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15
Sabeelas Abschied

Nun ist nicht mehr viel von dieser Geschichte zu erzählen, und da es sehr spät ist und ich sehe, daß ihr alle gähnt, meine Freunde (dies war nicht wahr, denn wir waren höchlichst interessiert, besonders an dem seelischen Problem Issicores), will ich das Ende so kurz machen, wie ich kann. Es soll eben nur noch eine Fußnote sein.

Als wir an jenem Morgen gefrühstückt hatten, suchten wir Sabeela auf, die wir in großer Aufregung antrafen. Dies schien nur natürlich, wenn man alles in Erwägung zieht, was sie mitgemacht hatte, denn nach geistiger Anstrengung und großen Gefahren folgt unvermeidlich eine nervöse Reaktion. Außerdem hatte sie in plötzlicher, furchtbarer Weise ihren Vater verloren, an dem sie mit großer Liebe hing. Aber der wirkliche Grund ihrer Verzweiflung war ein anderer.

Issicore war plötzlich schwer erkrankt. Niemand wußte, was mit ihm los war, aber Sabeela war überzeugt, daß er vergiftet worden war. Sie bat mich, ihn sofort zu besuchen und ihn zu heilen – ein Ansinnen, das ich zurückwies. Ich erklärte ihr, daß ich keine Kapazität in der Heilung von Vergiftungen wäre, wenn es sich um eine solche handle, und nur wenige Arzneimittel mit mir führe, von denen das einzige, das bei Vergiftungen in Betracht käme, ein Gegenmittel gegen Schlangengift sei. Da sie mir dessenungeachtet keine Ruhe ließ, versprach ich, hinzugehen und zu sehen, was ich tun könnte. Doch sagte ich gleich, daß dies wahrscheinlich nicht viel sein werde.

So wurde ich mit Hans von einigen der alten Häuptlinge oder Räte des Walloos, mit einem Wort Leuten, die man im Zululand ›Indunas‹ nennen würde, nach Issicores Haus gebracht. Ein ziemlich schönes Gebäude in seiner Art, das am anderen Ende der Stadt gelegen war. Wir benützten die Straße, die am Seeufer entlang lief, und dies gab uns Gelegenheit, die Insel, oder besser gesagt das, was von ihr übriggeblieben war, zu betrachten.

Nun, das war nichts als eine niedrige, dunkle Masse, über der dichte Dampfwolken lagerten. Wenn diese Wolken durch den Wind aufgewirbelt wurden, sah ich unter ihnen rote Lavaströme hervorleuchten, die sich in den See ergossen. Es fanden keine Eruptionen mehr statt, und der Vulkan schien völlig verschwunden zu sein. Es fiel noch immer Asche in großer Menge, die dick auf den Wegen und allen Bäumen lagerte, so daß die Landschaft überall eine graue Farbe angenommen hatte. Sonst war auf dem Festland kein weiterer Schaden angerichtet worden, außer, daß da und dort Blöcke niedergefallen und einige der tiefstgelegenen Felder infolge der Überschwemmung überflutet waren; doch war diese bereits im Rückgang begriffen, obwohl der Fluß noch seine Ufer überflutete.

Wir kamen zum Hause Issicores und wurden in sein Zimmer gewiesen, wo er auf einem Fellager ausgestreckt lag, umgeben von mehreren Frauen, seinen Verwandten. Als Hans und ich eintraten, verneigten sich diese Frauen und verließen das Zimmer, so daß wir mit dem Kranken allein blieben. Ein Blick genügte, um mir zu zeigen, daß er dem Tode geweiht war. Seine schönen Augen waren ins Leere gerichtet; er atmete keuchend, seine Finger krampften sich automatisch zu und wieder auf, und von Zeit zu Zeit überkam ihn ein heftiger Schauer. Ich dachte, daß dies einer Art Fieber zuzuschreiben sei, doch als ich seine Temperatur mit dem Thermometer, das ich in meinem kleinen Arzneikasten mit mir führte, gemessen hatte, fand ich, daß sie zwei Grad unter der normalen Höhe war. Auf meine Frage sagte er, daß er keine Schmerzen habe, sondern nur an großer Schwäche und Schwindelanfällen im Kopf leide.

