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Beinahe am Ziel.

Jenseits Kowno erheben sich die Ufer zu einer bedeutenden Höhe, und wir hatten daselbst einen tiefen Hohlweg zu passieren, in welchem unter umgestürztem Fuhrwerk aller Art auch eine Menge Kassenwagen lagen, und dieser Engpaß ward von einigen französischen Kanonen beherrscht, die noch bedient waren. Einige Juden aus Kowno hatten von diesem Schatz, wie die Raben von ferner Beute, Nachricht bekommen, und ein ganzes Rudel war plündernd über den reichen Inhalt der umgestürzten Geldwagen hergefallen und durchwühlte ihn mit gieriger Hand. Plötzlich schlugen einige Kanonenkugeln in den dichtesten Haufen, und augenblicklich ergriffen die Juden so schnell die Flucht, daß einer über den andern fiel, und sie ihr Gejammer weithin erschallen ließen. Als wir uns jedoch eine Strecke von ihnen entfernt hatten, sahen wir noch einmal zurück und gewahrten bereits einige der Beherztesten wieder in voller Schatzheberei, denen nach und nach die übrigen erst langsam, dann aber doch nachfolgten, – so sehr überwog Goldgier ihre Todesfurcht!

Die Kälte drang so fürchterlich auf uns ein, daß wir anfingen gänzlich zu erstarren; Brands Bein war infolge des genossenen Branntweins dick geschwollen, ihm die Ruhe also dringend nötig, und das arme Pferd konnte nur langsam fort. Obgleich wir an diesem Tage nur erst eine kleine Tour gemacht hatten, kehrten wir doch bei dem ersten Hause am Wege ein, ließen den Schlitten vor der Tür stehen und eilten gefühllos, wie wir in unserer Erstarrung waren, der Stube zu, ohne uns um Nahrung oder Unterkommen für unser armes Tier zu bekümmern. Brand wurde in die Nähe des geheizten Ofens hingelegt, wir andern beiden duckten uns neben ihn und träumten so ungefähr bis Mitternacht. Nun, da ich mich etwas erholt hatte, trat ich vor die Tür, um nach meinem Fuhrwerk zu sehen, aber – weg war Schlitten und Pferd, was mich hinsichtlich meines kranken Kameraden in nicht geringe Verlegenheit setzte. Ohne diesen etwas von unserem Verlust merken zu lassen, rief ich meinen Burschen, teilte ihm unser Unglück mit und fragte, was nun zu tun sei? – »Ick war 'n andern söken,« war die trostreiche Antwort des ehrlichen Westfalen, – und wirklich, als ich nach kurzer Zeit neben Brand meine Vorbereitungen zur Weiterreise traf, erschien der treue Kerl auf einen Augenblick in der Tür, nickte mit dem Kopfe und winkte zu kommen. Als wir das Haus verließen, fanden wir vor demselben einen fertigstehenden Schlitten, besser als den verlorenen; Brand wurde hineingepackt, und merkte erst jetzt, daß es nicht unser früherer war. Rasch ging es von dannen, um so rascher, als wir Einsprache des rechtmäßigen Besitzers fürchten mußten.

