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Duckmäusers Glücksstern erbleicht

An einem Sonntagmorgen tritt der Benedict aus der Kammer in die Stube, der Vater rasirt sich gerade hinter dem Ofen und tritt diesmal nicht so glatt und sauber wie sonst hervor, denn er hat sich im Eifer geschnitten oder vor innerer Bewegung gezittert, seine Stirn ist gefaltet und der Blick so finster, daß der Sohn bereut, durch das Löffelgeklirre der Mutter in die Stube gelockt worden zu sein.

»Bist du gestern Nacht nicht wieder in Brandpeterles Haus gewesen?« fragt der Jacob und der Mund zuckt bei dieser Frage gar seltsam. – »Ja, ich war ein Viertelstündle dort und hab' geschwind die Geschichte vom Fortunatus mit dem Säckel und Wünschhütlein erzählen! müssen!« meint der Benedict kleinlaut. – »Woher hast du denn diese schöne silberne Uhr, die heute Nacht aus deinem Sacke rutschte?« fragt der Alte mit blitzenden Augen und zitternden Lippen und zieht die Uhr aus dem Kasten – »Ho, ich habe sie gefunden!« – »So was findet man nicht so am Wege! Kerl, was fängst Du für ein Leben an? Gib Acht, gib Acht, daß ich nicht hinter dich komme, 's geht dann anders als wegen dem Liebhardt!« donnert der Vater und schlägt die Eichenfaust auf den Tisch, daß die blechernen Löffel und zinnernen Teller in die Höhe springen und die jüngern Kinder ängstlich zusammenfahren. – »Alter, denk' an unsere Verabredung!« ermahnt die Theres, welche eine Schüssel voll gebratener Erdäpfel neben die dampfende Suppe stellt. – »Wo hast du die Uhr gefunden?« forscht der Jacob weit sanfter. – »Da und da.« – »Bah, bah, weßhalb hast du sie denn verborgen? Weßhalb mußte ihr Picken erst dein Glück verkünden? Soll man das Maul halten, wenn man Etwas gefunden hat? Meinst du, es werde Niemand nach der Uhr fragen? Kerl, Kerl, nimm dich in Acht, heute gehst du mir nicht zum Hause hinaus, hast's gehört?« – »Ja, ja!« versichert der zitternde Benedict und die Mutter wirft ihm einen Blick unaussprechlicher Angst und Bekümmerniß zu, denn sie ahnt, wie ihr Augapfel zu der schönen Uhr gekommen sein möge. Aus der Kirche bringt der Vater die Hiobspost, gestern Abend sei dem Melchior die Silberuhr, welche er an der Wand hängen hatte – weggefunden worden, der Benedict glaubt sein Todesurtheil zu vernehmen, doch flicht der Vater diesmal keinen Seilstumpen und versetzt dem Bueb nur gelegentlich einen Stoß, daß derselbe der Länge nach zu Boden stürzt und will einen Fußtritt oben drauf setzen, den die herbeieilende Mutter jedoch verhindert.

Bei Nacht und Nebel trägt der Jacob die Uhr wieder dahin, woher sie genommen wurde, kommt unbeschrieen wieder heim, kann kein Wort reden vor Schmerz und Schaam, die Theres aber nimmt den Benedict in die Kammer, fällt vor ihm auf die Kniee und bittet ihn unter strömenden Thränen und mit aufgehobenen Händen, sich zu bessern und von dem Wege abzulassen, den er eingeschlagen.

Bei allem, was dem Christenmenschen und Kindesherzen heilig ist, beschwört sie ihn, vor Gott und den Menschen ehrlich und rechtschaffen zu wandeln und bringt ihn zum Schwure, wieder ordentlich zu werden.

Sie verspürt an Eiern, Butter und dergleichen, daß es dem Duckmäuser diesmal Ernst sei; sie kennt ihn inwendig wie auswendig und will Alles thun, um ihn auf dem rechten Wege festzuhalten. Sie weiß, es gäbe Eine im Dörflein, welche mehr über den Benedict vermöge, denn alle Geistlichen, Vater und Muster zusammengenommen, diese Eine hieß Margareth und zu dieser geht die tiefbekümmerte Theres, erzählt ihr, wie alle Ermahnungen, Warnungen, Schläge und andere Mittel den Buben nicht von Brandpeterles wegbringen könnten und wie es mit Melchiors Uhr zugegangen sei.

