Rider Haggard
Die heilige Blume
Rider Haggard

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15. Kapitel

Der Motombo

Ich schlief auch sofort ein, bis mich ein heller Lichtstrahl aufweckte, der mir direkt ins Gesicht fiel.

»Wo, zum Teufel, kommt denn das her?« fragte ich mich; denn diese Hütten hatten überhaupt keine Fenster.

Den Strahl verfolgend, sah ich ein kleines Loch in der Mauer, etwa einundeinhalb Meter über dem Fußboden. Das Loch war ganz frisch, denn der Ton an den Seiten war noch in keiner Weise verfärbt. Es war ein Horchloch, wie es im Buche steht. Ich ging hinaus, um weiterzuforschen. Die Hausmauer stand nur einen Meter von der lebenden Hecke entfernt. Diese zeigte jedoch keinerlei Spuren, daß etwa ein Mensch über sie geklettert sei. Ich rief Hans und fragte ihn, ob er wirklich Wache gehalten hätte, während der vermummte Mann bei uns war. Er schwur, daß niemand in die Nähe gekommen sei, und er hätte mehrere Male das Haus umkreist.

Ein wenig beruhigt, aber doch nicht ganz zufrieden ging ich wieder hinein, um die anderen zu wecken. Ich sagte ihnen nichts von meiner Entdeckung, um sie nicht unnötig zu beunruhigen.

Nach dem Frühstück erschien der majestätische 231 Komba. Nach vielen Komplimenten und Erkundigungen über unser allgemeines Befinden fragte er uns, ob wir jetzt bereit seien, zu unserem Besuch bei dem Motombo aufzubrechen, der, wie er hinzusetzte, uns mit höchster Spannung erwarte.

Ich fragte, woher er das wissen könne. Wir hätten diesen Besuch ja doch erst in später Nachtstunde beschlossen, und der Motombo wohne doch eine volle Tagereise von hier entfernt. Aber Komba erledigte die Frage mit einem undefinierbaren Lächeln und einer Handbewegung.

Kurz danach brachen wir auf. Ein Weg von fünf Minuten führte uns durch die Hauptstraße zum nördlichen Tor der Stadt. Hier fanden wir den Kalubi selber an der Spitze einer Eskorte von vierzig speerbewaffneten Leuten vor. Er verkündete mit lauter, aber unsicherer Stimme, daß wir der besonderen Ehre teilhaftig werden sollten, von ihm selbst nach der Wohnung des Heiligen geleitet zu werden!

Den ganzen Tag lang durchzogen wir eine fruchtbare Ebene. Sie mußte früher bewirtschaftet worden sein, wie viele Anzeichen noch erkennen ließen. Jetzt gab es hier nur noch wenige Felder, und zwischen ihnen eroberten dichte Bambusdschungeln das Land. Gegen Mittag hielten wir an einem kleinen Teiche. Wir aßen und rasteten ein wenig. Dann ging es weiter. Wir kamen auf etwas zu, was aussah wie eine lange Reihe schwarzer Klippen. Dahinter erhob sich der vulkanisch aussehende Berg. Gegen drei Uhr waren wir diesen Klippen nahe genug. Sie erstreckten sich, so weit das Auge reichte, 232 nach Ost und West. Die Straße, der wir folgten, führte direkt auf ein großes Loch in einer Klippe zu, wahrscheinlich der Eingang einer Höhle.

Der Kalubi kam an uns heran und versuchte in seiner scheuen Art eine Unterhaltung anzuknüpfen. Ich glaube, das Näherrücken dieses Berges rief ihm seine Todesahnungen in lebendige Erinnerung. Er sagte uns auch, daß jenes Loch da vorn das Tor vom Hause des Motombo wäre.

Es geschah nichts weiter, bis wir jene eigenartige Mauer aus schwarzen Felsen erreichten, deren Entstehung ich mir nur damit erklären kann, daß sie als härteres Material stehengeblieben waren, während die umgebenden weicheren Gesteinsarten durch atmosphärische Einflüsse in Millionen von Jahren weggenagt und weggewaschen worden waren. Wir hielten ein paar Minuten und starrten beklommenen Herzens auf das dunkle Loch vor uns, ohne Zweifel dasselbe, von dem der alte Babemba erzählt hatte. Der Kalubi gab einen Befehl. Ein paar Soldaten liefen zu einigen Hütten nahe dem Höhleneingang, wahrscheinlich Behausungen von Wächtern und Dienern, hin und kehrten fast augenblicklich mit einer Anzahl angezündeter Fackeln zurück, die unter uns verteilt wurden. Dann drangen wir mit einer Gänsehaut auf dem Rücken in den düsteren Schlund dieser großen Höhle ein. Der Kalubi ging mit der Hälfte der Eskorte voraus, und Komba folgte mit dem Reste nach.

