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Die zwanzig Träger waren also da. Fünf oder sechs mit Gewehren bewaffnete Araber hatten sie hergeführt.
Nachdem uns die Leute übergeben worden waren, begannen die Araber mit Hassan eine aufgeregte Unterhaltung. Da Sammy nicht zur Hand war, verstand ich kein Wort. Allem Anschein nach sprachen sie über Hassans Befreiung. Schließlich schienen sie aber ihre diesbezüglichen Pläne aufgegeben zu haben. Sie rannten davon, und – eigentlich war ich auf so etwas gefaßt – einer drehte sich, ehe er hinter einem Hause verschwand, um und feuerte auf mich. Der Kerl war aber, wie die meisten Araber, ein miserabler Schütze. Trotzdem ärgerte mich dieser Mordversuch so, daß ich den Burschen nicht ohne einen Denkzettel entwischen lassen wollte. Ich hatte gerade das kleine Gewehr bei der Hand, riß es hoch und schickte ihm, als er mit rudernd ausgebreiteten Armen der Hausecke zulief, eine Kugel durch das Ellenbogengelenk. Ich hätte ihn ebensogut totschießen können; doch das wollte ich nicht. Durch das Bein mochte ich ihn ebenfalls nicht schießen. Wir hätten ihn dann entweder mitschleppen 90 und pflegen oder hier zurück und elend umkommen lassen müssen.
»So,« sagte ich zu den Zulus, als ich konstatiert hatte, daß die Kugel saß, »dieser niederträchtige Mensch wird niemals wieder auf einen anderen schießen.«
»Ganz hübsch, Macumazana, ganz hübsch,« sagte Mavovo, »aber da du so gut zielen kannst, warum hast du nicht seinen Kopf als Ziel gewählt, die Kugel war halb verschwendet.«
Die armen Teufel von Träger waren Sklaven, die nicht über See verkauft werden sollten, sondern bisher Hassans Plantagen bearbeitet hatten. Glücklicherweise stellte es sich heraus, daß zwei von ihnen zu dem Stamme der Mazitu gehörten, die, wie ich erinnern will, nahe Verwandte der Zulus sind. Ihre Vorfahren waren vor Generationen schon nordwärts gewandert. Ich konnte den Dialekt dieser Leute hier verstehen, wenn auch anfangs nur mit einigen Schwierigkeiten.
Ich fragte die Mazitus, ob sie den Weg nach ihrem Heimatlande zurückfinden würden. Sie bejahten dies. Allerdings sei es eine weite Reise. Einen ganzen Monat würden sie sicherlich unterwegs sein. Ich versprach ihnen die Freiheit und eine gute Belohnung, wenn sie uns in jene Gebiete führen würden, und setzte hinzu, daß auch die anderen auf ihre Freilassung rechnen könnten, wenn sie uns gute Dienste leisteten.
Schließlich waren auch die letzten Vorbereitungen 91 zum Aufbruch getroffen. Was sollten wir mit Hassan anfangen? Die Zulus und ebenso Hans wollten ihn einfach totschlagen, wie Sammy ihm in seinem besten Arabisch auseinandersetzte. Da auf einmal zeigte dieser mordlustige Schuft, welch ein Feigling er im tiefsten Herzen war. Er warf sich auf die Knie nieder, weinte und beschwor uns im Namen des allbarmherzigen Allah, bis ihm Mavovo mit seinem Kerry einen Schlag auf den Kopf gab, worauf er still wurde. Der gutmütige Stephan war dafür, ihn laufen zu lassen. Nach einigem Nachdenken jedoch entschied ich, daß wir besser daran täten, ihn zunächst als Geisel mitzunehmen für den Fall, daß die Araber uns angriffen. Anfangs weigerte sich Hassan, als aber einer der Zulus schweigend den Speer auf einen rückwärtigen Teil seines Körpers hinhielt und sanft zu drücken begann, kam er in Bewegung.
