Friedrich Wilhelm Hackländer
Eugen Stillfried - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Erstes Kapitel.

Der geneigte Leser sieht alte Dinge vielleicht auf eine neue Art. Er macht bei Tagesanbruch die Bekanntschaft einer würdigen Mutter und wohnt einem Zwiegespräch bei, welches dieselbe mit ihrem Sohne hält.

Wenn man in einer großen Stadt lebt und spät in der Nacht oder, noch besser, früh gegen Morgen von einer durchschwärmten Soirée, einem lange dauernden Souper oder einem ermüdenden Balle träge und matt nach Hause schleicht, so bemerkt man, daß jetzt, wo sich fast Alles zur Ruhe begeben hat, ein eigenthümliches, sonderbar schattenhaftes Getreibe hie und da beginnt. Tiefe, schlummerverkündende Stille liegt auf den finsteren Straßen, die Gaslaternen flackern unmuthig, als wollten sie sagen, sie hätten jetzt des Leuchtens für heute Nacht genug.

In solchen sehr späten oder sehr frühen Stunden, wo der einsam nach Hause Wandelnde einem andern ebenso einsamen Wanderer gern aus dem Wege geht – denn ist Dieser ein Freund und Bekannter, so ist man zu träg, um noch mit ihm zu sprechen, ist er aber ein Fremder, so braucht er nicht zu wissen, daß man erst bei anbrechendem Morgen heimkehrt – in solchen Stunden, wo man in den meisten Straßen nichts vernimmt, als das eintönige Lied des Nachtwächters, das Rollen eines fernen Wagens oder das Plätschern sämmtlicher Röhrbrunnen der Stadt und der Fontainen auf öffentlichen Plätzen, bemerkt man auf einmal, wenn man sich zufällig gewissen Stadttheilen nähert, eine seltsame Geschäftigkeit, die hier mitten in der Nacht ihr lebhaftes Wesen treibt.

Von den Thoren heran durch die breiten Straßen, welche auf den Marktplatz führen, rollen schwerfällige Karren, mit einem oder mehreren Pferden bespannt und angefüllt mit allem dem, was die hungrige Stadt am nächsten Tage zu verschlingen gedenkt. Ungeheure Quantitäten Gemüse, Fleisch, Butter – Eier nicht zu zählen – Obst wie es gerade die Jahreszeit mit sich bringt; das alles wankt hochgeladen auf diesen ächzenden Karren durch die stille Stadt und wird in der Nähe des Marktes abgeladen, wo jetzt sogleich ein reges, bewegtes Leben anfängt. Hier sind alle Wirthshäuser und kleinen Läden geöffnet; eine geschäftige Menge unkenntlicher fast gespenstiger Wesen treibt sich umher, die ankommenden Sachen in Empfang zu nehmen, oder um beim Abladen und Verbandeln derselben zu helfen und so etwas zu gewinnen. Da sind Verkäufer und Aufkäufer, die ganze Ladungen übernehmen, um sie in kleineren Partien wieder an Andere zu verkaufen, von welchen sie erst das Publikum erhält. So vertheuert sich die Waare nach und nach, und das Ei und das Gemüse, welches so harmlos und sehr wohlfeil zum Thore hereinkam, hat schon mehreren hungrigen Spekulanten dienen müssen und ist wohl auf das Doppelte des ursprünglichen Preises gestiegen, ehe es in die rechte Küche gelangt.

Da kommen sie an in langen dunkeln Reihen, die vielen, vielen Wagen, und die Pferde schleichen langsam dahin, wohl aus Müdigkeit oder in der Absicht, die Schläfer ringsum nicht zu erwecken, zu denen ja auch der eigene Fuhrmann zu rechnen ist, der auf der Gabel sitzt und, nachdem er am Thore die Zoll-Visitation glücklich bestanden, nun wieder ruhig einnickt und sanft fortschläft, bis das Stillhalten des Karrens auf dem Marktplatze ihn abermals aufweckt.

Dazwischen wandeln Fußgänger, Männer, Weiber und Kinder, mit Tragkörben auf dem Rücken oder anderen, kleineren auf dem Kopfe und den Schultern, und bringen ebenfalls ihre Erzeugnisse zum Verkaufe in die Stadt, das, was sie im Laufe des gestrigen Tages mühsam angefertigt oder gesammelt. Sie schleppen ein ganzes Stück Wald mit herein an Blüthen und Früchten – Blumen in großen, weithin duftenden Büscheln, Wald- und Erdbeeren, frischen Waldmeister und was sonst die Natur im Augenblicke Freundliches bietet. Andere bringen harziges Holz von Tannen und Föhren zum Anzünden der Feuer oder kleine Besen und Strohmatten – fast Alles ihrer Hände Arbeit.