Boden und Wände der Höhle waren bemerkenswert glatt Sie führte nicht in einer geraden Linie 233 fort, sondern beschrieb mehrere mehr oder weniger scharfe Bogen und Krümmungen, und nach der ersten Krümmung stimmten die Pongosoldaten einen dumpfen, schwermütigen Gesang an. Die ganze Höhle mochte, nach der Zahl meiner Schritte zu schließen, etwa zweihundertfünfzig Meter lang sein. Endlich bogen wir um die letzte Ecke und standen vor einem halb aufgezogenen Vorhang aus gewebtem Gras und einem fremdartigen, unheimlichen Bild.

Dieser letzte Teil der Höhle war von zwei großen Feuern und schon teilweise vom Tageslicht erleuchtet. Hinter dem Ausgang war ein etwa hundertfünfzig Meter breites Gewässer zu erkennen, und hinter diesem wiederum begannen die von Bäumen bestandenen Abhänge des Berges. Eine kleine Bucht setzte sich ein Stück weit ins Innere der Höhle fort Sie bildete den Landungsplatz für ein hier verankert liegendes, gutgeformtes mittelgroßes Kanu. Zu beiden Seiten der Bucht waren mit Türen abgeschlossene Kammern in die Felsen eingemeißelt. Vor jeder dieser Türen stand eine große Pongofrau, weißgekleidet und eine brennende Fackel in der Hand. Ich glaube, es waren Dienerinnen, die uns bewillkommnen sollten, denn nachdem wir vorüber waren, verschwanden sie in den Kammern.

Doch das war noch nicht alles. Über der kleinen Bucht war, etwa drei Meter im Geviert, eine Art hölzerne Plattform errichtet. Von jeder ihrer vier Ecken ragte ein ganz enormer Elefantenzahn in die Höhe, größer als ich je einen in meinem ganzen Leben gesehen hatte, und ganz schwarz vor Alter. 234

Zwischen diesen Zähnen, auf weichen Fellen hockend, saß etwas, was ich der Gestalt und der Stellung nach im ersten Augenblick für eine ungeheure Kröte hielt. Es besaß in Wirklichkeit jedes Merkmal einer riesigen, aufgeblasenen Kröte. Da war die rauhe bucklige Haut, da das gebogene Rückgrat und da die dünnen ausgespreizten Beine.

Wir starrten dieses unheimliche Phänomen eine ganze Weile lang wortlos an, unfähig, es in diesem Lichte seiner Gattung nach zu erkennen. Schließlich wurde ich nervös, und ich wollte den Kalubi fragen, was das zu bedeuten habe. Gerade als ich meine Lippen öffnete, rührte sich das Ding und drehte sich mit langsamen, tappenden Bewegungen nach uns um. Als der Kopf in Sicht kam, unterbrachen die Pongo ihren melancholischen Gesang und warfen sich auf ihre Gesichter nieder.

Was uns da ansah, war keine Kröte, sondern ein Mensch, der sich auf allen Vieren bewegte. Der große kahle Kopf war tief zwischen die Schultern gesunken, entweder durch Verkrüppelung oder durch das Alter, denn diese Kreatur war unzweifelhaft uralt! Das breite Gesicht war ebenfalls eingesunken, verrunzelt und verwittert, die Unterlippe hing schlaff auf den vortretenden und knochigen Kiefer nieder. Aus den Winkeln des Mundes traten zwei hauerähnliche gelbe Zähne hervor, von Zeit zu Zeit leckte eine rote Zunge über die zahnlosen, weißlichen Kieferknochen und die runzlichen Lippen hin. Doch das größte Wunder dieses Geschöpfes lag in seinen Augen. Sie waren groß und rund und schienen 235 buchstäblich zu glühen; ich bemerkte einige Male ganz unzweifelhaft ein phosphoreszierendes Glimmen, wie ich es schon so oft in Löwenaugen gesehen hatte. Ich gestehe, daß der Anblick dieser Kreatur mich mit Schrecken erfüllte und eine ganze Weile lang förmlich lähmte. Der Gedanke, daß das ein menschliches Wesen war, ließ das Blut in meinen Adern erstarren.

