Friedrich Wilhelm Hackländer
Eugen Stillfried - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Siebenzehntes Kapitel.

Handelt von guten Vorsätzen und führt den geneigten Leser in eine sonderbare Gesellschaft, die »Leimsudia«. Erzählt auch, was sich allda begab.

Als Eugen aus dem Hause des Major von Brander trat, war er nicht wenig erstaunt, auf der Treppe dieses Hauses einen Menschen zu erblicken, der die Knie hoch emporgezogen hatte, den Kopf oben darauf gelegt, und der, wie es schien, sanft schlummerte. Noch größer war das Erstaunen Eugen's aber, als er näher tretend bemerkte, daß dieser Schlafende Niemand anders als sein getreuer Pierrot war.

Er faßte ihn beim Kragen, und es gelang ihm nach einigem Rütteln, ihn aufzuwecken und auf die Beine zu bringen.

»Ei, wie kommst denn du hieher?« fragte der Herr.

Joseph rieb sich die Augen und schaute mit einem Gesichtsausdruck um sich her, welcher deutlich anzeigte, diese Frage sei jetzt in seiner halben Schlaftrunkenheit außerordentlich schwer zu beantworten; bald aber schien er sich zu erinnern. Auf seinem dummen Gesichte traten nach und nach einige pfiffig lächelnde Züge zu Tage, und bald darauf grinste er aufs Freundlichste und sagte: er habe hier auf ihn, seinen Herrn, gewartet.

»Und zu welchem Zwecke?« forschte Eugen weiter.

»Ja, zu welchem Zwecke?« sagte Pierrot, geheimnißvoll lächelnd. »Ich weiß nicht recht, ob sich Euer Gnaden noch erinnern, daß mir Euer Gnaden vor ein paar Tagen befahlen – – nicht eigentlich befahlen – aber erlaubten, Sie einmal des Abends da unten hinter die Marktstraße zu führen, um die Gelegenheit einzusehen.«

»Und welche Gelegenheit meinst du, treue Seele?« fragte der Herr lachend.

Bei dieser Frage lachte der treue Diener ebenfalls, als wolle er hiemit ausdrücken, das sei ein ungeheurer Spaß, daß sich sein Herr jenes Gespräches nicht mehr erinnern wolle.

»Laß dein dummes Lachen!« sagte Eugen; »ich erinnere mich ganz gut. – Meinst du, die Zeit sei günstig?«

»Außerordentlich günstig!« entgegnete Pierrot; »am Himmel sind Wolken, es ist ziemlich dunkel – und auch schwül; sie wird ihre Fenster offen haben.«

»So gehen wir!«

Und dahin gingen sie, der Diener seinem Herrn ein paar Schritte voraus durch die dunkeln, stillen Straßen. Es schlug von allen Kirchtürmen die zehnte Stunde; die Nachtwächter mit ihren heiseren Stimmen schrieen dasselbe an den Straßenecken. – Es mochte ein Gewitter im Anzuge sein; die Luft war außerordentlich drückend und schwül, und der Wind, der sich hie und da erhob, nicht im Stande, diese Hitze abzukühlen; er blies wie aus einem warmen Ofen heraus, nur in einzelnen Stößen, launisch und matt und war kaum im Stande, ein Bischen Staub aufzuwirbeln. Hin und wieder fiel sogar schon ein schwerer Tropfen aus den dunkeln Wolken herab, aber auch dieses himmlische Wasser war warm und dunstig.

Jetzt stiegen die Beiden von den höher gelegenen Stadtvierteln hinab dem Marktplatze zu, der noch ruhig und still dalag. Einige Wachteln, die in ihren Käfigen vor den Fenstern hingen, ließen nur gedämpft ihren melancholischen Schlag ertönen, und dazwischen trillerte eine Nachtigall in einer Nebenstraße, und jauchzte erst leise, dann immer lauter und lauter ihre Liebeslieder durch die warme Nacht.