Ich fragte ihn, wem er seinen Zustand zuschreibe. Er entgegnete:

»Dem Fluche Heu-Heus, Macumazahn. Heu-Heu tötet mich! Hier ist der Beweis dafür«, und er zog von irgendwo den kleinen schwarzen Totenkopf hervor, den mir Hans beschrieben hatte. Dann verbarg er ihn wieder, ohne mir zu gestatten, das schauerliche Ding zu berühren.

Ich versuchte, ihn wegen dieses Gedankens auszulachen, aber er lächelte nur traurig und sagte:

»Ich weiß, daß du mich für einen Feigling hast halten müssen, Herr, infolge der Art und Weise, wie ich mich benommen habe, seitdem wir die Stadt Walloo erreicht haben; aber es war der Fluch Heu-Heus, der in mir diese Veränderung zustande brachte. Ich bitte dich, dies Sabeela zu erklären, die ich liebe, aber die mich, glaube ich, ebenfalls für einen Feigling hält, denn gestern habe ich es in ihren Augen gelesen. Jetzt, solange ich noch Kraft habe, will ich mit dir sprechen. Zunächst danke ich dir und dem gelben Mann, ›Licht in der Finsternis‹, die ihr durch Mut oder durch Zauber – ich weiß es nicht – Sabeela vor Heu-Heu gerettet und sein Haus, seine Priester und sein Standbild zerstört habt. Es ist wahr, daß Heu-Heu fortlebt, denn er kann nicht sterben, aber von nun an hat er hier kein Heim, keine Gestalt und keine Anbeter, und deshalb ist seine Macht über die Seelen und Körper der Menschen dahin, und seine Anbetung wird unter den Walloos mit der Zeit verschwinden. Vielleicht wird keiner meines Volkes mehr durch den Fluch Heu-Heus zugrunde gehen, Herr.«

»Aber warum solltest du sterben, Issicore?«

»Weil der Fluch vorher auf mich gefallen ist, Herr, solange Heu-Heu noch über die Walloos herrschte, wie er es von Anbeginn an getan hat, er, der einst ihr König war auf Erden.«

Ich wollte diesem Unsinn widersprechen, aber er machte eine abwehrende Handbewegung und fuhr fort:

»Herr, meine Zeit ist kurz bemessen, und ich wünsche dir etwas mitzuteilen. Bald werde ich nicht mehr sein und vergessen werden, selbst von Sabeela, deren Gatte ich zu werden gehofft habe. Ich flehe dich deshalb an, daß du Sabeela heiraten mögest.«

Hier stockte mein Atem, aber ich hielt an mich, bis er ausgesprochen hatte.

»Ich habe bereits veranlaßt, daß sie von diesem meinem letzten Willen verständigt werde. Auch habe ich die Ältesten der Walloos verständigen lassen, und bei einer Versammlung, die sie heute morgen abhielten, haben sie beschlossen, daß diese Hochzeit recht und weise sei.«

»Himmel!« rief ich aus, aber wieder hieß er mich durch eine Bewegung schweigen und fuhr fort:

»Herr, obwohl nicht von deiner Rasse, ist Sabeela schön und klug und wird mit dir als ihrem Gatten imstande sein, wieder ein großes Volk aus den Walloos zu machen, wie sie es nach der Überlieferung in jenen grauen Tagen waren, bevor der Fluch Heu-Heus auf ihr Haupt fiel. Denn auch du bist weise und kühn und hast viele Kenntnisse, die uns unbekannt sind; das Volk wird dir dienen wie einem Gott, und vielleicht dahinkommen, dich an Stelle Heu-Heus anzubeten, so daß du eine mächtige Dynastie gründen kannst. Zuerst mag dir dieser Gedanke sonderbar erscheinen, aber bald wirst du einsehen, daß er groß und weise ist. Außerdem müssen, selbst wenn du nicht einverstanden wärest, die Dinge kommen, wie ich es gesagt habe.«

»Warum?« fragte ich, unfähig, mich länger zurückzuhalten.