Ich schielte auf die andern. Stephan war blaß geworden. Bruder John strich seinen weißen Bart und murmelte ein Stoßgebet, und Hans rief in seinem scheußlichen Kapholländisch aus: »Oh! keek, Baas, da is je lelicher oud deel!« («Sieh da, Baas, da ist der leibhaftige Teufel selbst!«)

Jerry warf sich platt auf das Gesicht nieder und murmelte, daß er den Tod vor sich sähe. Nur Mavovo stand aufrecht, vielleicht weil er dachte, daß es für einen angesehenen Zauberdoktor nicht schicklich sei, sich vor einem bösen Geiste zu fürchten. Die krötenartige Kreatur auf der Plattform schwang ihren großen Kopf langsam wie eine Schildkröte hin und her und betrachtete uns mit flammenden Augen. Endlich sprach sie mit dicker, gutturaler Stimme im Bantudialekt, jedoch, wie mir vorkam, mit einem fremden Akzent.

»So seid ihr die weißen Männer, die zurückkommen«, sagte sie langsam. »Laßt mich zählen!« Dabei hob sie eine dürre Hand vom Boden, zeigte mit dem Finger und zählte.

»Eins. Groß, mit weißem Bart. Ja, das ist richtig. Zwei. Kurz, hager wie ein Affe, mit Haar, das 236 keinen Kamm leidet; auch gescheit wie ein Vater aller Affen. Ja, das ist richtig. Drei. Glattgesichtig, jung und dumm wie ein fettes Baby, das zum Himmel lacht, weil es voll von Milch ist, und weil es denkt, daß der Himmel ihm zulache. O ja, das ist richtig. Ihr alle drei seid dieselben geblieben. Erinnerst du dich, Weißbart, wie du, als wir dich töteten, Gebete emporsandtest zu einem, der über der Welt sitzt, und wie du ein Kreuz, aus Knochen gemacht, emporhieltest, an das ein Mann gebunden war, der um den Kopf Dornen trug? Erinnerst du dich, daß du den Mann mit der Dornenmütze küßtest, als der Speer in deinen Körper fuhr? Du schüttelst den Kopf – oh, du bist ein geschickter Lügner, aber ich will dir zeigen, daß du ein Lügner bist, denn ich habe das Ding jetzt noch.« Dabei griff er nach einem Horn, das hinter ihm auf den Fellen lag und blies hinein.

Als der heulende Ton des Instruments verklungen war, kam aus einer der Türen eine Frau gelaufen und warf sich vor ihm auf die Knie nieder. Er murmelte etwas, sie lief zurück und kam augenblicklich wieder, ein elfenbeinernes, gelbfarbiges Kruzifix in der Hand.

»Hier ist es, hier ist es«, sagte er. »Nimm es, Weißbart, und küß es noch einmal, vielleicht zum letzten Male«, und er warf das Kreuz Bruder John zu, der es auffing und erstaunt betrachtete. »Und erinnerst du dich, fettes Baby, wie wir dich fingen? Du kämpftest gut, recht gut, aber schließlich töteten wir dich doch, und du warst gut, sehr gut, wir 237 bekamen viel Kraft von dir. – Und erinnerst du dich, Vater der Affen, wie du uns durch deine Klugheit entrannest? Ich möchte wissen, wohin du gingst und wie du starbst. Ich werde dich nicht vergessen, denn du hast mir dieses hier gegeben«, dabei zeigte er auf eine große weiße Narbe an seiner Schulter. »Du hättest mich getötet, aber das Zeug in deiner Eisenröhre brannte langsam, als du das Feuer daran hieltest, so daß ich Zeit hatte, beiseite zu springen und die eiserne Kugel mich nicht, wie du wolltest, ins Herz traf. Doch es ist noch immer da; ich trage es an mir bis heute, und nun, wo ich dürr geworden bin, kann ich es mit meinem Finger fühlen.«