Hier war das Haus mit der Grafenkrone, die Wohnung der Madame Schoppelmann. Das große Hofthor war fest verschlossen. Um das alte Gebäude gingen sie herum und kamen in die enge Gasse, welche wir bereits kennen. Hier brannte keine Gaslaterne, und es gehörte eine sehr genaue Ortskenntniß dazu, die glücklicher Weise der getreue Pierrot besaß, um die Einfahrt in diesen schmierigen Hafen zu finden, ohne sich den Kopf an jeder Ecke anzustoßen. Doch segelten Beide ohne Unfall durch die Straßenenge gerade auf die Thüre der Madame Schilder los, und Joseph legte sich hier hart vor Anker, das heißt, er drückte sein Ohr fest an die Thüre, um zu hören, ob sich noch menschliche Stimmen vernehmen ließen, ob noch Jemand in der Wirthsstube sei. – Alles war todtenstill. Jetzt kratzte er mit einem Fuß unten an der Schwelle, ungefähr wie es ein großer Hund machen würde, der Einlaß verlangt. Alsbald öffnete sich auch die Hausthüre, und da der Flur nicht beleuchtet war, so tappte Joseph, nachdem er vorsichtig hinein geschritten, mit den Händen um sich, und erst, nachdem er das schwarze Merinokleid der Frau Schilder zwischen seinen Fingern gefühlt, sagte er: »Ich bin's.«

Die Frau verschloß die Thüre sorgfältig hinter den Beiden, dann eilte sie in ihre Schenkstube und kam gleich darauf mit einer brennenden Lampe zurück. Als sie den Herrn Eugen Stillfried erblickte, machte sie einen tiefen Knix und leuchtete auf ein Zeichen von Joseph die Treppe hinan, welche in den ersten Stock führte. Oben öffnete sie eine Zimmerthüre; doch ehe sie die Beiden in die kleine Stube treten ließ, löschte sie die Lampe aus; denn von drüben – so sagte sie leise zu Joseph – dürfe man kein Licht sehen, das heißt, man dürfe nicht gewahr werden, daß sich Jemand anders als sie, die Frau selbst, hier aufhalte.

Eugen trat in das Zimmer, und Joseph und die Wirthin zogen sich zurück. Die Stube hatte ein einziges Fenster; dorthin eilte Eugen und ließ sich auf einen Stuhl nieder, der da stand. Dicht vor seinen Augen, nicht zehn Schritte weit, hatte er die Wand des Schoppelmann'schen Hauses. Er bemerkte gerade gegenüber ein Fenster, das aber nicht erhellt war.

Hier saß er und wußte sich weder so eigentlich Rechenschaft zu geben, wie er gerade hieher gekommen, noch was er eigentlich da wolle. – Sie sehen, das Mädchen, das er liebte, einen Augenblick sehen, ihr einige Worte zuflüstern? – Aber das hätte er auch morgen am hellen Tage auf dem Markte gekonnt! Warum denn sich hier wie ein Dieb in der Nacht herschleichen in diese öden, unheimlichen Straßen? er fühlte sich nicht behaglich, ohne eigentlich zu wissen, warum. Da unten die kleine Gasse lag so traurig und dunkel, die hohen Wände der Häuser ebenfalls, nirgends eine freundliche Helle, nirgends ein Lichtstrahl. Horch! was war das? – Musik?

Im Nebenhause wurde auf einem Klavier gespielt, ein altes bekanntes Lied, und eine Flöte begleitete das Klavier. So einfach die Melodie war und so kunstlos sie vorgetragen wurde, drangen doch die Töne tief und schmerzlich in das Herz Eugen's. Es war eine Weise, die er vor langen Jahren gehört, ein altes Volkslied, das ihm seine Wärterin hundertmal vorgesungen – seine liebe, alte Wärterin, die ihn jeden Morgen auf ihre Arme nahm und ihn, wenn er recht brav gewesen war, in das Studierzimmer von Papa hinüber trug.