Als wir fast den ganzen Tag fortgeeilt waren, ohne das Geringste für unsere Nahrung gefunden zu haben, und sehr ermüdet von dem immerwährenden Laufen, gelangten wir an einen Nebenweg, auf dem sich eine frische Schlittenspur zeigte. Ich sagte Brand, daß ich entschlossen sei, von der großen Straße abzubiegen, es komme, wie es wolle, und daß ich auf diesen Nebenweg einlenken und unser Glück weiter versuchen wolle. Gesagt, getan! Nach kurzer Zeit sahen wir in einiger Entfernung aus dem Schornstein eines einsamen Gehöfts einen dünnen Rauch aufsteigen, den wir mit unbeschreiblicher Freude begrüßten; doch bemerkten wir, daß bei unserer Annäherung die Bewohner des Hauses in eiliger Flucht dem unfernen Walde zueilten. Wir ließen uns dies jedoch nicht weiter anfechten, sondern nahmen von den bequemen warmen Stuben Besitz. Hier fanden wir in dem großen Backofen, wie er in polnischen Bauernstuben zu vielfachen Zwecken sich vorfindet, eine Menge gebratener oder eigentlich gebackener Kartoffeln, denen wir mit Haut und Haar im ersten Hungertriebe zusprachen. Dann füllten wir unsere Brotbeutel, warfen dem Pferde Heu vor und füllten auch unsern Schlitten damit an, so daß Brand förmlich darin eingepackt war. Obgleich wir nur zu gerne an dem prächtigen warmen Ofen ausgeruht hätten, konnten wir dies dennoch nicht wagen, weil wir die Rückkehr unserer unfreiwilligen Wirtsleute von Stunde zu Stunde erwarten konnten, und, wie wir fürchten mußten, mit herbeigeholter Verstärkung, um uns zu vernichten.

Wir beschlossen also, auf der weiterführenden Spur fortzufahren, und hatten auch das Glück, daß wir, nachdem wir ungefähr eine Meile weit gekommen waren, an einen einsam gelegenen Kretscham gelangten, dessen Besitzer, wie gewöhnlich ein Jude, uns freundlich aufnahm. Ich hatte aus meinen früheren Zügen durch Polen mich mit dem Kauderwelsch der Kinder Israels wohl bekannt gemacht und mir dadurch schon immer ihre Freundschaft erworben; auch hier leistete mir dieser Umstand die ersprießlichsten Dienste. Der Jude war die Gefälligkeit selbst und war ganz entzückt über meine ungewöhnlichen Kenntnisse. Meine erste Frage an den Israeliten war, ob zu essen vorhanden wäre, worauf er freundlich nickend die kurze aber befriedigende Antwort gab: »Is.« Dieser Frage folgte die nach Branntwein, worauf dieselbe zufriedenstellende Antwort folgte und gleich darauf der Beweis. Hier pflegten wir uns denn einige Stunden aufs köstlichste. Unser Pferd war gleichfalls gut versorgt, wie ich durch ein kurzes Gespräch erfuhr, da ich zu bequem war, um selbst nachzusehen. Ich fragte nämlich unsern geschäftigen Juden nach dem Befinden unseres armen Rosses, worauf er kurz aber genüglich die Antwort erteilte: »Es ißt!« – Gleich darauf hörte ich die Mamme nach dem Bocher (Knaben) fragen, worauf der Tate in der üblichen Redeweise erwiderte: »Wo soll er denn sein, er sitzt in der Kammer und frißt!«

Ich erkundigte mich nun bei dem Juden nach der einzuschlagenden Straße, die er mir zwar beschrieb, doch gleich darauf setzte er hinzu, daß es unmöglich wäre, dieselbe ohne Wegweiser aufzufinden. Ich bat ihn, einen Boten herbeizuschaffen. Er versprach es auch und ging hinaus, einen solchen zu suchen. Aber nach Verlauf einer Stunde kehrte er zurück, zuckte die Achseln und sagte: »Die Kerls – ihre gewöhnliche Benennung der Bauern – wollen nicht!« Ich bat ihn, noch einmal das mögliche zu versuchen, und endlich, es mochte gegen 2 Uhr nachts sein, kehrte er zurück und sagte mir, daß sich einer der Kerls willig gefunden habe, uns zu begleiten. Nun machte ich mich in aller Stille an die Untersuchung meiner Waffen; ich selbst nahm eine Büchse wohlgeladen zu mir, und mein Bursche war mit einem blanken, schlarfgeschliffenen Hirschfänger versehen. Diese Vorsichtsmaßregeln wird man nicht unnötig finden, wenn man bedenkt, daß unsere einsame Straße durch dicke Wälder führte, in denen wir leicht überfallen oder durch einen treulosen Boten in einen Hinterhalt gelockt werden konnten. Doch, gottlob, unsere Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet; wir legten, obwohl mit Hindernissen und immer tödlicher Kälte kämpfend, glücklich unsern Weg nach Mariampol zurück, wo wir mittags gegen 2 Uhr eintrafen. Unser Bote ward bezahlt, und wir begaben uns in ein Wirtshaus, in welchem wir zwar kaum ein Unterkommen fanden, aber doch Lebensmittel die Fülle. Hier gelang es mir nur mit Not und Mühe, meinen verwundeten Gefährten fortzubekommen. Er bat mich flehentlich, länger zu verweilen; doch die Aussicht, bald die preußische Grenze zu erreichen, ließ mich nicht rasten noch ruhen, und so ging es denn in der Nacht um 2 Uhr wieder fort.