Schließlich waren wir also so weit. Ich ging mit den beiden Führern voraus. Dann kamen die Träger; es folgten die eine Hälfte der Jäger, dann, von Hans und Sammy angetrieben, die vier Esel, schließlich Hassan und die andere Hälfte der Jäger, außer Mavovo, der mit Stephan die Nachhut bildete. Selbstverständlich waren unsere Gewehre geladen, und wir waren auf alles gefaßt. Unser Pfad lief einige hundert Meter weit am Strande entlang und wandte sich dann, Hassans Dorf durchquerend, dem Innern zu. Wir standen bald an einer kleinen Felsenklippe. Sie war höchstens drei Meter hoch, und hinter ihr trennte ein tiefer, vierzig Meter breiter Kanal die Insel von dem Festland. Jetzt begannen die 92 Schwierigkeiten mit den Eseln. Einer von ihnen warf seine Ladung ab, und der andere begann auszuschlagen und schien die Absicht zu haben, sich mit seiner kostbaren Ladung in die See zu stürzen. Die Nachhut rannte herbei und fing ihn ein. Aber auf einmal gab es einen mächtigen Klatsch. »Jetzt liegt das Vieh drin«, dachte ich – bis mir ein Schreckensruf sagte, daß nicht der Esel, sondern Hassan über die Klippe hinweg ins Wasser gesprungen war. Er hatte die Gelegenheit wahrgenommen und hatte sich, da er ein guter Schwimmer war, rücklings ins Wasser fallen lassen, gerade als die durch die Esel angerichtete Verwirrung am größten war. Er tauchte sofort unter, kam ungefähr fünfzehn Meter vom Strande entfernt für einen Moment herauf und tauchte sofort wieder. Ich hätte ihn leicht mit einem Schuß durch den Kopf erledigen können, aber es widerstrebte mir, einen Mann, der um sein Leben schwamm, wie ein Flußpferd oder ein Krokodil zu erschießen. Ich rief auch den anderen zu, ihn in Ruhe zu lassen.
Als unser ehemaliger Gastgeber die Insel erreicht hatte, tauchten zwischen den Korallenfelsen Araber auf und halfen ihm aus dem Wasser. Ein Versuch, Hassan wieder in unsere Gewalt zu bekommen, hätte einen Angriff auf die Insel mit ihrer ganzen Garnison von Arabern bedeutet. Das war aber angesichts des Stärkeverhältnisses ausgeschlossen. Also gab ich Befehle, weiterzumarschieren.
Wir umgingen das Dorf; durchmarschieren wollte ich nicht, um einen etwaigen Hinterhalt zu vermeiden. Es war ein ziemlich großer, mit einem 93 starken Zaune umgebener Ort. Gegen die See zu war er durch einen flachen Hügelrücken gedeckt. In der Mitte des Dorfes stand ein großes, orientalisch aussehendes Gebäude; wahrscheinlich hatte hier Hassan mit seinem Harem gelebt. Wir waren kaum ein paar hundert Schritte hinter dem Dorf, als ich zu meinem Erstaunen plötzlich Flammen aus dem Palmenblattdache dieses Hauses emporlodern sah. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie das Feuer entstanden war. Aber als ich ein oder zwei Tage später in Hansens Ohren ein paar große und wunderschöne goldene Ohrringe und an seinem Handgelenk ein goldenes Armband bemerkte, und als ich ferner herausfand, daß er und einer der Jäger erfreulich reichlich mit goldenen englischen Pfundstücken versehen waren, kamen mir allerhand Gedanken. Nach und nach kam auch die Wahrheit heraus. Er und der Jäger, ein abenteuerlicher Geselle, waren ungesehen durch den Zaun in das Dorf geschlüpft, hatten aus jenem Hause Geld und Schmucksachen gestohlen und das Gebäude dann angesteckt.
Durch weite, wunderschön angelegte und instandgehaltene Gärten und Palmpflanzungen kamen wir schließlich in ein sanft ansteigendes, buschbedecktes Ödland. Hier war das Fortkommen schwierig, denn ein Gewirr von Schlingpflanzen hemmte unsere Schritte. Wir waren froh, als wir gegen Sonnenuntergang endlich einen Landrücken erreichten, von dem aus offenes Tafelland sich weithin bis zum Horizont erstreckte.