»Weil du, o Herr, in diesem Land den Rest deines Lebens zubringen mußt, denn jetzt bist du hier gefangen, und trotz all deinem Mut bist du nicht imstande, zu entfliehen. Niemand wird bereit sein, dich den Fluß hinabzurudern, und du kannst deinen Weg auch nicht mit Gewalt erzwingen, denn du wirst bewacht werden. Außerdem wirst du bemerken, wenn du ins Haus des Walloos zurückkehrst, daß dir alle deine Patronen genommen wurden, so daß du mit Ausnahme der wenigen, die du bei dir trägst, waffenlos bist. Deshalb, da du doch ohnehin hier leben mußt, ist es besser, daß du es an der Seite Sabeelas tust, als mit irgendeinem andern Weib, denn sie ist die lieblichste und klügste aller Frauen. Auch ist sie ihrer Abstammung nach das gesetzliche Oberhaupt, und durch sie wirst du Walloo werden, wie ich es nach unserem Brauch geworden wäre.«

In diesem Augenblick schloß er die Augen und schien eine Zeitlang bewußtlos zu werden. Plötzlich schlug er sie wieder auf und, auf mich blickend, erhob er seine schwachen Hände und rief aus:

»Gegrüßt sei der Walloo! Langes Leben und Ehre dem Walloo!«

Und das war nicht alles, denn zu meinem Entsetzen hörte ich von jenseits der Mauer, die das Zimmer von dem übrigen Hause trennte, die Frauen, die ich bereits erwähnt habe, den Ruf wiederholen:

»Gegrüßt sei der Walloo! Langes Leben und Ehre dem Walloo!«

Hierauf verlor Issicore wieder das Bewußtsein; wenigstens schien er nichts von dem, was ich ihm sagte, zu verstehen. So gingen denn Hans und ich, nachdem wir eine Zeitlang gewartet hatten, fort. Wir dachten, daß alles vorbei sei. Dies war allerdings noch nicht der Fall; Issicore lebte bis zum Anbruch der Nacht und gewann, wie ich hörte, das Bewußtsein auf einige Stunden kurz vor seinem Ende wieder, während welcher ihn Sabeela, begleitet von einigen der Senatoren oder Ältesten, besuchte. Zu dieser Zeit, glaube ich, regelte der unglückliche, aber überaus selbstlose Issicore, der schönste Mann, den ich jemals sah, zu seiner eigenen Befriedigung, wenn schon nicht zu der meinen, alles in der Art, wie es seiner Ansicht nach am besten für das Glück seiner Heimat und seiner Geliebten war.

 

»Gut also, Baas«, sagte Hans, als wir das Haus verlassen hatten. »Ich denke, es ist am besten, wir gehen nach Hause. Jetzt ist es Dein Haus, nicht wahr, Baas? Nein, Baas, es nützt nichts, auf diesen Fluß zu schauen, denn siehst du, diese Walloos sind so liebenswürdig, daß sie uns bereits mit einem Häuptlingsgefolge versehen haben.«

Ich blickte mich um. Es war nur zu wahr! An Stelle des einen Mannes, der uns zu diesem Haus geführt hatte, standen da zwanzig große Burschen mit ihren Speeren, die mich in ehrerbietiger Weise grüßten und darauf bestanden, sich an meine Fersen zu heften. So gingen wir denn zurück, indem uns die Eskorte in militärischer Weise unmittelbar folgte, während Hans mir folgenden Vortrag hielt:

»Ich habe es nicht anders erwartet, Baas! Natürlich, wenn ein Mann sich so viel aus Frauen macht, in seinem Innern nämlich, Baas, so merken sie es und haben ihn gern – es ist nicht notwendig, es ihnen erst mit vielen Worten zu sagen, Baas. Und da sie ein gutes Herz haben, sind sie gleich bereit, auch für ihn eingenommen zu sein. Das ist es, was hier geschehen ist. Vom Augenblick an, da Sabeela dich gesehen hat, hat sie sich aus Issicore nicht mehr gemacht als aus einer Prise, obwohl er so gut aussah und einen solchen Weg zurückgelegt hatte, um ihr zu helfen. Nein, Baas, sie fand etwas in dir, das sie nicht einmal in zwei Yards von diesem Issicore finden konnte, der, alles in allem, eine Art leerer Trommel war, Baas, und nur dann Lärm machte, wenn du auf ihn klopftest; ein kleines Geräusch auf einen kleinen Klaps und einen großen Krach auf einen kräftigen Schlag hin! Überdies, was er auch war, so ist es jetzt mit ihm zu Ende, und es zahlt sich nicht aus, Zeit zu verlieren, indem man über ihn spricht.