Den folgenden Tag kamen wir jedoch nur bis Ludwinowo, wo wir, unerhörte Herrlichkeit, eine Streu fanden, die uns so lockend war, daß wir zum erstenmal unsere Oberkleider, die schweren Geldkatzen, unsere Kartuschen (Patrontaschen) usw. ablegten, um der Ruhe einmal so recht aus dem Grunde pflegen zu können. Gegen zwei Uhr wachte ich zwar wieder auf und machte Lärm, aber weder der Wirt noch Brand waren zu erwecken; mir selbst gefiel die Wärme über die Maßen wohl, und so sank ich denn bei meinen vergeblichen Anstrengungen auf meine Streu zurück und bald darauf in Schlaf. Aus diesem weckte mich plötzlich ein scharfer Zugwind, der bei der Hitze des Zimmers um so empfindlicher auf mich eindrang. Durch die offenstehende Tür bemerkte ich ein Hin- und Herrennen; doch als ich eben schlaftrunken aufsprang, um nach der Ursache des Lärmens zu sehen, drang schon eine Menge russischer Soldaten in unser Zimmer, teils Kosaken, teils Husaren, alle wohlbewaffnet. Bald waren wir umringt, jeder Widerstand vergebens, alle bisherigen Anstrengungen, diesem gefürchteten Schicksal zu entgehen, also umsonst gewesen! Einer der Soldaten packte mich bei der Brust, ich stieß ihn zurück; doch ein anderer langte nach meiner glänzenden Kartusche, ein dritter nach meinem Schatze. Auf diesen Kerl stürzte ich augenblicklich los, um ihm mein Eigentum, von dem vielleicht meine ganze Zukunft abhing, zu entreißen; aber der Kosak zog seinen Säbel, ich sah die Fruchtlosigkeit meines Widerstandes ein und überließ ihm, wie ich es nicht ändern konnte, meine schöne Geldkatze. Mit einem scharfen Messer schlitzte er dieselbe auf, und als er sie ganz mit doppelten Napoleons gefüllt sah, verzog sich sein Gesicht zu einem fratzenhaften Grinsen. Dann klopfte er mir auf die Schulter mit einem oft wiederholten »Caraschol, caraschol,« und so schnell er es vermochte, verließ er die Stube, warf sich aufs Pferd und war verschwunden. Meinen Pelz hatte mir das Gesindel gleicherweise geraubt; doch war ich im Besitz meiner übrigen Kleidungsstücke und meines Mantels geblieben, und in meiner Reithose barg ich noch einen Schatz, der der ersten schnellen Plünderung entgangen war: in meinem Geldbeutel nämlich befanden sich fünf doppelte Napoleons, ein Dukaten und einiges Silbergeld, und dieses zu retten war mein einziger Gedanke. Sobald ich entschlüpfen konnte, eilte ich in den Stall und verbarg das Geld, in etwas Papier eingewickelt, hinter einem Stein an der Krippe, worauf ich in die Gaststube zurückkehrte, hier suchten und fühlten Neuangekommene an mir herum, um Uhren oder Kleinodien zu erhaschen; doch hatte ich die meinige, eine goldene Repetieruhr, unterwegs verloren, weswegen mir Brand seine einfache silberne gegeben hatte, die ich zwar nun bei mir trug, aber so gut versteckt, daß die Schufte sie nicht fanden.