Der Markt selbst bietet nun ein eigenthümliches Bild. Aus den Läden und Wirthshäusern rings umher dringt der Glanz der Lichter und bescheint die Menge, welche vor diesen Lokalen hin und her wogt. Es ist ein wildes Durcheinander von dunkeln, unkenntlichen Gestalten auf dem weiten Platze, und obgleich Jeder beim Aufstellen seiner Waare so wenig Geräusch wie möglich macht und leise lispelt und flüstert, so machen doch alle diese Klänge und Töne zusammen ein hörbares Brausen und Murmeln aus, das man in den angrenzenden Straßen vernimmt und welches auch gewiß manchen leichten Schlummer in den anstoßenden Häusern stört.

In den Wirthsstuben geht es unterdessen lustig genug zu. Die Fuhrleute sowie die Knechte großer Bauern, die noch ein beschwerliches Tagewerk und die Heimfahrt vor sich haben, suchen schon so viel wie möglich die durchwachte Nacht mittelst ziemlicher Quantitäten Wein und Branntwein aus ihren Gliedern zu vertreiben. Die Spekulanten, denen alle Mittel gelten, um die herbeigeführten Waaren billig einzuhandeln, setzen sich mit den Bauern selbst oder deren Bevollmächtigten hinter der Flasche fest, und beide Theile lassen gern etwas darauf gehen, um sich gegenseitig zu benebeln und dadurch zu niedrige oder zu hohe Preise zu erlangen. Das geringe Volk der Marktknechte, der Ablader treibt sich unterdessen draußen umher und hilft die Sachen, die herangebracht werden, von den Wagen herunter nehmen und in zierlichen, dem Auge wohlgefälligen Haufen auf dem rein gefegten Pflaster des Marktes ordnen.

Aber auch andere Gestalten winden sich durch das Gewühl und halten sich fern von dem Scheine des Lichtes oder von dem unsicheren Glanze, der von den Epaulettes oder dem Säbel eines Polizei-Beamten ausgeht. Das sind Spitzbuben und Diebe durch alle möglichen Rangklassen und Grade hindurch, von armen, hungrigen Schelmen angefangen, die sich glücklich schätzen, wenn sie ein Stück Fleisch, ein Dutzend Kartoffeln, ein Kohlhaupt oder dergleichen erbeuten können, bis zu den Vornehmeren ihres Geschlechtes, die es auf die Tasche ihres Nebenmannes abgesehen haben, oder bis zu jenen hinauf, die dem etwas angetrunkenen Bauer bereitwillig in eine Nebengasse folgen, und welchen es auf einige Faustschläge oder gar Messerstiche nicht ankommt, um sich in den Besitz einer wohlgefüllten Geldkatze zu setzen. Auch ähnliche Praktikanten des schwächeren Geschlechtes treiben hier ihr heimliches, scheues Wesen und sind gesucht und gemieden, wie es eben kommt. Ihnen ist jede Beute recht, und wenn sie keinen rechtmäßigen Erwerb finden, begnügen sie sich mit einem unrechtmäßigen, und die schlechtbekleideten, elenden hohläugigen Gestalten nehmen mit, was in ihren Bereich kommt, und schleppen es davon in ihren weiten Rocktaschen oder unter ihren nachlässig umgeworfenen, langen, schmutzigen Halstüchern.

So wogt und wimmelt Alles durch einander in der Dämmerung einer verschwindenden Sommernacht, und je wärmer und angenehmer die Luft ist, und je klarer und freundlicher der Mond oder die funkelnden Sterne herabblicken, um so unheimlicher erscheint dieses nächtliche Getreibe. Auf Augenblicke herrscht wirkliche Stille da unten, dann aber vernimmt man Menschenstimmen, die rufen, schreien, zanken; dazwischen schnauben und wiehern Pferde, Hunde bellen, Enten und Gänse in ihren Körben lassen seltsame Klagetöne vernehmen, und um all' diese hunderterlei Gegenstände und Gestalten, die in großen Haufen daliegen oder eilig durch einander schlüpfen und emsig hin und her eilen, stehen die alten, ernsten Häuser mit ihren hohen, zackigen Giebeln, mit ihren zierlichen Erkern, und schauen verwundert in das wirre Treiben der Massen da unten.

