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Heliade mußte sogleich reiten lernen, um den Grafen auf seinen Streifzügen zu begleiten. Er besuchte seine Pächter, er behandelte sie menschlich, er preßte nicht die Pacht bis zum letzten Heller aus, wenn der Mann irgendwie in Rückstand war. Er riß ihm nicht die Hütte über dem Kopf ein und jagte ihn nicht weg ohne Kündigung und auf der Stelle, sobald irgend eine kleine Differenz zwischen ihnen stattfand. Er war unbeschreiblich geliebt – schon deshalb, weil er, wenn er nicht auf großen Reisen war, immer auf Arran Castle und zwischen ihnen Allen lebte.

»Nun sind Eure Herrlichkeit Gott Dank wieder da,« sagte einer der ältesten Pächter, den der Graf einmal besuchte; »nun ist der Sonntag wieder ein rechter Freudentag.«

»Und warum das?« fragte der Graf, der sich nicht bewußt war, am Sonntag irgend etwas für den alten Mann gethan zu haben.

»Da kommt vom Schloß her der Wagen gefahren zum Hochamt und zur Vesper – und Eure Herrlichkeit und Mylady sind mit uns Allen vor dem Herrn der Heerschaaren und vor seinem Tabernakel vereinigt,« war die Antwort.

»Wie schön, daß die Kirche uns Alle unter ihre Flügel nimmt,« erwiderte der Graf.

»Und daß man hier zu Lande einen so hohen Werth darauf legt, sie zum wahren Mittelpunkt für Alle zu haben,« setzte Heliade hinzu.

»Wenn Eure lieblichen Gnaden »Your lovely Honour« – häufige Anrede des gemeinen Mannes Damen gegenüber. länger im Lande sein werden, so werden Sie schon sehen, daß der Ire in seiner Kirche Wurzel fassen muß, weil ihm kein anderer Boden gelassen ist,« sagte der Alte.

Heliade fühlte sich mehr und mehr als eine O'Connor in diesem Lande, zwischen diesem Volk und bei ihren Wohlthätern. Sie lernte die irische Harfe spielen; sie trug, wenn sie bei schlechtem Wetter ausging, den rothen Mantel der irischen Frauen, und zog sie dessen Capuze über den Kopf, so strahlten ihre schönen keltischen Augen aus der rothen Umhüllung hervor wie ein Paar Abendsterne aus dem Abendroth. Sie war für Lord und Lady Arran zärtlich wie eine Tochter, aufmerksam wie eine Dienerin, demüthig wie ein Pflegekind. In der liebevollen Umgebung kam die frische Energie ihres Charakters zur Geltung und Lady Arran überließ ihr gern in tausend kleinen Vorkommenheiten des häuslichen Lebens bald die Initiative, bald die Ausführung.

»Ich kann gar nicht an den Augenblick denken, wo wir Heliade an Mistriß O'Connor zurückgeben müssen,« sagte Lady Arran eines Tages zu ihrem Mann. »Mit ihr ist wieder die Jugend, die so lieblich ist, wenn sie unschuldig ist, aus Arran Castle eingezogen – und wir haben in unsern alten einsamen Tagen ein Stückchen Frühling durch Heliade.«

»Gott läßt den Wind warm wehen, wenn das Lamm geschoren ist – spricht die heilige Schrift,« antwortete der Graf bewegt. »Das trifft für uns und für Heliade zu. Nachdem ihr und uns Alles genommen war, führt uns dieselbe Hand ersatzbietend zusammen. Und darum denke ich, daß wir zwar mit Heliade Rom und Mistriß O'Connor besuchen – aber auf die Dauer sie behalten werden. Ein solches Mädchen und später eine solche Frau können wir in Connaught brauchen.«

»Sie wäre wirklich nicht auf ihrem Platz bei ihrer Großmutter – obschon ich glaube, daß sie auf jedem Platz vortrefflich sein würde,« sagte Lady Arran. »Aber Mistriß O'Connor hat sich ihr Leben so eingerichtet, daß sie die Enkelin in keiner Weise entbehrt, während Heliade in dieser halb klösterlichen Existenz wohl nicht ihren Beruf findet.«

»Das gebe Gott!« erwiderte der Graf; »sie schaut mir zuweilen dermaßen über die Welt hinweg, daß mir ganz bange wird, ob sie nicht etwa in ihrer Art den Weg einschlägt, den unsere Söhne nahmen.«

»In unserm Krankenhause geht sie den Schwestern der Vorsehung zur Hand wie eine eifrige Novize und ihre Andacht zum allerheiligsten Altarssacrament ist oft ein rührender Vorwurf für mein altes, kaltes Herz.« . . . –

»Nein, Magdalene!« unterbrach der Graf sie lebhaft, »Verleumdungen dulde ich nicht! Ein Herz wie das Deine wird nie alt und nie kalt.«

Lady Arrans sanftes Auge wurde noch sanfter, als sie ruhig fortfuhr:

»Und dennoch meine ich, daß Heliade nicht den Klosterberuf habe, denn sie betrachtet die Welt nicht als Etwas, wodurch sie sich stören lassen dürfe in der großen Aufgabe ihrer Heiligung. Sie hat nie in ihren traurigen und verlassenen Tagen daran gedacht, ihre Zuflucht zum Kloster zu nehmen, wie das junge, fromme Seelen nicht selten thun, wenn sie sich in gedrückter Lage befinden. Sie hat immer den Kampf mit der Außenwelt und den Kampf mit sich selbst zugleich geführt.«

»Ha, sie ist ein prächtiges Mädchen!« rief der Graf – »und dabei schön, wie nur eine Blume aus keltischem Stamm sein kann! . . . Und das betrifft auch Dich, Magdalene . . . . denn das Volk der Bretagne ist celtischen Ursprungs.«

Am andern Morgen lagen auf dem Frühstückstisch, um den sich die Familie nach der heiligen Messe einfand, zwei Briefe mit breitem Trauerrand und schwarzem Siegel an die Adresse des Grafen, der sie rasch öffnete und überflog. Dann sagte er ernst:

»Fergus O'Connor ist todt.«

»Und wie mag er gestorben sein!« rief die Gräfin.

