verstehst du, mit dieser Zange. Wir nehmen sie mit der Zange um den Hals, und dann helfen wir ihnen wieder aus dem Wasser heraus.«
Während er noch so sprach, bog er seinen langen Hinterleib zurück und zeigte mir, daß er mit einer prächtigen Zange schloß.
»Ja so,« sagte ich, »da macht ihr euch ja ganz nützlich, ihr Libellenmänner.«
»Das will ich meinen,« sagte der Blaue, indem er mit den Flügeln schlug, »das will ich meinen. Ohne uns kämen die Weibchen mit dem Eierlegen gar nicht zurecht. Nein, ganz gewiß nicht.«
»Aber sage mir,« fragte ich, »wie paßt denn das Wasserleben für eure Kinder? Wie schlagen sie sich denn durch?«
»Oh, prächtig, ganz prächtig!« sagte der Libellenmann gleichgültig. »Aber jetzt habe ich keine Zeit mehr zum Plaudern. Leb wohl, leb wohl.« Und weg war er.
Ich blieb noch ein Weilchen sitzen und dachte an die lustigen Taucherpaare und ihre Kinder, die sie im Wasser aufzogen. Plötzlich erinnerte ich mich an die Libellenkinder. Ja, natürlich, die hatte ich ja oft und oft gesehen. Und der Libellenmann hatte ganz recht – sie schlugen sich auf eigene Hand prächtig durch. Ja, sie waren sogar wegen ihres Räuberlebens weit und breit berüchtigt.
Das wunderlichste an den Libellenkindern ist nämlich ihre Lippe, ihre Unterlippe.
Hast du je eine Lippe gesehen, die sich auf Angeln dreht? Und hast du je eine so lange Lippe gesehen? Und hast du Lippen gesehen, die mit zwei scharfen Haken schließen, die sich aufeinander legen können? Hast du je solche Lippen gesehen? Solche Lippen haben nämlich die Libellenkinder. Aber nicht genug damit. Wenn ein Libellenkind will, so kann es seine lange Lippe bis auf die Brust herabhängen lassen und dann die eine Hälfte wieder hinaufziehen und übers Gesicht legen.
Ist das nicht eine wunderliche Lippe? Und weißt du, alle kleinen Bewohner des Wassers kennen und fürchten diese lange und merkwürdige Lippe. Denn wenn sie an nichts Böses denken, wird sie nach ihnen ausgeschleudert, packt sie und führt sie in den Räubermund, und von da kannst du dir wohl denken, wohin sie wandern – ja, geradewegs in den Räubermagen.
Als ich noch so dachte, ließ sich wieder ein Libellenmann neben mir nieder.
»Hör' mal,« fragte ich ihn, »wie geht es zu, daß ihr aus häßlichen, langlippigen Larvenkindern so schöne, feine geflügelte Wesen werdet?«
»Vor allem laß dir sagen,« begann der Libellenherr, »daß unsere Kinder nicht so häßlich sind, wie du sagst. Du wirst sie wahrscheinlich nicht ordentlich angesehen haben. Langlippig sind sie, das sollen alle richtigen Kinder sein, aber niemand kann sagen, daß das häßlich ist. Ach, ach, Frau Frosch, du kannst dir gar nicht denken, wie beweglich diese Lippe war, wie flink ich sie hin und herschleudern konnte, und wie rasch sie dem hungrigen Kindermagen einen guten Braten verschaffte. Ja, das war eine Lippe!