Es ist wie ein anderer Hexen-Sabath, und wie ein solcher beginnt es auch aus einander zu stieben mit dem ersten Hahnenschrei. Sobald der Himmel anfängt, im Osten heller zu werden, sobald die frischere, kältere Morgenluft den herannahenden Tag verkündigt, und sobald die Sterne droben am Himmel erbleichen, erlöschen auch die Lichter in den Wirthshäusern und Läden; nach und nach und erstirbt das Leben auf dem weiten Marktplatze. Nach allen Richtungen hin verläuft sich die Menge, die hier beschäftigt war, wie ein schmutziges, rauschendes Gewässer, das den Platz vorhin bedeckte, nun allmälig verschwindet, und darauf tritt hervor das ganze Terrain, welches er bis jetzt bedeckte, mit seinen Höhen und Tiefen. Und diese Höhen stehen wohlgeordnet da und zeigen sich dem Auge als schön ausgestellte Gemüsehaufen, und die Tiefen und Gassen dazwischen hat man reinlich gekehrt, und wie es nun immer heller und heller wird, und die graue Morgendämmerung in das helle, glänzende Licht eines frischen Sommertages übergeht und deutlich zeigt die vielen glänzenden Farben der tausenderlei Gegenstände, die hier ausgestellt sind: so verschwindet ebenso schnell das Unheimliche des Nachtgemäldes, und ein anderes, schönes, freundliches, angenehmes Bild zeigt sich dem Auge des Beschauenden.

Aber es ist noch sehr früh am Tage. Nur hie und da öffnet sich langsam eine Hausthüre, und ein schläfriges Dienstmädchen tritt heraus, das Morgenwasser für die Haushaltung zu holen. Lohnkutscher und Fiaker, die früh einspannen müssen, kommen in sehr mangelhafter Toilette und ziehen ihre Pferde nach sich an den benachbarten Brunnen. In den Straßen der Stadt liegt noch ein feiner Duft, und der reine blaue Himmel, der sich oben zwischen Kirchthürmen und Schornsteinen zeigt, sowie das feucht werdende Pflaster versprechen einen schönen warmen Tag.

Die Straßen sind still; der Lärm der Nacht, den wir vorhin beschrieben, hat sich auch in der nächsten Nähe des Marktes vollkommen gelegt; man hört einen frühzeitigen Spaziergänger auf mehrere hundert Schritte seine Hausthüre hinter sich zuschließen und vernimmt den Klang seiner Fußtritte. Die letzten Wanderer, die in der vergangenen Nacht den ersten Marktwagen begegneten, haben sich noch nicht gar lange zu Bette gelegt; sie verdunkeln ihre Fenster so viel wie möglich, um dem Tageslichte den Eintritt in ihre Schlafzimmer zu verwehren; sie werfen sich unruhig hin und her, und der leichte, unerquickliche Schlummer, der über sie dahin fährt und sie nur zuweilen und wie neckend mit seinem Finger berührt, ist ein erbarmungsloser Spiegel und zeigt ihnen die Leiden und Freuden der vergangenen Nacht, das Gewühl des Tanzes, und dabei erklingt in ihrem Ohr die gleiche Tanzmusik immer und unaufhörlich fort, oder es gaukelt vor ihrem innern Auge die Karte, auf welche sie beständig verloren, oder an ihre Seite schmiegt sich spottend und neckend das Bild eines Mädchens, von dem sie vergebens getrachtet, einen Blick der Liebe zu erhalten.

Aber auch andere Schläfer, die nicht die Nacht durchgeschwärmt, wälzen sich in der frühen Morgenstunde unruhig auf ihrem Lager – solche unglückselige Sterbliche, die sich im Allgemeinen eines schlechten Schlafes erfreuen, die den sehnlich herbeigeseufzten nicht festzuhalten vermögen, die während der Nacht jede Uhr von allen Kirchen schlagen hörten, und die nun, da das unbarmherzige Tageslicht ihr Zimmer erfüllt, verdrießlich aufstehen, ärgerlich den Fenstervorhang aufziehen und mit einem entsetzlich nüchternen Blicke in den jungen, glänzenden Tag hinaus schauen. Ach! was ihnen fehlt, ist Anderen in so reichlichem Maße gegeben, und aus den gegenüberliegenden offenen Fenstern tönt das feste solide Schnarchen eines außerordentlich gesunden Schlafes, eines Schlafes, der nur vor dem rasselnden Wecker einer Uhr entflieht, der gleich darauf im Zimmer des Nebenhauses anfängt zu arbeiten.