Ob der unerwarteten und nie geahnten Nachricht erschrak die Margareth so sehr, daß sie den Benedict, für welchen sie freudig ihr Leben gelassen hätte, von dieser Stunde an nicht mehr liebte, sondern eher fürchtete, und später fürchtete wie selten ein Mensch gefürchtet wird. Sie verrieth Theresens Vertrauen mit keiner Silbe, blieb gegen dieselbe eine zärtliche Freundin und liebende Tochter, doch die Liebe für den Benedict war aus ihrem reinen, blutenden Herzen verschwunden, jeder Blick und jedes Wort und die Scheu vor dem verdächtigen Geliebten verrieth es jetzt schon.

Am dritten Abend darauf rüstet der Benedict seinen Marktkorb, die Mutter sieht ihm mit nassen Augen zu, denn er sieht gar bleich und zerstört aus, thut wie Einer, der nicht mehr bei sich selbst ist und hört stumm die Aufträge herzählen, welche er morgen befolgen soll; schon um 3 Uhr will er wie gewöhnlich fortgehen und um diese Zeit pflegt die Mutter noch ein bischen zu schlafen.

Der Marktkorb ist gepackt, der Benedict setzt die Kappe auf und nimmt die Pfeife von der Wand. »Wohin willst du noch?« fragt die Mutter. – »Zu den Andern!« brummt der Sohn kurz und grob. – »Nein, du gehst jetzt nicht zu den Andern, sondern bleibst da! ... Wenn gute Worte nichts nützen, dann will ich auch anders mit dir anfangen!« ruft die schwergekränkte, erzürnte Mutter.

Der Vater sitzt am Tische, sucht in einem alten Kalender den Tag, an welchem die kleine Ammerey zur Welt kam, doch jetzt steht er auf und langt nach den Stricken, die neben dem großen Legendenbuch am Kasten herabhängen, der Duckmäuser jedoch schießt wie eine Kugel aus dem Rohr zur Thüre hinaus in die stockfinstere Nacht hinein.

Einige Minuten später geht er in das Haus des Brandpeterle, in welchem die rothe Schwitt jetzt ihr Hauptquartier aufgeschlagen hat. Der Brandpeterle sitzt nicht in der Stube, denn er liegt schon längst drüben auf dem Kirchhofe, doch dessen verrufene Wittwe setzt eben zwei Krüge Wein auf den Tisch, ihre hübsche, doch leichtsinnige Tochter, die Hanne, sitzt auf dem Schooße des Willibald, der mit fünf andern Buben und fünf Mädlen der rothen Schwitt just vom Duckmäuser redet, denn dieser wird erwartet. An diesem Abend wird das bisherige Haupt der schwarzen Schwitt vollends zum Haupte der rothen ernannt, die Hanne zur »ehelichen Geliebten« desselben gemacht und der erste Beschluß des Neubekehrten heißt: Brandpeterles Haus bleibt Hauptquartier der rothen Schwitt, die ganze Jungfrauschaft der schwarzen ist im Bann!

Etwa um die Zeit, wo Benedict sonst den Marktkorb auf den Kopf zu nehmen pflegte, tritt er aus Brandpeterles Haus und geht nicht heim, um den Korb zu holen, sondern zum Dörflein hinaus und am Kreuze vorüber, wohin er vor drei Jahren in der Frohnleichnamsnacht die Maien gebracht.

Er zieht die Kappe nicht herab, sondern schaut nach der andern Seite.

Es wird Abend, wird wieder Tag, wird Sonntag, Dienstag und noch einmal Dienstag, vom Benedict ist nichts zu sehen und zu hören, die Hanne mit der rothen Schwitt wartet so vergeblich wie die schwarze. Am folgenden Sonntag, während Alles in der Kirche ist, was nicht ganz notwendig in der Küche oder bei der Wiege oder im Krankenbette bleiben muß, tritt der Duckmäuser wieder über die Schwelle seines Vaterhauses, die Mutter steht am Heerde und kehrt sich um, doch sie fährt erschrocken zusammen und findet keinen Gruß.

Ohne ein Wort zu sprechen, geht er in die Kammer, zieht ein frisches Hemd und die Sonntagskleider wieder an, nimmt einen schweren Geldbeutel aus dem Sacke der alten Hosen, steckt denselben ein und geht mit einem barschen »Adje« wieder zum Hause hinaus.