Ach, dieses Studierzimmer trat wieder so lebendig vor seine Seele, und in demselben die Gestalt seines Vaters, wie er auf und ab schritt im dunkelgrünen Schlafrock, den er, Eugen, mit seinen Händchen gefaßt hatte und nun mit trippelnden Schritten neben ihm daher lief. Auch das Bild seiner Mutter erschien ihm; aber merkwürdig genug sah er sie nur in reichen, schönen Kleidern. Blumen im Haar und an der Brust, glänzende Steine um Arm und Nacken – eine prächtige Fee. So war sie dem Kinde allnächtlich erschienen; denn wenn sie von Bällen oder großen Soireen heim kam, dann trat sie an sein Bettchen, und er erwachte alsdann gewöhnlich und sah die glänzende Erscheinung mit blinzelnden Augen an, und wenn er darauf wieder einschlief, träumte er von Feen und Elfen. Darum liebte er es nicht, das Bild der Mutter in dieser Pracht und Herrlichkeit, und er scheuchte es hinweg von seinem inneren Auge. Aber es machte ihm Mühe, aus jenem strahlenden Bilde die Züge der Mutter heraus zu finden, wie sie jetzt waren, oder wenigstens vor einigen Jahren, wo er sie zuletzt gesehen. Das war bei jener Unterredung, die er mit ihr gehabt, wo sie zusammengesunken und gebrochen in ihrem Armstuhle lag und dem Sohne mit der Hand winkte, er solle sich entfernen, er solle sie allein lassen. Ja, ja, er sah sie deutlich wieder vor sich mit zerstörten Zügen, und erblickte die Hand, die sie ihm abwehrend entgegen streckte. Damals hatte er lange geschwankt und hatte tausend Mal den Wunsch gehabt, statt darauf das Zimmer und elterliche Haus zu verlassen, jene Hand an seine Lippen zu drücken und der Mutter zu sagen: Ich will alles thun, was du von mir verlangst, nur laß uns Ruhe und Frieden halten und laß uns nicht feindlich scheiden – der einzige Sohn von der Mutter! – Aber wenn er in jenem Augenblicke schwankte, so vernahm er die strenge Botschaft seines sterbenden Vaters, den Befehl, welchen derselbe an ihn zurückgelassen. Dann schwebten ihm jene Briefschaften vor Augen mit den rothen Bändern, schwarz gesiegelt, welche er – so war ihm aufgetragen worden – zwischen die Mutter und jenen Anderen legen sollte, was er denn auch schaudernd gethan.

Und doch drängte es ihn, die Mutter wieder einmal zu sehen, und er war schon oft im Begriffe gewesen, das elterliche Haus zu betreten und den Versuch zu machen, ob keine Annäherung zwischen ihm und ihr möglich sei.

Heute Nacht, wo er so allein in der tiefen Dunkelheit hier saß, wo er vergessen hatte, weßhalb er eigentlich hieher gekommen, wo jene Gedanken an seine Familie heftiger auf ihn eindrangen, da fühlte er mehr als je das Bedürfniß einer Aussöhnung mit, seiner Mutter. Sein ganzes Leben bis dahin kam ihm so schal, so freudenlos vor, das wilde Treiben, in dem er sich bewegte, so leer, so abgenutzt! Er fühlte es wohl, in seinem Innern war finstere Nacht, von keinem Strahl erhellt; ihm leuchtete kein freundliches Morgenroth, auf das er sehnsüchtig geblickt und das ihm einen besseren, schöneren Tag versprochen hätte. »O, nur etwas gebt mir, das meine Seele gänzlich erfüllt, nur ein Bild, zu dem ich vertrauensvoll aufblicken kann, das den dämmerigen Tag meines Lebens mit neuem Glanze erfüllt!« so seufzte er aus der Tiefe seines Herzens, indem er den Kopf langsam erhob und in die Nacht hinaus blickte. Da sprang er erschrocken von seinem Stuhle auf, und seine zitternden Lippen sagten: »Katharina, du bist es! Habe ich denn nie den Schutzengel begriffen, der neben mir wandelt, habe ich denn nicht an dich gedacht, als ich ein Wesen verlangte, dem ich mit voller Seele anhangen möchte? – Ja, ich fühle es, bis jetzt liebte ich dich nicht so innig und wahr, wie man lieben soll; aber jetzt erkenne ich es; du bist der Stern, der am dunkeln Nachthimmel meiner Seele empor steigt – mein schöner, innig geliebter, mein glänzender Stern!« Er streckte die Arme nach dem gegenüber liegenden Hause aus, nach dem Bilde, das sich ihm zeigte.