Die gefangenen Nachtigallen in den Straßen sind schon lange verstummt; draußen auf dem Felde singt die Lerche und jubilirt der Sonne entgegen, die nun anfängt, mit den umliegenden Bergen und Kirchtürmen zu liebäugeln. Die Häuser öffnen jetzt nach und nach ihre Augen: zuerst die obern Stockwerke – bei den untern dauert es freilich noch eine Zeit lang – die Stadt wird lebendig und fängt an zu summen und zu rasseln. Aus sämmtlichen Schornsteinen steigt der blaue Dampf kerzengerade in die Höhe; aus den Werkstätten hervor klingt lustig das Schlagen der Hämmer, das Seufzen der Säge und des Hobels.

Wir wissen nicht, ob es anderen Leuten auch so ergeht, aber uns ist der Marktplatz, so vollständig versehen mit allen Lebensbedürfnissen, namentlich in früher Morgenstunde, einer unserer liebsten Spaziergänge. Noch sind nicht viele Käufer da, nicht einmal alle Verkäufer, und man hat so Muße und Zeit, sich all' die Sachen in der Nähe zu betrachten: das frische Gemüse, das schöne Obst, die unendliche Reihe mit Körben voll hellgelber Butter, die Eierniederlagen, die frischen Küchenkräuter, die duftigen Blumen. Dann hat auch der Markt, wenn er so in den ersten Stunden des Tages in seiner ganzen Jungfräulichkeit daliegt, eine so köstliche Atmosphäre, einen so frischen Wald- und Gartenduft. Das Pflaster ist reinlich gekehrt, Blumen und Früchte sind mit Millionen Wassertropfen bedeckt, theils wirklichen, vom beiabfallenden Thau, theils künstlichen, durch darauf gespritztes Wasser.

Auch die Nebenstraßen und kleinen Gäßchen, die auf den Marktplatz münden, haben etwas mitgetheilt erhalten von dem Duft und der Frische desselben. Mag es nun von dieser Nachbarschaft herkommen, oder von den engen Straßen und hohen Häusern, welche die Sonnenhitze abhalten, oder von den vielen Brunnen, die hier rauschen und kühlen – genug, es ist um diese Tageszeit hier in den engen Gäßchen recht behaglich und angenehm, und wenn man aus den breiteren heißen Straßen herniedersteigt, thut die Frische und Kühle hier, sowie der Anflug von Morgendämmerung, der noch nicht ganz verschwunden und namentlich in den langen, finsteren Höfen der Häuser zurückgeblieben ist, so unendlich wohl.

Dieser langen und finsteren Höfe gab es in der Stadt, von welcher wir hier sprechen, noch eine große Menge, und sie gehörten zu ebenso finsteren und engen Häusern, die aber von den Gewerbetreibenden und Geschäftsleuten sehr gesucht wurden. Diese Häuser hier stammten aus alter Zeit und waren aus solidem Mauerwerk aufgeführt, hatten meistens gewölbte Treppen und Gänge, kleine Fenster, dicke Mauern, und es war in ihnen kühl im Sommer und warm im Winter. Sie bildeten mit dem Marktplätze den Kern der Stadt und waren von alten adeligen Geschlechtern und reichen Patriziern erbaut worden. Hier hatten diese bekannten Geschlechter lange, lange Jahre gehaust, in der Nähe eines alten Castells und geschützt von diesem, sowie durch die innere Stadtmauer, welche sie ehedem in stattlicher Höhe und Breite umgaben. Bald aber wurde es den vornehmen Geschlechtern und reichen Kaufherren zu eng und zu finster in ihren massiven Wohnungen: sie verließen dieselben, rissen die Stadtmauer nieder und baueten sich in breiteren Straßen luftigere Häuser. Die alten aber behielten sie bei zu Waarenlagern, Stallungen, Magazinen und sonstigen Gelassen, und als sie nach und nach des Geldes benöthigter wurden, vermietheten fie diese Stammhäuser an Bürger und Handwerker, verkauften sie auch wohl, und so begann hier ein frisches, reges Leben, und die Stille dieser hohen Treppen und Gewölbe wurde vertrieben durch das Leben und Weben eines allgemeinen Verkehrs. Die steinernen Wappen über den Thüren und Thoren sahen seltsam hernieder auf die so ganz anders gewordene Zeit, und die Grafenkrone, die, aus Stein gehauen, mit ihren neun Spitzen trotzig aus dem Gemäuer eines dieser Häuser hervorragte, und die vordem reich vergoldete Sänften, prachtvoll aufgeschirrte, glänzende Rosse an der Hand in Seide gekleideter Edelknaben gesehen, würde jetzt gewiß schmerzlich zusammengezuckt sein, wenn das anders möglich gewesen wäre, bei dem Betrachten des ambulanten Obstkrames, der sich unter sie etablirt, oder bei der pöbelhaften Berührung der großen Fahrpeitsche, die der benachbarte Brauknecht so gern über die neun Zacken legte. Aber daran ließ sich nichts mehr ändern.