Wir fanden an einem Bache einen passenden 94 Lagerplatz. Da sehr schönes Wetter war, wurden keine Zelte errichtet. Nachts allerdings bedauerte ich, daß wir uns nicht weiter vom Wasser gelagert hatten; denn die Moskitoplage auf diesem, durch den Bach etwas versumpften Landstriche war furchtbar. Über den frisch von England gekommenen armen Stephan fielen die Untiere mit besonderer Wut her. Obendrein waren wir gezwungen, abwechselnd zu wachen. Wir mußten mit einem Überfall der Sklavenhändler rechnen. Es war auch nicht ausgeschlossen, daß unsere Träger wegliefen und vielleicht noch dazu unsere Waren mitnahmen. Ich hatte ihnen vor dem Schlafengehen allerdings erklärt, daß auf jeden, der bei Nacht davonliefe, ohne weiteres geschossen werden würde; andernfalls aber, wenn sie mit uns gingen, hätten sie gute Behandlung und eine Belohnung zu erwarten. Sie ließen durch die zwei Mazitu antworten, daß sie absolut keine Neigung verspürten, wieder in die Hände von Hassan zu fallen.
Als ich bei Sonnenaufgang das Lager überblickte, fiel mir im dünnen Morgennebel ein kleines weißes Ding ins Auge. Ich hielt es anfangs für einen Vogel, der ungefähr fünfzig Meter vom Lager entfernt auf einem Stock saß. Ich ging hin. Und es war nicht ein Vogel, sondern ein zusammengefaltetes Stück Papier, das in einem gespaltenen Bambusstab steckte. Eingeborene pflegen auf diese Art ihre Briefe zu befördern. Ich öffnete das Papier, und mit größter Schwierigkeit, denn der Inhalt war in schlechtem Portugiesisch abgefaßt und noch schlechter geschrieben, entzifferte ich: 95
»Englische Teufel, – denkt nicht, daß ihr mir entkommen seid. Ich weiß, wohin ihr geht, und wenn ihr auf der Reise am Leben bleibt, so werdet ihr dennoch am Ende derselben durch meine Hand sterben. Ich sage euch, daß ich unter meinem Kommando dreihundert tapfere Männer habe, die mit Flinten bewaffnet sind und Allah anbeten und nach dem Blute von Christenhunden, wie ihr seid, lechzen. Mit diesen werde ich euch folgen, und wenn ihr lebendig in meine Hände fallt, dann sollt ihr lernen, was es heißt, durch Feuer zu sterben oder auf Ameisenhaufen gebunden zu werden. Laßt uns dann sehen, ob euer englisches Kriegsschiff euch helfen wird oder euer falscher Gott. Unglück gehe mit euch, weißhäutige Räuber, die ihr ehrliche Menschen bestehlt.«
Diese erfreuliche Epistel war nicht unterzeichnet, aber ihr anonymer Verfasser war nicht schwer zu erraten. Ich zeigte Stephan den Liebesbrief, und er geriet darüber in eine solche Wut, daß er beim Herumfuchteln mit der Ammoniakflasche, die er zur Behandlung seiner Moskitostiche hervorgeholt hatte, sich etwas von dem Zeug ins Auge spritzte. Er linderte den höllischen Schmerz durch viertelstundenlanges Baden, und als er wieder sehen konnte, setzte er sich hin und verfaßte folgende Antwort:
»Mörder, unter Menschen bekannt als Hassan-Ben-Mohammed, – wir haben schwere Schuld auf uns geladen, indem wir Dich nicht aufhingen, als Du in unseren Händen warst. Wolf, der Du 96 Dich vom Blute Unschuldiger nährst, Dein Verbrechen werden wir Dir nicht wieder vergeben. Der Tod ist Dir nahe und, wie wir glauben, durch unsere Hand. Komm mit all Deinen Schurken heran, wann Du willst. Je mehr es sind, desto größer ist unsere Freude, denn wir befreien die Welt lieber von vielen Schuften als von wenigen. Bis auf Wiedersehen!
Allan Quatermain.
Stephan Somers.«
»Ganz nett, wenn auch nicht gerade christlich«, sagte ich, als ich sein Machwerk überlas.