Dies wäre kein so schlechtes Land, um darin zu leben, jetzt, da die meisten dieser Heuheua tot sind – schau, da liegen mehrere ihrer Leichen am Ufer –, und zweifellos könnte man auch das Bier kräftiger brauen, und auch Tabak gibt es. So wird ja alles ganz gut gehen, bis wir davon genug haben, Baas, und dann werden wir vielleicht imstande sein, uns davonzumachen. Dennoch bin ich froh, daß keine mich zu heiraten wünscht, Baas, und mich zwingen will, wie ein ganzes Gespann Ochsen zu arbeiten, um diese ganze Gesellschaft aus ihren Drecklöchern zu ziehen.«

So fuhr er fort, seinen Unsinn ellenweise von sich zu geben, und ich war buchstäblich so niedergeschmettert, daß ich kein Wort zur Entgegnung fand. Es ist wirklich immer das Unerwartete, das geschieht. Während der letzten paar Tage hatte ich manche Gefahren vorausgesehen und hatte viele überstanden. Aber an diese hatte ich nicht einmal im Traum gedacht! Was für ein Schicksal! Als Gefangener in einer Art vergoldetem Käfig gehalten zu werden und wie ein dressierter Affe mein ganzes Leben lang zur Arbeit gezwungen zu werden! Aber ich würde schon einen Weg zwischen den Käfigstangen hindurch finden, oder mein Name wäre nicht Allan Quatermain! Nur was für einen Weg, das war die Frage. Für den Augenblick konnte ich keinen sehen, denn diese Käfigstangen schienen dick und stark zu sein. Dazu kamen noch diese Herrschaften mit den Speeren hinter mir!

Endlich kamen wir ohne Zwischenfall zum Haus des Walloos und betraten sofort unser Zimmer. Hans machte sich in einer Ecke zu schaffen und rief:

»Issicore hat ganz recht gehabt, Baas! Alle Patronen sind fort und die Büchsen ebenso. Nun sind wir ganz auf unsere Pistolen und vierundzwanzig Patronen angewiesen.«

Ich blickte hin. Es war tatsächlich so! Darauf schaute ich durch das Fensterloch, und in der Tat! Da standen im Garten die zwanzig Mann und waren bereits beschäftigt, den Boden zur Errichtung eines Schilderhauses abzustecken.

»Sie haben die Absicht, sich hier niederzulassen, um bequem bei der Hand zu sein, falls der Baas sie – oder sie den Baas wünschen sollten«, sagte Hans mit Betonung und fügte hinzu: »Ich glaube, daß der Walloo immer eine Eskorte von zwanzig Mann um sich hat, wohin immer er sich begibt!«

In den nächsten paar Tagen sah ich weder Sabeela noch Dramana, denn sie waren mit den zeremoniellen Bestattungsfeierlichkeiten, zunächst des Walloos und dann des unglücklichen Issicore beschäftigt, zu denen ich aus religiösen oder sonstigen Gründen nicht eingeladen worden war.

Gewisse Häuptlinge oder Indunas lauerten allerdings ununterbrochen, um über mich herzufallen. So oft ich meine Nase aus der Tür steckte, erschienen sie, sich demütig verneigend, und ergriffen sofort die Gelegenheit, mich in der Geschichte und den Gewohnheiten des Walloovolkes zu unterrichten, bis ich dachte, daß meine Kindheit wiedergekehrt sei und ich wieder damit beschäftigt sei, ›Sandford and Merton‹ zu lesen und mein Wissen durch mündliche Diskussionen zu vermehren. Diese alten Ehrenmänner langweilten mich zu Tode. Ich versuchte sie loszuwerden, indem ich weite Spaziergänge in schnellem Schritt unternahm, aber sie gingen freundlichst darauf ein und trotteten an meiner Seite hin, bis sie zusammenbrachen, ununterbrochen redend, redend, redend! Und konnte ich auch hin und wieder diesen alten Räten entwischen, so waren doch die zwanzig Leibwächter, die eine Art Chor bei diesen Ausflügen bildeten, »schnell bei der Hand mit ihren Füßen«, wie ein Ire sagen würde, und machten nie kehrt. Manchmal allerdings ließen sie mich kehrtmachen, wenn sie dachten, daß ich in verbotener Richtung ginge, denn dann eilte die Hälfte von ihnen an die Spitze und versperrte höflichst den Weg.

