Hans von Hammerstein
Wald
Hans von Hammerstein

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Es folgte ein klarer frischer Dezembermorgen. Garten und Dächer bereift, kalte Sonne und harter blauer Himmel, der von vielen Sonntagsglocken widerhallte. Schon am frühen Vormittag war Martha bei mir. Wir gingen zusammen aus und Arm in Arm durch die Stadt, wo geputzte Menschen die neuesten Wintermoden im kühlen heitern Licht spazieren trugen. Es war uns gleichgültig, von Leuten, die uns etwa kannten, bemerkt zu werden. Denn wir gehörten doch nun zusammen für alle Zeit.

Wir betraten die Stefanskirche, wo das Hochamt in Gang war. Durch die hohen Fenster des Chores brachen goldene Sonnenbahnen in die bläulich aufwallenden Weihrauchwolken. Wir waren hinten nah dem Haupttor geblieben. Martha kniete versunken in einer Bank. Ich stand und gab mich seligen Träumen hin, die dem duftenden Weihrauch gleich in lichten Höhen vor Glück Gebet wurden und wieder in Dämmerung niedersinkend mit wunderlichem Gekräusel irdische Dinge umwoben. Der hohe 372 Dom war mir ein steingewordener Wald, der bunte Schein der Fenster das Morgenlicht eines wundervollen Tages, das durch die Zweige schien. Und das Rauschen der Wipfel war Orgel und Gesang geworden.

Bis gegen Abend blieb Martha bei mir. Sie billigte, daß ich im Anfang der Woche um ein weniges früher, als ich es ohnedies für die Weihnachtszeit vorgehabt, nach Hause reisen wollte, um dort ein klares Bild der Lage zu gewinnen. Ich war voll Mut und Hoffnung und bereit, es mit allen Widerwärtigkeiten aufzunehmen.

Und jetzt berichtete ich ihr von meinen wundersamen Erlebnissen mit den beiden Bildern. Mit großen Augen lauschte sie in steigender Spannung, und als ich geschlossen hatte, saßen wir beide lange in tiefem Schweigen. Dann erzählte sie folgendes: Sie erinnere sich, da sie noch ein Kind gewesen, das eben begonnen habe, die Schule zu besuchen, sei eines Tages überraschend der Vater ihrer verstorbenen Mutter, ein schöner, weißbärtiger Förster, zur Waldmühle gekommen, die der Müller damals noch nicht lange besaß. Zum ersten- und auch einzigenmal habe sie den Großvater gesehen, der dem unerwünschten Schwiegersohn gram 373 gewesen, und sein Besuch habe nun wohl eine Aussöhnung bezweckt. Es sei aber sehr bald zwischen den beiden Männern vor dem Kinde zu neuem Streit gekommen, in dessen Verlauf der Alte den Müller mit Vorwürfen überhäuft und ihn auch beschuldigt habe, den Tod der Mutter durch schlechte Behandlung und Nachlässigkeit verursacht zu haben. Überhaupt sei sie viel zu fein und zart für ihn gewesen. Kein Wunder, denn seine, des Alten, Frau hätte sich, wenn sie gewollt, vornehmen Herkommens rühmen können. Dieses Wort habe ihr Eindruck gemacht, so daß sie sich dessen noch jetzt, und auch der Miene, mit der es der Alte aussprach, deutlich entsinnen könne.

Ich gedachte des alten Tauchen, der in seinem Grimm ähnliche Beschuldigungen gegen den Waldmüller erhoben hatte.

»Siehst du jetzt ein«, schloß ich unser Gespräch, »daß du in der ›Gesellschaft‹ doch was zu suchen hast?«

»Ich will es aber gar nicht suchen«, erwiderte Martha heiter. »Es genügt mir vollauf, dich gefunden zu haben. Und glaubst du«, fügte sie gedankenvoll hinzu, »daß die Mutter uns dabei geleitet hat?«

»Ich glaube es nicht nur«, versetzte ich, »es 374 ist mir klare Gewißheit. Und auch Christian Günter hat sich auf eine Art, die seinem Wesen durchaus entspricht, an ›der Gesellschaft‹ gerächt. Nun sollen die zwei Bilder nebeneinander in der Turmstube hängen. Er hat seine Gattin wieder, die vor aller Öffentlichkeit nicht mehr verheimlicht wird, und über den ›rechten Stamm‹ gibt es keinen Streit mehr.«

