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Der Duckmäuser läßt sich etwas erzählen

Der Duckmäuser liegt im Schlafsaale und flüstert zum Kameraden hinüber:

»Schau, es geht jetzt ins 10. Jahr – bis Peter und Paule wird's just zehn, daß mich die Gensdarmen geholt haben und darfst glauben, daß ich wenig Freuden erlebte und nur so mitmachte von einem Tag zum andern und war froh, wenn ich recht ermüdet im Schlafsaal lag. Der Zuckerhannes blieb der Erste und Letzte, mit Dem ich mich näher einließ und ihm meine wahre Geschichte erzählte. Er ist ein guter, armer Kerl, hat's auch im Zuchthaus besser gefunden als draußen und sie würden ihn schon wieder gekriegt haben, davor bin ich nicht bange! ... Ist Einer einmal da gewesen, so geht's das zweite Mal viel leichter bei den Rechtsverdrehern und bei denen, die sie schon in den Klauen gehabt haben! ... 'S ist gut, daß er tod ist!«

»Ja, weiß Gott, seufzt der Donat, 'n armer Teufel hockt geschwinder im Zuchthaus, als man eine Hand umkehrt. Bin jetzt das erste Mal da, aber ich hab' meine Sach in Amtslöchern und Correctionshäusern schon mitgemacht und es ist mir wunderlich gegangen, könnte ein Buch davon schreiben!«

»Ei, draußen kannst du doch Einem aus dem Wege gehen, der dir nicht gefällt oder ihm Eins hinter die Ohren schlagen, aber hier? ... Seit der Teufel den Spaniolen hereingebracht hat, ist's mit meiner Ruhe aus; wenn ich den dürren Halunken mit seinen falschen Augen, die eine halbe Stunde weit im Kopf drinnen liegen, nur ansehe, ist mir das Leben verleidet und ich zittere an allen Gliedern und er regiert Alles, leitet Alles, kann's mit den Aufsehern, daß es ein Schade ist. Fünf Jahre war ich nie im Arrest, jetzt komme ich alle Augenblicke hinein und Alles ob dem Spitzbuben!

»Der Spaniol ist ein Teufelskerl und ich meine immer, ich hätte ihn auch schon gesehen in Donaueschingen oder in der Neustadt ... nein es war in Lengkirch, wo er 3 oder 4 verschlossene Wagen mit fremden Thieren commandirte und auf die Freiburgermesse zog... Er mahnt mich an Einen, dem ich auch gerne mit der Holzaxt winkte!«

»Verdammt, ich kann heut nicht schlafen, 's geht mir jedesmal so, wenn ich Beize kochen muß, das Geschäft ist zu leicht für mich! brummte der Duckmäuser; – weißt Du was, Donat, erzähle mir deine Geschichte, ich erfahre dann wieder, wie's draußen bei ordentlichen Leuten zugeht und lerne Dich kennen!«

»Kann auch nicht schlafen, Du hast mir Deine Sache auch ausführlich erzählt, eine Ehre ist der andern werth! ... Wer hat heute Nacht die Wache?«

»Der alte Moritz, der sieht nichts und hört nichts und wenn er kommt, rieche ich ihn von weiten.«

»Riechen? ich habe noch nichts gerochen! meinte der Donat.«

»Hoho, warte nur, bis Du ein, zwei, drei, fünf Jährle hockst, dann wirst Du Schnaps oder Tabak auf hundert Schritte riechen durch allen Gestank hindurch! ... Fange nur ruhig an, wir stecken die Köpfe unter den Teppich und ich halte die Ohren zu Dir, wie der Pfarrer, wenn er Beichte hörte!«

»Ja, Du mußt mir aber mehr glauben als er, er glaubt Keinem mehr, weil die Meisten ihn anlügen, und die vor Allem, die Begnadigung wollen. Der Stoffel hat mir erst gestern gesagt, er habe im Beichtstuhle mehr Gutes als Böses gebeichtet und zwar so, daß bei seinen Gutthaten jedesmal ein kleines Häkchen war, daß sie halb und halb wie eine Sünde aussehen! ... Er spielt den heiligen Crispin, der den Reichen Leder stahl, um den Armen Stiefel zu machen; es war gut, daß dieser nicht im Badischen lebte, wo sie allgemach das Almosengeben bei drei Gulden Strafe verbieten, wenn man sein eigen Sach' herschenkt!«

»Nur zu, das gibt Rekruten fürs Zuchthaus! lachte der Duckmäuser. Wenn's Bettele verboten wird, wird das Stehlen erlaubter! ... Doch, fange an, kannst schon ein bischen laut reden, das Murmelthier schnarcht wie besessen, daß man sein eigen Wort kaum hört!«

»Das Beste ist, daß man Gedanken nicht einsperren kann, ich hocke da, doch meine Gedanken streifen den ganzen Tag herum, und am liebsten nach dem Unterland oder das Höllenthal hinauf gegen Lenzkirch, denn dort ist meine Heimath, nämlich in jener Gegend, die für so rauh und wüst verschrieen wird und mir doch hundert Mal besser gefällt, als der Breisgau mit allem Wein und Obst und Kesten und der großen, schönen Stadt Freiburg dazu. Ich sehe wahrhaftig mein niederes Strohdach und die langen braunen, hölzernen Wände, den Milchbrunnen, den Misthaufen beim Hause und die Halde worauf es still und heimelig steht und hinabschaut in das Thal mit den zerstreuten Häusern. Ringsum lauter Tannenwald und dunkle Höhen, statt Trauben Tannenzapfen, statt Aprikosen und Kesten, Schlehen und Elzbeeren und statt Welschkorn und Tabak einzelne Hafer- und Kartoffelfelder, die selten gut ausgeben. Aber wie schön ist's, wenn der haushohe Schnee schmilzt, die würzige Frühlingsluft aus den Tannenwäldern herüberweht und die blitzenden Bächlein durch die Matten eilen, mit ihrem würzigen Grün, den gelben, rothen und weißen Blumen! ... Holz, Vieh, Milch und Schmalz gibt's bei uns auf dem Walde und kunstfertige Leute dazu und in so mancher Strohhütte steckt mehr Geld und Gut und vielleicht auch Bravheit, als hier wohl in manchem Herrenhause.«

»Wenn Du so anfängst, dann werden wir vor Morgen nicht fertig; rede nicht lang von der Heimath, sonst muß ich an meine denken, nein, die ist schön! ... Der Mensch ist halt auch wie das Vieh, er geräth am besten, wo er daheim ist und ist ihm dort am wohlsten, wenn's in Sibirien wäre! – O Gott!« –

»Sibirien? Ja, das badische Sibirien nennt man meine Gegend und noch mehr die rechts gegen den Schluchsen und Feldberg zu. Meinethalben, ich möchte doch mein Lebenlang gern als der ärmste Holzschläger oder Kohlenbrenner dort leben! Jetzt will ich erzählen, wie Du es wünschest, aber wie wünschest Du es? Ich kann halt nicht viel besser reden, als mir das Maul gewachsen ist und man kriegt so wunderliche Gedanken!«

»Thatsachen will ich, lauter Thatsachen!« flüsterte der Duckmäuser.

»Aha, Thatsachen! weiß was das ist, wer ins Zuchthaus soll, erfährts! Herrgott, wie haben sie mich mit den verdammten »Thatsachen« gequält, die Leuteschinder und am Ende doch wegen Etwas verurtheilt, was gar keine Thatsache ist! ... will also mit Dir reden, wie es der Asessor haben wollte, lauter Thatsachen! paß auf!«