»Ohne Zweifel wie er gelebt hat,« versetzte der Graf und fügte zu Heliade sich wendend hinzu:

»Weißt Du, Heliade, daß Dein Großvater, Reginald O'Connor, einen Bruder hatte, der mit Apostasie die O'Connor'schen Güter bezahlte, welche vor vierzig Jahren, nach unserer unglücklichen Revolution, confiscirt wurden?«

»Meine Mutter erzählte es mir.«

»Nun, mein Kind, eben dieser Fergus O'Connor war Dein armer Großonkel. Jetzt hat er Hab und Gut, die er mit seinem Seelenheil erkaufte und die ihm so wenig Glück brachten, verlassen müssen. Er heirathete eine querköpfige Engländerin, lebte höchst unglücklich in kinderloser Ehe mit ihr und dann lange Jahre getrennt von ihr. Ich weiß nicht einmal, ob sie noch lebt. Er adoptirte einen entfernten anglikanischen Verwandten, Bryan O'Connor, und ich hörte, er hat dem jungen Mann in England eine sehr gute Erziehung zu Eaton geben und ihn dann in Oxford studiren lassen. In irgend einer Verbindung waren wir seit seiner Apostasie nicht mehr; darum wundert es mich, daß Bryan O'Connor mir nicht nur den Tod seines Adoptivvaters anzeigt, sondern in diesem zweiten Schreiben sagt, er zähle auf meine Erlaubnis nach Arran Castle kommen zu dürfen, und er werde morgen erscheinen. Ich kann ihm nicht einmal ablehnend schreiben! Der Brief würde sich mit ihm kreuzen . . . . und wir müssen ihn empfangen, Magdalene!«

»Ein unbegreiflicher Besuch!« sagte Lady Arran; »er scheint seines Adoptivvaters Jugendgeschichte gar nicht zu kennen und will nun dessen Jugendfreund aufsuchen – denn spätere Freunde mag der arme Fergus nicht gehabt haben.«

»Aber jedes Kind in Irland hätte ihm sagen können, was die Jugendfreundschaft zerrissen hat,« rief Lord Arran mit einer Lebhaftigkeit, welche deutlich verrieth, daß sein heftiger Charakter nur durch beständige Wachsamkeit gezügelt wurde. »Indessen ist nichts zu ändern,« fügte er gelassen hinzu – »und der Sohn von Fergus O'Connor wird, wie jeder andere Gast, willkommen in Arran-Castle sein.«

Und so geschah es. Am nächsten Abend kam Bryan O'Connor, ein junger Mann von sehr angenehmer äußerer Erscheinung und einer ruhigen, ernsten Haltung. Ohne der früheren Beziehungen seines Adoptivvaters zu erwähnen, sagte er, ihm sei ein Güterkauf in der Grafschaft Mayo angeboten und da er die Provinz Connaught nicht kenne: so wünsche er bei Lord Arran einige vorläufige Erkundigungen einzuziehen. Des Grafen wohlwollendes Antlitz konnte trotz aller Selbstbeherrschung eine leichte Verfinsterung nicht bemeistern. Das nordwestliche Irland, von der Galway-Bai bis zur Donegal-Bai, die Provinz Connaught, ist so recht das alte, katholische, celtische Irland. In den andern drei Provinzen ist die Bevölkerung gemischt mit englischen und schottischen Einwanderern, die theils von der englischen Regierung als Colonisten dahin geschickt wurden, theils auf ihre eigene Hand ihr Glück versuchten, da es für alle Akatholiken leicht war, den Grundbesitz zu erwerben, den kein Katholik bis vor kaum hundert Jahren erwerben durfte. Als der wüthendste religiös-politische Fanatismus in Cromwell seine Spitze und seinen Protector fand, fiel er mit Feuer und Schwert über Irland her – und der Umzug. den damals die drei Reiter der Apokalypse in Gestalt eines Heeres von Republikanern und Independenten durch das grüne Erin hielten, hat ihm den gegenwärtigen Charakter von Oede und Desolation aufgeprägt, eingeätzt. Mit ihrer Bibel in der einen und dem Schwert in der andern Hand, wurden Soldaten die Apostel der furchtbarsten, der blutigsten Glaubenstyrannei. Wer von der Kirche abfiel und zur Bibel griff, wurde belohnt; wer standhaft blieb, wurde Anfangs niedergemetzelt oder als Sklav nach Amerika verkauft; – später in die Provinz Connaught getrieben, außerhalb welcher kein Katholik bei Todesstrafe sich finden lassen sollte. Auf diese Weise ließ Cromwell seine Protektion auch den katholischen Iren angedeihen: er schlug ihnen vor, »zur Hölle zu fahren oder nach Connaught zu gehen« – versteht sich mit Hinterlassung von Hab und Gut, von Hof und Haus. Daher ist Connaught die ärmste der vier Provinzen, welche einst Königreiche in Irland waren; – aber sie ist am reinsten irisch.

Für den Grafen von Arran war es ein Stich durch's Herz, daß ein Akatholik sich in Connaught ankaufen wollte. Er wußte, wie diese es trieben! sie eröffneten Schulen und wiesen ihre Leute an, ihre Kinder dahin zu schicken. Geschah es, so wurden sie belobt und belohnt und die armen Kinder gingen dann auch bald in das akatholische Bethaus. Geschah es nicht: so wurde eines Tages dem Vater das Dach über dem Kopf abgerissen und er mit den Seinen in's Elend gejagt.

»Warum bleiben Sie nicht lieber in Ihrer Provinz, Sir?« fragte der Graf. »Munster ist fruchtbarer dem Boden – und lieblicher der Natur nach, als unser armes, wildes Connaught; und Ländereien werden ja auch dort zu kaufen sein, denn nicht das Land ist rar in Erin, sondern die Leute.«

»Besonders die rechten Leute,« entgegnete Bryan.

»Wen nennen Sie so?« fragte der Graf.