Dort hatte sich ein einziges Fenster hell erleuchtet; die Flügel desselben waren geöffnet, und unter den Rosen, die dort ihre Köpfe im Abendwinde schelmisch auf und nieder neigten, stand sie, stand das Mädchen, unbewußt, daß Jemand sie belausche und – – wer sie belausche. Sie lehnte an dem Fenster im weißen einfachen Nachtkleide; das lange schwarze Haar fiel über ihren Nacken und die entblößten Schultern; den rechten Arm, mit dem sie sich gegen das Fenster stützte, hatte sie hoch erhoben, ihre eigene kleine weiße Hand lag, wie sich selbst segnend, auf dem Haupte. – Ja, dieses Mädchen konnte Segen spenden, sich und Anderen, denn so rein, so gut, so lieb war ihr Herz, von Allen auserkoren, eine Auserwählte! – –

Wie drängte es Eugen, das Fenster, an dem er stand, zu öffnen und ihr ein Wort der Liebe hinüber zu rufen! Doch bebte er selbst vor diesem Gedanken zurück. Katharina war ihm in diesem Augenblicke eine überirdische Erscheinung, ein Bildniß der Verehrung und Andacht, und dazu die stille Nacht, die Melodie des einfachen Liedes, die etwas Kirchliches an sich hatte – nein! nein! dieser Moment durfte nicht gestört werden. Aber fest stand es in ihm, daß er gefunden, was er gesucht, daß sie es wäre, welche sein Leben mit Glanz und Rosen auszuschmücken im Stande sei.

Und noch einen andern Entschluß faßte er hier beim Anblick der Geliebten: ja, er wollte die Mutter wieder sehen, er wollte auf die Gefahr hin, von ihr zum zweiten Male und noch härter verstoßen zu werden, zu ihr gehen, sie beschwören, jenen finsteren Mann zu lassen, und mit ihm, dem Sohne, und dann vielleicht mit ihr ein neues, freudiges Leben zu beginnen.

Drüben schloß sich das Fenster, das Licht erlosch, tiefe Finsterniß, wie vorher, trat ein, und als sei nun auch mit dieser himmlischen Erscheinung Alles aus und zu Ende, so verklang auch die Melodie im Nebenhause in ein paar leisen, langsam ersterbenden Accorden.

Eugen verließ das Zimmer und ging die Treppen hinab; drunten war der getreue Pierrot, sowie Frau Schilder, welche mit ihrer Lampe sorgsam leuchtete. Doch war Eugen nicht im Stande, diesem Weibe ins Gesicht zu sehen; er faßte stumm grüßend seinen Hut und verließ, von Joseph gefolgt, das Haus.

Als er auf die Straße trat, sah er drei Männer vor sich hergehen, die aber an der nächsten Ecke seinen Blicken entschwanden. Doch als er dort in die breiteren Straßen einbog, sah er sie wieder vor sich und hörte, wie sie laut lachend und scherzend ihres Weges gingen.

Pierrot, der, wenn er bei Nachtzeit ging, seine langen Ohren gewaltig spitzte, blieb jetzt auf einmal stehen, faßte seinen Herrn beim Arme und hielt ihn leise zurück, während er auf die vor ihm Herwandelnden zeigte.

»Was soll's?« sagte Eugen.

»Wenn Sie hier nicht gesehen und erkannt sein wollen,« flüsterte Joseph, »so bleiben Sie einen Augenblick stehen.«

»Wer soll mich kennen?« fragte Eugen. »Was meinst du damit?«

»Dort vor uns,« antwortete Joseph mit gedämpfter Stimme, »geht der Herr Rath, ich habe ihn augenblicklich erkannt.«

»Mein lustiger Rath?« fragte Eugen und setzte, zu sich selbst sprechend hinzu: »ei, ei, was macht mein Sittenprediger so spät ohne mich auf der Straße und namentlich in diesem Theile der Stadt? – Und wer sind wohl die Anderen?« fragte er seinen Bedienten

»Mir schien,« antwortete Joseph, »sie kamen aus dem Hause neben dem, wo wir uns befanden.«

»Und was ist das für ein Haus?«

»Es wohnen dort vielerlei Leute: Maler, Bildhauer und ein paar Schullehrer-Gehülfen.«

»Ah, ein paar Schullehrer-Gehülfen!« entgegnete Eugen; »das werden unsere Leute sein, alte Bekannte, die mein lustiger Rath aufgesucht hat, und mit denen er noch ein heiteres Stündchen zuzubringen gedenkt. Ich möchte dabei sein!«

Sein Herz war zu voll, seine lebhaften Gedanken bestürmten ihn unaufhörlich; es wäre ihm unmöglich gewesen, jetzt schon zu schlafen; er konnte nach dem, was er eben gedacht und gesehen, sich nicht entschließen, schon die Einsamkeit seines Zimmers aufzusuchen. – »Gewiß,« wiederholte er laut, »ich will ihn begleiten.«

»Aber nicht von dieser Stelle aus!« bat der getreue Pierrot; bedenken Euer Gnaden, wo wir sind! Der Herr Rath würde im Augenblicke wissen, wo wir eigentlich her kommen.