Kaum eine Stunde, nachdem wir Abschied genommen hatten, wurde mir ein Brief von ihr gebracht. Ich erschrak. Die Schriftzüge des Umschlages verrieten erregte Hast. Der Inhalt bestand nur aus wenigen Zeilen. Sie teilte mit, ihr Vater sei nach eben eingetroffener Nachricht plötzlich gestorben, und bat mich, sogleich zu ihr zu kommen.

Einige Minuten später schellte ich an der kleinen Gartenpforte. Eine Magd öffnete mir und führte mich ohne weiteres in ein freundlich und hell eingerichtetes Damenzimmer, wo ich Martha fand. Sie war sehr blaß und bat mich hastig in flüsterndem Ton, morgen mit ihr heimzureisen, wodurch sie eine andere, ihr unerwünschte Begleitung vermeiden könne. Sie habe die Tante schon vorbereitet. Diese trat, kaum daß wir gesprochen hatten, in das Zimmer. Ich verbeugte mich und sprach ein paar Worte der 375 Teilnahme. Sie sah in einem unordentlichen Hauskleid mit zerstörter Frisur und verwischter Schminke auf den Wangen wahrlich recht leidtragend aus, hielt sich, während sie mir die Rechte gab, mit der Linken ein stark parfümiertes Taschentuch vor die Augen und ließ sich mit einigen Ausrufen der Klage gewichtvoll in einen der zierlichen Sessel fallen. Kaum von einer Reise zurückgekehrt, habe eine solche Unglücksnachricht sie überfallen müssen, jammerte sie. Doch schien sie sich bald zu fassen und sagte, es träfe sich so gut, daß Martha mir vor einigen Tagen begegnet sei, und sie bäte mich nun, das arme Kind nach Hause zu begleiten, da sie selbst ach! so angegriffen sei und sich die beschwerliche Fahrt zu dieser Jahreszeit in solche unwirtliche Gegend durchaus nicht zumuten könne. Zwar würde gewiß ein anderer Freund des Hauses auch gerne bereit sein, diesen Liebesdienst zu übernehmen, aber Martha selbst sei es angenehmer, wenn sie sich mir anschließen könne, sofern ich nichts dagegen hätte, da ich, wie sie höre, ohnedies in den nächsten Tagen dorthin zu reisen gedächte.

Über die Umstände, unter denen der Waldmüller so plötzlich aus dem Leben geschieden sei, war nichts Näheres bekannt. Die 376 Nachricht war, offenbar wegen Störung der Postverbindung durch starken Schneefall, sehr verspätet eingetroffen.

Am nächsten Morgen reiste ich mit Martha ab. In der Station, wo wir die Bahn verließen, wartete auf uns ein Mietschlitten, den ich telegraphisch bestellt hatte.

Die Donaubreite war weiß von Schnee. Dünne Flocken zögerten durch die stille graue Luft zu Boden. Der Strom hatte die wundervolle tiefblaue Winterfarbe und führte kleine Eisschollen mit weißlichen Rändern, die knisternd an den Bug der Fähre stießen, als wir das Wasser überquerten.

Bergaufwärts kamen wir immer tiefer in den Winter. Es war eine seltsame Brautfahrt durch die stillen weißen Waldgebirge, und auch unser Glück war tief und still wie ein verschneiter Frühling.

Es dämmerte schon, als wir an dem neugebauten und inzwischen vollendeten Sägewerk des Waldmüllers vorüberkamen, das Martha noch nicht kannte. Es schien geschlossen, und alles war still umher. Vor einer der Hütten, die am Wege liegen, stand ein schwarzbärtiger Holzknecht und sah uns verwundert nach.

Nun lag in unermeßlicher Winteröde das 377 verschneite Hochland vor uns. Hohe Schneewächten mit welligen Windkämmen stauten sich wie starre Wogen zu beiden Seiten des mühsam ausgepflügten Weges. Regungslos standen die alten Fichten, alle Zweige niedergebogen unter der dicken weißen Last, die untersten ganz im Schnee versunken.