»Die Grundbesitzer, die nicht in Irland leben und die ihre Pächter durch Verwaltungsagenten dermaßen bis auf's Blut aussaugen lassen, daß die Cultur des Bodens darunter leiden muß, während sie diese Einkünfte, an denen Schweiß und Blut klebt, in London vergeuden.«

»Nun, das ist eine vernünftige, eine christliche Auffassung der Sache, Sir; aber ich sehe nicht ein, was das mit Connaught zu thun hat.«

»Mein armer Vater hinterließ mir nicht nur seinen Güterbesitz, Mylord, sondern auch noch ein bedeutendes baares Vermögen. Ich wünschte es so anzulegen, daß es vortheilhaft für Viele sei – und deshalb zieht mich das arme Connaught an.«

Sechs Augen ruhten mit inniger Theilnahme auf Bryan O'Connor, als er bewegt fortfuhr:

»Ich bin nicht immer so reich gewesen wie jetzt, Mylord. O nein! ich bin armer Leute Kind. Mein Vater war angestellt in dem Büreau eines großen Kohlenbergwerkes bei Shrewsbury – und als er starb, erhielt meine arme Mutter sich und mich durch Handarbeit. Sie war eben ihren Anstrengungen und einem Zehrfieber erlegen, als Fergus O'Connor Umfrage halten ließ nach Namensvettern, um denjenigen an Sohnesstatt anzunehmen, der ihm am Besten gefallen würde. Ob sich noch Andere meldeten, weiß ich nicht. Genug, er adoptirte mich. Aber die zwölf ersten Jahre meines Lebens werde ich nie vergessen, nie! und daraus entspringt mein Interesse für das arme, oft so schwer gedrückte Volk – und mein inniger Wunsch, diese Theilnahme praktisch zu machen.«

»Für den guten Willen wird Gott Sie segnen, Sir,« sagte Lady Arran liebreich – »und in unserm Connaught finden Sie ein enormes Feld, um ihn zu verwirklichen.«

Die einfache Art, in welcher Bryan O'Connor von sich selbst sprach, machte auf Alle den besten Eindruck. Man vergaß gänzlich, daß man ihn nicht gern hatte kommen sehen und die Unterhaltung war leicht und ungezwungen. Als man sich trennte, sagte der Graf:

»Lassen Sie sich nicht stören, Sir, durch die Glocken, die Sie morgen früh hören werden. Man läutet zur Messe. Das Frühstück ist später.«

Bryan O'Connor verbeugte sich und zog sich zurück.

»Welch ein guter Geist hat Fergus O'Connor zur Adoption dieses vortrefflichen jungen Mannes bestimmt!« rief Lady Arran.

»Bei dem Allen wünschte ich dennoch, er bliebe dort, wo er zu Hause ist,« sagte der Graf; »denn abgesehen davon, daß es doch sehr zweifelhaft ist, wie er hier seine Wirksamkeit unter katholischem Volk durchführen wird, erinnert er mich stets schmerzlich daran, daß sein Vermögen im Grunde nicht ihm gehört, sondern Deiner Mutter, Heliade, und Deinem Onkel, dem Dominicaner.«

»Mein Großvater verlor sein Vermögen in Folge seiner Betheiligung an der Revolution,« entgegnete Heliade; »dürfen seine Nachkommen Ansprüche daran erheben? und gibt die schreckliche Handlung meines Großonkels uns unser Recht zurück? . . . . Nein! Bryan O'Connor besitzt gewiß mit allem Recht das Vermögen und mein Onkel Reginald wird es ihm schwerlich streitig machen.«

»Und Du, Heliade? Du, als die Erbin Deiner Mutter?« fragte der Graf scherzend.

»O ich!« rief sie;– »ich kann mich gar nicht als Besitzerin eines Vermögens mir selbst vorstellen! Heliade und Reichthum – das paßt nicht zusammen! in anderer Weise sorgt Gott für mich.«

»Ja, wie für die Lilien des Feldes, denen er ihre eigene Schönheit gibt,« sagte der Graf.

»Werde ich gelobt, so laufe ich davon,« erwiderte Heliade, küßte die Hand ihrer Pflegeltern und lief fort.

»Wäre Bryan O'Connor katholisch, so wüßte ich, was ich thäte, Magdalene,« sagte der Graf nach einer Pause. »Ich adoptirte Heliade . . . und Arran und O'Connor würden ein Geschlecht bilden!«

»Mir scheint die Adoption nicht im nothwendigen Zusammenhang mit Bryan's Glauben zu stehen,« entgegnete Lady Arran.

»Allerdings nicht! aber es wäre mir ein großer Trost, daß dereinst ein O'Connor Herr aus Arran-Castle würde . . . da es kein Arran werden kann. Doch vor der Hand steht die Adoptionsidee auch noch keineswegs fest in mir. Sie flog mir mehrmals schon durch den Sinn, weil Heliade uns so recht zu unserem Trost an's Herz gelegt ist – und wurde heute Abend ganz lebhaft, weil dem armen Fergus der Adoptivsohn so sehr geglückt ist.«

»Uebereile Dich nicht,« sagte Lady Arran bittend. »Heliade ist erst seit drei Monaten bei uns.«

»Ja, ja!« versetzte der Graf lächelnd; »aber ich, Magdalene, ich bin achtundsechszig Jahr alt . . . zwei Jahr älter als Fergus O'Connor. Da ist es nicht weise, einen Plan, wenn er gut ist, lange aufzuschieben.«

»Nur so lange, bis er gereift ist,« sagte sie mit der sanften Gelassenheit, welcher der Graf nicht widerstehen konnte.

Die Kapelle war der schönste Raum im Schloß. Der Graf hatte auf seinen Reisen die größten Kostbarkeiten gesammelt, um die heilige Stätte zu schmücken. Aus Rom war der Altar von weißem Marmor mit Mosaikbildern ausgelegt. Aus Sevilla das Altargemälde, eine Kreuzigung Christi von Morales, zubenannt el divino – theils wegen der Schönheit seines Pinsels, theils weil er immer mit seinen Gedanken bei himmlischen Dingen verweilte und nur heilige Gegenstände malte. Aus Paris waren die Glasfenster, die den hl. Patrik und die hl. Magdalene verherrlichten. Der Tabernakel, mit kostbaren Steinen ausgelegt, hatte früher die Hauscapelle eines genuesischen Palastes geziert. Die heiligen Geräthschaften, die Meßgewänder entsprachen dem Glanz der Umgebung. Man fühlte sogleich, daß diese Kapelle das höchste Kleinod der Schloßbesitzer war. In ihrer Crypta war die Familiengruft; – da ruhte der älteste Sohn des Hauses, Patrik O'Connor und die Eltern schwankten, ob sie Arthurs Asche dem Boden der ersten Martyrer zu Rom entführen und sie dem Boden der spätern Martyrer in Irland übergeben sollten. Jeden Morgen um neun Uhr beging der Schloßcaplan, der bei diesem Heiligthum angestellt war, die Feier des heiligen Meßopfers.