Wir wurden nun in ein anderes Haus transportiert, wo sich schon mehrere Gefangene befanden; doch wußte ich mich, ehe wir abgeführt wurden, noch meines verborgenen Schatzes zu bemächtigen, den ich in der festgeschlossenen linken Hand verwahrte. An unserm neuen Aufenthaltsort fanden wir einen Unteroffizier der Husaren, welcher sich sehr anständig erwies, uns Branntwein und warme Speisen bringen ließ, dabei aber immer unsere Fingerringe betrachtete, ohne sie indessen zu fordern. Da ich dies bemerkte, forderte ich Brand auf, ihm die seinigen, wie ich es auch tun würde, als freiwilliges Opfer darzubieten: denn wir konnten uns wohl kaum die Hoffnung machen, sie zu behalten. Ein mehrmaliges »Caraschol« war unser Dank sowie eine vermehrte Aufmerksamkeit auf unsere Bedürfnisse. Wir glaubten nun jeden Augenblick transportiert zu werden; doch zu unserer Verwunderung ritten sämtliche Soldaten weg, und bald darauf erfuhren wir, daß die ganze Gegend frei von Kosaken sei.

Nun hieß es abermals, sich auf die Behendigkeit unserer Füße verlassen, wir schoben los; aber wir waren jetzt nicht mehr so glücklich, einen Schlitten zu haben. Deshalb nahmen wir Brand in die Mitte und schleppten ihn so trotz seiner schrecklichsten Schmerzen mit fort. Sobald ich mich jedoch nur etwas von meinen beiden Gefährten entfernte, glaubte der Verwundete, ich wolle sie verlassen und schrie und jammerte hinter mir her, so daß mir endlich der Geduldfaden riß und ich ihn zu allen T...... wünschte. Nun begann er nur noch mehr zu klagen, als er mich verdrießlich sah; aber man kann sich denken, wie dies ewige Rufen hinter mir her mich erboste und meine Bemühungen, einen Zufluchtsort zu entdecken, hinderte.

Endlich kamen wir zu einem Bauern, der halb deutsch, halb polnisch sprach. Er nahm uns sehr wohl auf, als ich ihm dafür Bezahlung anbot, daß wir an einem fertiggewordenen Gericht von Milch und Kartoffeln teilnehmen dürften. Wir erholten uns hier abermals von unserer Erstarrung; doch plötzlich stürmten die Kinder in die Stube und verkündeten, daß die ganze Gegend von Kosaken wimmele. Diesen folgten bald erwachsene Personen, die die tröstliche Nachricht brachten, daß ein wahres Treibjagen auf die Franzosen veranstaltet sei, und daß die Russen geschworen hätten, demjenigen das Haus über dem Kopf anzuzünden, welcher einen der Feinde verbergen würde. Umsonst bat ich den Bauern, mir zu erlauben, daß ich mich auf dem Heuboden verkriechen dürfe; doch die Frau jammerte und schrie so viel über das Unglück, das ich über sie bringen würde, daß der Mann standhaft bei seiner Weigerung blieb. Ich erklärte ihm, daß ich zu gehen bereit sei, doch würde er wohl meines Kameraden sich erbarmen, welcher, wie er wohl sähe, nicht mehr fortkomme. Leutnant Brand war noch sehr jung, das rührte das ländliche Ehepaar; der Bauer entschloß sich, ihn mittels eines russischen Schafpelzes umzugestalten, man wolle ihn bei etwaiger Nachfrage als einen Angehörigen vorstellen. Der Glückliche ward in eine Ecke am Ofen postiert, ich ließ ihm einen von meinen doppelten Napoleons und zog von dannen, dem Kretscham zu, wo sich die Gefangenen sammeln sollten.