Gerade wie der Zuckerhannes hatte ich auch keinen Vater, daß heißt, der Halunke wollte nichts von mir wissen. Meine Mutter war bei Lenzkirch daheim und diente in Freiburg in der Salzgasse und später in der Egelgasse. Sie soll ein hübsches »Mensch« gewesen sein und ich glaube es, denn ihre schwarzen Augen und Haare und ihr kurzer stämmiger Leib blieb, als die rothen Backen längst verschwunden und der Mund nicht viel mehr lächelte. Die Studenten, Offiziere und andere Herren waren ihr sehr auf den Fersen, sie wußte davon zu erzählen, aber sie wollte lange gar keinen Liebhaber und am Ende doch lieber Einen, der sich offen mit ihr sehen ließ, als so einen Vornehmen, der nur ins geheim lockt und schmeichelt und jede Gans weiß, wohinaus das Ding will. Am Ende bekam sie ein Unteroffizier am Bändel, der ihr ganze Packe Briefe und Gedichte schrieb, in der Dämmerung niemals im Hausgange fehlte, lauter Liebes, Gutes und Süßes gelobte und nicht ruhte, bis ich da war. Er gab um Heirathserlaubniß ein, sagte und schwur es wenigstens, doch war er noch kein Einständer und als das Regiment nach Carlsruhe kam, war meine Alte petschirt und heulte sich fast die Augen aus dem Kopf. Sie that mich zu meiner Großmutter im Haus auf der Halde, das ich Dir beschrieb und ich verlebte dort meine besten Tage. Die Zeit, wo ich den ganzen Tag eine Rotznase hatte und im bloßen Hemd herumklunkerte, ist die schönste gewesen und ich wollte nur, daß ich wieder ein »Hemmetklunker« wäre! ... Ich ging ins achte Jahr und hatte schon einigemal die Schule besucht, wenn der Weg nicht verschneit war und auch die Mutter oft gesehen, die mir jedesmal die Nase alle Augenblicke putzte und mir Gutseln oder Butterwecken brachte, was ich um mein Leben gern aß, da legte sich die Großmutter hin und starb. Ich durfte nicht mehr in der Hinterstube bleiben, wo ich wie im Himmel gelebt, denn die andern Leute auf der Halde hätten mich zwar behalten, allein die Mutter war unten im Dorfe verheirathet und nahm mich zu sich.

Der Gang von der Halde war der Gang in mein Unglück.

Meine Mutter hatte einen Wittwer geheirathet, der für einen Uhrenmacher in Lenzkirch arbeitete, jedoch nicht in Lenzkirch sondern daheim.

Dieser Wittwer besaß eine durstige Gurgel, einen Humor, wie ihn der Teufel nicht besser haben kann und 3 Kinder von der frühern Frau, die er unter den Boden gebracht hatte mit Schimpfen und Schlagen.

Er zeigte mir, was es heiße, einen Stiefvater zu besitzen und plagte mich sammt der Mutter um die Wette, prügelte seine eigenen Kinder dazu und wer von Allen geschimpft, geschlagen, gestoßen wurde und kaum mehr als ein Kreuzschnabel zu fressen bekam, der war ich ... Meine Mutter mußte es vom frühen Morgen bis tief in die Nacht hören, daß sie ein Soldatenmensch und ich ein Bankert sei und wenn der Stiefvater besoffen von Lenzkirch kam, gab es oft die ganze Nacht keine Ruhe.

Die Mutter schlug mich nie, aber tausend Mal sagte sie, um meinetwillen allein müsse sie leben wie ein Hund und es gereue sie, mich nicht in die Dreisam geworfen oder erwürgt zu haben, bevor ich recht auf der Welt war! Dafür mag der Teufel dem Unteroffizier danken!

Die Leute im Dorfe waren nicht so arg wie die Landleute des Zuckerhannes, ich bekam es besser und trieb mich die meiste Zeit in andern Häusern herum, wo ich zu essen genug bekam, weil man wußte, wie mich der Stiefvater behandelte und mich sammt der Mutter bedauerte, die sich tagaus tagein schinden und plagen mußte und das ganze Jahr keine gute Stunde dafür bekam. Der Pfarrer sah das Elend und sprach sie von dem wüsten Kerl weg, der aber konnte mit dem Hauswesen und den 3 Kindern nicht allein fertig werden und weil meine Mutter sich doch nicht ganz scheiden lassen konnte, ließ sie sich durch seine Bitten und Versprechungen bethören und zog wieder mit mir zu ihm. Bald fing der alte Tanz wieder an, meine Mutter bekam auch ein Kind und dann gleich noch eines und seitdem konnte auch sie mich nicht mehr leiden und ich irrte Tag und Nacht aus einem Hause ins andere, wo man mir einen Platz am Ofen gönnte und etwas Warmes gab. Solches war auch nicht überall der Fall, ich mußte auch von fremden Leuten bittere Dinge hören und Schläge hinnehmen, doch hatte ich meine bestimmten Häuser und suchte mich wohl daran zu machen durch Viehhüten oder Botengänge nach Lenzkirch oder in die Neustadt oder was man mich sonst hieß.

Ich besuchte auch die Schule und betete fleißig, denn oft genug sagte die Mutter »Donatle, bete und denke an Gott, du hast sonst Niemanden auf der Welt, ich kann Deine Mutter nicht sein, das siehst Du!«

Gottlob, daß sie unter dem Boden ist, meine Kette da brächte sie sonst hinab; sie ist schon lange todt und habe ihren Leichenzug nicht gesehen, Gott schenke ihr die ewige Ruhe und Glückseligkeit! Auf der Welt hat sie wenig Gutes gehabt und war doch keine böse Frau, nur zu gut für den schlechten Stiefvater!

Ich war bald 14 Jahre alt, da wurde unser Pfarrer versetzt und den Tag, wo der neue zum ersten Mal in die Schule kam, vergesse ich in meinem Leben nicht! Das fortwährende Schimpfiren und Verlästern der Geistlichen ist nicht schön und recht, es gibt gute Herren unter ihnen und der neue war Einer davon.

Er betrachtete mich genau, weil ich gar elend dreinsah und keinen Fetzen an mir trug, den ein Lumpenmann hätte nehmen mögen, fragte mich, wer und woher und dies und das und heißt mich am andern Tage ... es war just ein Donnerstag und wir hatten »Vacanz«... in den Pfarrhof kommen.

Kannst Dir denken, daß ich den Tag kaum abwarten konnte und hoffte, Etwas zu kriegen. Als ich zu ihm hineintrat, fragt er mich, ob ich den Weg nach Bonndorf wisse, ich sage: ja; dann fragt er, ob ich einen Brief an den Herrn Stadtpfarrer in Bonndorf besorgen wolle und ich sage: gern! Da mußte ich mich in ein anderes Zimmer setzen, die Köchin brachte mir Etwas zu essen und ein Glas Wein, daß ich meinte, jetzt auch einmal ein großer Herr zu sein. Nachher gab mir der Pfarrer noch einen Sechser und meinte, ich solle in Bonndorf etwas essen, doch ich hatte gegessen, einen Sechser in meinem Leben noch nicht gehabt und der Wein gab mir Kraft und Muth, daß ich gar nicht spürte, was für ein Wind von Sankt Blasien herpfiff und daß ich baarfuß herumzottelte. Ich flog wahrhaftig, denn in Bonndorf glaubte ich wieder Etwas zu bekommen, bekam auch einen Zwölfer und einen Brief retour. Als ich den Brief abgab, fragt der Herr, ob ich meinen Sechser gebraucht habe, ich zeigte ihm den Fetzen Papier, den ich zwischen Lenzkirch und Bonndorf gefunden, worin ich mein Geld eingewickelt hatte und streckte es hin, damit er es wieder nehme. Doch ließ er mir nicht nur das Geld, sondern schenkte mir auch einen Rock, ein paar Hosen und bezahlte den Schneider, der mir eine prächtige Montur daraus zuwege machte; kurz, der Pfarrer wurde mein Vater, ihm zu Liebe lernte ich besser in der Schule und es war ein großes Unglück, daß der gute Herr sehr bald aus der Gegend fortkam, denn er hat mir oft gesagt, ich müßte eine gute Profession lernen und wenn dieses geschehen wäre, läge ich nicht in einer Kette hier!

Kann's nicht beschreiben, wie gut der Mann gegen mich elendes Kind gewesen ist, Gott wirds ihm entgelten und ich will froh sein, wenn er nichts von mir erfährt!