Heliade pflegte eine halbe Stunde früher auf einer kleinen Emporbühne sich einzufinden und in stiller Betrachtung vor dem Allerheiligsten zu verweilen. Heute aber wurde sie unwillkürlich sehr gestört, denn bald nach ihr trat Bryan O'Connor unten ein, nahm Weihwasser, machte das Kreuzzeichen, eine Kniebeugung vor dem Sanctissimum und kniete dann in einer Bank nieder, so ruhig wie Jemand, der daran gewöhnt ist, diese Dinge zu thun. Heliadens Herz schlug höher vor Freude, daß der Sohn des Apostaten – ein Sohn der Kirche sei. Zuweilen schloß sie die Augen und öffnete sie dann wieder, um sich zu vergewissern, daß sie nicht träume; – und immer kniete Bryan ruhig auf demselben Platz. Nach und nach kamen die Leute zur Messe und die Kapelle füllte sich; aber Bryan ließ sich nicht stören. Die Messe begann und Bryan folgte ihr ganz als Katholik. Heliade warf einen freudestrahlenden Blick auf Lord und Lady Arran, die eben neben ihr eingetreten waren und nur durch die Heiligkeit der Stätte und des Augenblicks abgehalten wurden, ihr Frohlocken über diesen so ganz unerwarteten Anblick zu äußern. Er war also ein Glaubensbruder, dieser junge Mann, ein ächter treuer Ire! was sein Vater schlimm gemacht, hatte er gut gemacht! Diese drei Menschen, die den katholischen Glauben wirklich für das hielten, was er ist – für den wahren und einzigen Führer der Seele zum ewigen Leben, kannten keine höhere Wonne, als eine Seele mehr auf diesem Wege zu sehen.

Als sie nach der Messe die Emporbühne verließen, die an Lady Arrans Zimmer stieß, umarmte Heliade die Gräfin und rief:

»Wie gut ist Gott! . . . ich habe während der ganzen Messe ein Tedeum über das andere gebetet.«

Sie gingen zum Frühstück. Lord Arran eilte seinem Gast entgegen, führte ihn in den Saal und rief:

»Jetzt sage ich willkommen in Connaught! Tausendmal Gottwillkommen!«

»Willkommen in der Kirche!« sagten die Gräfin und Heliade.

»Also deshalb wollten Sie zu uns kommen?« rief Lord Arran gerührt. »Dem tiefbetrübten Jugendfreund Ihres armen Vaters wollten Sie diese namenlos frohe Ueberraschung machen? Gott vergelt's! Bryan O'Connor. Gottes Segen wird mit Ihnen sein, wie er mit Ihnen war.«

»Was ist es doch für ein eigentümlich wohlthuendes Gefühl,« entgegnete Bryan, »eine solche Theilnahme zu finden, weil Gott mir gnädig war.«

»Aber das ist doch ganz in der Ordnung, daß man sich für einen Liebling Gottes interessirt!« rief Heliade.

Bryan hatte am vorigen Abend Heliade kaum beachtet. In ihrer schweigsamen, zurückhaltenden Weise mischte sie sich wenig in das Gespräch mit Fremden. Um so mehr überraschte ihn jetzt diese blendende, seelenvolle Schönheit. Es war, als habe das Marmorbild einer Psyche Leben bekommen.

»Wollen Sie sich denn wirklich in Connaught ankaufen?« fragte Lady Arran.

»Gewiß!« entgegnete Bryan. »Ich hörte von einem großen Güter-Complex, der zu verkaufen sei und möglicherweise in englische, akatholische Hände fallen könne; – dem wollte ich vorbeugen.«

»Was wird man in Oxford sagen,« rief der Graf ungemein heiter, »wenn man erfährt, daß Sie zur Mutterkirche zurückkehrten!«

»In Oxford kann man sich darauf gefaßt machen, Mylord, daß ganz andere Leute als ich aus der anglicanischen Kirche ausscheiden werden.«

»Hatten Sie schon dort ein Interesse für den katholischen Glauben?«

»Ich muß es wohl immer gehabt haben, denn ich erinnere mich gar nicht, daß es in mir, so zu sagen, erwacht sei. Nur konnte es sich bei meiner Erziehung, bei meinen Studien nicht anders äußern, als durch Vorliebe für katholische Charaktere und Geschichtsepochen, die ich jedoch kaum in Zusammenhang mit dem katholischen Glauben brachte. Als ich aber im vorigen Spätjahr nach Rom kam, galt mein erster Besuch den Catacomben, in denen P. Marchi Aus der Gesellschaft Jesu, einer der gründlichsten und gelehrtesten Kenner und Durchforscher der Catacomben, der im Jahre 1858 gestorben ist. mich umherführte. Wie es nun möglich ist, ein Christ zu sein und – wenn man Akatholik ist – durch die Catacomben nicht zur Mutterkirche geführt zu werden: das, ich gestehe es, wird mir ewig ein Räthsel bleiben. Daß der Ungläubige hinausgeht, wie er hereingegangen ist, frech und frivol nicht bloß die Offenbarung, sondern die Weltgeschichte, die sich auf ihr und durch sie seit achtzehn Jahrhunderten entwickelt, leugnend: das begreife ich. Der Ungläubige erniedrigt sich selbst zu einem Atom der Materie und muß folgerichtig jede übernatürliche Offenbarung leugnen, da sie vom Standpunkt des atomistischen Vielerlei's durchaus unfaßlich ist. Deshalb wittert er überall Priesterbetrug und Gaukelspiel. Aber der akatholische Christ, der an die Offenbarung glaubt, müßte, wie mir scheint, ein tiefes Verlangen haben, sich zu überzeugen, ob die Lehren, die seine Reformatoren ihm beibrachten, auch wirklich mit den altchristlichen übereinstimmen. Ob dies der Fall ist – davon kann er sich in den Catacomben überzeugen. Ihre Malereien, ihre Inschriften, ihre symbolischen Zeichen, ihre Einrichtungen, diese stummen und unwiderleglichen Zeugnisse für den alten Glauben werden ihn belehren, daß man vor dreihundert Jahren denselben seines Markes beraubt und nur die Schale übrig gelassen hat. Als ich in dieser Gräberwelt die bildliche Darstellung des geheimnißvollen Opfers – und immer wiederkehrend die Symbole der heiligen Eucharistie so vor meinen Augen sah, wie man vor sechszehn oder siebzehn Jahrhunderten an sie geglaubt hat – da sagte ich zu P. Marchi: Da ich ein gläubiger Christ sei, so wünsche ich nicht mit Bruchstücken der Offenbarung abgefunden zu werden, sondern ihren vollen Inhalt, all' ihre Dogmen anzunehmen – und könne das nur in der katholischen Kirche geschehen, so würde ich mich mit Freuden zu ihr bekennen. Ich wurde unterrichtet – und bin seit einigen Monaten Katholik.«

