Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Bei seiner Rückkehr nach Frankreich rechtfertigte der Chevalier Grammont den anderwärts erworbenen Ruf auch im Vaterland auf das beste. Beim Spiel gewandt, rührig und sorgsam in der Liebe, bei zärtlichen Verhältnissen manchmal glücklich, aber immer gefürchtet, in allen kriegerischen Vorfällen gleich gut gestimmt, war er bei günstigem Erfolg an Heiterkeit unerschöpflich, bei ungünstigem reich an Auskunftsmitteln und Ratschlägen. Dem Prinzen in aufrichtiger Zuneigung ergeben, Zeuge und, wenn man so sagen darf, Gefährte des Ruhmes, den Condé in den berühmten Schlachten von Lens, Nördlingen und Freiburg erworben, trug der Chevalier auch durch sein oft geübtes Erzählertalent nicht wenig zur Verherrlichung jener Tage bei.

Solange er bloß einige Gewissenszweifel und persönliche Vorteile zu opfern hatte, gab er alles hin, um diesem Manne zu folgen, den dringende Motive und ein teilweise entschuldbares Gefühl von Zurücksetzung aus der rechten Bahn geworfen hatten. Als das Glück Condé zum erstenmal verließ, hielt Grammont mit beispielloser Treue zu ihm. Doch als ihm der Fürst späterhin Anlaß zu Beschwerden gab, ohne daß er es bei seiner unerschütterlichen Treue verdient hätte, wandte auch er sich von ihm ab. Er befürchtete keine Vorwürfe über sein Benehmen, das sich von selbst rechtfertigte. Und wie er die königliche Sache verlassen hatte, um sich dem Prinzen anzuschließen, so gab er diesen auf, um zu seiner Pflicht zurückzukehren.

Bei Hofe war seine Wiederaufnahme bald erwirkt. Personen, die schuldbeladener waren als er, wurden, wenn sie nur wollten, wieder in Gnaden aufgenommen. Von den großen Gefahren, in denen der Staat gleich bei Anfang der Regentschaft infolge innerer Unruhen geschwebt hatte, noch erschreckt, suchte Königin Anna die Gemüter bloß durch Milde zu beruhigen. Die Politik Mazarins war weder blutdürstig noch rachsüchtig. Sein Prinzip war: eher beschwichtigen, als scharfe Mittel anwenden. Er begnügte sich damit, im Kriege nichts zu verlieren und strengte sich nicht an, über den Feind Vorteile zu gewinnen; er ließ ruhig jede üble Nachrede über sich ergehen, wenn man ihn nur ruhig Reichtümer anhäufen ließ; darum suchte er auch die Minderjährigkeit des Königs so lange als möglich auszudehnen.

Seine Habsucht beschränkte sich nicht auf die tausend Gewinnmöglichkeiten, die ihm seine amtliche Stellung bot, sein ganzes Streben war allein auf Geld gerichtet; er liebte wohl das Spiel, spielte aber nur, um zu gewinnen und mogelte deshalb, wo er konnte. Weil er bei dem Chevalier Grammont Geist und Geld fand, war dieser bald nach seinem Geschmack und sein Spielpartner. Der aber merkte die Schliche und Kniffe des Kardinals und meinte, es sei auch ihm erlaubt, die ihm von der Natur verliehenen Gaben nicht bloß zur Verteidigung, sondern gelegentlich auch zum Angriff zu verwenden.