»Ja,« sagte Stephan, »allerdings ein bißchen bombastisch in der Tonart. Wenn aber der Herr Hassan wirklich mit dreihundert bewaffneten Leuten ankommt, – was dann, – hä?«
»Dann, mein Junge,« antwortete ich, »werden wir sie auf diese oder jene Art verdreschen. Ich habe nicht gerade häufig einen Einfall, aber eben jetzt habe ich einen, und der läuft darauf hinaus, daß Herr Hassan nicht mehr lange diesen Planeten zieren wird, und daß wir uns mit der Art, wie er ihn verlassen wird, sehr direkt zu befassen haben werden. Warten Sie ab, bis Sie erst einmal eine Sklavenkarawane gesehen haben; dann werden Sie meine Gefühle verstehen. Außerdem kenne ich diese Bande. Jene kleine Prophezeiung in unserem Antwortschreiben wird ihm auf die Nerven fallen. Hans, geh und stecke diesen Brief in den Stock hier. Der Postmann wird bald erscheinen und ihn abholen.«
Es fügte sich auch, daß wir schon in den nächsten 97 Tagen eine Sklavenkarawane sehen sollten, eine der Handelsunternehmungen des ehrenwerten Hassan.
Wir waren gut vorwärtsgekommen und hatten einen westlichen Kurs mit ein wenig nordwestlichem Einschlag durch ein schönes und gesundes Land genommen. Vor gar nicht langer Zeit schien hier eine dichte Bevölkerung gewohnt zu haben. Denn wir passierten die Ruinen einer ganzen Menge von Dörfern oder beinahe kleinen Städten mit großen Marktplätzen. Diese waren jetzt niedergebrannt, verfallen und verlassen oder höchstens von ein paar alten Elendsgestalten bewohnt, die ihren Lebensunterhalt in den verwilderten Gärten fanden. Sie erzählten eigentlich immer dieselbe Geschichte. Die Araber hatten erst aus irgendeinem Grunde die Stämme gegeneinander gehetzt, dann schlugen sie sich zu den Stärkeren und fielen mit ihnen zusammen über die Schwächeren her. Die alten Leute wurden getötet, die jungen Männer, die Frauen und Kinder – mit Ausnahme der Säuglinge, die man sofort abschlachtete – wurden fortgetrieben und als Sklaven verkauft. Aus den Angaben der Leute ersahen wir, daß die Sklavenjagden vor ungefähr zwanzig Jahren begonnen hatten. Um diese Zeit waren Hassan-Ben-Mohammed und seine Spießgesellen in Kilwa erschienen und hatten die Missionare vertrieben, die dort ihre Station hatten.
Anfangs war das Handwerk außerordentlich leicht und einträglich gewesen, denn das Menschenmaterial war in Massen da und nahe bei der Hand; nach und nach aber wurden die nächstgelegenen Landstriche 98 entvölkert. Ungezählte Menschen waren bei den Jagden getötet worden, und viele starben unterwegs durch Erschöpfung und Mißhandlung; der Rest wurde auf Schiffe gebracht und in unbekannte Länder verschickt. So sahen sich die Sklavenjäger gezwungen, immer weiter landeinwärts zu gehen, und in letzter Zeit hatten sie ihre Streifzüge schon bis zu den Grenzen von Mazituland ausgedehnt. Und jetzt sollten sie sogar beabsichtigen, das ganze Mazituvolk zu überfallen, und im Vertrauen auf ihre Gewehre hofften die Araber, auch mit diesen vielen Tausenden fertig zu werden und damit eine fast unerschöpfliche Vorratskammer von menschlicher Handelsware zu erschließen.
Am achten Tage unseres Marsches kreuzten wir frische Fährten einer Sklavenkarawane. Sie war der Küste zumarschiert, hatte aber aus irgendeinem Grunde kehrtgemacht. Vielleicht waren ihre Führer vor uns gewarnt worden. Oder sie hatten gehört, daß eine andere Karawane im Anmarsch war, und sich entschlossen, auf diese zu warten, um so die Bedeckung zu verstärken.