»Was! ohne Kampf, ohne Schwertstreich der bösen Natur?« rief der Graf.

»Welch eine schöne, glückliche Seelenstimmung setzt das voraus,« sagte Lady Arran hinzu.

»Die Wahrheit der katholischen Kirche strahlte mir dermaßen sonnenhell entgegen,« sagte Bryan lächelnd, »daß die böse Natur sich in ihre tiefsten Schlupfwinkel flüchten mußte.«

»In welchen Zorn wäre der arme Fergus gerathen, wenn er Ihren Schritt erfahren hätte,« sagte der Graf.

»Davor habe ich ihn bewahrt, Mylord. Zu ändern war mein Schritt nicht mehr. Gott aber hat es so gefügt, daß gerade auf den Platz wieder ein katholischer O'Connor kommen mußte, was – nach menschlicher Berechnung – unmöglich war. Mein Verhältniß zu meinem armen Vater war überhaupt kein inniges, kein vertrauliches; – daß ich tüchtig lernen und ein ganzer Mann werden möge, war sein höchster Wunsch. Ich glaube diesen erfüllt zu haben, indem ich nach meiner tiefsten, auf Vernunft gestützten, durch Gnade erleuchteten Ueberzeugung handelte. Daß sie einen Gegenstand betraf, der ihm nicht homogen war, konnte mich betrüben, nicht behindern. Als ich vor drei Wochen auf die Nachricht von seinem Schlaganfall vom Continent herüber eilte, waren seine geistigen Fähigkeiten bereits gänzlich gelähmt und mit unaussprechlichem Schmerz sah ich ihn bewußtlos seiner letzten Stunde entgegen vegetiren.«

Bryan wendete zufällig den Blick auf Heliade. Sie saß ruhig da mit niedergeschlagenen Augen, aber unter den langen dunkeln Wimpern drängte sich Thräne auf Thräne hervor.

»Mein Gott!« rief Bryan betroffen, »habe ich diesen Schmerz geweckt?«

»Heliade gedenkt ihres eigenen Vaters, der in ähnlicher Seelenverfassung lebte, aber in seinen letzten Tagen der Gnade Gehör gab,« sagte Lady Arran.

»Das Fräulein wird besser als ich zu beten verstanden haben,« entgegnete Bryan.

»Die Kirche nennt uns »das fromme Geschlecht,« versetzte Lady Arran, das Gespräch von Heliade ablenkend; »da müssen wir doch etwas zu thun suchen, um das zu rechtfertigen.«

»Jetzt reiten wir aus, mein Töchterchen und ich,« sagte der Graf. »Sie reiten doch mit uns, Sir? Sie werden sehen, von welcher wilden Schönheit unsere zerrissene und zerklüftete Küste ist.«

»Das ist sie auch bei uns in Munster,« sagte Bryan. »Zuweilen kommt es mir vor wie ein Symbol für Irlands Schicksal – dies Meer, das wie mit Geierkrallen einzudringen sucht, aber nur zerreißt, nicht zerstört.«

»Ja, Irland hält Stand!« rief der Graf stolz. »Die Geierkralle – oder vielmehr die Klaue des Leoparden greift ihm an's Herz heran: Irland leidet – aber es harrt aus.«

»Irlands Wappen ist auch sein wahres Symbol,« sagte Heliade: »die Harfe! Psalmen und Hymnen – das sind ihre Melodien – und sie strömen aus dem Glauben, der all das reißende Gethier der Welt besiegt.«

»Sind Sie eine Irin?« fragte Bryan erfreut.

»Mein Vater war ein Deutscher, meine Mutter war die Tochter von Reginald O'Connor – und in irischen Traditionen bin ich aufgewachsen,« entgegnete Heliade unbefangen.

Bryan wechselte die Farbe. Der Graf bemerkte es und sagte freundlich:

»Das ist also eine Namensverwandtschaft! – Aber jetzt, Heliade, kleide Dich um! die Pferde werden gesattelt!«

Sie ritten durch den Park nach der kleinen Warte, die kühn wie ein Adlernest auf dem Felsenvorsprung schwebte. Dort war der Blick auf's Meer am schönsten; zur Rechten und Linken tauchte er in die Tiefe der schäumenden und brausenden Brandung hinein, die hier immer, wegen der vielen Risse und Klippen, ungemein heftig war – während er, über die Meeresweite dahin schweifend, kein Land, keine Küste, keine Grenze fand. Dann ritten sie weiter am Felsenrand durch einen gelichteten Eichenhain. Das Rauschen der Wogen klang zu ihnen hinaus und der Seewind säuselte um die kräftigen Zweige der Eichen und durch das starke, smaragdfarbene Laub.

»Alle diese schönen Naturstimmen ertönen auch aus Irlands Harfen,« sagte Heliade zum Grafen.

»Gewiß!« rief er; – »die süße Liebe zum Vaterland nährt sich von Allem, was es uns bietet. Ja, die tausend Einflüsse, die der Glaube, die Natur, die Tradition, das Schicksal der Heimath um unser Herz webt, bilden ihm die Vaterlandsliebe ein.«

»Bei tausend kleinen Zügen wird sie wach,« sagte Bryan; – »wenn ich bei den Ruinen am Rhein und Neckar Epheu sah, dachte ich an das immergrüne Irland.«

Wohl eine Stunde ritten sie auf der Höhe; dann senkte sich allmälig die Felsenwand bis zum Gestade herab; und hier hörte die Meeresschönheit auf, denn hier hub eine Art von Chaos an, indem das Wasser und das zertrümmerte Gestein durcheinander gemischt war und weder den Eindruck von Meer, noch von festem Lande machte.