Von hier aus wurden wir sogleich nach Ludwinowo zurücktransportiert; doch kam ich nicht wieder in den alten, mir so unheilvollen Kretscham, sondern in ein anderes Judenhaus, in welchem ich mich sofort an den Ofen zurückzog und dort in eine Ecke drückte. Gegen Morgen empfand ich heftigen Hunger, weshalb ich von meinem Olymp herabkroch und dem Kämmerchen zueilte, in welchem der Jude seinen Schrank hatte. Ich zog die Tür hinter mir zu und, mich dem Kerl nähernd, forderte ich zu essen. »As der Herr wird bezahlen Geld, wird der Herr kriegen zu essen.« Ich erwiderte ihm, daß ich zwar kein Geld, aber wohl Geldeswert besäße, worauf ich mit ihm handeln wollte, wenn er mir sagen könne, daß wir sicher vor Überraschung seien. – »Ganz sicher,« erwiderte die Kanaille, und ich, ohne Arg und Mißtrauen, zog vorsichtig meine Uhr aus ihrem Versteck und gab sie dem Kerl hin. Kaum aber hatte der Halunke dieselbe in Händen, so rief er die Kosaken, übergab ihnen meine Uhr und bezeichnete ihnen meine Person, als wahrscheinlich des Durchsuchens noch wert. Wie der Blitz drängte ich mich, Püffe rechts und links austeilend, durch den dichten Haufen, erkletterte meinen Ofen, barg mit fliegenden Händen mein letztes Hab und Gut, meine wenigen Napoleons, in eine Ritze und legte mich zum Schlafen nieder. Wie ich es befürchtet hatte, geschah es. Nach einiger Zeit machten sich einige Kosaken über mich her; doch fanden sie nichts als meine reiche goldgestickte Paradeweste, die sie an sich nahmen. Es war dies wirklich auch kein ganz schlechter Fund, da ein solches Uniformstück über 40 Taler kostete. Meine Uniform ließen sie mir jedoch großmütigerweise, und trotz meines Verlustes an Uhr und Weste war ich dennoch froh, noch so wohlfeilen Kaufs davongekommen zu sein.

Bald darauf wurden wir nach Mariampol transportiert, wo ich abermals mein Quartier aus dem Ofen nahm, aber so erschöpft vor Hunger und Kälte, daß ich kaum noch fort konnte. Da die Stadt nach dem Treibjagen, welches auf die Franzosen stattgefunden, von Flüchtigen wimmelte und jedes Haus von dem Keller bis in den Boden damit angefüllt war, zogen die Kosaken in kleinen Trupps von Quartier zu Quartier und plünderten, was sie vermochten. Auch an uns kam bald die Reihe; mir rissen sie die Reithosen vom Leibe, und einen alten neben mir befindlichen französischen ordonnateur en chef (Hauptintendanten) zerrten sie mit einer solchen Brutalität an einem neuen seidenen indischen Halstuch, daß sie ihn fast erdrosselten. Diese Roheit machte mein Blut sieden, und als ich in diesem Augenblick einen Trupp regelmäßiger Kavallerie an unserm Hause vorüberreiten sah, stürzte ich hinaus, und mit lauter Stimme mich an die Offiziere wendend, rief ich: »Meine Herren, ist ein Deutscher unter Ihnen?« Sogleich verließ ein junger Offizier das Kommando und, an mich heranreitend, sagte er: »Ich spreche deutsch, was wünschen Sie?« – »Man behandelt uns hier,« rief ich aus, »gegen Menschen- und Völkerrecht, wir sind Gefangene; aber wir können verlangen, nach dem herrschenden Kriegsgebrauch und nach den Rechten der Menschlichkeit behandelt zu werden. Ich ersuche Sie um Beistand!« – »Glauben Sie mir,« sprach achselzuckend der junge Mann, »ich empfinde tief und schmerzlich die Bitterkeit des Loses, das Ihnen zuteil geworden, aber wir vermögen Sie nicht zu schützen. Der einzige Rat, den ich Ihnen erteilen kann, ist der, halten Sie mit ihren Kameraden zusammen und suchen Sie sich Ihrer Haut zu wehren, was Ihnen vielleicht gute Dienste leisten wird; denn Sie haben es mit einer unordentlichen feigen Bande zu tun!« Er drückte mir die Hand, worauf er zu seinen Gefährten zurückkehrte, und ich ging in das Quartier, fest entschlossen, den Rat des Offiziers zu befolgen. Auf dieses hin verrammelten wir die Haustür sowie die Tür, die bei allen jüdischen Wirtshäusern dort unmittelbar aus der Stube zu dem Stall führt, und erwarteten die Dinge, die da kommen würden. Es dauerte auch nicht lange, so erschien eine neue Abteilung der Plünderer; aber wir vertrieben sie so nachdrücklich mit Besen, Knütteln und was uns zur Hand war, daß die feige Bande das Feld räumte und sich auch nicht wieder sehen ließ.