Es wäre hier nun der Ort, etwas von seinen Spielerabenteuern zu berichten, wer aber könnte sie mit solcher Anmut und Leichtigkeit erzählen, daß sie der Erwartung derer entsprächen, die ihn selbst reden gehört haben; vergebens schriebe man seine fesselnden Vorträge Wort für Wort nieder; ihr Geist scheint sich auf dem Papier zu verflüchtigen und wie man sie auch darstellen mag, ihre Lebensfrische geht verloren. Es genüge also hier die Andeutung, daß da, wo auf beiden Seiten Spielererfahrung kämpfte, der Chevalier den Sieg davontrug. Wenn er aber den Minister nicht absichtlich gewinnen ließ, hatte er den Trost, zu sehen, wie die bloß aus Höflichkeit Verlierenden aus ihrer Kriecherei keinen großen Vorteil zogen. Sie blieben weiter sklavisch unterwürfig, während sich der Chevalier bei tausend Anlässen keinerlei Zwang antat. Wir geben einen solchen Fall:

Unter des Prinzen Condé und des Erzherzogs Kommando belagerte das spanische Heer die Stadt Arras. Der Hof hatte sich bis nach Peronne vorgewagt. Durch Einnahme jenes festen Platzes hätten die feindlichen Truppen ihren Ruhm etwas aufgefrischt. Sie bedurften dessen; denn das französische Heer war ihnen gegenüber seit längerer Zeit in beständigem Vorteil.

Die Stadt Arras wurde also heftig angegriffen. Der Kardinal sah recht gut, welche Schmach es wäre, sich diesen Platz vor der Nase und fast vor den Augen des Königs wegnehmen zu lassen. Anderseits war es sehr gefährlich, der Festung beim Entsatz zu Hilfe zu eilen. Der Prinz war nicht der Mann, der für die Sicherheit seiner Front irgend etwas aus den Augen gelassen hätte. Griff man ihn an, ohne die Linien zu durchbrechen, so hätte man sich nicht planmäßig zurückziehen können; je heftiger die Attacke, desto ungeordneter wäre der Rückzug gewesen und Condé wußte seine Vorteile sehr gut auszunützen. Weit schwächer als das feindliche Heer war die vom Marschall Turenne befehligte Armee, aber sie war die einzige Stütze des Hofes. War diese einmal geschlagen, so schien die Einnahme von Arras keineswegs das einzige Unheil, das zu befürchten war.

Das Genie des Kardinals war dort glücklich, wo es darauf ankam, sich durch zweideutige Verhandlungen aus einer schwierigen Lage zu ziehen, vor einer drohenden Gefahr, vor einem entscheidenden Ereignis schrak er zurück. Er meinte, wenn er einen anderen Platz belagern ließe, würde dessen Einnahme für den Verlust von Arras entschädigen; der Marschall Turenne jedoch dachte ganz anders als der Kardinal und faßte den Entschluß, auf den Feind loszugehen. Er setzte den Minister davon erst in Kenntnis, als er seinen Marsch bereits angetreten hatte. Der Kurier traf den Kardinal in höchster Unruhe und vermehrte noch dessen Besorgnis; aber ein Gegenbefehl war nicht mehr möglich.

Ehe ein solcher Befehl vom Hofe eintreffen konnte, hatte der Marschall, der sich durch seinen hohen Ruf das Vertrauen der Truppen gewonnen, seinen Entschluß gefaßt. Die Dinge lagen so, daß die Schwierigkeit den Ruhm noch erhöhen mußte. Wenn auch des Feldherrn Genie den Hof etwas beruhigte, so stand man doch am Vorabend einer Wendung, die so oder so allen Befürchtungen und Hoffnungen ein Ende machen mußte. Während aber die Höflinge über die Dinge, die da kommen sollten, verschieden urteilten, faßte der Chevalier Grammont den Vorsatz, sich selbst Licht zu verschaffen. Sein Entschluß überraschte den Hof nicht wenig, denn wer wie er so manche Schlacht mitgekämpft hatte, schien solchen Tatendranges enthoben; seine Freunde rieten ihm aber vergeblich ab.

Der König wußte ihm Dank dafür und die Königin schien nicht weniger damit zufrieden. Er versicherte ihr, er werde gute Nachrichten bringen. Sie versprach ihm, wenn er sein Wort halte, wolle sie ihn umarmen. Dasselbe verhieß ihm auch der Kardinal. Auf die letzte Zusage legte der Chevalier keinen großen Wert; er hielt sie aber für aufrichtig, weil sie – nichts kostete.