Das Haus, von dem wir eben sprachen, hatte neben dem riesigen Steinportal mit hochgräflichem Wappen in der That einen kleinen Obstkram, und in den weitläufigen Hintergebäuden war eine Brauerei errichtet. Durch das eben erwähnte Portal trat man in einen ziemlich breiten Hof, den vormals Säulengänge umgeben hatten; jetzt aber waren die Bogen zugemauert worden, um Platz für ein Heumagazin, das rings herum lief, zu gewinnen. Die armen alten Säulen staken zwischen neumodischen Backsteinen, und es war kläglich anzusehen, wie nur noch hie und da eine Idee der Rundung des Capitäls sichtbar geblieben war.

Dieser Hof war das Bild einer malerischen Unordnung. Das einzige aus alten Zeiten her noch ziemlich Erhaltene war ein schöner Brunnen, ein wahres Kunstwerk, – ein aus Stein gemeißelter Drache, der sich emporbäumend das Wasser in ein großes Marmorbassin spie. Doch da das kupferne Mundstück, das er früher zwischen den Zähnen seines Rachens hielt, gewiß eines Tages entwendet und verkauft, kurz, abhanden gekommen war, so hatte man eine dicke Holzröhre zwischen seine Zähne hineingeschlagen, die dem Gesichte des Drachen ein äußerst verschwollenes Ansehen gab. Statt in die Marmorschale, wie früher, lief das Wasser in eine Vertiefung des Bodens und diente hier zum Aufenthalt einer ganzen Schaar kleiner und großer Enten und Gänse, die watschelnd und schreiend den weiten Hof zu einem harmlosen Spielplatz erwählt zu haben schienen. Daneben befand sich eine große Schaar Hühner, die sich von dem gemeinen, nassen und beschmutzten Geschlechte der ebengenannten Wasservögel ziemlich fern hielt und auf einem großen Misthaufen stolz für sich allein blieb. Der Hahn mit hochrothem Kamme und goldgelbem Gefieder schien besonders darauf zu halten, daß die Hühner streng auf Rang und Stand sahen und sich mit jenen nicht gemein machten, denn er umkreiste stolz den Misthaufen, und wenn eine der jungen Enten oder Gänse sich zu nähern wagte, so streckte er sich lang empor, sträubte zornig seine Federn und ließ ein majestätisches Krähen vernehmen. Kleine Ferkel und junge und alte Hunde, die sich ebenfalls hier herumtrieben, schienen eine vermittelnde Rolle zwischen Enten und Hühnern spielen zu wollen: denn bald schnupperten sie in der Kothlache bei den Wasservögeln umher, bald wälzten sie sich in kleinen schmutzigen Pfützen, welche den Misthaufen begrenzten.

Auf der einen Seite des Hofes stand ein großer Karren, ähnlich denjenigen, welche heute Nacht in langen Reihen und schwer beladen in die Stadt fuhren. Ein blaues Tuch war darüber gespannt, und wo dasselbe hinten zurückgeschlagen war, bemerkte man, daß auf dem Wagen nur noch einige Ueberreste von Gemüse zurückgeblieben waren. Die Hauptladung dagegen hatte man sorgsam auf den Boden niedergelegt, und bestand dieselbe aus einem gewaltigen Haufen von Kohlköpfen, gelben und weißen Rüben, neben welchen sich große Körbe mit Erbsen und Bohnen befanden.

Aus diesem Hofe führte eine breite Treppe in die hinteren Wohnungen und zuerst in ein Vestibül, hoch gewölbt, welches nicht übermäßig erhellt wurde durch diesen Eingang selbst, sowie durch ein halbrundes vergittertes Fenster. Diese Vorhalle bildete eine würdige Fortsetzung des Hofes; Geflügel und andere Thiere liefen hier aus und ein, und namentlich legten die kleinen Ferkel hier eine außerordentlich liebenswürdige Ungezwungenheit an den Tag. Obgleich es, wie schon gesagt, Sommer und draußen sehr heiß war, so brannte doch in diesem Gewölbe in einem mächtigen alten Steinkamine ein hell loderndes Feuer, über welchem an einer starken rußigen Kette ein Wasserkessel hing, dessen Inhalt dampfte und zischte. Neben diesem Kessel saß auf einem breiten hölzernen Stuhle eine Frau, die sowohl als Herrin des eben beschriebenen Hofes, wie der geneigte Leser später erfahren wird, als auch in anderer Beziehung unsere Aufmerksamkeit sehr verdient.