Fast lautlos glitten die Kufen. Das Schellengeläut schien in der weißen Stille zu ersticken. Tief und schneeschwer hing der graue Dämmerhimmel über dem Land, in dem kaum Wald von Fläche und ein Gebäude nur an den matt leuchtenden Fensteraugen zu unterscheiden war.

Dann hielten wir vor dem Haus, das sich der Müller am Dorfausgang gebaut hatte. Ich stieg mit Martha aus und führte sie hinein. Nur zwei Dienstboten waren anwesend. Den Waldmüller hatte man an diesem Nachmittag begraben.

Von den klagenden Hausleuten erfuhren wir, der Müller habe am Freitag sein neues Sägewerk zur Probe in Betrieb setzen lassen. Dabei sei eines der großen Schwungräder zersprungen und ihm ein Stück davon so unglücklich an den Kopf geschleudert worden, daß er auf der Stelle tot hinstürzte.

Eine Weile blieb ich bei Martha in dem 378 leeren unbehaglichen Haus, das noch voll vom schwülen Duft der Leichenfeier war. Dann fuhr ich ins Schloß.

Ich fand die Eltern mit Onkel Artur im Zimmer des Vaters um den runden Tisch versammelt. Man staunte, mich zu sehen, und nach der Begrüßung trat ein Schweigen ein, weil jeder zu viel zu sagen hatte.

Als erster begann ich und sagte, daß ich mit Martha im Schlitten heraufgefahren sei.

Der Vater, der eingesunken in seinem Lehnstuhl saß und erschreckend gealtert war, blies eine verhüllende Tabakwolke aus seinem Tschibuk. Und wieder allgemeines Schweigen.

Ich zündete mir eine Zigarette an und fragte gerade heraus, wie es mit dem Fischwald stünde.

Onkel Artur erhob sich und stellte sich vor den Ofen, wo es dunkler war. Der Vater wollte reden, aber die Mutter nahm ihm das Wort ab.

»Er ist, wie ich dir schrieb, verkauft.«

»Das Holz nämlich«, fiel Onkel Artur ein, »nicht auch der Grund. Was liegt daran? – Wir . . .«

Ich warf ihm einen Blick zu, und er schwieg sogleich.

»An wen verkauft?« fragte ich. 379

»An den Waldmüller«, versetzte die Mutter.

»Warum?«

»Weil wir ihm sehr viel Geld schuldig geworden sind und er es zurückverlangt hat. Wir konnten es anders nicht aufbringen.«

»Das heißt«, mischte sich Onkel Artur wieder drein, »weil es so auf die billigste Art zu beschaffen war.«

»Das heißt«, erwiderte ich, »weil man es früher auf teure Art beschafft hat.«

Wieder blieben alle stumm. Nur die Mutter nickte zustimmend.

»Nun ist der Müller tot«, fuhr ich fort, »und seine Tochter wird wohl die einzige Erbin sein?«

»Ja«, antwortete die Mutter. »Es ist kein Testament da, wie uns das Gericht heute mitteilte.«

»Gut«, sagte ich. »Wir haben also jetzt mit ihr zu verhandeln.«

Die Mutter: »So ist es.«

Ich: »Wir wollen das heute noch tun.«

Alle blickten auf. »Wieso?« fragte die Mutter verblüfft.

»Nun, sie ist doch hier. Ich werde jetzt hingehen und sie bitten, hierher zu kommen.«

»Was fällt dir ein«, schalt der Vater. »Das 380 ist eine Taktlosigkeit für uns und noch mehr für sie. An einem solchen Tage . . .«

»Überlasse das mir. Ich kenne sie.«

Damit erhob ich mich.

»Du willst wirklich . . .?« staunte die Mutter.

»Gewiß. In einer halben Stunde bin ich mit ihr wieder da.«

Und so geschah es.

Als ich Martha hereinführte, fand eine steife wortlose Begrüßung statt, der die Mutter indes sogleich einige schlichte herzliche Worte der Teilnahme folgen ließ. Dann bat sie Martha, Platz zu nehmen. Der Diener brachte Tee.