In ratlosem Erstaunen hörte ich dieses Geschwätz an, das, wenn es überhaupt etwas bedeutete, nur das bedeuten konnte, daß wir alle einander schon einmal früher, das heißt also in einem früheren Leben, getroffen hatten, und zwar in Afrika und zu einer Zeit, als Luntenflinten im Gebrauch waren – also etwa um das Jahr Siebzehnhundert herum oder noch früher. Oder war nicht auch diese Erklärung Unsinn? Augenscheinlich war irgendein Vorfahre dieses alten Priesters – man konnte ihm selbst vielleicht hundertzwanzig Lebensjahre zubilligen, und die hatte er wohl auch wirklich auf dem Rücken –, vielleicht sein Vater, als junger Mann mit den ersten Europäern zusammengekommen, die das Innere von Afrika aufsuchten. Es mochten Portugiesen gewesen sein, einer von ihnen war ein Priester und die anderen zwei ein ältlicher Mann und dessen Sohn oder sein jüngerer Bruder oder sein Gefährte. Die Art 238 des Todes dieser Leute, wie überhaupt alle Vorgänge dabei, war natürlich vom Häuptling oder Medizinmann des Stammes aufbewahrt und mündlich überliefert worden.

»Wo sind wir uns denn begegnet und wann, Motombo?« fragte ich.

»Nicht in diesem Land, nicht in diesem Land, Vater der Affen,« antwortete er mit seiner tiefen, knarrenden Stimme, »aber weit, weit weg, im Westen, wo die Sonne ins Wasser sinkt; und nicht in diesen Tagen, sondern vor langer, langer Zeit. Zwanzig Kalubis haben seit jenem Tage über die Pongo geherrscht; manche haben viele Jahre und manche haben nur wenige Jahre geherrscht – das hängt vom Willen meines Bruders, des Gottes dort drüben, ab«, und mit einem schrecklichen Kichern zeigte er mit dem Daumen über seine Schulter auf den dunklen Wald am Berge. »Ja, zwanzig haben regiert, manche dreißig Jahre lang und keiner weniger als vier.«

»Nun, du bist ein mächtiger Lügner«, dachte ich für mich, denn wenn man die durchschnittliche Regierungszeit jedes Kalubis mit zehn Jahren annahm, so würde das heißen, daß wir ihm vor über zweihundert Jahren begegnet waren.

»Ihr waret damals anders gekleidet,« fuhr er fort, »und zwei von euch trugen Hüte von Eisen auf dem Kopfe. Aber der Kopf vom Weißbart war blank. Ich befahl, daß ein Bild von euch durch den Meisterschmied in eine Kupferplatte getrieben würde. Ich habe es noch.« 239

Wieder blies er in sein Horn; wieder kam eine Frau angehuscht, der er etwas zuflüsterte; wieder ging sie in eine der Kammern und kam mit einem Gegenstande zurück, den er uns zuwarf.

Es war eine Kupfer- oder Bronzeplatte, schwarz von Alter, die einmal an irgend etwas angenagelt gewesen war, denn wir sahen noch die Löcher. Sie zeigte einen großen Mann mit einem langen Barte und einer Tonsur auf dem Kopfe, der ein Kreuz in der Hand hielt, und zwei andere Männer, beide kurz von Gestalt, die runde Metallhüte trugen und in eigenartig aussehenden Kleidern und Stiefeln mit viereckigen Kappen steckten. Diese Männer trugen große und schwere Vorderlader, und die Hand des einen hielt eine rauchende Lunte. Das war alles, was wir erkennen konnten.

»Warum habt ihr jenes ferne Land verlassen und seid hierhergekommen, Motombo?« fragte ich.

»Weil wir fürchteten, daß andere weiße Männer auf euren Spuren nachfolgen und euch rächen würden. Der Kalubi jener Tage befahl es, trotzdem ich widersprach. Ich, der ich wußte, daß niemand durch Flucht dem entrinnen kann, was kommt, wenn es kommen muß. So wanderten und wanderten wir, bis wir diesen Platz fanden, und hier haben wir gewohnt von Generation zu Generation. Die Götter kamen auch mit uns; mein Bruder, der im Walde wohnt, kam, obgleich wir ihn niemals auf der Reise sahen, doch als wir anlangten, war er schon vor uns hier angekommen. Die Heilige Blume kam auch und die weiße Mutter der Blume – sie war die Frau 240 eines von euch, ich weiß nicht mehr, von welchem.«