Ich möchte noch Vieles sagen, lauter Thatsachen, Duckmäuser, könnte die halbe Nacht allein vom Pfarrer erzählen und thäte es lieber als das Andere, denn der Weg, den ich jetzt betrat, war kein guter. Aus der Schule entlassen, trieb ich mich einige Jahre in der Gegend herum, und trieb bald Dieses, bald Jenes, um leben zu können und den Stiefvater nicht um Etwas ansprechen zu müssen. Es ging mir gerade, wie den Hasen des Fürsten von Donn'schingen im Winter, nämlich es war Winter und ich hatte nichts zu beißen und zu nagen, da kamen ein Mann und eine Frau aus einem Zinken nicht weit von meinem Orte – ich traf sie in der Sonne zu Neustadt, nein, es war in der Post, ich sehe noch immer den dicken Posthalter mit der großen rothen Nase, wie er mit dem Schoppen herwatschelt und jedesmal sagt: »Gesegne's Gott, 's ist ächtes Breisgauergewächs!« – Also die Beiden brachten mir's zu und sagten nach längerem Hin- und Hergerede: »Weißt du was, Donatle? 'S ist Winter, hast Uebel Zeit, dein Stiefvater ist ein Lump, du hast erfahren genug wie er uns anfeindet, aber du bist ein anstelliger Bursche, kein Mensch will sich Deiner erbarmen, komm zu uns, bis es besser wird. Du arbeitest, was es zu arbeiten gibt, viel ist's jedenfalls nicht und wenn Du auch Nichts kriegst, hast Du doch zu essen und ein Obdach!«

Das kannst Du glauben, daß ich mich nicht lange besann, sondern einschlug; es war besser als Holzmachen oder Schneeschaufeln oder Leiternmachen, was ich schon thun mußte. Ich ging auf der Stelle mit dem Glasjakob und seiner alten Fränz, mit der ich ein Stück biblische Geschichte durch machte, bloß daß die Sache einen unbiblischen Ausgang nahm.

Die Fränz hatte 48 Jahre auf dem Buckel, graue Haare und Runzeln genug, keine drei ganze Zähne mehr und eine Nase wie ein Ulmerkopf, kurz es war ein altes, wüstes, ungattiges Thier und hatte außer dem ältesten Sohne, der 2 Jahre älter als ich war und längst mit dem Reff auf dem Buckel als Glashändler im Unterland hausirte, noch 5 Kinder und die beste Seele von der Welt zum Manne.

Sie konnte recht gut meine Mutter sein, doch bald machte sie es wie Putiphars Frau und weil ich nicht der Joseph, sondern der Donat bin, hing sie mir bald am Halse und ich wurde bis über die Ohren in sie verliebt.

Du magst es glauben oder nicht, so ein armer Tropf wie ich kommt nicht leicht zu einem Weibsbilde und hat doch auch sein Fleisch wie Andere, die Fränz war die Erste, mit der ich zu thun bekam. Sie wurde ganz und gar hirnverrückt und wüthend, und ich ein vollkommener Narr! ... Item sie schafft Rath, beredet ihren guten blinden Jakob, ihr einen Heimathschein ausfertigen zu lassen, lügt ihm vor, sie wolle ihre Freundschaft besuchen und in ihrer Heimath eine kleine Erbschaft holen, die sie gemacht habe, der Mann ist voller Freuden, sie geht, in Lenzkirch finden wir uns und reisen nicht gegen Bonndorf sondern durch das Höllenthal nach Freiburg und wutsch dich! saßen wir über dem Rhein, arbeiteten in einer Fabrik in Mühlhausen drüben und lebten wie Vögel im Hanfsaamen!

Nach einigen Monaten hatte ich das Elsaß und die Fabrik und die Fränz genug und wollte sie mir vom Halse schaffen. Aber sie hängte sich an mich wie eine Klette, als sie den Butzen merkte und ich verließ sie bei Nacht und Nebel. 'S freut mich noch, wenn ich mir vorstelle, wie sie am Morgen aufwachte, nach mir griff und nichts fand als das leere Nest, was mag Die für Augen gemacht, geschimpft und geflucht haben! – Ich hatte mich mit Kleidern gehörig ausstaffirt, trug ein wälsches Hemd oder eine Blouse, wie mans dort drüben nennt und ziemlich Geld in der Tasche, denn haushälterisch war die Fränz stets gewesen, das muß ich ihr nachsagen! Ich glaube wahrhaftig, daß ihre Verfluchungen mich verfolgten, denn geliebt hat sie den Donat, sonst würde sie nicht Mann und Kinder verlassen und mir angehangen haben!

Also ich laufe einige Tage, da begegnet mir bei Karlsruhe drunten ein Mann, fragt woher, wohin und was und da er hört, ich suche einen Dienst, gleichviel was für einen, angagirt er mich als Knecht, das heißt, ich mußte immer Fische nach Karlsruhe schleppen und Fischhäuser hüten. Mir gefiel Alles außer dem frühen Aufstehen, aber die Herrlichkeit dauerte nur kurze Zeit.

Muß ich just an des Großherzogs Geburtstag zu einem Wirth nach Karlsruhe und ihm sagen, er möge zu meinem Herrn fahren und die Fische holen, die bestellt worden seien; dieser läßt den Knecht einspannen und der Mathäubesle, also hieß der Knecht, ein fuchsrother Kerl voll Sommerflecken im Gesichte, der am Titisee daheim war, meint: Landsmann, fahr mit! ... Wir sitzen auf dem Wagenbrett, der Mathäubesle will zufahren, da fängt ein ganz verfluchtes Kanoniren an, der Gaul wird scheu, der Mathäubesle kann's nicht mehr halten, springt über die Leitern hinab, ich will unten durch, bleibe hängen und das wüthende Roß schleppt das Wägele sammt mir einige hundert Schritte weit, wo endlich einige Dragoner stehen und ihm den Weg versperren.

Kannst Dir denken, wie ich zugerichtet war; halbtodt wurde ich in ein fürnehmes Spital getragen. Keinen Fleck am ganzen Leib gabs, der mir nicht wehe that, ich war nur Eine Wunde und Ein Pflaster, lag viele Wochen elendiglich darnieder und wäre wohl nicht davon gekommen, wenn die Karlsruher Aerzte mich armen Kerl nicht so fleißig und sorgfältig besucht und für mich gesorgt hätten, als ob ich nicht der Donatle vom Schwarzwald, sondern ein Prinz wäre.

Die halbe Kost fing just an, mir recht zu schmecken, da wurde ich aus dem Spital entlassen und durfte nicht mehr zum Fischhändler, sondern wurde heimgewiesen mit dem Zeugniß, daß ich arbeitsunfähig sei und mich zuerst erholen müsse. Eines Theils war es mir nicht recht, denn der Fischhändler hatte ein Prachtsweib und dieses war zu mir in den ersten Tagen in die Kammer gekommen und hatte Dinge geredet, die mir klärlich zeigten, ein junger, starker Schwarzwälder sei ihr weit lieber als so ein alter, abgelebter Stockfisch, der ihr Mann hieß. Sie hätte mich gut gehalten, die Arbeit war ohnehin nicht weit her und große Lust zum Arbeiten hat mich mein Leben nie geplagt, wenn es nicht sein mußte. Anderseits gefiel mir aber auch das Herumziehen und als ich beim Sternen die Steig hinausging und mich wieder von meinen Bergen umschlossen sah, freute es mich gewaltig, doch dachte ich wieder ans Fortgehen nach einigen Wochen und die Sache kam so, daß ich bald gern ging von wegen der Fränz.

»Wie ist's denn der alten Schachtel gegangen?« fragt der Duckmäuser begierig.

»Besser als sie's verdiente!« ... Nachdem ich sie verlassen, zog sie einige Tage im Breisgau herum, wurde mit dem längst abgelaufenen Heimathsschein erwischt, heimtransportirt und zunächst zur Abkühlung 8 Tage in Schatten gesetzt. Dann wurde der Jacob in die Neustadt citirt, befragt, ob er sein entlaufenes Weib wieder wolle, er sagte Ja und sie ging mit ihm heim. Da sie alle Schuld auf mich geschoben hatte, bekam ich bei der Heimkunft auch meinen Theil und mußte 14 Tage sitzen. Zum Jacob wollte und durfte ich nicht mehr, wollte auch nichts mehr von der Fränz wissen. Geld hatte ich keines, Schaffen wollte ich nicht so schwer, essen und trinken hält Leib und Seele zusammen und um Etwas zu bekommen, langte ich zu, wo war, anfangs mit erschrockenem Herzen, bald kecker. Die Mutter war todt, der Stiefvater warf mich aus dem Hause, ein Handwerk konnte ich nicht, Taglöhnern kostet Armschmalz, ich zog in der Gegend herum, wurde auf dem Michaelimarkt in der Neustadt arretirt und auf 2 Jahre zu den Blaukitteln nach Bruchsal geschickt. Dies war schlimm, doch schlimmer war's, als ich nach 16 Monaten begnadiget wurde und mit Laufpaß heim mußte. Ein paar Zwilchhosen, ein Wamms von Sommerzeug, ein grobes Hemd, welches mir die Strafanstalt gab nebst einem paar Schuhen und einer Kappe, die ich einmal einem Besoffenen vom Schädel gerissen, war nebst 42 Kreuzern Alles, was ich auf Erden besaß, wie ich heimkam.