Ich war auf einen Sessel gelehnt stehengeblieben, und als der Diener sich wieder entfernt hatte, begann ich zu den Eltern gewendet:

»Ich habe Fräulein Martha die Verhältnisse inzwischen klargelegt und bitte sie nun, uns ihren Entschluß bekanntzugeben.«

Martha erhob sich und trat auf mich zu. Drei Augenpaare waren gespannt und bewundernd auf sie gerichtet. Da stand sie, die junge Herrin des Waldes.

Sie trug, da die eilige Abreise ihr nicht Zeit gelassen, Trauergewandung zu beschaffen, ein schlichtes schwarzes Kleid, das sie einmal bei Liedervorträgen getragen und jetzt nur des 381 Schmuckes kostbarer weißer Spitzen beraubt hatte. Nichts zierte sie als ihre junge schlanke Schönheit.

Den weißen Nacken demütig geneigt, ein Lächeln der Befangenheit um die Lippen, die großen dunklen Blicke aber voll Güte zu mir aufgeschlagen, sprach sie:

»Nimm den Wald von mir als das erste Christgeschenk meiner Liebe. Nur eines behalte ich mir vor, solang ich lebe: Es darf kein Baum darin ohne meine Einwilligung geschlagen werden.«

»Konrad!« rief die Mutter, die aufgestanden war.

»Ich versprach dir, eine Tochter ins Haus zu bringen«, sagte ich ruhig. »Hier ist sie.«

Ich wollte Martha bei der Hand nehmen und zu ihr führen. Aber sie kam ihr entgegen und schloß sie in die Arme.

Der Vater hatte staunend zugesehen. Nun erhob er sich mühsam, ging, ohne ein Wort zu sprechen, auf Martha zu, küßte sie auf die Stirn und führte dann ihre Hand an die Lippen.

Einmal gegen seine Gewohnheit ganz aus der Fassung gebracht, starrte uns Onkel Artur an. »Ich gratuliere dir«, rief er endlich, kam 382 schnellen Schrittes auf mich zu und schüttelte mir die Hand.

»Ich dir gleichfalls, lieber Onkel«, versetzte ich trocken.

»Wozu?«

»Mir scheint, du hast einmal Glück in Geschäften gehabt.«

Er stutzte und wurde rot.

»Laß es gut sein«, lachte er verlegen. »Ich werde meine Schulden an euch abzutragen wissen. Ich habe nämlich«, damit ging er wieder an den Ofen und setzte die Geschäftsmiene auf, »eine Erfindung gemacht, die großartig . . .«

»Danke!« rief ich, »danke! Ich habe selbst etwas erfunden!«

»Und das wäre?«

»Etwas, das in unseren Kreisen bisher ganz unbekannt war und doch einzig und allein Erfolg verbürgt.«

»Ich bin gespannt.«

»Die Arbeit . . . Ja, lieber Onkel, der moderne Edelmann, wie du ihn liebst und wie er sich dem Zeitalter der Industrie angepaßt hat, will nämlich Geschäfte und Erfindungen machen und Geld verdienen, um nicht arbeiten zu müssen, ich aber will arbeiten, um nicht Geld verdienen zu müssen.« 383

Die Mutter klatschte fröhlich in die Hände.

»Drum nichts mehr von Geschäften, lieber Onkel. Was uns die liebe Mutter Erde bringen kann, das werden wir ihr in ehrlichem Schweiß abringen. Im hastigen Zeitalter des Erwerbs und Verkehrs seh' ich die Aufgabe des grundbesitzenden Edelmannes in dem Bestreben, der beste, der treueste Sohn seiner Heimat zu sein, ihren heiligen Boden, ihre Schönheiten denen zu erhalten, die nach uns kommen werden. Wo jeder nur für sich arbeitet, muß er, dessen Stolz es ist, auf Geschlechter zurückzublicken, für Geschlechter wirken. Elegant sein lehren Stadt und Reichtum schnell. Unnachahmlich aber bleibt, was nur aus Natur und Stille wächst, das Vornehmsein.«

*

Martha war wieder in die Waldmühle übersiedelt, wo ich sie nun täglich besuchte oder abholte, wenn sie zu uns kam.