Kein Kundschafter erfuhr, wohin der Benedict gegangen, doch wie es dunkel wird, kommt er mit Zweien von der rothen Schwitt das Dorf herauf zur Linde, die Mädchen der schwarzen Schwitt drängen sich nicht um ihn herum, wie dies sonst immer der Fall war. »Wo ist d´ Margareth?« fragt er – »Wir wissens nicht! ... sie wird daheim sein!« antworten Einige – »Und Ihr, was thut Ihr da? Ihr könntet auch daheim sein!« sagt er und geht dann das Dorf weiter hinauf.

Im Hofe des Brandpeterle sitzen die Dorothea, Klara, die Sabine, welche aus der »Feinsten, Fleißigsten und Sittsamsten« auch eine Helden der rothen Schwitt geworden ist, vielleicht aus Scheu vor dem Oberhaupte der Schwarzen.

Der Duckmäuser will mit den Mädchen scherzen, die Gefährten dagegen halten ihn eifersüchtig ab. » Diese gehen dir nichts an, dir gehört die Hanne, laß diese sitzen, wo sie sitzen!« – »Was? Ihr habt mir nichts zu befehlen, ich kann hingehen, wohin ich will und Ihr, wohin Ihr wollt!«

Mit diesen Worten kehrt der Benedict den Rücken und zu der Linde zurück, wo Mädlen der schwarzen Schwitt einsilbig beisammensitzen und kein Lied anstimmen.

»Guten, guten Abend, ihr Lieben! Was macht ihr Lieben?« – »Ach, was machen wir! ... was denkst du aber auch! ... laß jetzt den Karren rennen, wohin er rennt!« – »Was sagt denn die Margareth?« – »Ach, was sagt sie! ... was wir halt auch sagen, daß Solches kein Mensch von dir geglaubt hätte! ... wo bist denn gewesen die ganze Zeit?« – »Weiß es selber nicht!« »Bleibst jetzt wieder da?« – »Dableiben? bei wem?« – »He, bei wem? bei deinen Leuten!« – »Heute und morgen noch nicht!« – »Ach, thue es doch der Margareth und uns zu lieb und folge deinen Leuten!« – »Der Margareth? Wißt Ihr nicht, daß sie mir den Abschied gegeben hat? daß ich jetzt ein Rothschwitter bin und die Hanne meine Herzige ist?« – Die Mädchen bleiben stumm, einige fahren mit der Schürze über die Augen, andere weinen laut.

»Wenn Ihr zu der Margareth kommt, so sagt ihr, sie habe mich zum Herrn in´s Brandpeterles Haus gemacht, gute Nacht!« sagt der Benedict mit bebender Stimme, ein ingrimmiger Schmerz wühlt in seinem Herzen und droht ihn zu erwürgen, er vermag kaum das »gute Nacht« noch herauszubringen, kehrt sich ab und geht. »Benedict höre, ich muß dir noch Etwas sagen!« ruft ihm die Susanne nach. – »Was weißt noch?« fragt er mit unsicherer Stimme. – »Ich wills dir allein sagen!« – »Gut, Susanne, ich komme noch einmal zu dir heute Abend!«

Um 11 Uhr klopft Einer am Kammerfensterlein der Susanne, diese öffnet und der Benedict fragt, was sie ihm denn zu sagen habe.

Dieses schwache, einfältige Mädchen sagt in einer stundenlangen Rede Alles, was Verstand, Ehre, Rechtschaffenheit und Gottesfurcht dem Zuhörer zu sagen vermochten; jedes ihrer Worte dringt tief, schmerzlich tief in seine Seele, sie fühlt, wie seine Hand in der ihrigen bebt und nimmermehr würde die Predigt des begeistertsten Kanzelredners, nimmermehr die Thränen der Mutter solch erschütternden Eindruck auf ihn gemacht haben, wie die Rede des einfachen Bauernmädchens, in dessen unansehnlichem Körper eine edle, herrliche Seele wohnte.

Stumm hört er die Susanne an, zuletzt schließt diese mit den Worten. »Wir Mädlen sind alle bei deiner Mutter gewesen und sie hat uns versprochen, dir solle nicht das geringste Leid widerfahren, wenn du nur ihr und dem Vater wieder folgen wollest! ... Jetzt sage mir was du thun willst!«

»Liebe Susann, ich kann nicht mehr hier bleiben, ich bin vom ganzen Dorfe verachtet!« meint der Benedict düster.