Bei Einbruch der Nacht reiste er mit Caseau ab, den Turenne zu den Majestäten gesandt hatte. Unter dem Marschall hatten der Herzog von York und der Marquis d'Humières das Kommando. Der letztere war gerade beim Morgengrauen im Dienste, als der Chevalier eintraf. Der Herzog von York erkannte ihn nicht sogleich, aber der Marquis d'Humières lief ihm mit offenen Armen entgegen und rief: »Ich dachte mir wohl: wenn uns bei solcher Gelegenheit jemand vom Hof besucht, kann es nur der Chevalier Grammont sein. Wie geht es in Peronne?« – »Dort hat man große Angst«, sagte Grammont. – »Und was denkt man über uns?« – »Wenn ihr den Prinzen besiegt, tätet ihr nur eure Pflicht«, sprach der Chevalier, »und wenn ihr geschlagen würdet, hielte man euch für Toren oder Dummköpfe, weil ihr ohne Rücksicht auf die Folgen alles aufs Spiel setztet.« – »Eine recht tröstliche Nachricht,« sagte d'Humières, »sollen wir dich zum Marschall führen, um sie ihm mitzuteilen, oder ziehst du vor, bei mir abzusteigen; du bist die ganze Nacht gereist und hast in der vorletzten vielleicht auch nicht viel geschlafen.« – »Wie kommst du darauf, daß ein Chevalier Grammont des Schlafes bedarf?« erwiderte dieser, »laß mir nur ein Pferd geben, damit ich die Ehre habe, den Herzog von York zu begleiten; denn er ist gewiß nur so früh auf den Beinen, um einige Posten zu inspizieren.«

Die Vorhut war nur auf Kanonenschußweite vom Feinde entfernt. Sobald sie bei ihr angelangt waren, sagte Grammont: »Ich hätte Lust, bis zur Schildwache zu reiten, die dort auf der Anhöhe aufgestellt ist. Ich habe Freunde und Bekannte auf der Gegenseite und möchte gern Nachricht über sie einholen. Der Herzog von York wird es mir gnädigst erlauben.« – Mit diesen Worten sprengte er vor. Wie die Schildwache ihn gerade auf ihren Posten zukommen sah, war sie auf der Hut. In einiger Entfernung machte der Chevalier halt. Sein Zeichen erwiderte der Posten durch ein seinem Offizier gegebenes Signal. Der hatte sich gleich bei Anrücken des Chevaliers in Bewegung gesetzt und kam gerade auf ihn zu. Weil er Grammont allein sah, machte er ihm wegen der Annäherung keine Schwierigkeiten; der Chevalier bat ihn, er möge ihm Nachricht über mehrere Verwandte in seinem Heer zukommen lassen und fragte ihn gleichzeitig, ob der Herzog von Arscot unter den Belagerungstruppen sei. – »Dort ist er soeben unter den Bäumen links abgestiegen; erst vor einem Augenblick war er mit seinem Bruder, dem Fürsten von Aremberg, dem Baron Limbec und mit Louvigny hier.« – »Könnte ich die Herren auf Ehrenwort sehen?« fragte der Chevalier. – »Wenn es mir erlaubt wäre,« sprach der Offizier, »meinen Posten zu verlassen, würde ich mir die Ehre geben, Sie selbst hinzubegleiten; aber ich will ihnen sagen lassen, der Chevalier Grammont wünsche sie zu sprechen.« Nachdem er einen seiner Reiter abgeschickt, kehrte er zurück. »Darf ich fragen, woher Sie mich kennen?« sagte der Chevalier. – »Ist's möglich,« rief jener, »Grammont erkennt den La Motte nicht wieder, der so lange in seinem Regiment gedient hat?« – »Wie, du bist es, mein armer La Motte. Wahrhaftig, ich schäme mich, daß ich dich nicht erkannte, wenn du auch ganz anders aussiehst wie damals, als ich dich zuerst in Brüssel sah, und du die Herzogin von Guise den Dreischritt lehrtest, ich fürchte, deine Lage ist nicht so gut, wie in jenem Feldzuge, wo ich dir die Kompagnie gab.« – Bei diesen Worten kam der Herzog von Arscot mit zwei der erwähnten Herren im Galopp herbeigesprengt. Der Chevalier Grammont wurde vom ganzen Trupp umarmt, ehe er Zeit zum Reden hatte. Bald kam eine Masse anderer Bekannten mit ebenso vielen Neugierigen beider Parteien; als sie den Chevalier auf der Anhöhe erblickten, drangen sie mit solcher Eile heran, daß sich die beiden Heere absichtslos ohne Waffenstillstand, ohne Hinterlist, in friedlicher Unterhaltung fast vermischten; aber der Marschall Turenne bemerkte es zufällig aus der Ferne. Das Schauspiel überraschte ihn; er kommt näher und der Marquis d'Humières teilt ihm die Ankunft Grammonts mit. Er meldet, wie dieser erst zur Vedette geritten sei, ehe er in das Hauptquartier kommen wollte und fügte hinzu, er begreife nicht, wie der Chevalier es angefangen habe, in einem Nu beide Heere um sich zu versammeln. – »In der Tat ein seltener Mensch,« sagte Marschall Turenne, »aber es ist billig, daß er uns besucht, nachdem er dem Feind die erste Visite gemacht hatte.« Mit diesen Worten sandte er einen Adjutanten ab, um seine Offiziere zurückzurufen und dem Chevalier Grammont sagen zu lassen, daß er ihn mit Ungeduld erwarte.