Am Vorabend des Weihnachtsabends, als ich noch nicht lange von dort zurückgekehrt war und mit den Eltern in Vaters Zimmer saß, rief durch die Winterstille des verschneiten Dorfes plötzlich das Brandhorn. Ich trat zum Fenster, und wie ich den Laden zurückschlug, brach eine 384 rote Helle herein. Vater und Mutter waren eilig zum Fenster gekommen, das ich öffnete. Draußen war eine stille sternklare Frostnacht. Mächtig stieg südwärts hinterm Wald die Röte auf. Die Flammenwirbel züngelten über die Wipfel empor, eine dunkelglühende Rauchsäule quoll auf und wälzte finstere Schwaden vor die Sternbilder. Die weite Schneelandschaft war wie mit Blut übergossen.

»Die neue Säge ist's!« rief ich mit dem Vater zugleich.

Eilig ließ ich den Schlitten einspannen. Der Vater wollte mit, aber wir widerrieten es ihm, und er fügte sich.

Noch lange vor der alten Feuerspritze, die mit gewaltigem Gelärm und Gelaufe schwerfällig in Bewegung gesetzt wurde, fuhr ich hinaus und fand das hölzerne Bauwerk vom Grund bis zum First in hellen Flammen. Das Holz prasselte und knallte wie eine Schlacht. Stellenweise waren die Wände schon eingestürzt, und man sah drinnen in den Flammenwirbeln weißglühende Maschinenteile stehen.

Es war ziemlich viel Volk zusammengelaufen und starrte hilflos in die Zerstörung. Mit großem Schall kam die Dorfspritze angefahren. Schwitzend trotz der schweren Kälte sprangen 385 die biedern Bürger in Helm und Feuerwehrmontur vom Schlitten und liefen durcheinanderkommandierend um den Brandherd herum. Da ließ sich nichts machen. Zudem war der Bach gefroren, und als man endlich ein Loch in die Eisdecke gehackt hatte, fror bei der geringsten Stockung das Wasser in Pumpe und Schläuchen. Man gab das vergebliche Rettungswerk auf. Die benachbarten Hütten der Holzknechte und der tiefverschneite Wald waren nicht in Gefahr.

Turmgerade stieg die Flammensäule auf, einen mächtigen Funkenwirbel in den Sternenraum stoßend.

Ich stand ein wenig abseits zwischen zwei Haufen geschichteten Holzes und hörte die Leute reden.

»Es muß gelegt sein.« Darin waren sich alle einig, und ich stimmte ihnen bei. Einige bedauerten Martha wegen des Schadens, denn der Neubau war noch nicht versichert. Ein alter Bauer meinte trocken: »Unrecht Gut gedeiht nicht.« »Der Müller selber hat's angezündet«, sagte ein anderer darauf mit bedeutungsvollem Blick. »Mit einem Scheit aus seinem Fegfeuer hat er's angezündet. – Gott geb' ihm die ewige Ruh.« Und er bekreuzigte sich. 386

Da fühlte ich plötzlich einen Arm an meiner Schulter. Ich wandte mich, und Martha stand hinter mir. Um Kopf und Schultern trug sie ein rotes Wolltuch, das ich vor Jahren wohl an ihr gesehen. Sie schmiegte sich eng an mich. »Wie gut es brennt!« sagte sie leise, und ihr Blick funkelte wie damals, als sie in das aufziehende Wetter geschaut.

Krachend brach das glühende Gerippe des Baues zusammen und nahm den Schornstein mit, der mit Geklirr in den Glutherd polterte. Ein Funkensturm prasselte in die Höhe.

»Komm!« sagte ich zu Martha, die sich fröstelnd an mich drückte. »Ich bring' dich heim.«

Ungesehen stiegen wir in den abseits stehenden Schlitten und fuhren zur Mühle, wo ich ihn nach Hause schickte.

Erst gegen Mitternacht ging ich zu Fuß heimwärts.

Keine Regung in der starren Schneewelt weit und breit. Die Sterne funkelten groß und nah.