»Nein, du bist nicht verachtet, Alle haben Mitleid mit dir und von dem, was deine Mutter der Margareth, gesagt hat, wissen nur wir vier: ich, das Besele, die Marzell' und die Margareth! Wir haben nirgends ein Wörtlein gesagt und werden keines sagen, du weißt, daß wir dir treu sind!«

»Aber die Margareth?«

»Auch sie vergißt dir Alles und ist nicht mehr böse, wenn du jetzt folgen willst! ... Sie ist die ganze Zeit nicht aus dem Hause gekommen, hat nur geweint und wenn du noch jetzt zu ihr gehst, wird sie dir das Nämliche sagen, wie ich!«

Verzweiflungsvoll starrt der Benedict zu Boden und schweigt, die Susanne bittet noch einmal, Besserung zu versprechen und ermahnt ihn jetzt heimzugehen und wieder redlich zu werden, sie wolle immer für ihn beten.

»Susanne, ich will dir folgen, will heute Nacht noch heimgehen und meine Leute um Verzeihung bitten, aber – es nützt nichts, es ist zu spät! ... Gott behüte dich liebe Freundin!«

Verzweiflungsvoll schaut der Benedict zum sternenreichen Nachthimmel empor, wischt zwei große Thränen ab und geht, geht jedoch nicht heim, sondern zuerst vor das Kammerfensterlein des Besele, dann vor das der Marzell, hört bei Beiden dasselbe, was die Susanne gesagt und pöpperlet mit bangem klopfenden Herzen endlich noch bei der Margareth an.

Diese benimmt sich ganz so, wie ihre besten Freundinnen es vorausgesagt haben, versöhnt sich mit ihm und schließt ihre Predigt also:

»Wie oft, wie oft, Benedict, hat das schneeweiße Bäbele selig von dir gesagt, es sei nicht alles Gold, was glänze! ... Sei aber fortan jetzt brav und redlich, ich bitte dich um Gotteswillen, Allerliebster! ... Denk´ jetzt an unsern Herrgott, bete und arbeite, wie dein Vater, der brave Jacob sagt und thut! ... Laß solche Sachen bleiben, dadurch wird kein Mensch glücklich, wie du ja selbst schon oft gesagt hast!«

Schon bricht der Tag an, die Schwalben zwitschern, es ist Zeit, den Marktkorb endlich zu holen, er geht heim, Vater und Mutter sprechen mit ihm, als ob gar nichts vorgefallen wäre, Benedicts Entschluß zur Besserung steht fest, ist aufrichtig, aber – zu spät!

Drei Tage früher und der Duckmäuser hätte wohl den armen, stets verachteten, ungeliebten und durch die Lieblosigkeit der Menschen zumeist verderbten Zuckerhannes niemals kennen lernen!

Wunderbar ist die Macht, welche von einer unschuldigen, tugendhaften, christlich gesinnten Jungfrau nicht nur auf das Gemüth eines unverderbten, sondern auch eines verderbten, ja lasterhaften Jünglings ausgeübt wird. Die hohe Verehrung, welche ächte Katholiken der Jungfrau Maria zollen, wurzelt im tiefsten Geheimniß des menschlichen Herzens und wer die Liebe der jungfräulichen Mutter nicht versteht, lernt nur schwer die Liebe des Gottessohnes zum Menschengeschlechte verstehen. Ein Verächter Marias ist gewöhnlich ein schlechter oder mindestens sehr befangener Christ und wer die Jungfrauen nicht achtet, ein roher und noch häufiger ein schlechter Mensch. Schade, daß heutzutage christlich gesinnte Jungfrauen nicht häufiger sind! Hat Satan nicht zuerst die Eva und dann erst, als diese gesündigt hatte, durch sie den Adam verführt? Hat die Susanne, welche noch lebt und über den universellen Sieg der rothen Schwitt im Dörflein trauert, nicht den grenzenlosen Leichtsinn und tief eingewurzelten Hochmuth des Benedict in Einer Stunde gebrochen? Wie wäre er sonst unter das Fensterlein der Margareth und nach Hause gekommen? ... Mit dem Marktkorbe auf dem Kopfe wandert Benedict wiederum der Stadt zu, zuerst holt ihn das Besele, dann die Marzell und zuletzt auch die Susanne auf dem Wege ein, alle drei sprechen leise und angelegentlich mit ihm und stumm hört er ihre Reden an, antwortet zuweilen nur mit einem schmerzlichen: Ach, ich! –

Die »Alltagsmarktweiber« des Wochenmarktes stecken ihre Köpfe zusammen und verwundern sich ebenso sehr über die fremdgewordene Erscheinung des Benedict als über das nachdenkliche Gesicht und zerstreute Wesen desselben, denn heute bringt er auch nicht einen seiner sonstigen Marktwitze und fröhlichen Späße vor.