»Dein Bruder der Gott?« sagte ich. »Wenn der Gott ein Affe ist, wie wir gehört haben, wie kann er dann der Bruder eines Menschen sein?«

»Oh, ihr weißen Männer versteht das nicht. Aber wir schwarzen Leute verstehen das. Am Anfange tötete der Affe den, der damals gerade Kalubi war, und dessen Geist fuhr in den Affen und machte ihn zum Gott. Und so tötet er seitdem jeden anderen Kalubi, und ihre Geister fahren ebenfalls in ihn hinein. Ist es nicht so, Kalubi von heute, du, dem ein Finger fehlt?« fragte er mit einem höhnischen Meckern.

Der Kalubi, der vor ihm auf dem Bauche lag, stöhnte und zitterte, aber er gab keine Antwort.

»So ist alles eingetroffen, wie ich es voraussah«, fuhr das krötenartige Geschöpf fort. »Ihr seid zurückgekehrt, ich wußte, daß ihr zurückkehren würdet, und nun werden wir lernen, ob Weißbart damals wahre Worte gesprochen hat, als er sagte, daß sein Gott sich an unserem Gott rächen würde. Ihr sollt gehen, um euch an ihm zu rächen. Aber diesmal habt ihr keine von euren eisernen Röhren bei euch. Denn, hat nicht der Gott durch mich erklärt, er würde sterben, wenn die weißen Männer mit einer Eisenröhre zurückkehrten, und ich, der Motombo, der Mund des Gottes, würde sterben, und die Heilige Blume würde ausgegraben und die Mutter der Blume fortgeführt und das Volk der Pongo zu heimatlosen Wanderern und Sklaven werden? Und hat er nicht verkündet, daß, wenn die weißen Männer 241 ohne ihre Eisenröhren wiederkämen, daß dann gewisse geheime Dinge geschehen würden – oh, fragt nicht nach ihnen, sie werden euch beizeiten bekannt werden –, und das Volk der Pongo, das jetzt dahinschwindet, würde wieder fruchtbar und groß werden? Das ist's, warum ich euch willkommen heiße, weiße Männer, die ihr aus dem Lande der Geister kommt, denn durch euch werden wir, die Pongo, wieder fruchtbar und groß werden!« Er brach ab, sein Kopf sank wieder tief zwischen die Schultern, und eine ganze lange Weile hockte er schweigend da, und nur seine wilden, glühenden Augen funkelten über unsere Gesichter hin, als wollten sie unsere Gedanken lesen.

»Wer ist denn dieser kleine Gelbe?« fragte er. »Dieser Alte da mit einem Gesicht wie ein Totenschädel«, und er zeigte auf Hans, der sich soviel als möglich hinter Mavovo verkrochen hatte. »Dieser knopfnäsige Alte, der ein Kind meines Bruders, des Gottes, sein könnte, wenn der je ein Kind gehabt hätte? Und wozu braucht er solch einen großen Stab, da er selber so klein ist? Ich glaube, er steckt voller List und Tücke. Der große Schwarze«, dabei sah er Mavovo an, »ist keiner, den ich fürchte, denn seine Magie ist kleiner als die meine. (Er schien in Mavovo einen Fachgenossen erkannt zu haben.) Aber der kleine Gelbe mit dem großen Stock und dem Bündel auf seinem Rücken, den fürchte ich; ich glaube, man sollte ihn lieber töten.«

Er machte eine Pause, und wir zitterten, denn wenn es ihm einfiel, den armen Hottentotten 242 umzubringen, wie konnten wir ihn daran hindern? Doch Hans, der die große Gefahr erkannte, rief seine Schlauheit zu Hilfe.