Bald darauf trat ein jüdischer Händler, gefolgt von einem Unteroffizier der Kosaken, an unser Fenster, klopfte an und rief mit lauter Stimme: »Sind hier vorhanden Westfalschicks?« Ich rief ihm ein lautes »Ja« zu und war bald draußen bei ihm. Hier erfuhr ich denn, daß mehrere Offiziere dieser Truppen in einem andern Wirtshaus beisammen wären, die den Juden beauftragt hatten, ihre Landsleute in den andern Häusern zu erfragen, damit sie vereint leichter ihr Unglück ertragen könnten. Zu meiner größten Überraschung fand ich in ihnen acht Leutnants von dem vierten Regiment, welches ich hinter Wilna getroffen hatte, unter ihnen auch meinen Freund von C....., der aber sichtlich krank und herabgekommen war. Hier blieben wir mehrere Tage; ich wechselte mit größter Vorsicht einen meiner Napoleons, so daß mir also noch drei derselben und mein Dukaten blieben, drei von vielleicht 1500 Stück, diese wenigen aber noch immer ein großer Schatz für mich!

Am Abend des zweiten Tages trat ein schöner donischer Kosak in die Stube, welcher zuerst zu mir kam, und mir die offene Hand hinhaltend, Geld verlangte; ich hielt ihm die meinige in gleicher Weise hin und sagte lachend: »Zieh mir mal ein Haar raus!« Der Soldat lachte, ging zu meinem Nebenmann, welcher gleichfalls die Achseln zuckte, worauf er uns scharf fixierte, dann den Wirt rief, uns Schnaps und Weißbrot zu geben. Hierauf griff er in die Tasche, aus welcher er einen Laubtaler herauszog, den er mir mit vieler Freundlichkeit in die Hand drückte, grüßte lächelnd, klopfte draußen noch einmal ans Fenster, und war im nächsten Augenblick im Sattel und auf und davon. Eben wollte ich meinen Gnadentaler bergen, als eine verwünschte Graumütze mit blechernem Kreuz hinter dem Ofen hervorsah, deren Eigner, ein russischer Landsturmmann, bald nachfolgte, und ohne viele Umstände trat dieser auf mich zu, reckte seine Hand aus und sprach: »Dei Franzus!« – Was wollte ich machen? Der Taler, noch nicht warm geworden in meiner Hand, wanderte sogleich in die des Russen, mein kleines Geschenk war, wie gewonnen, so zerronnen.

Bald darauf kam ein angeblich russischer Offizier zu uns, der aber deutsch sprach. Er teilte uns mit, daß er hier zu einer Art von Kommandanten ernannt sei. Sein Befehl ginge dahin, uns womöglich zu schützen, weshalb er uns hiermit aufforderte, bis morgen früh alles, was wir zu bergen wünschten, in seine Hände niederzulegen, weil er bei den starken Durchmärschen, die noch in dieser Nacht erwartet würden, sonst nicht für unser Eigentum einstehen könne. Alle waren damit einverstanden, weshalb er mich bat, eine Liste der zu übergebenden Sachen anzufertigen, die er sogleich zu sich nehmen wolle. Ich tat nach seinem Begehr, doch kam mir während des Schreibens einiger Zweifel in die Rechtschaffenheit des Mannes, und ich beschloß, mein Geld nicht herzugeben. Die übrigen gaben nicht allein ihre Barschaft, sondern auch ihre Kleinodien und ihre Orden; doch als die Reihe nun an mich kam und ich nichts beifügte, sagte der Russe ganz verwundert zu mir: »Und Sie haben nichts?« – »Nein,« antwortete ich, »ich habe nichts,« schloß ganz unbefangen mein Verzeichnis, fertigte ein Duplikat für den Juden, welches derselbe unterzeichnen mußte, und unser Offizier zog mit den eingesammelten Schätzen ab, bei seinem Weggang das Versprechen gebend, daß am folgenden Tage vier regelmäßige Dragoner zu unserer Eskorte nach Preny bereit sein sollten, und er mit ihnen wiederkommen würde. Aber als die festgesetze Stunde zu unserm Aufbruch heranrückte, erschienen weder Kommandant noch Dragoner – meine Kameraden waren auf die niedrigste Art um den letzten Rest ihres Eigentums geprellt!