»In meiner Jugend,« sagte der Graf, »war ich ein Waghals und fand großes Vergnügen daran, von einem dieser Steinblöcke auf den andern zu springen. Zur Zeit der Ebbe war es insofern nicht gefährlich, als ich mir bei einem Sturz nur Arm und Bein hätte brechen können. Zur Zeit der Fluth aber standen manche Blöcke tief unter Wasser und ich riskirte, vom Ufer abgeschnitten und von den Wellen mit fortgespült zu werden. Dennoch richtete ich diese Springerzüge, wie ich als eifriger Schachspieler sie nannte, immer so ein, daß ich nur gerade Zeit hatte, vor der steigenden Fluth das Ufer wieder zu erreichen.

»Warum ist nur die Jugend so tollkühn?« fragte Heliade.

»Weil sie eben Jugend ist, deren Selbstvertrauen noch nicht im Kampf mit den Gefahren Schiffbruch gelitten hat,« entgegnete der Graf.

Sie ritten nun landeinwärts über einen gewellten Boden, der mit rothem Haidekraut und goldgelbem Ginster üppig bewachsen war, bis sie an die cultivirte Region der Felder und zu einzelnen Weilern kamen, die nicht so vernachlässigt aussahen, wie es im Allgemeinen der Fall in Irland ist.

»Wo der Mensch auf's Ungewisse lebt,« sagte Lord Arran, »da hat er keine Veranlassung, sich behaglich einzurichten. Kommt nun gar die Armuth dazu, so sinkt die Behaglichkeit der Existenz unter Null herab und man verliert den Maßstab für alle Bedürfnisse des mittelmäßigsten Wohlstandes. So lebt der Ire unter dem Joch seiner Peiniger. So haben die Eltern es von ihren Eltern gelernt und so lehren sie es ihren Kindern. So lange wir die Leute füttern müssen – und wie füttern! – die sich anglikanische Geistlichkeit, Erzbischof, Bischof, Dechant &c. nennt: so lange frißt diese himmelschreiende Ungerechtigkeit dem irischen Volk das Brod vor dem Munde weg und nimmt ihm die Lust zur Arbeit. Und das ist ganz in der Ordnung, denn der Mensch ist darauf angewiesen, durch einen unverwüstlichen Zug seiner Natur zuerst für die Seinen zu sorgen. Weib und Kind und die eigenen Priester darben – die Diener der Häresie aber schwelgen zu sehen durch die Mittel, welche jenen gebühren – das nenne ich einem Volk den Haß einimpfen! Und die wunderreiche katholische Kirche thut eines ihrer größten Wunder, indem sie den Iren abhält, in beständiger offener, blutiger Revolte gegen seine Unterdrücker zu stehen. Denn wenn er es thäte . . . wahrlich! so würde er nur das Recht der Selbstverteidigung üben – und das ist erlaubt.«

»Vielleicht soll das irische Volk einen größeren Antheil am Kreuze Christi haben, um Buße zu thun für Englands Abfall,« sagte Heliade sanft.

»Wer weiß, ob Irlands Leiden nicht das Fundament zu Englands Bekehrung sein werden,« setzte Bryan hinzu. »Je mehr Martyrer, desto mehr Christen, hieß es im ersten Christentum. An Martyrern fehlt es hier nicht – wohl aber dem Anglikanismus an Christenthum, durch die Lehre der Vereinigung des geistlichen und weltlichen Oberhauptes in der Person des Monarchen. Mit diesem ganz heidnischen Prinzip muß das, was vom Christentum übrig blieb, ganz allmälig auf solche Abwege gerathen, daß man sich in die alte Kirche wird zurückflüchten müssen, um es vollständig wiederzufinden.«

»Sehen Sie,« sagte der Graf zu Bryan, als sie an der Pfarrkirche vorüber ritten, die bei einem größeren Dorfe lag; – »diese Kirche habe ich gebaut. Früher war es uns nicht erlaubt, Kirchen mit Thürmen und Glocken zu haben! das beleidigte Aug' und Ohr unserer Unterdrücker. Und noch eine Generation früher durften wir auch keinen Gottesdienst haben – wir! Irlands ureingeborene Katholiken! Der Anglikanismus, der im Vergleich zur katholischen Kirche von gestern ist, setzte auf den Kopf eines Priesters und auf den Kopf eines Wolfes die Prämie von fünf Pfund. Sie sind noch fremd in unseren Verhältnissen, Sir, fremder noch in unseren Erinnerungen und Traditionen. Wenn Sie das Alles kennen werden, so werden Sie erschauern vor dem Mysterium iniquitatis, das über dem katholischen Irland herrscht. Der Schlüssel dazu liegt in dem satanischen Haß, den die Häresie gegen die Kirche Gottes hat.«

»Hier ist viel gut zu machen und viel zu sühnen,« entgegnete Bryan, »und ich könnte Sie beneiden, Mylord, daß Sie und Ihre Vorfahren immer zu den Unterdrückten gehört haben.«

»Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden,« erwiderte Lord Arran: – » die Verheißung hält uns aufrecht.« – – –

Als der Abend die kleine Gesellschaft wieder vereinigte, sagte Lord Arran:

»Nun, Heliade, wo bleibt Deine Harfe?«

»Sie versteckt sich vor einem fremden Zuhörer,« erwiderte Heliade erröthend.

»Kannst Du dich nicht so weit demüthigen,« fragte Lord Arran scherzend, »um einen Fremde hören zu lassen, daß Du eine Anfängerin bist?«

»Wenn ich es auf Kosten seines Ohres thun darf . . . dann sehr gern,« erwiderte Heliade bereitwillig und nahm ihren Platz bei der Harfe.