Diese Frau war von der Natur mit einer solch wahrhaft erschreckenden Körperfülle bedacht, daß unbefangene Personen, die sie zufällig sahen, erstaunt stehen blieben und sich gegenseitig verwundert fragten, ob hier Wahrheit oder Täuschung sei. Daß aber Letzteres nicht der Fall war, sah man auf den zweiten unbefangenen Blick, denn die Frau trug ihre Körperfülle mit einer gar zu sichtbaren Anstrengung. Da sie obendrein nicht sehr groß war, so fiel ihre riesenhafte Taille um so mehr in die Augen. Hierzu paßte der kurze, dicke Hals und das runde, vom Wetter stark gebräunte Gesicht.

Die Frau war hoch in den Vierzigen und hatte trotz ihrer gewaltigen Dicke im Aeußeren nichts Unangenehmes, das heißt in ruhigen Momenten. Sobald sie aber heftig wurde – und das kam zum Schrecken ihres Arztes zuweilen vor – so stemmte sie ihre beiden dicken Arme in die Seiten und blies die Nasenlöcher ungebührlich auf; ihr sonst bräunlicher Teint spielte alsdann ins Bläulichrothe, und ihre gewöhnlich schwerfälligen Bewegungen hatten in solchen Augenblicken etwas entsetzlich Behendes.

Diese Frau war Madame Schoppelmann, erste Obst- und Gemüsehändlerin der Residenz, das Factotum sämmtlicher Köchinnen und Köche guter Häuser, – eine Dame, die nicht blos gemeinen Kohl und Erbsen verkaufte, sondern der man es bei großen Diners und anderen Festlichkeiten getrost überlassen konnte, Fruchtpyramiden und Blumenkörbe nach eigenem Geschmack und Sinn aufzustellen. Madame Schoppelmann war eine wirkliche geheime Räthin in allen adeligen Küchen und denen vornehmer Bürgerhäuser. Letztere überließen ihr nicht selten die Beschaffung einer ganzen Gasterei, d. h, was die Urstoffe aus allen Reichen der Natur anbelangte; denn sie gab sich nicht blos mit Gemüsen und Blumen ab – dies waren eigentlich nur Nebengeschäfte – sondern ihre Hauptstärke bestand in dem Auffinden der besten Quellen für Wildpret aller Art, für die feinsten Geflügel, für Fische und Krebse. Wehe dem Koch, der sich mit ihr verfeindete! Wehe dem Ehemanne, der behauptete, eine Schüssel Krebse, die sie geliefert, bestehe für die Jahreszeit aus zu kleinen Individuen! Der Name der Madame Schoppelmann, die solche besorgt, machte ihn verstummen, schlug ihn vollkommen darnieder.

Das Haus und den Hof, von dem wir vorhin sprachen, hatte sie gekauft, und war hier auf ihrem Grund und Boden absolute Herrscherin. Wenn es schon an sich, wie wir vorhin bemerkten, sehr unangenehm war, mit Madame Schoppelman in einen Streit zu gerathen, so wäre es doch für jeden Sterblichen weit gefahrloser gewesen, eine Löwin in ihrer Höhle anzugreifen, als diese würdige Frau in ihrer Wohnung. Die beherztesten Straßenjungen, die es nicht unterließen, hie und da ihre schmalen Backen höhnisch aufzublasen, wenn sie bei der dicken Frau auf dem Markte vorbeigingen, schlichen muthlos bei diesem Hofe vorüber, und keiner unter ihnen hat es je gewagt, die Ferkel, die kleinen Hunde oder das Geflügel durch einen geschickt angebrachten Steinwurf zu beunruhigen. Es ging unter der Knabenwelt die Sage von entsetzlichen und unheimlichen Kellern und Löchern im Hintergebäude dieses Hofes, und man erzählte, Frau Schoppelmann habe eines Tages einem kleinen Buben, der ihr einen Apfel wegstipitzt und aufgespeist, gedroht, sie wolle es mit ihm nächstens gerade so machen. Selbst die Polizei vertiefte sich nicht gern in diese Räume; und wir glauben, des Abends, wenn das große Hofthor geschlossen war, hätte es kein Polizeibeamter gewagt, dasselbe ohne den Willen der Besitzerin öffnen zu lassen.