»Du hast Recht!« sagte Eugen, und er dachte bei sich, die beiden Andern, die mit seinem Freunde dort vorn gingen, könnten vielleicht auch schon sein Verhältniß zu jenem Mädchen erfahren haben und Sonderbares denken, wenn sie ihn um diese Stunde hier vor ihrer Wohnung sähen.

»Mir scheint es auf jeden Fall gerathener,« meinte der getreue Pierrot, »wenn ich von hier aus nach Hause gehe. – Was meinen Euer Gnaden? Es wäre wirklich besser, wenn der Herr Rath nicht erführen ...«

»Daß wir Beide hier zusammen auf der Straße sind,« entgegnete Eugen, lachend über die Besorgniß seines Dieners. »Ja, da magst du in der That Recht haben; deine Gesellschaft wirft nicht das beste Licht auf meine Unternehmung. So geh' denn deiner Wege, und ich hoffe, dieser Weg werde dich zufälliger Weise nach Hause führen.«

Während dieses kleinen Gespräches waren die drei Vorauswandelnden schon so weit entfernt, daß man kaum noch den Klang ihrer Stimmen und den Schall ihrer Tritte hörte.

Eugen, in der Besorgnis, sie zu verlieren, eilte hinter ihnen drein und kam auf diese Art in die belebteren Stadttheile, wo er sich seinem Mentor zeigen konnte, ohne in den Verdacht zu gerathen, als wandle er auf verbotenem Wege.

Der lustige Rath blieb erstaunt stehen, als er seinen Freund so plötzlich aus dem Dunkel einer Seitengasse auftauchen sah.

»Sieh da! sieh da!« rief Eugen, »ist das der Weg nach Hause, gestrenger Mentor? Oder ist es vielleicht noch zu früh in der Nacht, daß man daran denken müßte, zum heimischen Herde zurückzukehren?«

»Dem Glücklichen schlägt keine Stunde!« sagte lustig der Rath; »und ich war heute Abend ungeheuer glücklich, da ich weder gezwungen war, einen ästhetischen Thee zu besuchen, noch in Euer Gestrengen Gesellschaft allerlei Kreuz- und Querfahrten zu machen.«

»Also meine Gesellschaft macht dich unglücklich, du Schelm?« lachte Eugen; nun ich will mir das für die Zukunft merken; aber für heute Abend kann ich wahrhaftig nicht umhin, dich noch unglücklich zu machen.«

»Pah!« sagte der lustige Rath.

»Das heißt,« setzte Eugen hinzu, »wenn du nicht zufälliger Gast dieser beiden Herren bist; alsdann ziehe ich mich bescheiden zurück.«

»Ja, ja, ich vergaß, dir meine Freunde vorzustellen,« sagte der lustige Rath. – »Herr Knick, Schullehrer-Gehülfe erster Klasse, mein langjähriger Bekannter, Herr Wedel, Schullehrer-Gehülfe zweiter Klasse, ebenfalls einer meiner Bekannten. – Herr Eugen Stillfried!« Und dann setzte er lachend hinzu: »Wie Ihr wißt, habe ich diesen jungen Menschen erzogen!«

»Das hättest du nicht sagen sollen,« bemerkte Eugen leise, »denn jetzt bin ich gezwungen, mich heute Abend ungeheuer ernst zu betragen, um dir keine Schande zu machen.«

»O, genire dich ganz und gar nicht!« entgegnete laut lachend der lustige Rath; »du kannst dich betragen, wie du willst, du wirst doch meinen Ruhm nicht erhöhen. – Aber jetzt Scherz bei Seite; wo willst du eigentlich hin? Wo du herkommst, brauche ich dich gar nicht zu fragen.«

»Darüber könnte ich dir in der That keine genügende Antwort ertheilen,« versetzte Eugen; »aber wohin ich will? einfache Frage! – ich will dich begleiten, das heißt vorausgesetzt, die Herren Knick und Wedel haben nichts dagegen einzuwenden.«

Beide genannte Herren verbeugten sich auf's Höflichste und versicherten, sie befänden sich in der Begleitung ihres langjährigen Bekannten, des Herrn Sidel, und wenn das auch nicht der Fall wäre, das heißt, wenn der Herr Sidel sich in ihrer Begleitung befände, so würden sie es sich doch zur allergrößten Ehre rechnen, in Gesellschaft des Herrn Stillfried erscheinen zu können.