Sie spielte nur irische Volksmelodien, Lieder, Kriegsgesänge, in denen sämmtlich eine klagende Sehnsucht, abwechselnd mit feuriger Begeisterung sich ausathmet – möchte man sagen, weil sie aus einer solchen Tiefe des Gefühls aufsteigen. Das war es gerade, was Lord Arran entzückte.

»So sind wir! . . . genau so!« sagte er zu Bryan. »Wir sind kein berechnendes, kein reflectirendes und räsonnirendes Volk, sondern ganz Empfindung, ganz Hingebung, wenn unser Herz getroffen wird und sich aussprechen darf – wie in diesen Liedern.«

»Für diese Lieder ist das sehr gut,« wendete Lady Arran lächelnd ein; »übrigens aber ist ein wenig Reflectiren keine ganz üble Sache, Mylord.«

»Da hören Sie die kalte Französin!« sagte der Graf zu Bryan und küßte die Hand der Gräfin.

Bryan hörte aber nur sehr unvollkommen sowohl was Lord Arran, als was Lady Arran sagte. Er war verloren in Heliadens Anblick und jene wunderbaren Jungfrauen der Vorzeit fielen ihm ein, jene Druidinnen, die ihre Jungfräulichkeit den Göttern weihten und um den Preis der irdischen Entsagung einen geheimnißvollen Zauber über die ganze Natur übten. Heliade war noch in leichter Halbtrauer; zu ihrem weißen Kleide trug sie Band und Echarpe von schwarz und weißem schottischen Taffet – und im Haar, gerade über der Stirn, trug sie eben heute einen Kranz von violetblühender Verbena, welche bei den Druiden eine geheiligte Pflanze war. Unter dem Kranz und unter der klaren Stirn blickte ihr großes, tiefes, schwarzblaues Auge über ihre Harfe hinweg, als wolle ihre Seele den Tönen nachziehen, welche durch die Saiten klangen. Wer ist dies Wesen? dachte Bryan; – warum sieht sie so wunderbar schön aus? Ist sie ein geschmücktes Opfer . . . ist sie eine Opferpriesterin? – Und sie ist die Enkelin von Reginald O'Connor . . . und das, was jetzt mein Besitz ist, wäre der ihre . . . wenn! – – Ein heißer Schmerz zuckte durch Bryan's Gedanken wie ein Dolchstich in sein Herz hinein. Aber dann dämmerte ein anderes »Wenn!« zart wie Morgenroth am tiefsten Horizont seines Herzens auf, und leise sprach Bryan zu sich selbst: »Ja gewiß! hier ist viel gut zu machen!«

Da er sehr musikalisch war und das Piano spielte, so mußte er den Flügel, der seit Lord Arthur's Tod verstummt war, wieder in's Leben rufen, und die Musik blieb die Unterhaltung des Abends.

»Hörten Sie das Quartett der Torrigi, Mylady, die vor zwei Jahren einen musikalischen Triumphzug durch England und Schottland hielten?« fragte Bryan.

»Wir waren damals mit unserm Arthur auf Reisen,« entgegnete sie; »doch meine ich, mich aus den öffentlichen Blättern dieses Namens zu entsinnen.«

»Es war der schönste, der edelste musikalische Genuß, den ich – kirchliche Musik abgerechnet – jemals hatte. Stellen Sie sich die Meisterwerke Haydn's, Mozart's, Beethoven's, von vier Paar Meisterhänden einer und derselben Familie aufgeführt, vor, die in einem Geist, mit einem Strich wie ein Mann spielten – das waren diese entzückenden Quartetts.«

»Und nicht wahr . . . es waren Kinder dabei?«

»Ganz richtig! ein kleiner Knabe, ein halberwachsenes Mädchen; dann ein älteres – und ein junger Mann. Sehr merkwürdig war es auch, daß diese musikalischen Torrigi's wie Pilze aus der Erde hervorschossen. Der Vater, welcher der Direktor und Anführer der kleinen Gesellschaft war, hatte im Frühling seine älteste Tochter verloren, mit der er in London erwartet wurde. Trostlos geht er nach Genua zurück, um, wo möglich, einen Ersatzmann zu finden; und siehe da! er findet ihn in seinem eigenen Neffen, den er zuvor nie gesehen, ja kaum von ihm gewußt hatte. Möge die Tochter nun gewesen sein, wie sie wolle – Vollkommneres konnte sie gewiß nicht leisten, als dieser Mariano Torrigi auf seiner Amata.«

»Auf seiner Amata!« rief Heliade.

»So nannte er seine Geige, die von der Arbeit des berühmten Violinvirtuosen Amati war,« sagte Bryan.

»Wie sah er aus!« rief Heliade gespannt.

»Wer?« fragte Bryan erstaunt über diese lebhafte Teilnahme.

Lady Arrans verwunderter Blick gab Heliaden ihre Fassung zurück und sie erwiderte:

»Sah er auch so abenteuerlich aus, dieser Mariano Torrigi, wie die Bilder seines Landsmannes Paganini?«

»Durchaus nicht!« entgegnete Bryan; – »er sah mit seinen schwarzen Augen, besonders beim Spiel, höchst interessant, doch ganz einfach und natürlich, ohne Verzerrung durch Eitelkeit aus, und er hatte überhaupt Haltung und Benehmen, wie eine sehr gute Erziehung sie zu geben pflegen.«

»Er ist's! . . . So ist er!« seufzte Heliade im Stillen.

»Eigentlich ist's doch ein Jammer, daß solch ein junger Mann in der Welt umherzieht wie ein Zigeuner mit seinem musikalischen Instrument,« sagte Lord Arran.

»Man kann sie freilich Zigeuner der Kunst nennen . . . diese Virtuosen,« sagte Bryan. »Aber so wie die Welt nun einmal ist, sind sie es doch, welche ihr auf ihrem Gebiet die edelsten Genüsse bieten Hätten Sie ihn gehört, Mylord, den Mariano Torrigi, wenn er auf der Geige und die Antonia auf dem Violoncello Beethovens »Adelaïde« spielten, Sie . . . gerade Sie mit Ihrem warmen Gefühl – Sie wären hingerissen von Bewunderung und Entzücken gewesen.«

»Wie! ein junges Mädchen am Violoncello! – das ist ein starkes Gegenmittel gegen alles Entzücken . . . ist das Widerspiel zu aller Grazie!« rief der Graf.