Schließlich waren am dritten oder vierten Tag alle Feierlichkeiten beendet, und ich wurde vor Sabeela gerufen.

Wie Hans hernach bemerkte, war alles überaus prächtig. Ich allerdings hielt es für protzenhaft, mit all dem geschmacklosen Flitterwerk eines fast vergessenen Zeremoniells. Da war Sabeela, überaus schön anzusehen, denn sie war ein liebliches Weib, und in halbwilder Art herrlich aufgeputzt, die die Rolle einer Königin, und zwar nicht ganz ohne Würde, spielte, wie es vielleicht ihre Vorgängerinnen vor Tausenden von Jahren in einem größeren Zeitalter getan hatten. Und da waren auch ihre weißhaarigen Räte oder Indunas, dieselben, die mich bei meinen Spaziergängen gelangweilt hatten, und stellten die hohen Würdenträger vergangener Tage dar.

Und doch war die Königin nicht länger Königin. Ihre Rolle war zu einer wilden Häuptlingswürde herabgesunken, und die Räte waren zu jener schwätzenden Menge geworden, die solch eine Person in den tausend Kraalen oder Städten Afrikas zu umgeben pflegt. Auch die Zeremonie war äußerst langwierig, denn jeder dieser Räte hielt eine Rede, in der er wiederholte, was seine Vorgänger bereits gesagt hatten, und mit Abänderungen alles erzählte, was sich im Lande ereignete, seit ich es betreten hatte. Zu alledem mischten sie phantastische Übertreibungen unserer Taten auf der Insel.

Aus diesen Reden erfuhr ich immerhin eines, nämlich, daß der größte Teil des haarigen Volkes, das Heuheua genannt wurde, in der großen Explosionskatastrophe des Vulkans zugrundegegangen war – und nur wenige außer den Greisen, Kindern und Weibern, übrig geblieben waren, ihr Geschlecht fortzupflanzen. Deshalb, hieß es, seien die Walloos vor jedem Angriff sicher, wenigstens auf einige Generationen hinaus, wie man auch aus dem Geheul schließen könne, das nachts in den Wäldern sich erhebe – ein Geheul, das ich selbst bereits vernommen hatte –, leidenschaftliche und fürchterliche Schreie eines fast tierischen Schmerzes. Dies, sagten die unbarmherzigen Weisen, gebe den Walloos eine günstige Gelegenheit – jetzt sei die Zeit gekommen, eine allgemeine Jagd auf die Waldleute zu beginnen und alle, einschließlich der Weiber und Kinder, zu erschlagen, und sie betrachteten mich als überaus geeignet, diese Aufgabe zu übernehmen.

Als alle ausgesprochen hatten, kam die Reihe an Sabeela. Sie erhob sich von ihrem thronähnlichen Sessel und sprach uns mit wirklicher Beredsamkeit an. Zunächst führte sie aus, daß sie ein Weib sei, das unter doppeltem Schmerz litte: unter dem Tod ihres Vaters und des Mannes, dem sie verlobt war. Und dieser Verlust mache ihr Herz schwer. Hierauf dankte sie in rührender Weise Hans und mir für alles, was wir getan hätten, um sie zu retten. Ohne uns, sagte sie, wäre sie jetzt tot oder nichts als eine erniedrigte Sklavin im Hause Heu-Heus, das wir indessen, wie auch Heu-Heu selbst vernichtet hätten, so daß sie und das Land wieder befreit wären. Hierauf verkündete sie mit Worten, die offenbar vorher zusammengestellt worden waren, daß es jetzt nicht Zeit sei, an vergangene Schmerzen und Liebe zu denken, denn sie müsse in die Zukunft blicken. Für einen Mann wie mich gebe es nur eine passende Belohnung, und das wäre die Herrschaft über das Walloovolk in Verbindung mit der Hingabe ihrer eigenen Person.