Die Spur dieser armen Menschen war leicht zu verfolgen. Zunächst fanden wir den Körper eines Jungen von ungefähr zehn Jahren. Später verscheuchten wir Geier von den Überresten zweier junger Männer; einer von ihnen war erschossen, der andere war durch einen Schlag mit dem Beile getötet worden. Ihre Körper waren notdürftig mit Gras verhüllt, ich weiß nicht, aus welchem Grunde. Eine oder zwei Meilen weiter hörten wir ein Kind weinen und 99 fanden es auch schließlich, als wir seinem Geschrei nachgingen. Es war ein kleines Mädchen von ungefähr vier Jahren, das einmal niedlich gewesen sein mochte, jetzt aber nur noch ein lebendes Skelett war. Als es uns sah, kroch es auf allen Vieren davon wie ein Affe. Stephan folgte ihm, während ich, durch den Anblick erschüttert, zurücklief, um aus unseren Vorräten eine Dose mit kondensierter Milch zu holen. Gleich darauf hörte ich Stephan erschrocken nach mir rufen. Fast widerwillig, denn ich wußte, daß er etwas Schreckliches gefunden haben mußte, kam ich ihm durch die Büsche nach. An den Stamm eines Baumes gebunden fand ich eine junge Frau, offenbar die Mutter des Kindes; denn es hatte ihre Knie umklammert. Sie rührte sich nicht und gab auch keine Antwort, als ich sie anrief.
Gott sei Dank lebte sie aber noch. Wir schnitten sie ab, und die Zulujäger, die herzensgute Menschen sind, solange sie sich nicht auf dem Kriegspfade befinden, trugen sie ins Lager. Mit vieler Mühe erhielten wir beide, Mutter und Kind, am Leben.
An einem der nächsten Tage hatten wir zeitig unser Lager aufgeschlagen. Die Frau und das Kind waren so schwach, daß sie nicht weitergehen konnten, und wir hatten keine Leute, sie zu tragen. Außerdem hatten wir einen idealen Lagerplatz gefunden. Es war, wie gewöhnlich, ein verlassenes Dorf, das ein Bach mit frischem, gutem Wasser durchströmte. Hier besetzten wir einige abgesondert liegende, mit einem Dornenzaun umgebene Hütten. Während Sammy für die gerettete Frau einen Topf 100 voll Fleischbrühe kochte und Stephan und ich ihm pfeiferauchend zusahen, schlüpfte Hans durch das niedergebrochene Tor der Dornenmauer und meldete, daß die Araber in zwei Abteilungen und mit vielen Sklaven anmarschierten.
Wir liefen hinaus und sahen gerade zwei Karawanen ankommen und auf dem früheren Marktplatz sich lagern. Die eine war tatsächlich jene, deren Spur wir gefolgt waren. Sie schien aus ungefähr zweihundertfünfzig Sklaven und gegen vierzig Treibern zu bestehen. Diese waren sämtlich mit Gewehren bewaffnet und, ihrer Kleidung nach zu schließen, Araber oder arabische Mischlinge. Die zweite Karawane, die aus einer anderen Richtung herangekommen sein mußte, hatte nicht mehr als höchstens hundert Sklaven bei sich und wurde von zwanzig bis dreißig Arabern geführt.
»So,« sagte ich, »jetzt wollen wir erst unser Abendbrot essen, dann wollen wir jenen Herren einen Besuch abstatten, nur um ihnen zu zeigen, daß wir uns nicht fürchten. Hans, hole die Flagge, und stecke sie auf die Spitze jenes Baumes, damit sie sehen, zu welchem Lande wir gehören.«
Der Union Jack stieg hoch, und sofort konnten wir durch unsere Gläser feststellen, daß die Sklavenjäger aufgeregt durcheinanderrannten, und daß auch die armen Sklaven sich umdrehten und auf das Stückchen bunten Tuches starrten und miteinander darüber sprachen. Wahrscheinlich hatten einzelne unter ihnen schon einmal einen Union Jack in der Hand eines englischen Reisenden gesehen, oder sie 101 hatten davon gehört, daß er für die Sklaven Freiheit bedeutete. Oder sie konnten auch die Bemerkungen der Araber verstanden haben. Auf jeden Fall starrten sie alle auf die Flagge, bis die Araber mit klatschenden Hieben ihrer Nilpferdpeitschen die freudige Unterhaltung der Armen erstickten.