Auf dem Wege waren ihm noch früher als das Besele drei Gensdarmen begegnet; diese gingen seinem Dörflein zu, ein schwüles, banges, unheimlichem Ahnen erfüllte seine Seele, er sah immer nur die drei Gensdarmen, welche dem Hause seiner Eltern zugingen und hörte nur immer, wie dieselben nach ihm fragten!

Er verkaufte den Marktkram und ging dann in die Apotheke, um Arznei für sein krankes Brüderlein zu holen. Ihm folgt jedoch einer der drei fatalen Gensdarmen und als Beweis, daß derselbe bereits wieder aus dem Dörflein komme, folgt auch der kleinere Bruder, der Hannesle deutet bleich und zitternd auf den Aeltesten und sagt: das ist unser Benedict! ... Der Hannesle wartet auf die Arznei, der Verhaftete übergibt demselben den Korb sammt dem Marktgelde und wird vom Gensdarmen in das Amtsgefängniß geführt. Man fand nicht mehr bei ihm, was man suchte, doch er dachte an die verflossene Nacht, gestand seine ganze Schuld dem Assessor, welchem er vorgeführt wurde und kehrte noch am Abend desselben Tages in sein Dörflein zurück.

Der Jacob schmierte gerade ein Pflugrad, als er seinen Ungerathenen kommen sah, eilte zum Hause, stellte sich neben die Theres und beide erklärten einstimmig, er habe kein Elternhaus mehr, sei für immer von ihnen verstoßen und sie wollten vergessen, jemals einen Sohn gehabt zu haben, der Benedict heiße.

Diese furchtbare Erklärung brachte den Duckmäuser nicht außer sich, er behauptete, derjenige gar nicht zu sein, welchen die 3 Gensdarmen gesucht hätten; seine Unschuld sei gleich erkannt und deßhalb sei er auch gleich wieder freigelassen worden nach dem ersten Verhöre. Auf solche Weise erschlich er den Eintritt ins Elternhaus.

Viele Bewohner des Dörfleins jedoch glaubten nicht an seine Unschuld, bürdeten ihm zehnmal mehr auf, als er jemals gethan hatte und so wenig sich die Mehrzahl scheute, Ehre zu geben wem Ehre gebührt, so wenig scheute sich dieselbe, ihren Argwohn und ihre Verachtung dem Benedict ins Gesicht hinein zu werfen.

Als ihm die Mutter ebenfalls den Markt und die häuslichen Arbeiten abnahm und dem Gregor übergab, zugleich nirgends einen Schlüssel mehr stecken ließ, wo etwas zu holen war, da entleidete dem Benedict das Leben im Elternhause und er wäre fortgegangen, wenn die Mädchen ihm nicht in dieser Zeit Proben wahrer Freundschaft und Liebe gegeben hätten. Diese scheuten weder Muthmaßungen noch Sticheleien und böse Nachreden, theilten ruhig und freudig seine Verachtung, gingen offen mit ihm um, kamen zur Mutter Theres, um diese zu trösten, zu beruhigen und derselben eine freudenvollere Zukunft zu versprechen, insofern solche von ihrem Aeltesten abhänge. Der Duckmäuser hatte die arglosen, unschuldigen Mädchen leicht von seiner Schuldlosigkeit überzeugt und sie glaubten an seinen guten Willen zur Besserung. Er hielt sich möglichst fern von den Leuten, seufzte im Stillen, denn Ruhe blieb seinem Herzen fremd. Böses erwiederte er nicht mit Bösem, nahm Alles in Demuth hin, betete viel und nach einiger Zeit gab es auch Stunden, wo er selbst an eine bessere Zukunft glaubte. Was thut, hofft, fürchtet ein junger Mensch nicht in arger Bedrängniß?