»O Motombo,« quakte er, »du mußt mich nicht töten, denn ich bin der Diener eines Gesandten. Du weißt sehr wohl, daß alle Götter aller Länder diejenigen hassen und sich an ihnen rächen, die sich an Gesandten oder ihren Dienern vergreifen, an Leuten, denen nur sie, die Götter selbst, ein Leid antun dürfen. Wenn du mich tötest, werde ich wiederkommen und hier bei dir spuken. Jawohl, ich werde dann bei Nacht auf deiner Schulter sitzen und in dein Ohr flüstern, so daß du nicht schlafen kannst, bis du sterben mußt, denn trotzdem du alt bist, einmal mußt du doch sterben, Motombo, und ich würde dafür sorgen.«

»Es ist wahr«, sagte der Motombo. »Sagte ich euch nicht, daß er voller List und Tücke ist? Alle Götter würden sich an denen rächen, die Gesandte oder ihre Diener töten! Das« – hier lachte er wieder in seiner schrecklichen Weise – »ist das Recht der Götter selbst. Laßt also die Götter der Pongo das in Ordnung bringen.«

Ich seufzte erleichtert auf, und mit ganz veränderter Stimme fuhr er fort:

»Sage, Kalubi, aus welchem Grunde hast du diese weißen Männer hierher gebracht, um mit mir, dem Mund des Gottes, zu sprechen? Habe ich geträumt, daß es einen Vertrag mit dem König der Mazitu betrifft? Steh auf und sprich.«

Der Kalubi gehorchte, und mit demütiger Stimme 243 setzte er kurz und klar die Gründe unseres Besuches auseinander. Wir bemerkten, daß diese Angelegenheit den Motombo nicht im geringsten zu interessieren schien. Es sah aus, als wolle er einschlafen, vielleicht war er auch durch die Anstrengung erschöpft, die es ihn gekostet hatte, uns solche unverschämten Lügen aufzubinden. Als der Kalubi mit seiner Rede zu Ende war, öffnete er die Augen, wies auf Komba und sagte:

»Steh auf, Kalubi von morgen.«

Der Angeredete erhob sich und gab mit seiner kalten, klaren Stimme einen Bericht darüber, wie weit er bei dieser Sache beteiligt gewesen war. Wieder schien es, als wolle der Motombo einschlafen, nur als Komba beschrieb, wie wir nach Feuerwaffen durchsucht worden waren, nickte er beistimmend mit seinem großen, schweren Kopfe und leckte sich mit seiner dünnen, roten Zunge die Lippen. Als Komba geendigt hatte, sagte er:

»Der Gott sagt mir, daß der Plan gut und weise ist, denn ohne neues Blut wird das Volk der Pongo sterben.«

Er machte eine Pause, dann fragte er plötzlich scharf:

»Hast du noch mehr zu sagen, Kalubi von morgen? Jetzt ganz plötzlich legt es mir der Gott in den Mund, zu fragen, ob du noch mehr zu sagen hast?«

»Ja, etwas, Motombo. Vor vielen Monaten hat der Gott den Finger des hohen Herrn, des Kalubi, abgebissen. Der Kalubi hörte, daß ein weißer Mann, 244 der alle Medizinen kennt und Glieder mit Messern abschneiden kann, sich im Lande der Mazitu aufhielt und ein Lager am Ende des großen Sees hatte. Der Kalubi nahm ein Kanu und ruderte nach dem Lager hinüber, wo der weiße Mann wohnte, jener mit dem Bart, dessen Name Dogitah ist und der vor dir steht. Ich folgte ihm in einem anderen Kanu, denn ich wünschte zu wissen, was da drüben geschah; auch wollte ich einen weißen Mann sehen. Ich versteckte mein Kanu und jene, die mit mir gekommen waren, im Schilfe, weit entfernt vom Kanu des Kalubi. Ich watete durch das niedere Wasser und verbarg mich zwischen dichten Binsen, ganz nahe am Leinwandhause des weißen Mannes. Ich sah den weißen Mann den Finger des Kalubi abschneiden, und ich hörte, wie der Kalubi den weißen Mann bat, mit eisernen Röhren, die rauchen, in unser Land zu kommen und den Gott zu töten, vor dem er Furcht hatte.«

Ein Murmeln des Entsetzens ging durch die ganze Gesellschaft, und der Kalubi fiel aufs Gesicht nieder und blieb still liegen. Nur der Motombo zeigte keine Spur von Erstaunen.

»Ist das alles?« fragte er.