Und doch sah die Polizei sich häufig veranlaßt, mit dieser Frau oder vielmehr ihren Söhnen in intime Unterhandlungen zu treten. Diesen Söhnen – es waren deren zwei – sagte man überhaupt nicht viel Gutes nach. Es waren wilde, rohe Bursche, jähzornig und rauflustig, in allen Wirthshäusern bekannt, in allen gefürchtet und gemieden. Der Eine war seines Zeichens ein Fuhrmann, der Andere ein Händler, und Beide trieben sich in den benachbarten Dörfern und Städtchen umher, und was der Eine für das Geschäft der Mutter erhandelte, das führte der Andere nach Hause. Von dem Händler sagte man obendrein noch, daß die wenigsten der Hasen und Rehe, welche Madame Schoppelmann feil bot, von ihm erkauft worden wären, vielmehr hielte er es für eine sehr gesunde Bewegung, mit seiner leichten Büchse in den herrschaftlichen Wäldern umher zu spazieren und sich dabei zu einem guten Schuß und einigen Gulden zu verhelfen. Denn in solchen Fällen verkaufte er das geschossene Wild an die Mutter, und wir müssen es zur Ehre dieser Frau sagen, daß sie selten, und auch dann nur zu einem unklaren Begriff über das wilde, liederliche Treiben ihrer Söhne kam.

Dabei aber hatten diese beiden Bursche eine gewaltige Scheu vor ihrer Mutter, und wenn sie nach Hause zurückkehrten, waren sie wie umgewechselt und betrugen sich so still und manierlich wie möglich. Madame Schoppelmann handhabte aber auch das Regiment in ihrem Hause mit einer eisernen Strenge und ließ ihren Söhnen in fraglichen Fällen dieselbe Behandlung wie ihren Hausthieren angedeihen, das heißt, sie schlug sie, ohne sich weiter dabei zu ereifern und ohne Ansehen der Person, mit dem Stück Holz oder Hausgeräthe, das sie gerade in der Hand hatte, derb auf die Köpfe.

Madame Schoppelmann hatte aber auch eine Tochter, und Alles, was der ganzen übrigen Familie an Schönheit und Liebreiz mangelte, schien auf diese vereinigt zu sein. Es gab kein schöneres, blühenderes Bild der frischesten Gesundheit, wie dieses Mädchen. Von der Mutter hatte sie den festen, runden Körperbau, dazu etwas Schnippiges, ja Trotziges geerbt; von dem seligen Herrn Schoppelmann dagegen ein weiches Gemüth, kohlschwarze, dichte Haar, blitzende Augen und einen sehr guten Humor.

Katharina, so hieß das Mädchen, war der Glanzpunkt des ganzen Marktes, und einen Strauß von ihrer Hand zu bekommen, war bei den jungen Herren der Stadt gewissermaßen zur Mode geworden. Die Mutter hatte sich schon oft darüber geärgert, daß sich die junge Männerwelt so auffallend um ihre Körbe herum trieb, und hätte den Grund hiezu, den Blumenhandel, schon längst gern aufgegeben, wenn derselbe nicht so außerordentlich viel Geld abgeworfen hätte. Auch war es bei dem allerdings angestrengten Tagewerk ihrer Tochter deren einzige Erholung, die verschiedenartigsten Blumen kunstreich zu Sträußen zu binden, und Madame Schoppelmann gestand sich mit Stolz, daß kein Gärtner ein so gut zusammengesetztes Bouquet anzufertigen im Stande sei, wie ihre Katharina.

Es war also noch sehr früh am Morgen; das Holz auf dem Herde prasselte, der Wasserkessel summte, und Madame Schoppelmann vervollkommnete dies zu einem Terzet, indem sie eine gewaltige Kaffeemühle handhabte und den Schwengel derselben rasselnd herumdrehte. Nahe beim Eingange saß der älteste Sohn, Fritz, der Fuhrmann; er hatte beide Arme auf den Tisch gestemmt und ließ das Haupt darauf ruhen. Er war vollständig angezogen, und seine schweren Schuhe und Leder-Gamaschen, sowie das dunkelbraune Wamms, dicht mit Staub bedeckt, zeigten deutlich an, daß er heute Nacht über Land gewesen war. Jetzt richtete er sich langsam in die Höhe, schob seine kleine Ledermütze auf das rechte Ohr und sagte: »Da ist nichts zu machen, die Anderen verderben uns alle Preise. Ich hätte Euch die Artischoken gern mitgebracht und auch bessere Melonen; aber ein solches Sündengeld dafür hinlegen, das habe ich nicht über's Herz bringen können.«

»Und wer hat sie dir denn wieder vor der Nase weggekauft?« fragte barsch die Mutter.