Anfangs schien es, als wollten sie das Lager abbrechen und weitermarschieren; doch dann gaben sie das Vorhaben auf, vielleicht weil die Sklaven zu erschöpft waren und weil sie auch vor Einbruch der Nacht kein anderes Wasser erreichen konnten. Sie blieben also und begannen Lagerfeuer anzuzünden. Sie trafen auch Vorsichtsmaßregeln gegen einen etwaigen Angriff, indem sie Wachen ausstellten und die Sklaven zwangen, einen Dornenzaun um das Lager herum aufzuführen.
»Nun,« sagte Stephan, als wir mit unserer Mahlzeit fertig waren, »sind Sie bereit zu dem Besuch?«
»Nein,« antwortete ich, »ich habe es mir anders überlegt. Ich glaube, wir tun besser, uns möglichst still zu verhalten. Die Araber werden schon die ganze Geschichte von unserem Zusammentreffen mit ihrem würdigen Meister Hassan kennen; denn er hat ihnen ohne Zweifel Botschaft davon geschickt. Deshalb könnte es sein, daß sie einfach auf uns schießen, wenn wir ihnen nahekommen. Oder sie könnten uns auch herzlich willkommen heißen und uns dann Gift in den Kaffee tun oder uns plötzlich die Hälse abschneiden. Unser Lager könnte zwar besser gelegen sein, aber immerhin ist es nicht ohne Schwierigkeiten zu überrennen. Ich bin also der 102 Meinung, wir verhalten uns lieber still und warten hier einmal die Entwicklung der Dinge ab.«
Stephan brummte etwas von »übervorsichtig sein«, aber ich kehrte mich nicht daran. Und dann ließ ich Hans holen und sagte ihm, er solle sich nach Einbruch der Dunkelheit mit einem der Mazitu – beide wollte ich nicht riskieren, denn sie waren unsere Führer – und einem anderen Eingeborenen, einem verwegenen Burschen, der alle Dialekte dieser Gegend kannte, ins Sklavenlager hinunterschleichen. Dort sollte er die Unterhaltung erlauschen, wenn möglich, sich unter die Sklaven mischen und ihnen erklären, daß wir ihre Freunde wären. Hans nickte. Das war ein Auftrag nach seinem Herzen.
Stephan und ich trafen gleichzeitig unsere Vorbereitungen. Wir verstärkten den Dornenwall, schichteten Holz für große Wachtfeuer auf und verteilten die einzelnen Wachen.
Die Nacht sank herab. Hans und seine Gefährten stahlen sich geräuschlos wie Schlangen davon. Ringsum herrschte tiefe Stille. Dann und wann wurde sie von einem melancholischen, kurz abbrechenden Gesang im Sklavenlager unterbrochen. »La-lu La-lua!« ging es und erstarb sofort wieder. Dann folgten Schmerzensschreie und Gewimmer, als die Araber einige der Unglücklichen verprügelten, einmal fiel auch ein Schuß.
Eine lange Zeit war es still. Dann plötzlich stand Hans vor mir, wie aus dem Boden gezaubert, und hinter ihm die dunklen Gestalten des Mazitu und des anderen Mannes. 103
»Erzähle!« sagte ich.
»Baas, höre. Die Araber wissen alles von dir, auch wieviel Leute du hast. Hassan hat ihnen Befehl geschickt, dich zu töten. Es ist gut, daß du nicht hingegangen bist, um sie zu besuchen; denn sie würden dich sicherlich ermordet haben. Wir sind ganz nahe an sie herangekrochen und haben ihre Unterhaltung angehört. Sie wollen uns morgen früh bei Tagesanbruch überfallen, wenn wir nicht vorher abziehen. Doch das würden sie erfahren; denn sie lassen uns bewachen.«
»Und wenn wir abziehen, was dann?« fragte ich.