Die treuen Mädchen, welche zur altmodischen Schwitt gehörten, standen mit ihrer Treue vereinzelt, denn die meisten Buben und Mädlen ihrer Parthei hielten das stille, ruhige, demüthige Benehmen des außer Kredit gekommenen Oberhauptes meist nur für einen Akt neuer Verstellung. Dagegen begegnete die rothe Schwitt dem Duckmäuser so freundlich, zuvorkommend und wohlwollend wie noch nie, denn sie glaubte, jetzt oder nie sei der rechte Augenblick da, um ihn ganz an sie zu fesseln.

»Wie lange werden die treuen Mädchen der alten Schwitt noch zu dir halten? Wie lange wird es dauern, bis der letzte und ärgste Schlag im Hause geschieht? Bis du von den Besten unter den Guten verachtet, verlassen, aus dem Elternhause verstoßen sein wirst? Sind dann alle Deine Anstrengungen nicht vergeblich gewesen? Sei pfiffig, Benedict, bei der rothen Schwitt winkt Freude und Genuß, gerade jetzt ist es die rechte Zeit zum festen Anschluß an dieselbe! Leben die Buben und Mägdlein der rothen Schwitt nicht auch im heimathlichen Dörflein? Haben sie nicht ihre Eltern hier, Verwandte und Gesinnungsgenossen genug in den umliegenden Dörfern? Stelle dich an die Spitze der rothen Schwitt, mache das Leben derselben zur Mode, dann wird die allgemeine Verachtung aufhören, sie muß aufhören!« Also flüstert in bangen, schlaflosen Nächten der Versucher dem Benedict ins Herz, mächtig kämpft die Erinnerung an die Nacht des Fensterleins, mit letzter Kraft die Liebe zur Margareth und deren Freundinnen gegen jene Stimme an – er erlebte grausam qualvolle Stunden, der unglückliche Duckmäuser! ... »Fort, fort von hier, das ist meine einzige Rettung!« sagt er an einem Sonntagmorgen zu sich selbst und geht.

Nach der Vesper steht er jedoch mit dem Willibald, der ihn eine Stunde vom Dörflein traf und zur Umkehr bewog, unter der Linde und sein letztes Wort heißt: Ihr dürft auf mich zählen, Willibald, ich komme bestimmt!

Nach dem Abendessen schleicht er ohne Wamms und Kappe zur Thüre hinaus in den Garten; hier hängt Wamms und Kappe an einem Rosenstocke, er zieht sich an, setzt die Kappe recht aufs linke Ohr und nach einigen Minuten steht er in der Mitte der rothen Schwitt, welche insgesammt im Hauptquartier beim Brandpeterle sitzt und ihn jubelnd bewillkommt.

Die Hanne mit glühenden Bäcklein holt sogleich einen Hafen voll vom Alten, ihre Mutter überreicht ihm die Schlüssel zum Keller und zum Speicher, zur Fleischkammer und zum Geldkasten, erklärt ihn zu ihrem Eidam und spricht:

»Hab's schon oft der Hanne gesagt, sag's täglich, Dich und sonst keinen Andern will ich im Haus haben, denn Keiner ist im ganzen Revier, der dir gleicht! ... Hast ganz Recht gehabt, ganz Recht gehabt, wenn du nur einen ganzen Maltersack voll, Maltersack voll bei so einem reichen Geizhals erwischt hättest! ... Man muß nicht so dumm sein, nicht so dumm sein, wenn man dazu kommen kann! ... Ich hab' eben lauter Esel, der Sepp, der Sepp, er muß bei dir lernen!«

Toll und bunt geht es zu beim Brandpeterle, die rothe Schwitt rast vor Freuden über das neue Oberhaupt, selbst der Max hat allen Groll vergessen, doch schon um halb neun steht der Benedict auf, um fortzugehen.