Und häßlich waren wir wirklich nicht. O nein! Unsere Vettern, die mögen vielleicht etwas plump gewesen sein, aber wir waren sogar ungewöhnlich fein und geschmeidig.«
»Ja, ja,« unterbrach ich ihn, als er gar nicht aufhören wollte, »das ist ja alles ganz schön, aber wie bist du eine Libelle geworden?«
»Ich fraß und ich wuchs, ich fraß und ich wuchs, und eines Tages wurde ich so dick, daß der alte Rock mir zu eng war. Wie wird es mir jetzt ergehen? dachte ich ängstlich. Das sollte ich bald sehen. Der Rock zersprang, barst und platzte, ich glaubte, mein letztes Stündlein sei gekommen. Aber nein, es war nicht so schlimm. Als der alte Rock in Fetzen von mir abgefallen war, merkte ich zu meinem Staunen, daß ich einen neuen, einen funkelnagelneuen, weiten, weichen und bequemen Rock unter dem alten anhatte.«
»Aber das ist ja sehr praktisch,« rief ich. »Und wie ist es dir dann ergangen?«
»Na, dann erging es mir noch mehrere Male so. Jedesmal, wenn ich zu dick wurde, platzte ich. Und jedesmal ging ich mit einem neuen Kleide aus den alten Lumpen hervor.
Den alten zerrissenen Rock warf ich weg. Aber schließlich kam es mir gar nicht mehr so merkwürdig und spaßhaft vor, meinen Rock zu wechseln.«
»Meinst du nicht Haut?« fragte ich.
»Na ja, Haut oder Rock, das ist doch gleich,« sagte der Libellenmann und fuhr dann fort:
»Da beschloß ich, etwas Hübscheres ausfindig zu machen, und so kroch ich eines Tages einen Halm hinauf und sah mich in einer ganz neuen Welt über dem Wasser um.
Und da war alles so hell und so seltsam und schön, daß ich mich gar nicht mehr entschließen konnte, wieder herunterzugehen, obgleich ich fühlte, wie ich eintrocknete, während ich so dasaß.
Ach, wenn ich doch hier oben leben könnte, wo alles so herrlich ist, dachte ich. Da hörte ich eine Stimme, die mich anrief: ›Warum so nachdenklich? Krieche doch aus deiner Haut! Wickle deine Flügel aus. Komm herauf! Fliege her, zu uns, zu mir und den andern!‹
Als ich aufblickte, sah ich eine Libelle, die erste, die ich je gesehen, ein braungeflügeltes Libellenmädchen. Ihre Flügel glänzten in der Sonne, und sie flatterte so zierlich und leicht umher, daß ich sie seither gar nicht mehr vergessen kann.«
»Ja, ja,« sagte ich, als der Libellenmann verstummte, »aber was geschah dann?«
Er antwortete nicht, sondern flog auf, flatterte unruhig suchend herum und kam dann zurück.
»Was geschah dann?« fragte ich noch einmal.
»Dann,« sagte der Libellenmann, »ja dann, dann barst ich vor Trockenheit von oben bis unten auseinander. Jetzt ist es aber wirklich mit mir aus, dachte ich, denn das war ja nicht so wie unten im Wasser den Rock zu wechseln – jetzt ist es mit mir aus. Aber das war es nicht. Ich wurde zu einem neuen Leben geboren. Denn weißt du, durch die Spalte kroch ich als ein neues und ganz anderes Geschöpf wieder heraus. Leicht ging es nicht, o nein. Es dauerte lange, bis ich alle meine Beine und Fäden aus dem alten engen, trockenen Futteral befreit hatte. Aber die ganze Zeit war es mir, als hörte ich die Stimme der Braunbeflügelten locken und rufen. Nach vielem Zerren und Ziehen saß ich endlich ganz matt auf meiner alten Larvenhaut. Und ich fühlte, wie meine Flügel wuchsen, wie mein Körper fest und stark wurde und meine Augen sich an das Sonnenlicht gewöhnten. Und ohne daß ich wußte, wie es zuging, befand ich mich plötzlich hoch oben in der Luft, fliegend, flatternd, suchend.«
»Das ist aber eine wunderliche Geschichte,« sagte ich. Doch der Libellenmann schien mich nicht zu hören, er antwortete wenigstens nicht, sondern breitete nur seine Flügel aus und verschwand.