»Dann, Baas, werden sie uns überfallen, wenn wir aufbrechen oder kurz nachdem wir aufgebrochen sind.«
»So, so; noch etwas, Hans?«
»Noch eins, Baas. Diese zwei Männer haben die Messer, die du ihnen gegeben hast, zweien der Tapfersten unter den Sklaven geborgt, damit sie die Stricke der Sklavenjoche und ihrer Handfesseln zerschneiden können. Dann sollen sie die Messer weitergeben, damit ihre Brüder dasselbe tun. Aber vielleicht werden die Araber es herausfinden, und dann müssen der Mazitu und der andere Mann ihre Messer verlieren. Vielleicht gibst du ihnen andere. Das ist alles. Hat der Baas vielleicht ein bißchen Tabak?«
»Nun, Stephan,« sagte ich, als Hans gegangen war, »es stehen uns jetzt zwei Wege offen. Entweder können wir diesen Herren sofort entwischen. Wir müßten dann jene Frau und das Kind ihrem 104 Schicksal überlassen. Oder wir können hier warten, bis wir angegriffen werden.«
»Ich reiße nicht aus«, sagte Stephan. »Außerdem würde es feige sein, jene armen Kreaturen im Stich zu lassen. Und schließlich würde es für uns, glaube ich, das Unangenehmste sein, wenn wir auf dem Marsche überfallen werden.«
»Dann wollen Sie wohl warten, bis wir angegriffen werden?«
»Gibt es nicht noch eine dritte Möglichkeit, Quatermain? Nämlich die: selbst anzugreifen?«
»Daran dachte ich auch schon. Wir wollen nach Mavovo senden.«
Er kam, und ich setzte ihm den Stand der Dinge auseinander.
»Es ist die Sitte meines Volkes, lieber anzugreifen als sich angreifen zu lassen, und doch, mein Vater, in diesem Falle spricht mein Herz dagegen. Hans«, er nannte ihn Inhlatu, ein Zuluwort, das »gefleckte Schlange« bedeutet, des Hottentotten Kaffernname, »sagt, daß dort fast sechzig von diesen gelben Hunden sind, alle mit Gewehren bewaffnet, wogegen wir nur fünfzehn Bewaffnete haben. Auf die Sklaven können wir uns ja nicht verlassen. Auch haben sie eine durch eine starke Dornenmauer geschützte Stellung. Sie werden nur schwer von uns zu überraschen sein. Hier dagegen befinden wir uns in einer starken Stellung und können nicht überrascht werden. Doch das letzte Wort liegt bei dir, Macumazana, und nicht bei mir, deinem Jäger. Sprich du, 105 der du in Kriegen alt geworden bist, und ich werde gehorchen.«
»Du hast gut gesprochen«, antwortete ich. »Und außerdem fällt mir noch etwas ein. Wenn wir angreifen, werden diese arabischen Bestien sich hinter den Sklaven aufstellen, und wir würden durch unser Feuer eine Menge von ihnen töten. Stephan, ich glaube, wir warten hier die Entwicklung der Dinge ab.«
»Gut, Quatermain. Nur hoffe ich, daß Mavovo nicht darin recht behält, daß diese Schufte etwa ihre Meinung ändern und davonlaufen.«
»Junger Mann, Sie werden außerordentlich blutdürstig – für einen Orchideenzüchter«, bemerkte ich und sah ihn gedankenvoll an. »Ich für meinen Teil hoffe, daß Mavovo gerade damit recht behält; denn ich muß Ihnen sagen, wenn er sich geirrt hat, kann es eine faule Geschichte werden.«
»Ich bin immer ein friedlicher Mensch gewesen, bis jetzt wenigstens«, antwortete Stephan. »Aber der Anblick dieser unglücklichen Sklaven mit ihren gespaltenen Schädeln und der Frau, die an einen Baum gebunden war, um elend umzukommen –«
»Veranlaßt Sie, das Amt des allmächtigen Gottes zu übernehmen«, sagte ich. »Nun, es ist nur ein natürlicher Impuls und unter diesen Umständen vielleicht einer, der Gott gefällt. Aber, da wir jetzt einig sind, wollen wir uns an die Arbeit machen, damit die arabischen Herren ihr Frühstück fertig finden, wenn sie zu uns auf Besuch kommen.« 106