»Nein, o Mund des Gottes. Letzte Nacht, nach der Versammlung des Rates, verhüllte der Kalubi seinen Körper bis zum Haar hinauf und besuchte die weißen Männer in ihrer Hütte. Ich hatte geahnt, daß er das tun würde, und mich bereitgehalten. Mit einem scharfen Speer bohrte ich ein Loch in die Mauer der Hütte. Ich tat es von jenseits des Zaunes 245 her. Dann steckte ich von meinem Platze aus über den Weg hinweg durch das Loch ein hohles Schilfrohr in die Mauer, hielt mein Ohr ans Ende des Rohres und lauschte.«

»Ah! wie schlau, wie schlau!« brummte Hans in unfreiwilliger Bewunderung. »Und zu denken, daß ich spähte und spähte und immer zu niedrig unter dem Schilfrohr hin! O Hans, trotzdem du alt bist, hast du noch viel zu lernen.«

»Neben vielem anderen hörte ich dieses,« fuhr Komba mit kalten, klaren Sätzen fort, »und ich denke, daß es genug ist, obgleich ich dir den Rest auch erzählen kann, wenn du es wünschest, o Mund des Gottes. Ich hörte«, sagte Komba, langsam und jedes Wort betonend, in das ringsum wachsende Schweigen hinein, »unsern Herrn, den Kalubi, dessen Name ›Kind des Gottes‹ ist, mit den weißen Männern vereinbaren, daß sie den Gott töten sollten – auf welche Art, weiß ich nicht, denn das wurde nicht gesagt –, und daß sie dafür die Mutter der Heiligen Blume und ihre Tochter, die zukünftige Mutter, und die Heilige Blume selbst mit den Wurzeln aus der Erde ausgegraben, bekommen und sie zusammen mit der Mutter und der zukünftigen Mutter über das Wasser hinüber mit sich nehmen sollten. Das ist alles, o Motombo.«

Schweigend starrte der Motombo mit seinen Glutaugen auf die hingestreckte Gestalt des Kalubi. Lange Zeit starrte er auf ihn nieder. Dann wurde die Stille unterbrochen. Denn der elende Kalubi sprang vom Boden auf, ergriff einen Speer und 246 versuchte sich damit zu erstechen. Doch ehe die Klinge ihn berührte, wurde ihm die Waffe aus der Hand gerissen, so daß er hilflos und zitternd dastand.

Wieder sank das Schweigen herab, und wieder wurde es unterbrochen. Diesmal durch den Motombo. Er stand langsam und schwerfällig von seinem Sitz auf, eine unheimliche, riesige Gestalt mit menschenunähnlichen Formen, und begann vor Wut laut zu brüllen. Ja, er brüllte wie ein verwundeter Büffel. Ich hätte niemals gedacht, daß aus den Lungen eines einzigen, uralten Mannes solch ein mächtiger Ton aufsteigen könnte. Etwa eine Minute lang echoten diese wilden Töne die Wölbungen der riesigen Höhle hinunter, während die Pongosoldaten aus ihrer liegenden Stellung aufsprangen, mit ausgestreckten Händen auf den Kalubi zeigten, gegen den sich ihr Zorn noch mehr zu richten schien als gegen uns, und dabei ein Zischen ausstießen, wie ein ganzes Nest voll Schlangen.

Eine Weile lang ging das so fort, bis schließlich der Motombo sein phantastisch geformtes Horn ergriff und hineinblies. Daraufhin kamen wieder die Dienerinnen aus ihren Türen hervor, aber als sie sahen, daß man sie nicht brauchte, hielten sie inne und blieben in einer Stellung stehen, wie sie Läufer kurz vor dem Start einnehmen. Als der Ton des Hornes verklungen war, herrschte wieder, nur durch das Knistern der Flammen unterbrochen, lautlose Stille.

»Alles zu Ende, alter Junge«, wisperte mir Stephan mit zitternder Stimme zu. 247

»Ja,« antwortete ich, »alles, bis auf den letzten Kampf. Jetzt Rücken an Rücken und die Speere vor.«

Während wir uns zusammenschlossen, begann der Motombo zu sprechen.

»So, du hast also geplant, den Gott zu töten, Kalubi von gestern,« schäumte er, »zusammen mit diesen Weißen, die du mit der Heiligen Blume und mit der, die sie pflegt, bezahlen wolltest. Gut! Ihr sollt gehen, ihr sollt alle miteinander gehen und mit dem Gotte sprechen, und ich will hier wachen und sehen, wer stirbt – ihr oder der Gott. Fort mit euch!« 248

 


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