Und da Bryan das zugeben mußte, jedoch behauptete, man vergäße es, – Lady Arran aber auf ihres Mannes Seite trat, so blieb Heliade bei dem lebhaften Gespräch unbeachtet. Als sie die »Adelaïde« nennen hörte, da wußte sie, daß Peregrin – Mariano Torrigi sei. Wie in einem Blitz sah sie, daß die Zeit und die Umstände, die Bryan angab, genau mit Peregrin's Verschwinden – und die Beschreibung der äußern Erscheinung genau auf seine Persönlichkeit passe. Er ist's! jubelte – und seufzte ihr Herz. Er spielt hinreißend die Adelaïde! . . . O, er ist's! . . . Die Beschreibung seines Aeußern . . . die Amata . . . Die Adelaïde . . . Alles stimmt zusammen . . . Er ist's! Er lebt! . . . aber wo . . . aber wie!

»Was ist denn aus dieser Künstlerfamilie geworden, Sir? Existirt sie noch?« fragte zu Heliadens Freude Lady Arran.

»Gewiß! . . . und in voller Blüthe der Berühmtheit. Amerika huldigt ihr mit wahnwitzigem Beifall und mit rationellem Golde.«

»Geräth der Yankee in Begeisterung,« sagte der Graf, »so sprengt sie sogar seinen Geldkasten und stimmt ihn verschwenderisch.«

»Ja, es geht den Torrigi's, laut Zeitungsnachrichten, so gut, daß sie, die schon anderthalb Jahre in Amerika sind, noch mindestens ein Jahr dort bleiben werden.«

»Und dann?« fragte Heliade.

»Wer kann das wissen, liebes Kind!« rief Lord Arran. »Vielleicht setzen sie ihre Kunstreisen in Europa fort; vielleicht ziehen sie sich in's Privatleben zurück und verehelichen sich mit goldreichen Bewunderern und mit musikalischen Enthusiastinnen.«

»Ah!« sagte Heliade.

»Ja, mein armes Kind, dergleichen geschieht in der Welt . . . so unglaublich es klingt,« versetzte Lord Arran.

Heliade schwieg. Der Abend verging ihr wie im Halbschlaf. Was sie sah, that und hörte, war mit einem leichten Schleier umhüllt und als sie endlich allein in ihrem stillen Zimmer war, hielt sie ihren Kopf mit beiden Händen fest und seufzte halblaut: Graf Peregrin Gorm . . . Mariano Torrigi . . . reisender Violinvirtuose . . . eine und dieselbe Person!! O, das ist aber entsetzlich! der Schicksalswechsel geht über menschliche Kraft hinaus! Wie wird er ihn tragen? . . . in welcher verlockenden Umgebung, in welcher gefährlichen Welt lebt er . . . immer von Weihrauchwolken der Bewunderung umgeben, die doch nur einer äußern Kunstfertigkeit gelten – wie berauschend muß das auf die Eitelkeit wirken! Kann seine gute, edle Natur ihr auf die Dauer widerstehen? – O mein Gott! es wäre mir tröstlicher, ihn durch sein räthselhaftes Schicksal in die demüthigsten Verhältnisse, als auf diesen glänzend gefährlichen Weg versetzt zu sehen.

Sie trat auf den Altan hinaus, der vor dem einen Fenster ihres Zimmers luftig schwebte, und athmete die linde Kühlung der Sommernacht ein, die tiefdunkel, und nur von Myriaden von Sternen durchflimmert, über der dunkeln, träumenden Erde lag. Durch die Eichen des Parks säuselte die weiche Seeluft und stoßweise stieg der Duft der blühenden Orangenbäume und des Heliotrops, die in Massen vor dem Perron des Schlosses standen, zu ihr herauf, während die Brandung des Meeres dumpf, tief und majestätisch wie ein ernster Glockenton durch die nächtliche Stille hallte.

Unten im Park streifte noch Bryan O'Connor umher. Ihm war zu Sinn, als sei dieser Tag entscheidungsschwer für sein ganzes Leben. Und warum sollte ich diesem Gefühl nicht nachgeben? fragte er sich selbst; – wie schön würde die Vergangenheit gesühnt, wenn die Liebe mit der Sühne zusammenfiele. – – Er wollte morgen seine Reise fortsetzen. Lord Arran hatte ihn gebeten, seinen Rückweg wieder über Arran-Castle zu nehmen – ein Vorschlag, den Bryan freudig annahm. – Also ich gehe morgen . . . aber ich komme wieder! sprach er zu sich selbst und wendete seine Schritte nach dem Schloß zurück, denn es schlug so eben Mitternacht. Einzelne Fenster waren noch schwach erhellt; aber die große Fensterthür da hoch oben hinter dem kleinen Altan war weit geöffnet und ein breiter Lichtstrom quoll aus dem Zimmer heraus, und in diesem Licht stand Heliade, groß und schlank, in ihrem weißen, schimmernden Kleide. Da stand sie schwebend über den Blumen und unter den Sternen wie eine Sylphide, und Bryan schaute zu ihr hinauf mit der stillen Frage: Unerreichbar? – Sie aber blickte hinweg über ihn und über den Park und über das Meer und über die Welt, und suchte auf der andern Hemisphäre eine geliebte Seele, für welche sie zitterte. – Es war eine jener Nächte in der Mitte des Augustmonates, in denen die eigenthümliche Erscheinung der zahllosen Sternschnuppen stattfindet. In einigen Gegenden spricht das Volk: Wenn man in dem Augenblick, wo man eine Sternschnuppe fallen sieht, die Geistesgegenwart hat, einen Wunsch auszusprechen, so geht derselbe in Erfüllung. Als Heliadens Blick sich, müde vom Schauen durch Zeit und Raum, einen Ruhepunkt am Himmel suchte, da löste sich eine prachtvolle Sternschnuppe vom Firmament ab und sank groß und strahlend wie ein Stern in's Meer. Heliade faltete die Hände und sagte: »O Herr, gerettet laß mich ihn wiederfinden . . . gerettet für die Ewigkeit.«

Sie trat vom Balkon zurück; das Fenster schloß sich, die Vorhänge bedeckten es – und es war Bryan zu Sinn, als spräche eine Stimme zu ihm: Unerreichbar! unerreichbar!


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