Eugen dankte den beiden Herren für ihre außerordentliche Freundlichkeit und sagte alsdann zu seinem Mentor: »Also du bist der Rädelsführer? Nun, wo geht's denn eigentlich hin, kann man euch begleiten oder nicht?«

Der lustige Rath stellte sich bei dieser Frage mit gespreizten Beinen mitten auf die Straße, – eine Stellung, wodurch sein kurzer, dicker Körper durchaus nicht den majestätischen Anblick, wie gewöhnlich, darbot; dabei legte er den Zeigefinger an die Nase und sprach: »Es wird sehr schwer gehen, daß man dich mitnimmt; wir sind gerade im Begriff, uns in das Lokal der geschlossenen Gesellschaft einer geheimen Verbrüderung zu begeben.«

»Was Teufel,« sagte Eugen, »ein geheimer Club – etwas Politisches – eine kleine Verschwörung? – Nimm dich in Acht, Herr Rath! Ich kenne den großen Richter in Israel; wenn du dem zufällig unter die Finger geräthst, so erhältst du eine Wohnung angewiesen, in der man dich bis zu deinem hohen Alter frei beherbergen und verköstigen wird.«

»Es handelt sich durchaus nicht um Politik,« erwiderte der ehemalige Schulmeister. »Die Gesellschaft, in die wir uns begeben, ist eine harm- und zwanglose; der einzige Zweck derselben ist, sich einige Stunden zu amusiren und Universitäts- wie andere Freunde wieder zu finden. Du findest dort nur Gelehrte und Künstler; und aus dem einfachen Grund, weil du weder das Eine noch das Andere bist, nehme ich einen Anstand, dich dorthin zu führen. Doch ich weiß mir zu helfen – ich stelle dich als einen Künstler vor, einen Künstler, dem es nämlich gelang, meine bewährte und außerordentliche Erziehungs-Methode vollkommen zu Schanden zu machen.«

»Deß bin ich zufrieden,« sagte Eugen, »gehen wir! – Aber während wir so langsam dahin schlendern, könntest du mir etwas Näheres über das Wesen, sowie die Zusammenstellung dieser mir bis jetzt gänzlich unbekannten Gesellschaft mittheilen. – Wann ist sie gegründet worden? wer ist ihr Stifter – wie heißt sie?«

»Ich darf mich kühn zu den Stiftern dieser Gesellschaft zählen, versetzte stolz der ehemalige Schulmeister. »Ihren Zweck habe ich dir vorhin schon gesagt: sich nämlich einige Stunden zu amusiren. Die Gesellschaft heißt: »Die Leimsudia.««

»Die Leimsudia?« fragte erstaunt Eugen; »und so nennen sich ihre Mitglieder wohl Leimsieder?«

»Leimsieder in der edelsten Bedeutung dieses Wortes,« entgegnete der lustige Rath außerordentlich würdevoll und erhaben. »Da ich aber dein Staunen sehe,« fuhr er mit erhobener Stimme fort, »und da ich es mir trotz deiner Unverbesserlichkeit beständig angelegen sein lasse, den Kreis deines Wissens zu erweitern, so will ich dich einen Blick in die Stiftungs-Urkunde der Leimsudia thun lassen.«

Dafür werde ich dir sehr verbunden sein, edler Leimsieder!« sagte Eugen.

»Du weißt,« begann wichtig der lustige Rath, »daß geschlossene Gesellschaften überhaupt bei ihrer Stiftung gewöhnlich einen Zweck haben.«

»Ein unerhört weiser Eingang!« lachte der Andere.