Alle erklären sich dagegen, er bleibt fest und die Alte meint: »Was, du willst fort? fort von deiner Schwiegermutter? Willst halt noch zu deiner Schläferin, gelt? ... Möcht' nur auch wissen, was du denkst! ... Du der lustigste Bueb im Dorf, im Dorf, magst mit einem so todten Mädle gehen, wie die Margreth eines ist, während die vornehmsten Mädlen, wie meine Hanne, die Hanne dort, die Finger nach dir lecken!«

Vergeblich jedoch beschwört die Schwiegermutter den Eidam zum Dableiben, vergeblich ruft sie:

»Hanne, schenke ihm ein, er darf nicht fort! ... Du behälst ihn bei dir heute Nacht und wenn seine fromme Mutter auch allen Heiligen die Füße abrutscht!«

Doch der Duckmäuser geht, findet die fromme Mutter mit seinen treuen Freundinnen auf der Staffel des Hauses sitzend; sie fragen ihn, wo er gewesen sei, er gibt eine ausweichende Antwort, doch die Dasitzenden errathen die Wahrheit, ohne ihren Gedanken zu offenbaren, er redet wenig und legt sich bald zu Bette.

Von nun an schwankt er haltlos hin und her, nirgends hat er sein Bleiben, auch bei der rothen Schwitt bleibt er nie lange und kommt nur, wenn er die bösen Geister, welche ihn plagen, im Wein und bei der Hanne ersäufen will, sucht dann in der Hölle Ruhe und Frieden und findet stets das Gegentheil davon.

Der Mutter und den treuen Mädlen entgeht seine Haltlosigkeit nicht, sie bieten alle Macht ihrer Zärtlichkeit und Liebe auf und bringen ihn wirklich dazu, das Haus des Brandpeterle zu meiden, der Hanne und der ganzen rothen Schwitt mit Verachtung entgegen zu kommen. Aus dem leichtsinnigen Benedict scheint ein ernster, rechtschaffener Mann werden zu wollen, die Mutter und die Margareth glauben ihren Herzkäfer Gott und der Tugend gerettet zu haben, doch an einem Freitag Morgen tritt ein Zweifarbiger, nämlich der Amtsdiener in die Stube und meldet, der Benedict habe morgen früh um 9 Uhr vor Amt zu erscheinen.

Derselbe stand gerade beim Hirzenwirth im Taglohn, erfuhr von der Einladung nichts, bis er Abends spät nach Hause kam.

Da geht das Donnerwetter los, die Eltern meinten, er habe wieder irgendwo einen schlechten Streich gemacht und es fehlte nicht viel, so würden sie ihn noch in dieser Nacht fortgejagt haben.

Mit bangem Herzen geht der Duckmäuser am folgenden Morgen vor Amt in die Stadt und macht den Rückweg erst wieder nach vier Wochen, weil der Gefängnißwärter nichts vom Heimgehen wissen will, bevor die Strafe erstanden sei.

Während dieser Zeit saß die Mutter oft gar traurig und niedergeschlagen am Abend mit der Margareth, dem Vefele, der Marzell und der Susanne auf den Staffeln und gegen alle Tröstungen unzugänglich, sagte sie hundertmal:

»Er hört nicht auf zu lügen, hierin liegt der sicherste Beweis, daß er sich nicht ändern will! Er hat über unser Haus jetzt eine Schmach gebracht, welche nie wieder hinwegkommt, so lange er darin ist, darum soll er auch nie wieder in dieses Haus treten, wenigstens so lange ich am Leben bin!«

Die Mädchen meinten, Benedicts Strafe sei ja nur eine Folge des gewiß abgelegten Leichtsinnes, die Mutter habe ihm nach der Rückkehr von der mehrtägigen Wanderung Alles verziehen und dürfe also nicht so hart sein, wenn sie gerecht handeln wolle, doch Alles half nichts und wenn Theres nichts mehr zu erwidern wußte, begann sie zu seufzen oder zu schimpfen.

An einem Mittwoch Morgen kommt der Benedict durch den Garten auf das Haus zu und steht auf der Schwelle der Hinterthüre; die Mutter stand am Heerde, jetzt wendet sie sich um, ihre Augen sprühen Feuer, sie eilt ihm entgegen und ehe er sich's versieht, spritzt das Blut aus einer Wunde an der Stirn und dann schlägt sie die Thüre vor ihm zu mit den vernichtenden Worten:

»Du, Galgenstrick, kommst nimmer über die Schwelle dieses Hauses, so lange ich noch schnaufe! Wirst genug haben an diesem Willkomm, kannst damit hingehen, wohin du willst, mich aber nenne nie mehr deine Mutter!«

Sie hat ihrem Sohne den Abschied mit einem scharfkantigen Holzscheite gegeben und er wird die Spuren der Wunde inwendig und auswendig ins Grab nehmen. –


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