Wie konnte ich in solchem Aufzuge Arbeit suchen, mich vor den Leuten sehen lassen oder auch nur in die Kirche gehen? Die Fränz, kein Mensch wollte Etwas von mir wissen und doch war mir die Lust am Stehlen vergangen. Es gehört Spitzbubenglück dazu, ich hatte keine Fiduz und keine Courage mehr, um gleich wieder zuzugreifen. Ich ging hinüber in die Neustadt, trank mit den letzten 12 Kreuzern Muth und begab mich gerade zu auf das Amt, um zu melden: »ich wolle nicht mehr stehlen, aber ich müsse es, wenn ich keinen Heimathschein und keine Kleider sammt einigen Batzen bekäme, um anderswo Arbeit zu suchen; im Grunde wär's mir lieber hier, aber niemand wolle mich beschäftigen.« Ein Herr vom Amte zog mitleidig den Geldbeutel, der Amtmann gab mir einen Rock, denn ich heulte wie ein Schloßhund und um Martini darf man auf dem Schwarzwalde kein Zwilchwamms und sonst nichts tragen, wenn man nicht erfrieren will. Ein Schreiben an den Bürgermeister verschaffte mir Alles, was ich brauchte, sogar mehr, nämlich Grobheiten, weil ich nicht zuerst zum Bürgermeister, sondern gleich vor die rechte Schmiede gegangen war. Ich kannte den Vogt schon, er war ein unmenschlicher »Packer,« der ja wußte, woran ich war und doch kein Zeichen that, als ob er mir helfen wolle.

Mit dem Heimathschein und einigen Batzen Geld zog ich ab, verkaufte in Freiburg den Rock des Amtmanns, weil ich ihn doch nicht ohne gehörige Hosen tragen und auch nicht zurecht machen lassen konnte und zog jämmerlich bis hinab nach Ettlingen, denn dort war Arbeit genug zu finden, weil eben die große Spinnerei gebaut wurde. Weil meine Papiere richtig waren, kümmerte sich die Polizei nicht um meinen Anzug und leeren Geldbeutel, denn Arbeit hatte ich auf der Stelle. Eine Wohnung zu finden, war keine Kleinigkeit, ich wurde an vielen Orten abgewiesen und wie eben die Armen am liebsten den Armen helfen, fand ich zuletzt bei blutarmen Leuten auch eine Wohnung. Kost konnten sie mir nicht geben, wollte auch keine, denn Kleider waren vor Allem nöthig; Kleider kosten Geld und mein Taglohn war nicht gar groß. Ja, der Donat kann arbeiten und hungern, wenn er muß; drei geschlagene Monate sah ich kein Stücklein Fleisch und keinen Tropfen Wein, sondern erhielt mich fast nur bei Brod und Milch, schlief dabei recht gut und konnte das schönste Weibsbild ansehen, als ob ich ein Klotz geworden wäre! ... Nach drei Monaten hatte ich aber nicht nur Kleider, sondern auch das ganze Wohlwollen der Werkmeister und insbesondere das der Tochter meiner Hausleute, ohne daß ich letzteres wußte, weil sie nie ein Bröselein davon verlauten ließ, wenn sie aus ihrem Dienst von Karlsruhe auf Besuch herüberkam. Als die Fabrik so weit fertig und Maschinen eingerichtet waren, saß ich einmal recht bekümmert nach 12 Uhr bei einem der letzten Sandhaufen in der Sonne und dachte an die Zukunft, da kommt auf einmal der Director der Spinnerei auf mich los, ein braver Herr, der mich oft im Auge gehabt, jetzt aber just fast das erstemal mit mir redete und sagte: »Donat, weil Er als Fremd so lang und fleißig hier gearbeit hat, will ick Ihn in die Spinnerei nehmen als Lehrlink. In 3 Mond kann Er die Sack, kriegt täglich 36 Kreuzer. Wenn Er keine dumme Deutsch ist, bekommt Er dann ein Maschin und verdient schön Geld! Was sagt er zu der Sack?«

Kannst Dir einbilden, Duckmäuser, daß ich da stand wie aus dem Himmel gefallen und zehnmal in Einem Brumm »Ja« sagte; ich muß roth und recht einfältig dreingesehen haben, denn der Herr lachte und meinte:

»Nehm' er nix für ungut, ich bin ein Franzos und sprecke etwas heroisch, bin hitzig, aber ick fresse keine Deutsch und meine es nit so böse!«

Der Herr Director wurde mein zweiter Schutzengel, wie der Pfarrer mein erster gewesen; sein Auge blieb stets auf mich gerichtet, er gab mir viele Ermahnungen und hielt mich von Vielem ab, denn der Teufel juckte wieder hollops in mir. Die Spinnerei wollte mir nicht gefallen, die Lehrmeister waren lauter Franzosen und neidisch, einen Deutschen zu lehren. Der Herr Director machte, daß ich als Zuschläger in die Schmiede kam, wo ich einen andern Director und täglich einen Gulden erhielt. Konnte es nicht lange aushalten, bekam Blutspeien und wurde fremd. Eben stand ich in meiner Kammer, um das Bündele zu schnüren, da ließ mich der alte Director kommen und machte mich herunter, weil ich so mir nichts dir nichts davonlaufen wollte, ohne ihm ein Brösele zu sagen und fuhr mich dann an:

»Gestern hab' ick die Mann, der an das laufende Maschin war, entlassen. Er liebt die Sauf und soll nit unglücklick werden. Will Er sick besser halten, als der Vorgänger, so thu' ick Ihn an seine Stell. Er bekam taglik einen Gulden zwölf Kreuzer, Ihm geb' ick acht und vierzig Kreuzer täglik, aber nock eine Gehilf, will Er?«

Kannst denken, wie froh ich war und es kam noch besser, denn die Käth, also hieß die Tochter der Hausleute, kam nach Hause, weil sie krank gewesen war und den Dienst bei der Herrschaft verloren hatte, bei der sie 6 Jahre in Einem Zug gedient hatte. Sie hatte die »Durchschlechten« gehabt, war noch sehr schwach, doch ein braveres Mädle wächst im ganzen Unterland nicht; ich wurde in sie ganz anders verliebt als in die Fränz, betrachtete die Käth wie eine Heilige, sie und der Herr Director haben mich vor Vielem bewahrt! – Vier Monate später führt der Satan den rothen Mathäubesle auch nach Ettlingen und dieser leichtsinnige Passagir wurde mein Freund, weil er mein Landsmann war, zog mich zum Saufen und Spielen, so oft er konnte und war mit den Weibsleuten nicht heikel! ... Untreu wurde ich der Käth nicht oft, aber nach 6 Monaten verfehlten wir uns und ich wäre ein schlechter Kerl, wenn ich sagte, sie sei schuld daran gewesen. Sie hat mich oft genug davor gewarnt und mir die Leviten gelesen, aber die Beste hat schwache Stunden und ich war in diesem Punkte kein Held wie Du, wenn's wahr ist!

Als die Eltern die Sache merkten, sollte ich auf einmal aus dem Hause und ging auch, weil ich das Heulen und Schimpfiren nicht mehr sehen konnte. Alle Sonntage traf ich mit der Käth in Busenbach zusammen, doch die Eltern waren ihr auf den Socken und wollten auch dies nicht mehr leiden.

Eines schönen Morgens muß ich vor Amt, der Asessor schnauzt und bellt mich an, ich müsse binnen 3 Tagen die Fabrik und den ganzen Amtsbezirk verlassen, wo nicht, so müßte mich der Gensd'arme holen. Ganz vertattert frage ich warum und da sagt er mir, ich hätte ein Mädchen mit einem Kind und sei auch schon in Bruchsal gesessen.

»Ja, das ist wahr, sage ich, aber darf ein Mensch, der seine Strafe erstanden und sich ehrlich und redlich ernähren will, nirgends mehr arbeiten?« – »Er kann arbeiten, wo Er will, aber in diesem Amtsbezirk ist's mit Ihm Mathäi am Letzten!« – Jetzt sage ich, der Asessor soll mir in den Heimathschein schreiben, weßhalb ich nicht mehr hier arbeiten dürfte, er aber sagt, ich habe es gehört, was zu thun sei und soll mich packen!

Ich besann mich auf dem Heimwege und blieb in der Fabrik.