Eben, als mich die Straße durch einen Waldstreifen führte, kam mir ein schwerer Tritt knarrend und singend im eisigen Schnee entgegen. Und ein kurzbeiniges Ungetüm, finster, struppig, aus lechzendem Rachen dampfend, sprang mir mit wahrem Höllengekläff an die Beine, um 387 alsogleich selbst erschrocken zurückzufahren und die irrtümliche Verdächtigung mit einem jaulenden Übergang des Grimmes in ergebenes Winseln und Wedeln zu vertuschen. Der Hirschmann, und hinter ihm um die hohe Schneewächte der Biegung ungewiß herandämmernd und hünenhaft wachsend der alte Tauchen.

Er schwankte ein wenig. Nun, da er meiner ansichtig wurde, riß es ihn zusammen. Er stand, starrte mich an und schwankte. Noch einmal riß es ihn zusammen. Die Hacken aneinanderklappend, was ihn beinah' zu Fall gebracht hätte, nahm er Habtacht-Stellung und lüftete den Filz. Eiszapfen hingen in den Barthaaren um seine Lippen, Hutkrempe und Rockkragen glitzerten bereift. Wie er da im nächtlichen Schneeleuchten aus dem schweigenden Wald aufragte, war er kein menschliches Wesen, war er der Dämon dieser Wälder, der Rübezahl, der alte Wanderer selbst. Nur ein höchst ungöttlicher Dunstkreis von Tabakbeize und Branntweinhauch verriet sofort, daß man es mit dem höchst menschlichen Tauchen zu tun hatte.

Er bemühte sich, so stramm zu stehen, als es der gestörte Gleichgewichtssinn gestattete, grinste vergnügt und schlau und sprach mit schwerer, stolpernder Zunge: 388

»Herr Baron – Weidmannsheil! – Weidmannsheil, sag' ich. – Man soll keine Geiß schießen – auch im Winter nicht – oder nur eine alte, galte – aber, Herr Baron –« er schwankte mir zu und nahm mich vertraulich beim Rockknopf, wozu ihm nur der Rausch den Mut geben konnte, denn sonst hielt er auf Disziplin bis zum Äußersten – »'tschuldigen schon – Herr Baron – 'tschuldigen – nit beleidigt sein – Sie, Herr Baron, haben kein' Bock g'schossen – will sagen – die Schmalgeiß – die Martha – Pardon – die Frau Baronin – Pardon – das is eine –«, er riß noch einmal den Filz herab und hielt ihn mit steifem Arm hinweg –, »da kann man nur sagen – Weidmannsheil! . . . Herr Baron, das war ein Schuß – 'tschuldigen schon – die is mehr als der Achterbock von der Schirmannsreiter Grenz'! – Herr Baron – ich bin ledig – aber ich versteh' auch was von die Weiber – ich hab' nie g'heirat – weil ich z'viel verstanden hab' von die Weiber – ich hab's gar zu gern g'habt – schier wie meine Reh' und meine Hahnen im Wald, da hab' ich's halt ein bissel überhegt, und sein mir ihrer z'viel worden – zum Heiraten.«

Er schwankte, schluckte und spuckte. Dann fuhr er fort: »Die Säg' – Herr Baron –, das 389 Feuerl heut' –«, seine Äuglein funkelten schier teuflisch vor Freude –, »so wohl is mir schon lang nix 'runtergangen –«, er strich sich über den Leib, ». . . seit dazumal im achtundvierziger Jahr bei Schäßburg – wo ich als a Plänkler vom vierten Bataillon ganz vorn hinter an Baum g'standen bin – und auf die Rebellen g'schossen hab' – wie's ang'ruckt sein – g'schossen – g'laden – g'schossen – g'laden, so schön ruhig wie im Scheibenstand – wie die purzelt sind – a Stuck an elfe seins g'wesen – seit dazumal hat mir nix so tan –.« Wieder spuckte er und trat ganz dicht vor mich hin. Mir war, er wüchse hoch über mich hinaus. Ganz leise sprach er: »Herr Baron – wann der Müller den Fischwald kriegt hätt' –, Herr Baron – beim heiligen Hubert –, den hätt' ich auch nit g'fehlt.« – Seine Blicke begannen unheimlich zu glimmen. – »Herr Baron – ich bin in d' Kirchen gangen und hab' gesagt – Herrgott, hab' ich g'sagt – wannst' jetzt nit bald nach'n Rechten schaust, dann – tu ich's –, hab' ich bet – und Sapperment, Herr Baron«, er schlug an den Lauf des umgehängten Stutzens –, »ich hätt's tan, Herr Baron – und g'fehlt hätt' ich nit – und herauskommen wär's auch nit. Und hätten's mich doch derwischt, für meinen Wald, 390 Herr Baron – wär' ich gern g'hangen.« Er schwieg einen Augenblick, beugte sich noch näher herzu, daß ich fast ohnmächtig wurde von seinem Hauch, und raunte, schlau lächelnd: »Herr Baron – ich weiß, wer die Säg' anzunden hat – ich weiß –, aber ich red' so wenig wie der Fischwald. Herr Baron können sich verlassen – der Wald und ich – wir zwei leben, weil der Müller nimmer lebt, und weil der Herr Baron die Martha – wir reden nix, Herr Baron –.«