Deshalb hätte sie auf den Wunsch ihrer Räte angeordnet, daß wir am vierten Morgen nach diesem Tage zu vermählen seien, wonach ich durch das Recht der ehelichen Verbindung öffentlich als Walloo erklärt werden sollte. Dann bat sie mich zu sich herauf (wo ein Stuhl für mich vorbereitet war), um den Brautkuß mit mir zu tauschen.

Wie man sich vorstellen kann, war ich unentschlossen; in der Tat, ich habe mich niemals so an den Stuhl gefesselt gefühlt, wie in diesem fürchterlichen Augenblick! Denn ich wußte nicht, was ich sagen sollte, und meine Zunge schien an meinem Gaumen festgeklebt. So blieb ich ruhig sitzen, während alle diese alten Esel mich anglotzten und Sabeela mich wartend aus den Winkeln ihrer Augen beobachtete. Das Schweigen wurde peinlich, bis plötzlich Hans in seiner rauhen Weise hustete und folgendes sagte:

»Geh hinauf, Baas, und halte durch! Es ist nicht halb so unangenehm wie es aussieht und, in der Tat, manche Leute würden es überaus gern tun. Es ist besser, eine hübsche Dame zu küssen, als den Hals abgeschnitten zu bekommen, Baas, und das wird dir ohne Zweifel geschehen, wenn du dich weigerst; denn eine Frau ist immer schlecht gelaunt, wenn man sich weigert, sie zu küssen, nachdem sie einen öffentlich darum gebeten hat.«

Ich sah ein, daß dieses Argument gewichtig war und, um es möglichst kurz zu machen, schritt ich zum Sessel empor und tat – nun gut – alles, was man von mir verlangte. Herrgott! Wie ein Narr kam ich mir vor, während diese Idioten uns zujauchzten und Hans unten wie ein ganzer Käfig voll Affen zu mir heraufgrinste! Immerhin, es war nur eine Zeremonie, eine reine Formalität, und ich berührte nur die Stirne Sabeelas mit meinen Lippen und bekam eine freundliche Bestätigung. Hierauf saßen wir eine Zeitlang Seite an Seite und lauschten diesen alten Wallooräten, die einen lächerlichen Singsang anstimmten, etwas über die Vermählung eines Helden mit einer Göttin, den sie, wie ich annehme, für diese Gelegenheit erfunden haben mußten. Mitten in diesem Lärm, der groß genug war, denn sie hatten ausgezeichnete Lungen, sprach Sabeela mit leiser Stimme zu mir, ohne den Kopf zu wenden und mich anzusehen:

»Herr«, sagte sie, »versuche weniger unglücklich auszusehen, sonst würden diese Leute etwas ahnen und unser Gespräch belauschen! Das Gesetz besagt, daß wir uns vor dem Hochzeitstag nicht wieder sehen sollen, aber ich muß dich heute nacht allein sprechen. Sei unbesorgt«, fügte sie mit einem fast sarkastischen Lächeln hinzu, »denn, obwohl ich allein sein muß, kannst du deinen Gefährten mitbringen; was ich dir zu sagen habe, betrifft euch beide. Erwartet mich um Mitternacht, wenn alles schläft, in dem Gang, der von diesem Raum zu deinem Zimmer führt. Er hat keine Fenster und seine Mauern sind stark, so daß wir dort weder gesehen noch gehört werden können. Achte darauf, daß du die Tür hinter dir schließt, wie auch ich die Tür dieses Zimmers schließen werde. Verstehst du mich?«

Indem ich heiter in die Hände klatschte, um meinem Entzücken über die musikalische Vorführung Ausdruck zu geben, flüsterte ich zurück, daß ich verstanden hätte.