Acht Tage später werde ich richtig auf die Wachtstube gerufen, sind da 2 Gensd'arme, führen mich vor Amt und der Asessor sagt, ich müsse jetzt 24 Stunden ins Loch und wenn ich in 8 Tagen nicht fort sei, lasse er mich heimtransportiren.

Bei der Rückkehr in die Fabrik nahm mich der Herr Director ins Verhör, wo ich gewesen sei und weil ich für ihn durchs Feuer gegangen wäre, entdecke ich ihm Alles haarklein und erfuhr wieder, was das für ein braver Mann war. Er spricht mir Muth ein, meint, wenn es Jedem der 1400 Menschen, die in der Fabrik arbeiteten, an der Stirne geschrieben stünde, was er schon gethan habe, müßte er Manchen fortschicken. Ich soll ihm und der Käth folgen und brav für mein Kind sorgen. Die acht Tage verstrichen und kein Mensch dachte daran, mich auf den Wald zu jagen.

Gehe ich an einem Sonntage Mittag von Busenbach nach Ettlingen, die Käth ist bei mir und hat unser Kind auf dem Arm, kommt uns just der Asessor mit 2 Herren entgegen, stellt mich auf dem Wege, thut aber ganz leutselig, erzählt Alles den andern Herren und sagt zu mir: »Er wisse, daß ich immer Kostgeld für mein Kind zahle, habe auch ein gutes Lob von den Herrn in der Fabrik, solle nur brav bleiben und für mein Kind sorgen und so fortmachen!«

Solche Rede gefiel mir sehr wohl und wenn ich alles überlege, muß ich sagen, daß ich mein Glück selbst mit Füßen getreten habe und ein Narr gewesen bin, mehr auf den rothen Mathäubesle, als auf den Herrn Director und andere Leute gehört zu haben, die es gut mit mir meinten. Ich hatte eine neue Heimath gefunden und wenn ich gescheidter gewesen wäre, würde ich darnach gestrebt haben, die Käth zu heirathen, die längst wieder in einer Küche zu Karlsruhe stand. Für mein Kind zahlte ich immer redlich das Kostgeld, aber statt bei meinem schönen Verdienst zu sparen, zog ich mit dem rothen Kaiben und Fabrikmenschern herum und habe mehr als Eine Nacht ganz durchgesoffen und gespielt und allgemach Schulden bekommen.

Wenn das Fabrikglöckle zur Arbeit rief, war ich oft voller Schlaf und halbbesoffen dazu und hätte einmal leicht bei meiner Maschine das Leben verloren, wenn nicht der Herr Director mich im letzten Augenblicke gepackt und irgendwo hingelegt hätte, um den Rausch auszuschlafen. Die Käth kam an Sonntagen, so oft sie konnte, hielt mich vom Saufen ab, wir Beide sollten nur Einen Schoppen trinken, gab mir die besten Vermahnungen, ich plärrte oft vor Rührung und fluchte oft wie ein Türke, denn ein Hitzkopf bin ich, Duckmäuser! ... He, schläfst Du?«

»Warum nicht gar, doch mach's kurz, in der Stadt draußen brummelt die Lumpenglocke und bis halb Fünfe ist's dann nimmer so lang!«

»Auch gut, wills kurz verlesen!« ... Mein Mädchen predigte umsonst, der Herr Director stellte mir Himmel und Hölle vor, aber der rothe Mathäubesle und Andere bekamen immer mehr Gewalt über mich, ich triebs immer ärger und ärger und wurde endlich entlassen. Die Käth weinte sich schier die Augen aus dem Kopf, die Eltern schimpften kannibalisch, aber jetzt war Hopfen und Malz verloren, der Asessor schnitt ein böses Gesicht, that fuchsteufelswild und ich zottelte eben wieder in den Schwarzwald hinauf.

Daheim bekam ich Arbeit beim Fürsten als Holzschläger und hielt's ein Vierteljahr mit dem Waldleben recht gut aus, obwohl die Arbeit ganz anders war als in der Fabrik, wo eigentlich der Arbeiter nur Befehlerles spielt bei der Maschine. In meinem Ort lobten mich die Leute sehr, weil ich so lange fort war, gut gethan und rechtes G'häs mitgebracht habe und als ich das Saufen wieder anfing, hätte mich ein Vorfall belehren können, daß ein armer Tropf schon deßhalb nicht versaufen sollte, was er auf und anbringt, weil man gleich glaubt, er habe das Geld dazu gestohlen.

Kommt eines Abends – es war just beim Nachtessen und ich spedirte die Kartoffel Nro. Dreißig ins Unterquatier! – kommt so ein Gensd'arm, schaut mich an, fragt wer und was, sieht meine Uhr an der Wand und nimmt sie weg, muß ihm mein Trüchle öffnen; er nimmt einen Rock, zwei paar Hosen, ein paar nagelneue Stiefel, drei Hemder, einen Hut, Schirm, endlich einen Stutzen und zuletzt mein Geld, es waren 18 Gulden 12 Kreuzer – und die Hausleute hattens in Verwahrung, weil ich das Trüchle nicht gut schließen konnte. Auch der Donat selbst gefiel ihm so, daß ich im Amtsgefängnisse übernachtete und zwar 6 mal. Man hatte dem Accisor unseres Ortes 50 Gulden gestohlen und 100 dabei liegen lassen und ich stand im Verdachte, wieder »gekratzt« zu haben. Aber ich konnte nachweisen, woher all' meine arretirten Sachen waren, es stellte sich heraus, daß der eigene Schwager des Accisors die 50 Gulden weggekratzt habe – es war auch ein Lediger, der gern ein Mäßlein lupfte, wie ich und ein Spezel von mir, ein völlig g'scheidter Kerl und nicht so schlecht, wie der rothe Mathäubesle, der doch nie im Zuchthaus war! – kurz, ich wurde nach sechs Tagen wieder frei, der Amtmann sagte gleich, ich hätte beim Accisor nicht gestohlen, denn ich würde die 100 Gulden auch eingesackt haben und ich glaube, er hätte Recht gehabt, wenn mir nicht die rechte Spitzbubencourage überhaupt mangelte.

Auf dem Heimwege – am Tage Mariä Geburt wars! – traf ich ein Weibsbild, das ich schon früher gekannt hatte und nicht viele Flausen machte. Diese Apollon war viel jünger und netter als die Fränz, dafür aber schlimmer, wollte überall sein, wo es lustig zuging, vertrieb mir die Lust zur Arbeit, machte mich leichtsinnig und allgemach ging alles Geld fort, ich verkaufte alle meine Sachen, vergaß die Käth sammt meinem Kinde ganz und gar!

Höre Duckmäuser, Du hast Recht, es ist nicht das Aergste, daß Du den Alten umbrachtest, ich begreife, daß die Hannette oder Hindania oder wie das wälsche Mensch hieß, Dir weit mehr Gedanken macht!

Die Käth kam aus dem Unterland herauf, um mich zu besuchen, es wurde mir gesagt und ich ging so lange fort, bis ich glaubte, daß sie die Höllensteige wieder hinab sei.

Sie hinterließ mir bei der Adlerwirthin Wünsche für mein Glück und was ich suche, das werde ich schon finden, soll nur das Kostgeld für das arme Kind nicht ganz vergessen, sie bringe es nicht auf und ich kennte ja die Armuth ihrer Eltern! – Will's mir doch das Herz zersprengen, wenn ich jetzt in meinen Ketten an die Käth denke! ... Wie verlassen war ich an Vater und Mutter, wie oft und viel habe ich deßhalb schon geplärrt und jetzt mache ich's gerade wie der schlechte Unteroffizier! – Gottlob, daß der Vater der Käthe keiner ist, wie mein versoffener Stiefvater, der jetzt von seinen Buben in den alten Tagen gehauen wird trotz einem Tanzbären! – Käthe's Kind hat einen guten Großvater, er trug es immer auf den Armen herum, ohne daß er mich je leiden konnte und habe ihm doch mein Lebenlang nicht ein Augvoll Böses gethan! ... Ich fand bald, was ich suchte, nämlich das Zuchthaus, wohin mich eine That brachte, zu welcher ich von der erzliederlichen Apollon in der Besoffenheit beredet wurde. Wurde wegen Raub verurtheilt, Gott weiß, daß ich nie an Raub dachte, obwohl ich vielleicht bald wieder zum Stehlen gebracht worden wäre. Man hat mir nicht geglaubt, doch Du wirst mir glauben, Duckmäuser, denn wozu sollte ich hier lügen, wo Stehlen und Rauben fast Ehrensache sind? Verurtheilt bin ich, kann nichts daran ändern und denke eben, ich hab' die schwere Strafe an der Käth verdient und an meinem Kind, an denen ich schlecht genug handelte... Wegen Raub bin ich verurtheilt, doch höre, wie Alles zuging, pure Thatsachen!