»I nun«, warf ich fast verlegen und geärgert ein, »was willst du denn wissen, alter Tauchen! Laß deinen Rausch nit so dumm daherreden – schlaf' dir den aus heut' und kauf' dir zu den Feiertagen einen neuen.«

»Das werden wir schon machen, Herr Baron«, versicherte er. »Denn die Freud', die braucht ein' großmächtigen Rausch. – Ich weiß, was ich weiß –, und das is meine Freud' –, und daß die Säg' abbrennt ist – das is noch die größere. – Ich weiß, was ich weiß – aber ich bin stumm wie der Fischwald im Winter. – 'tschuldigen schon – Herr Baron – weil ich so eine Freud' hab' – Weidmannsheil! – Die Waldmüller-Martha – das war ein Schuß! – Das ist ein Mädel! – das wird eine Frau – eine Frau Baronin! – Ich hab's immer g'sagt 391 – wie der Müller zu dem Mädel kommen is – das weiß der Herrgott – oder der Teufel . . . eine Müllersche ist die nit!«

»Tauchen!« rief ich, »sicherlich aber ist sie eine Tochter unseres Waldes!«

Der Alte leuchtete. »Ja, Herr Baron, das ist sie! Weidmannsheil!«

Rasch wandte er sich, tat einen langen Schritt in den tiefen Schnee am Waldsaum, zog das Weidmesser aus der Hose und schnitt von einem jungen Tännling einen Bruch ab. Auf dem Hut überreichte er mir das vereiste, glitzernde Zweiglein . . . »Weidmannsheil!«

»Weidmannsdank!« Ich schüttelte ihm die Hand und steckte den Bruch auf. Dann holte ich ein Goldstück aus der Börse hervor und gab es ihm. Er verbeugte sich tief und freudig. »Gute Nacht – frohe Feiertäg'«, scholl es wechselweise hin und her. Wir schieden. Der Waldmann, der inzwischen ein wenig im Revier nachgesehen hatte, kam auf den Pfiff des Herrn wie ein Maulwurf aus den hohen Schneewächten mühsam hervorgesprungen und trollte hinter ihm her. Noch einmal wandte ich mich und sah dem Alten nach, wie er groß, gewaltig und urwaldhaft dahinschritt und in Winternacht und Winterwald gleichsam verging. 392

Ich aber setzte meinen Weg fort. Am Waldeck vor der freien weißen Fläche starrte eine alte Fichte ungewiß glitzernd wie ein riesiger Christbaum in den schwarzblauen Himmel, in die sprühenden Sterne empor. Wo sang es? – Kein Hauch regte die Wälder. Meine Tritte knarrten, die Eisenspitze meines Stockes klang im eisigen Schnee. Mein Herz klang in unmäßigem Jubel. Dennoch – ein Singen sank von den Sternen nieder, zog über das starre, flimmernde Wipfelmeer heran. Ferne, ferne Glocken? – Leiser, leiser Harfenklang?–Sternhelle, himmelsüße Kinderstimmen? – »Ehre sei Gott in der Höhe – und den Menschen auf Erden Friede . . . Friede –.« 393

*


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