»Nun, wer denn sonst, als unser Nachbar, der alte Sünder! Kam wir schon hohnlachend aus der Gärtnerei entgegen und unterstand sich, mir zu sagen, wenn ich Artischoken oder Melonen wolle, könne ich sie von ihm kaufen. Das Vieh! Aber der lauft mir noch einmal des Nachts in den Weg. – – Wenn ich nur alles andere so genau wüßte!« – Mit diesen Worten schlug der Fuhrmann ingrimmig auf den Tisch, und dann spie er vor sich nieder auf die Erde.

Die Mutter schien ihren Zorn über den verfehlten Melonen- und Artischokenkauf an ihren Kaffeebohnen auslassen zu wollen, denn sie drehte darauf los, daß die armen, halbzerquetschten Bohnen die verzweifeltsten Versuche machten, der Kaffeemühle zu entspringen.

»Und du hast deinen Bruder nachher nicht mehr gesehen?« fragte die Frau. »Weißt du nicht, ob er auf das Schloß Wolfsberg gegangen ist? Ich habe es ihm wenigstens so anbefohlen; man läßt dort die großen Teiche ab, und ich brauche für die nächsten Tage so viele Karpfen und Aale, als ich bekommen kann!«

»Ich glaube, er ging dorthin,« erwiederte der Fuhrmann. »Auch wollte er sich nebenbei nach Feldhühnern umsehen.« – Dabei lächelte er verschmitzt in sich hinein.

»Was das Umsehen anbelangt,« nahm die Mutter sehr ernst das Wort, »so hoffe ich nicht, daß er sich in den Feldern umsieht. Hat gewiß wieder ein Gewehr bei sich versteckt! Ich will's ihm schon sagen, wenn er nach Hause kommt. Habe wahrhaftig keine Lust, jede Woche wegen euch vor Gericht geladen zu werden! Das sag' ich dir ein für alle Mal, und du kannst dir's merken und deinem Bruder mittheilen: wenn sie euch wegen eurer Geschichten einmal ernstlich einsperren, da thue ich keinen Schritt, weder mit guten Worten, noch mit Geld, und wenn sie euch bis zum letzten Tage sitzen lassen!« – Dabei streckte die Frau ihren dicken, musculösen Arm weit von sich, als wollte sie sagen: »Das ist abgemacht!« Der Kaffee schien auch gemahlen zu sein; denn sie zog die Schublade der Mühle heraus, und nachdem sie sich überzeugt, daß alle Bohnen gehörig zerrieben seien, schüttete sie das Mehl in eine ans dem Herde stehende riesenhafte Kaffeekanne.

Der Sohn hatte seinen Arm wieder auf den Tisch gestützt und murmelte während dessen etwas in sich hinein von ewigen Plagereien und Schindereien, und daß das schlechte Volk es nicht unterlassen könnte, sie beständig anzugeben. »Wenn ich aber oder der Bruder,« fuhr er lauter fort, »einmal jemand erwische, der uns solche Geschichten nachsagt, da kann es ein Unglück geben – mich soll der Teufel holen, ein rechtes Unglück!«

»Halt dein Maul!« versetzte die Mutter ruhig, während sie das siedende Wasser auf den Kaffee goß, »euch beiden sagt man nicht zu Schlimmes nach; ich weiß es ganz genau, aber ich habe nur keine Constitution, um mich den ganzen Tag über eure Spitzbübereien zu ärgern. Der Doktor sagt, ich soll mich vor einem Schlaganfalle in Acht nehmen; deßhalb ärgere ich mich auch gar nicht mehr mit euch. Gewiß, ich will mich gar nicht mehr ärgern! das versichere ich dir und deinem Bruder, und ihr könnt mirs glauben: ehe ein Schlag an mich kommt, kommt noch mancher an euch. – Katharine!«

»Ja, ja, ich weiß schon!« brummte der Sohn halblaut, »wir beide müssen immer Alles gethan haben! An uns muß immer der ganze Zorn hinaus! Es ist gerade, als wenn wir vor der Thür gefunden worden wären – – aber das Mädel.... das kann machen, was es will!«

»Was sollen die nichtsnutzigen Reden?« entgegnete die Frau und stemmte ihre beiden Hände, die sie jetzt frei hatte, in die Seiten. »Was thut das Mädel, was nicht vor Gott und mir zu verantworten wäre? he? du Strick!«

»Nun, was wird sie thun!« lachte der Fuhrmann; »gewöhnlich thut sie nichts, das ists ja eben, und wenn sie einmal was thut, so wäre es auch besser, sie ließe es bleiben!«


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