Am 13. Juni heuer, es war an einem Sonntagmorgen und wunderschönes Wetter, beredet mich die Apollon sie zu begleiten, sie wolle nach Aha 'nauf, um eine alte Kamerädin zu besuchen. Wir gehen; der Himmel wölbte sich wie ein seidenes Sonnendach über die Berge, alle Matten prangten mit Millionen Blumen, der Titisee glänzte wie ein Metallspiegel, die alten braunen Hütten mit ihren Strohdächern sahen aus, wie großmächtige Aschenhaufen, wo die Buben und Mädle, der neumodischen steinernen kalten Paläste Johannisfeuer angezündet hatten, die Luft wehte mild und frisch aus den noch dampfenden Thälern am Feldberge, man hörte nichts als den Klang der Glocken, der durch die Tannenwälder zitterte, zuweilen einen Vogel oder einen Schuß oder einen Peitschenknall und hätte die Gegend für ausgestorben halten können, wenn nicht die stämmigen Mädle mit den gelben Strohhüten und altfränkischen Juppen mit ihren Burschen und das Herrenvolk aus Lenzkirch auf der Straße hin- und hergewandelt und aus allen Kirchen die Anhöhen hinauf und ins Thal hinab heimgegangen wären. Ich rauche gemüthlich das Pfeifle, betrachte Alles und sage endlich zu der Apel, die in Einem Zug fortschwätzt, ohne daß ich auf sie hörte: »Apel, ich glaubte, es ginge in eine Kirche; mir ist's, als ob meine Mutter auferstanden wäre, dort zwischen den Weißtannen immer herüberschaute und sagte: »Donatle, denk an Gott und bete, hast Niemanden auf der Welt!«

Die Apel lacht laut auf und sagt: Hab's schon gemerkt, daß ein halber Narr neben mir wandelt. Du weißt, daß ich geschworen habe, erst wieder in d'Kilch zu gehen, wenn ich die Granatenhalsschnur habe, nach der du mir das Maul schon hundertmal wässerig gemacht hast. Gehe meinethalben in die Kilch oder zu der bucklichen Hanne, du Tropf und laß mich mit Frieden, hast mich doch nicht gerne!

»Apel sage ich – du kriegst die Halsschnur, sobald ich Geld habe. Aber wir hätten nach der Kirche auch noch den Weg nach Aha gefunden!«

Jetzt wird sie ernstlich böse, geht auf die andere Straßenseite, sagt: »Geh' in die Schweiz und werde Kapuziner, du Lalle! Ist da draußen nicht auch die Kilch? Bin ich schlechter als die Andern, die den ganzen Tag den Rosenkranz drillen? Na, na, die wüste »Unterländersau« steckt dir im Kopf, hast die Apel satt und willst anderes Futter, du schlechter, ehrloser Kerl!«

Sie sagt kein Wort mehr, ich habe nicht übel Lust, ihr von wegen der »Unterländersau« den Hals zuzuschnüren, daß ihr die Lälle zum bösen Rachen heraushängt, aber sie springt voraus, nachher reuts mich wieder und mache gutes Wetter. Ich sah wohl, daß die Apel mein Unglück sei, doch ich habe Niemanden auf der Welt und ein Weibsbild muß ich haben! – Wir laufen und laufen wieder selbander und kommen bald zum Rößle, wo es die Steig hinabgeht und links über die sumpfigen Matten durch Hinterzarten den Wald hinein, bergauf bergab nach Aha 'nauf. Sie wollte haben, daß ich mit ihr in den Sternen hinabginge und dort Forellen bezahlte, denn die Forellen der Posthalterin sind im ganzen Land berühmt und das Herrenvolk, das mit dem Eilwagen fährt, frißt im Sternen Forellen und sauft Markgräfler dazu, daß ihm der Ranzen zerspringen möchte. Die Apel that gar gern wie Herrenmenschen thun, war auch in der Hoffnung, wo man den Weibern nichts abschlagen soll, aber ich ging dennoch nicht in den Sternen, der Teufle führte mich in das Rößle ob der Steig und die Apel blieb nicht draußen und lief nicht allein weiter, wie sie gedroht hatte.

Wir fressen einen Kalbsbraten, 's war ein Stück so groß wie ein Roßkopf, dazu ein Scheffel Salat; der Wein ist ganz gut, die Apel und ich bürsten, daß es eine Art hat, obwohl wir nicht mehr einen Brabanter im Vermögen besitzen.

Auf einmal geht die Apel hinaus, steht vor dem Rößle, hält die Hand über die Augen, stiert immer auf den Weg, der von Hinterzarten durch die Matten führt, kommt herein und thut wie ein Narr, daß ich bezahle und mit ihr fortgehe.

»Komm, Donat, geschwind, wir gehen nicht nach Aha, es thut's ein andermal auch, wollen zurück gegen Lenzkirch!« drängt sie. Ganz verwundert zieht sie mich an der Lafette vorbei, wo der Wirth gerade aus dem Fenster schaut und wahrscheinlich ob unsern rothen Gesichtern lacht. Hinter dem Bären schlagen wir die Straße nach Lenzkirch ein, im nächsten Wäldchen steht sie still und sagt gar freundlich:

»Donat, jetzt will ich den größten Beweis von Liebe, den du mir geben kannst und wenn du's nicht thust, adje Parthie!«

Ich hätte damals dem Teufel den Schwanz ausgerissen, wenn die liebe Apel gewunken hätte und schwöre ihr Alles zu thun, außer Stehlen und Umbringen.

»Komm ein bischen hinter die Tannen, wir wollen passen. Es ist hoher Mittag, weit und breit kein Mensch, doch kommt in einigen Minuten ein Maidle von Hinterzarten, das mich schwer erzürnt hat am Georgentag, wo ich auch nach Aha ging und in Hinterzarten einkehrte. Sie hat mir vor einer Stube voll Leut alle erdenklichen Schandnamen gesagt und gemacht, daß ich fort mußte. Die packst du an, schleppst sie in den Wald, im Nothfalle bin ich auch da, sie kennt dich nicht, aber mich, deßhalb komme ich nur im Nothfalle. Ist gar stolz auf ihre Larve; du sollst sie recht demüthigen, das übermüthige Ding; es kommt nichts heraus und zu nehmen brauchst du ihr weiter nichts! ... Hat sie ihren Theil, so lassen wir sie wieder springen, willst du, Herzensdonätle?«

Ich war stark benebelt, die Sache kam mir recht spaßhaft vor, richtig da kommt das Mädle und sieht aus, wie der Tag im Vergleich zu der Apel. Ich schlich hinter ihm her, die Apel blieb abseits im Walde, das Herz klopfte mir, daß ich fast keinen Athem mehr bekam, die Apel winkt immer wie besessen, endlich fasse ich ein Herz, packe das Maidle und zerre es den Straßengraben hinab in den Wald. Es schrie wie ein Dachmarder, wehrte sich aus allen Kräften, ich riß ihm unversehens eine Granatenschnur mit einem goldnen Kreuze weg, was später im Grase gefunden wurde und warf es zu Boden! – Ihr vermaledeites Geschrei führte zwei Bauernbursche her, die von Lenzkirch die Höhe rasch heraufgestiegen waren. Diese halfen dem Maidle, prügelten mich kreuzlahm, banden mir dann die Hände mit meinen eigenen Hosenträgern und schleppten mich nach Lenzkirch!« – Das ist meine Geschichte und jetzt urtheile du, ob ich einen Raub begangen habe und gerecht oder ungerecht leiden muß! Ich erzählte Alles haarklein, wie es gegangen war, doch mußte halt ein Räuber sein, da half Alles nichts mehr. Mich reut's bis auf's Blut, daß ich nur ein Brösele gestanden habe.«

»Nein, bist kein Räuber, armer Tschole, bist halt auch ein Unglückskind! – Was hätte es dem Maidle geschadet, wenn du zum Ziele gekommen wärest? ... Aber mit der Apel, wie gings da?« fragt der Benedict verächtlich und spöttisch zugleich.