Dagegen fanden sich nach Verlauf einiger Stunden unregelmäßige Kosaken und Baschkiren zu unserm Transport ein, die für die Offiziere zu vier und vieren kleine Schlitten stellten. Doch es dauerte lange, ehe wir zum Aufbruch kamen. Mittlerweile, da das Plündern so gut ging, wollte jeder etwas davon abbekommen; das Landvolk, der Pöbel, die Juden mengten sich auch schon in dies Geschäft, und als wir in die Schlitten einstiegen, waren wir von einem ganzen Schwarm solcher hungrigen Raben umgeben. Zu mir kam zu seinem Unglück ein großer, stämmiger Sohn Israels und versuchte einen Griff nach meiner Brusttasche; doch kaum hatte er die Hand an mich gelegt, als ich, schon wütend gemacht durch den langen, nutzlosen Aufenthalt in der tödlichen Kälte und unsere wahrlich nicht beneidenswerte Lage, mich erhob und, unbekümmert um die Folgen, dem frechen Kerl eine Ohrfeige gab, daß er sich ein paarmal im Kreise drehte, ehe er in den Schnee niederstürzte und ihn alsbald mit seinem Blute färbte, das ihm aus Nase und Mund hervordrang. Statt daß die Kosaken sich seiner angenommen und ihn an mir gerächt hätten, wollten sie sich vor Lachen fast ausschütten; ihre lebhaften Gebärden drückten die größte Zufriedenheit mit meiner Handlungsweise aus, und einer erzählte dem andern mit sichtlichem Vergnügen den köstlichen Spaß. Wahrscheinlich mochten sie des Juden Beginnen als einen Eingriff in ihre Privilegien und daher meine kategorische Bestrafung desselben als ein ihrem Sinne ganz entsprechendes, richterliches Verfahren ansehen.

Gegen Abend wurden wir in einem Dorfe bei den Bauern einquartiert, nachdem unser Weg den ganzen Tag über durch lauter Wald geführt, in welchem wir einigen Schutz vor der schneidend scharfen Luft gefunden hatten. Da mir in Mariampol auch Mantel und Überrock genommen waren, so hatte ich einen russischen Schafpelz erhandelt, welchen ich über meine Uniform gezogen hatte, und der mir nun einigermaßen die verlorenen Kleidungsstücke ersetzte. Wie ich stets auf meiner Hut war, kroch ich, als in unserm Nachtquartier die Streu bereitet worden, dicht unter die Ofenbank und bedeckte mich dick mit Stroh. Ich wußte nämlich, daß die Bauern jetzt mehr zu fürchten waren als bisher die plündernden Kosaken, da sie die Beraubten, sobald nur irgend Widerstand versucht wurde, ohne weiteres totschlugen. Richtig erwachte ich in der Nacht von einem wilden Spektakel, der in der Stube los war, und als ich mich vorsichtig nach der Ursache desselben umsah, entdeckte ich einige Bauern in Begleitung eines Kosaken, die meine Kameraden auszogen. Bei dem ungewissen Schein eines trüben Lichts, welches draußen auf dem Flur brannte, blieb ich von ihnen unentdeckt und daher glücklicherweise im Besitz meiner Kleidungsstücke.


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