Dieser Befehl kam gleichzeitig mit einer Weisung für die Offiziere des feindlichen Heeres an. Von der friedlichen Zusammenkunft benachrichtigt, war der Prinz nicht erstaunt, als man ihm meldete, es sei Grammont. Condé begnügte sich, Lussan zum Zurückholen der Offiziere abzusenden und den Chevalier bitten zu lassen, er möge ihn morgen unter denselben Bäumen aufsuchen. Grammont versprach es unter der Voraussetzung der Erlaubnis des Marschalls Turenne, an der er nicht zweifelte. Bei der königlichen Armee wurde er nicht weniger freundlich aufgenommen, wie bei dem feindlichen Heere. Der Marschall schätzte seinen Freimut ebensosehr, wie er von seinem Geist entzückt war. Er wußte ihm Dank, daß er von allen Hofleuten allein gekommen sei, ihn in solch schwieriger Lage zu besuchen. Seine Fragen nach dem Hof gingen weniger auf Neuigkeiten, als sie den Wunsch zeigten, sich an einer Schilderung der dortigen Unruhen und Bedenklichkeiten zu weiden. Grammont riet ihm, den Feind zu schlagen, wenn er nicht den Vorwurf auf sich laden wolle, sich in etwas ohne Auftrag des Kardinals eingelassen zu haben. Turenne versprach ihm, sein möglichstes zu tun und verhieß ihm überdies, er werde im Falle des Gelingens dafür sorgen, daß die Königin dem Chevalier Wort halte. Er fügte bei, es sei ihm angenehm, daß der Prinz ihn zu sprechen wünsche. Seine Maßregeln zum Angriff auf die Front seien bereits getroffen. Er teilte Grammont auch alle Einzelheiten darüber mit, verschwieg ihm aber den Tag der Ausführung. Letzteres war ganz unnütz, denn der Chevalier hatte schon zu viel gesehen, um mit seiner Kenntnis und Beobachtungsgabe nicht gleich zu merken, daß sich in der momentanen Stellung die Sache nicht länger aufschieben lasse.


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