»Gut, wenn der Gesang beendet ist, verkünde, daß du eine Bitte an mich zu stellen hast. Verlange, daß dir morgen ein Kanu und Ruderer zur Verfügung gestellt werden, um dich auf die Insel zu bringen. Denn du wünschest zu erfahren, was dort geschehen sei und ob noch einige der Waldleute an ihrer Küste lebend anzutreffen seien. Sage, daß, wenn dies der Fall sei, Maßregeln getroffen werden müßten, um ein Ende mit ihnen zu machen, damit sie nicht entkämen. Und jetzt sprich nicht mehr!«

Endlich war der Gesang zu Ende und mit ihm die ganze Feierlichkeit. Als Zeichen, daß alles vorbei sei, erhob sich Sabeela von ihrem Sessel und verbeugte sich vor mir, worauf auch ich aufstand, und das Kompliment mit meiner besten Verneigung beantwortete. So verabschiedeten wir uns öffentlich voneinander, bis zum unglückseligen Hochzeitsmorgen. Bevor wir uns trennten, verlangte ich aber mit lauter Stimme als eine besondere Gunst, daß mir gestattet werden möge, die Insel zu besuchen oder doch zumindest um ihre Küste zu rudern, indem ich die von Sabeela vorgeschlagenen Gründe angab. Darauf entgegnete sie: »Tut das, wie mein Herr es wünscht«, und zog sich zurück, bevor jemand noch Einwände machen konnte, und es folgten ihr alle ihre Dienerinnen und Dramana, die über diese Wendung der Dinge nicht besonders erfreut zu sein schien.

 

Ich gehe gleich zu der mitternächtlichen Unterredung über. Zur vorherbestimmten Zeit, oder eher noch etwas früher, betrat ich, von Hans begleitet, den Gang. Hans kam nur ungern mit und begründete seinen Widerwillen mit einem holländischen Sprichwort, das ungefähr den Sinn hat: »Zwei sind eine angenehme Gesellschaft, drei sind gar keine.« Da standen wir nun in der Finsternis und warteten. Einige Minuten später öffnete sich die Tür am anderen Ende, und es erschien Sabeela, weiß gekleidet und in der Hand eine unbedeckte Lampe tragend. Sie erschien mir in diesem Gewand und dieser Umgebung in der eigenartigen Beleuchtung schöner denn je – in der Tat, fast überirdisch schön. Wir kamen aufeinander zu und ohne jede Begrüßung sagte sie:

»Häuptling, ›Wächter in der Nacht‹, ich finde dich bei Nacht wachend, meiner Bitte getreu. Es mag dir diese Bitte sonderbar erschienen sein, aber höre jetzt ihren Grund. Ich kann mir nicht vorstellen, daß du glaubst, ich wünschte diese Heirat. Ich weiß, daß sie dir verhaßt ist, da ich von anderer Rasse bin als du und du mich nur als ein halbwildes Weib betrachtest, das du von Tod und Schande errettet hast. Nein, widersprich mir nicht, ich flehe dich an, denn manchmal ist die Wahrheit gut! Und weil sie gut ist, will ich noch den Grund hinzufügen, weshalb auch ich nicht diese Heirat wünsche, oder wenigstens den wichtigsten aller Gründe: nämlich, weil ich Issicore von Herzen liebte, der seit der Kindheit mein Spielgefährte gewesen ist, bis er mir mehr wurde als ein Gespiele.«

»Ja«, unterbrach ich sie, »und ich weiß, daß er dich liebte. Warum aber hat er dann auf seinem Totenbett selbst diese Hochzeit beschleunigt?«

»Deshalb, Herr, weil Issicore ein edles Herz hatte. Er hielt dich für den größten Mann, den er je gekannt hatte, für einen Halbgott, wie er mir sagte. Er glaubte auch, daß du mich glücklich machen und dieses Land weise beherrschen und es aus seinem tiefen Schlafe wieder erwecken würdest. Auch wußte er, daß du und dein Gefährte ermordet werden würdet, wenn diese Heirat nicht zustande käme. Und wenn er in dieser Angelegenheit schlecht geurteilt hat, so muß man in Betracht ziehen, daß sein Geist vom Gift benebelt war, das man ihm gereicht hatte, denn ich bin sicher, daß er nicht allein aus Furcht gestorben ist.«

»Ich verstehe. Alle Achtung vor ihm«, sagte ich.