»Ja, die Apel, die Apel! Diese wurde nicht entdeckt und war vor mir in der Neustadt, um mich bei Amt anzugeben. Sie beschwur, daß ich sie bereden wollte, an der Sache Theil zu nehmen; sie habe solches nicht über s'Gewissen gebracht, mich nicht abhalten können, zumal in ihren Umständen und mich deßhalb angezeigt. Ich sei ein schändlicher Kerl und wenn sie nicht gewesen wäre, würde ich schon mehr als hundert Weibsbilder unglücklich gemacht haben. Ist solche Falschheit nicht himmelschreiend? ... Ich weiß woher das kommt!«

»Ei, die Apel trug eben keine Lust, nach Bruchsal zu kommen« meinte der Duckmäuser.

»Wohl, doch der Hauptgrund ist, weil das liederliche Weibsbild wieder mit einem alten Schatz liebäugelte, der fast der zweite Spaniol war.«

»War der Donatle, so lange ich Geld und Sachen zu verkaufen hatte, im Rößle blieben mir noch 10 Batzen übrig, 5 davon gab ich ihr und sie wußte, daß meine Herrlichkeit ein Ende hatte und ich das Hemd vom Leibe verkaufen mußte! Der Kilian von Prechthalen, ein Wittmann, mit dem sie einmal einige Jahre im Lande herumgezogen, hatte einen Brief geschickt und ihr angeboten, mit ihm zu hausen. Die Apollon sagte mir selbst, sie sei entschlossen, ins Prechthal zu wandern, sobald sie ihr Kind der Gemeinde abgeliefert habe. Geben konnte ich nichts mehr, drum verließ sie mich. O die Menschen sind falsch, grundfalsch, Duckmäuser, es gibt keine Ehrlichkeit mehr auf der Welt und der Ehrlichste wird am meisten angeschmiert! Falsch wie Galgenholz hat die Apel, der ich Alles anhing, an mir gehandelt! ... Es möge ihr in der Hölle zehntausend Jahr auf der Seele brennen!«

»Wie lang bist du denn mit der Apel umgegangen?« fragte der Benedict. »Hoh, sieben Monate mindestens zottelte ich aus einem Wirthshaus und einem Orte in den andern.«

»Und arbeitetest nicht?«

»Der Fürst wollte keinen Holzschläger meiner Art lautete der Bericht des Försters. Dieser konnte mich anfangs leiden, doch wurde ich bei ihm angeschwärzt, daß ihm die Augen überliefen. Unsereins soll eben kein Freudele haben und wird gleich Alles krumm genommen!« seufzt der Donatle.

»Hast mir auch schon erzählt, wie du den Bauern Schinken aus dem Kamin und Schmalzhäfen aus dem Trog geholt hast, mich wunderts nur, daß du soviel auf deine Ehrlichkeit gibst!« ... lächelte der Vatermörder. »Oh du Daps, entgegnet der Donatle, vertragen sich solche »G'späß« nicht mit der Ehrlichkeit? Dann wären alle Leute Spitzbuben! Was schadet so ein Beinle oder Häsele einem Packer oder Holzhändler oder Wirth? Zudem hat die Apel das Meiste geholt, sie konnte es mit den Weibern und noch mehr mit den Knechten und theilte Alles redlich mit mir!«

»Sauberes Leben das, du ehrlicher Donatle!« meint der Benedict.

»Spotte du nur über mein Unglück, hast's auch nicht besser gemacht! ... Bin eben schief in die Welt gerutscht, die Fränz, der rothe, verdammte Mathäubesle und die Apel, lauter Leute zehnmal nichtsnutziger als ich sind eben an meinem ganzen Unglück Schuld! ... Hab erst am vorigen Sonntage daran gedacht. Ich las in der Kirche, wie sich Ludwig der kleine Auswanderer von einem Schmetterling und Kukuk verführen ließ und im Walde verirrte und dachte gleich, Fränz und Apel und die Fabrikthierer im Unterland seien meine Schmetterlinge, der rothe Mathäubesle mit seinen wüsten Reden und Liedlein mein Kukuk gewesen, die Amtsleute aber meine Sperber und Weihe und so ist's! ... Hätte ich dein Vermögen und deine Mädlen, deine Mutter und den Meister März dazu gehabt, dann wär' der Donatle nicht neben dir, weißt du's? Ich bin kein Spitzbube, aber du bist Einer und ein Mörder dazu!« ... flüsterte der zornig werdende schuldlose Donat. Mit einer sehr unzierlichen Redensart kehrt sich der Duckmäuser um und beginnt zu schnarchen.

Der Schwarzwälder brummt noch einige Redensarten, sieht, daß der Patrik mit hellen, offenen Augen zu ihm hinüberstarrt und den Kautabak lustig von einem Backen in den andern wirft, von Zeit zu Zeit in eine Düte spuckend, die er im Schreinermagazin gefunden haben mag. »Iech ha der's gs'ait, ma cha nüt mitem Duckmüser ha, s'isch e Chalb wia der Amtma vu Instetten!« sagt der Patrik, dessen scharfe Ohren Alles gehört hatten.

Der Patrik ist nach Geburt und Art ein »Hotzenwälder« neuern Schlages, bei dem außerordentlich viel Ungeschlachtheit und ungezähmte Leidenschaft sich mit Mutterwitz vermählen, während von biederer Frömmigkeit und Rechtschaffenheit der ehrwürdigen Altvordern bei ihm blutwenig verspürt wird. Pauperismus und Sittenverwilderung fanden sammt der Aufklärung den Weg auch in die Thäler der ehemaligen Grafschaft Hauenstein, welche in neuester Zeit das Calabrien des badischen Oberlandes zu werden droht; mindestens steht eine Diebsbande dieser Gegend nach der andern vor den Geschwornen in Freiburg, an Brand, Mord und Todtschlag hat es schon früher nicht gemangelt und mit der uralten, schönen malerischen Tracht scheint auch die uralte Einfachheit des Lebens, der Sitte und die fromme Gesinnung täglich mehr zu verschwinden.

Der Patrik stolperte aus seinen Bergen in das wohlhabende fruchtbare Hügelland des Kleckgaues, diente an verschiedenen Orten, am längsten beim Posthalter in Instetten, wo er als Hausknecht sich unmäßig in den guten Rothen verliebte und zuletzt fortgejagt werden mußte, weil er soff, daß er manchmal einen Güterwagen für eine Baßgeige hielt und mit dem theuern Hafer umging, als ob er vom Himmel herabregne. Er lungerte dann einige Zeit im »Züribieth« herum, trieb Alles, was der Brief vermochte und kam zuletzt mit den Landjägern in eine so schiefe Stellung, daß er gerathen fand, sein Glück wiederum »im Dütschland« zu probiren. Leider jedoch ereilte diesen Sohn Teuts, dem die Treue zum Rothen nicht nur aus den Augen blitzte, sondern auch aus der Kupfernase schimmerte und die Liebe zur Trägheit unsäglich tief im Herzen saß, nicht das Glück, sondern das Unglück und jetzt erzählt er dem Donatle, was er im Zuchthause schon hundertmal erzählt hat, nämlich die »wahrhaftige und kurze« Geschichte seiner »unsäglichen Schuldlosigkeit.«

Rauh und eckig wie die tosenden Waldbäche und Felsen seiner Heimath ist Patriks Sprache; man glaubt eine Sägemühle krächzen zu hören und ein Pommer oder Mecklenburger würde keine Silbe davon verstehen, wenn er nicht etwa Hebels allemannische Gedichte an springenden und singenden Theeabenden mit wüthenden Beifall radebrechte; dabei flucht der Patrik trotz dem derbsten Hochbootsmann und braucht Bilder, vor denen selbst der Idyllendichter Voß von Heidelberg bis Eutin fortgaloppirt wäre.