»Ich danke dir. Nun, Herr, glaube ich, obgleich ich unwissend bin, daß wir jenseits des Todes weiterleben. Vielleicht habe ich diesen Glauben noch von meinen Ahnen ererbt, die noch andere Götter neben dem Teufel Heu-Heu anbeteten. Jedenfalls ist es meine feste Überzeugung. Ich hoffe also, daß ich jenseits des Todestors, wo ich vielleicht in nicht gar so ferner Zeit sein werde, Issicore wieder finden werde, Issicore, wie er war, bevor der Fluch Heu-Heus auf ihn gefallen ist und er das Gift der Priester getrunken hat, und deshalb wünsche ich, keinem anderen Mann anzugehören!«

»Ich achte deine Gründe«, murmelte ich.

»Ich danke dir, Herr. Doch jetzt laß uns andere Dinge ins Auge fassen. Morgen nachmittag wird ein Kanu bereit sein, und darin wirst du alle Waffen finden, die euch entwendet worden sind, und alle deine Habseligkeiten. Es wird von vier Ruderern bemannt sein; von Männern, die als Spione der Priester Heu-Heus bekannt sind, die hier am Festland angestellt waren, um die Walloos zu beobachten und selbst einmal Priester geworden wären. Deshalb sind sie jetzt, wo Heu-Heu gestürzt ist, dem Tod verfallen. Nicht sofort, sondern nach einiger Zeit vielleicht, wie es aussehen wird, durch Krankheit oder Unfall. Wenn sie am Leben bleiben, fürchten die Wallooräte, daß sie die Herrschaft Heu-Heus wieder errichten könnten. Dies wissen sie ganz gut, und deshalb wünschen sie vor allen Dingen, aus diesem Lande zu entkommen, so lange noch Leben in ihnen ist.«

»Hast du diese Leute gesehen, Sabeela?«

»Nein, aber Dramana hat sie gesehen. Und jetzt, Herr, will ich dir etwas sagen, obgleich ich es nicht ohne Scham tue, wenn du es nicht schon selbst wahrgenommen haben solltest. Dramana wünscht nicht unsere Heirat, Herr. Du hast Dramana gerettet, wie du mich gerettet hast, und Dramana ist gleich Issicore dahin gekommen, dich als Halbgott anzusehen. Muß ich noch mehr sagen, außer vielleicht natürlich, daß sie aus diesem Grunde dein Entkommen wünscht, denn sie würde es lieber wollen, daß du frei und uns beiden verloren wärst, als daß du hier bliebest und mich zum Weibe nähmest. Habe ich genug gesagt?«

»Vollkommen«, erwiderte ich, denn ich wußte, daß sie die Wahrheit sprach.

»Dann habe ich wohl nichts mehr hinzuzufügen; ich hoffe bloß, daß alles gut ausgeht und daß du und dein gelber Diener vor Anbruch des übernächsten Tages glücklich aus diesem fluchbeladenen Lande entkommen sein werdet. Nachdem die Dämmerung hereingebrochen sein wird, werden die Ruderer das Kanu, bevor der Mond aufgeht, nicht zum Landungssteg zurück, sondern in die Schlucht des Flusses bringen, welchen ihr beim Mondschein hinabrudern müßt. Wenn dies gelingt, so bitte ich dich, zu Zeiten in deinem eigenen Lande an Sabeela, die gebrochene Herrscherin eines niedergedrückten Volkes, zu denken, so wie sie Tag für Tag, wenn sie sich erhebt und wenn sie schlafen geht, an dich denken wird, der sie und uns alle vom Untergang bewahrt hat! Lebewohl, mein Herr, und auch du, ›Licht in der Finsternis‹, lebe wohl!«

Hierauf ergriff sie meine Hand, küßte sie und glitt ohne ein weiteres Wort hinweg, wie sie gekommen war.

 

Das war das letzte, was ich von Sabeela, der Wunderschönen, sah oder hörte. Ich weiß nicht, ob sie noch lange lebte. Irgendwie scheint es mir, daß dies nicht der Fall war; denn in jener Nacht glaube ich den Tod in ihren Augen gelesen zu haben.


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