In wie vielen schattenreichen Gebäuden der gute Hotze schon herumwanderte, ehe er in den grauen Kittel schlüpfte, verschweigt er dem Donatle klüglich; es ist spät, er macht die Sache kurz und sein vom Brummbaß des Murmelthieres beschütztes Geflüster ließe sich etwa übersetzen wie folgt:

»Man hätte mich auf den Grund schlagen sollen neun Monate vor meinem Geburtstage, nämlich in der Gestalt meines Vaters, der die Dummheit beging, einen Kerl auf die Welt zu setzen, welchem das Unglück wie der eigene Schatten folgt. Die Mutter hat's mir oft prophezeit, ich sei für das Kreuz geboren und habe ein grausiges Kreuz auf dem Hirnschädel gehabt und im Meerfräulein zu Laufenburg hat einmal ein Käshändler mit dem Vater gewettet, daß ich noch lange vor ihm am Galgen oder im Zuchthause stürbe ob schuldig oder unschuldig, denn die Constellation der Gestirne – davon versteht ein Kalb deiner Art freilich nichts! – sei bei meiner Geburt die schlimmste von allen erdenkbaren Constellationen gewesen. Bin jetzt 27 Jahre und 13 Herbstmonate auf der Welt und weiß, daß der Teufel morgen allen Leuten die Füße abschlüge, wenn ich heute Schuster würde, drum ist mir auch alles Eins und der Vater hat mich nichts lernen lassen ... Hör' nur Einen Spuk, Donatle, dann hast genug und wirst dich nicht mehr verwundern, weßhalb ich auch hier alle Schick ins »schwarze Loch« komme. Sitze also im Engel zu Lottstetten und versaufe den letzten Rappen, damit er mir nicht aus dem Sack fällt und schlendere dann wohlgemuth auf der Straße nach Instetten ... der Fußweg über die Wiesen war so schmierig wie das fünfte Element im Polakenland! – weiter und denke an meinen alten Schatz, mit der ich in der Weihnachtsnacht hinter der Klosterkirche von Rheinau zum erstenmal zusammentraf. Ganz in Gedanken versunken laufe ich den Berg hinan, merke gar nicht, daß ich einem leeren Güterwagen begegnete, bis ich hinter mir rufen hörte. Hört ein gescheidter Mensch in einer Gegend, wo auf der einen Seite Wald und weit und breit kein Mensch zu sehen ist, hinter sich Halt brüllen, so schaut er sich nicht um und springt, daß ihm die Schrittstecken wackeln. Wiewohl ich nun der dümmste Gedanke meines Vaters bin, war ich doch gescheidt genug, diesmal zu springen und erreiche das Höchste ganz athemlos, weil mein Verfolger immer fort brüllt und auch springt. Doch was geschieht? Mir entgegen kommt gerade ein Gensd'arme, der mich im Verdachte hatte, daß ich ihm einmal in Instetten im Finstern Eins aufs Dach gab ... es war Einer, der mich früher ins Bürgerstüble brachte und von dort in den Thurm von wegen einer Trudel, der ich Nachts in die Kammer gestiegen bin! Unser Gensd'arme sieht mich kaum, nimmt er's Gewehr von der Achsel, macht am Hangriemen herum und schreit ebenfalls Halt! – Außer den beiden Haltschreiern sah ich weit und breit nur mich, denke an die Prophezeiung meiner Mutter selig, springe über die Straße links in die Felder und sehe im Umschauen, daß der verdammte Grünrock mir nichts dir nichts auf mich anlegt, als ob ich ein Hase wäre. Ganz verwundert bleibe ich stehen, denke: Patrik, aha, die Constellation ist wieder da! Der Gensd'arme kommt und brüllt: Halt Spitzbube, Ihr seid arretirt. Gleich darauf keucht ein schwäbischer Fuhrmann, den ich auch nicht leiden mochte, weil er nie in der Post zu Instetten, sondern im Engel zu Lottstetten einstellte, auf mich los und schreit ebenfalls: Hab' ich dich Spitzbube, liederlicher!

»Hört, Ihr Hagelsketzer, ich bin kein Spitzbube!« sage ich mit der größten Mäßigung und war mir schon nicht wohl dabei, weil ich meinen Heimathschein in Bülach drüben liegen gelassen hatte.

»Erzspitzbube, Halunke!« antworten die Beiden ganz besessen, sind keine drei Schritte mehr vom Leibe und während ich vor Erstaunen die Hände über dem Kopfe zusammenschlage, klirrt eine Kette, ich reiße die Augen auf und was meinst, Donat, was mir Unglücksmenschen passirt war? Im Vorbeistreifen am Güterwagen blieb eine Wagenkette an mir hängen und vor lauter Gedanken an die Rheinauerei und später vor Angst und Schrecken hatte ich den Butzen gar nicht bemerkt. Es war eine schöne schwere Kette und habe nachher alle Sterne vom Himmel herabgeflucht, weil der Kaib von Fuhrmann nicht schlief, während sonst Güterfuhrleute oft von einem Wirthshaus zum andern fahren, ohne ein Auge aufzumachen. Dieser heillose Streich war noch das Geringste; der heimtückische Schwabe hatte auch noch seine Brieftasche und die silberbeschlagene Tabakspfeife in die Tasche meines Manchesterkittels gesteckt, während ich sinnend an ihm vorüberstreifte. Der Gensd'arme und der Schwabe konnten mich nicht leiden, 's war offenbar ein abgekartetes Spiel, um mich ins Elend zu bringen, ich zeigte mich bereit, dies hundertfach zu beschwören, doch der Amtmann half den Beiden und ich, armer, armer Tropf, der ich gehofft hatte, im Adler zu Instetten« –

»Jetzt ist's genug, ihr Waschweiber, ich will meine Ruhe, ich bin nicht im Zuchthaus, um euer Sumsen zu hören!« ... schrie das Murmelthier mit zornrothem Antlitz, stand im Hemde im Hintergrund des Saales gleich dem Rachegeist der Hausordnung und trommelte wüthend auf dem zusammengeschrumpften Schmeerbauche herum.

»Ob Ihr auf der Stelle in Euer Nest geht? Ob ich kommen soll? Wartet nur, das wird Euch eingetränkt! Die Ruhe auf solche Weise stören, Nachts um Zwölfe krakehlen, als ob Ihr der Gockler in diesem Saale wäret?!«

Ob dieser Philippika streckte Mancher den Kopf in die Höhe, der Aufseher, der alte Moritz stand mit rothem Kopfe unter dem Guckfenster, sein grauer Schnurrbart richtete sich in die Höhe, wie die Stacheln eines Stachelschweines, das seinen Feind erschießen will. Das erschrockene Murmelthier, ein wahres Bierfaß auf zwei wandelnden ungeschälten Stecken rannte mit einem Harrassprunge in das Bett, die Bretter brachen zusammen und jammervoll saß der Edle auf den Trümmern seines Glückes, nachdem er dreimal von oben nach unten gekugelt!

»Herr Moritz entschuldigen, nicht mein College da war der Ruhestörer, sondern die dort hinten, vor Allem der Duckmäuser, der nicht eine Minute schweigt und all meine Warnungen verachtet, weil er mich nicht als legitimirten Aufseher des Schlafsaales anerkennt. Er hat den Donat zum Plaudern verführt und dann den Patrik! ... Offenheit ist meine Sache, der Wahrheit die Ehre, an Zeugen wird's nicht fehlen! ... Es wird ruhig sein, ich garantire Ihnen, mein Herr!« Diese Rede des Spaniolen besänftigt den alten Moritz, der sich mit der ernsten Mahnung ans Strafbuch in den Gang zurückzieht.

»Oh, wäre ich in einer Zelle, der Kerl wird sonst noch kalt durch mich!« murmelt der Duckmäuser und knirscht mit den Zähnen.

»Der Spaniol ist ärger als die Apel, der Teufel soll ihm heute Nacht noch das Genick brechen!« sagt der Donat leise vor sich hin.

»Siehst du, Donat, die Constellation? Morgen gehts wieder ins schwarze Loch mit Hungerkost und Gänsewein, Alles von wegen der Strohlshagelsconstellation!« ... »O Vater, du Hornvieh, ich möchte dich noch unterm Boden auf den Grund schlagen, du bist schuld an Allem!«... seufzt der Patrik und kehrt sich auf die andere Seite.

»Wann, o wann hört der Lärm und Gestank dieser Marterhöhle für mich auf!« flüstert Martin der Wirthssohn leise vor sich hin und läßt einen tiefen Seufzer fahren, während die Augen trostlos durch die vergitterten Scheiben in die sternenleere, schwarze, traurige Regennacht hinausstarren.

Von jetzt an vernimmt man nur noch das Schnarchen des Murmelthieres aus dem Abgrunde der zerbrochenen Bettlade sammt dem Geschnarche eines halben Dutzends Anderer, die schwer gearbeitet oder den Schnupfen haben. Einige reden im Schlafe, weinen, fluchen, schlagen um sich und der schwere, schwüle Dunst dieses Saales tragt wohl dazu bei, auch die Traumwelt der Gefangenen mit wilden, düstern Gestalten und Bildern zu bevölkern. Aus jenem Verschlag im Hintergrunde, dem von Zeit zu Zeit Einer zuschleicht, wehen Moderdüfte über die Schläfer.


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