»Dieser Zweck,« fuhr der ehemalige Schulmeister fort, »ist nun gewöhnlich bei ähnlichen Geschichten ein rein gesellschaftlicher; man findet seine Bekannten, man ißt, man trinkt, man raucht, man liest Journale, man hört langweilige Konzerte, man geht auf noch langweiligere Bälle – kurz, man will sich amusiren, so gut wie möglich, und jeder gibt sich die größte Mühe, dies mit sich und Anderen zu thun. Hiedurch aber entsteht nun gewöhnlich das Gegentheil. Wenn auch Anfangs Alles gut geht, so dauert es doch nicht lange, und die Unterhaltung eilt zu Thüre und Fenster hinaus, und dadurch wird man langweilig. – Wir haben das nun bei der Leimsudia ganz anders angegriffen: wir wollen uns langweilen, es ist Pflicht jedes talentvollen Leimsieders, so langweilig wie möglich zu sein, und durch dieses Bestreben zur Unterhaltung durchaus nichts beizutragen, amusiren wir uns und sind unsere Versammlungen oftmals vom besten Humor erfüllt.«

»Eine große Idee!« sagte lachend Eugen. »Aber auf welche Art bestrebt ihr euch, langweilig zu sein?«

»Das wirst du noch alles erleben,« entgegnete der lustige Rath. »Siehe da! wir sind am Lokal der Leimsudia angelangt, wir treten jetzt in diese erlauchte Gesellschaft; ich bitte dich aber inständigst: mache mir keine Schande und führe dich ordentlich auf.«

»Ich will gähnend eintreten,« sagte Engen.

»Auch nicht so übel!« meinte Herr Sidel und blieb vor einem kleinen Thorwege stehen.

Es war dies eigentlich weniger ein Thorweg, als eine kleine schmutzige Gasse, welche durch zwei, einige Fuß von einander stehende Häuser gebildet wurde, in einer einsamen Straße, weit vom Mittelpunkte der Stadt entfernt.

Diese Gasse war nur in so weit erhellt, als eine der letzten Gaslaternen einen kleinen Lichtstrahl hineinfallen ließ. Wohin aber diese Gasse eigentlich führte, konnte ein Uneingeweihter durchaus nicht ergründen, da ihr Ende in undurchdringliche Finsterniß gehüllt war.

»Ich bitte um den Gänsemarsch!« sagte Herr Sidel und schritt, mit den Händen tappend, voran. Ihm folgte Eugen, diesem Herr Knick, dann kam Herr Wedel.

Nachdem sie solchergestalt ein paar Minuten fortgewandelt waren, erweiterte sich die Gasse zu einem Hofe, in welchem man in ziemlich undeutlichen Umrissen große Fässer erblickte und daneben aufgethürmtes Holz, alte Kisten und Erdhaufen. Ein kleiner Lichtschimmer verrieth ein Hintergebäude und in demselben eine Thüre, auf welche Herr Sidel lossteuerte.

»Wir sind zur Stelle!« sagte er jetzt; und hinter der Thüre hörte man lautes Lachen und das Geräusch mehrerer Stimmen.

»Ehe wir eintreten, sage mir vor allen Dingen,« wandte sich Eugen an seinen Führer, »werde ich als Mitglied eingeführt oder als Gast?«

»Auf alle Fälle nur als Gast,« entgegnete wichtig Herr Sidel; »um Mitglied dieser ehrenhaften Gesellschaft zu werden, muß man dieselbe öfters besuchen, man muß vorgeschlagen, man muß geprüft sein.«

»Also eine Art Freimaurerei?« sagte lachend Eugen.

»Nenne es, wie du willst, aber halte jetzt dein Maul!« – Er öffnete leise die Thüre des Hinterhauses, vor dem sie standen, und sie traten in ein Vorzimmer, das zugleich als Garderobe benützt wurde. Hier standen sehr anständige Regenschirme, zierliche Stöcke und gute Hüte, woraus Eugen den vernünftigen Schluß zog, daß die Leimsudia, gegen seine bisherige Erwartung, aus sehr anständigen Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft bestände.

Aus diesem Vorzimmer führte eine andere Thüre in das Gemach, wo sich die Gesellschaft zu befinden schien. Herr Sidel öffnete ein kleines Loch in derselben, legte seinen Mund daran und meldete in das Gesellschaftszimmer, er sei da, mit ihm die beiden aufzunehmenden Mitglieder, Herr Knick und Herr Wedel, und zugleich als Gast Herr Eugen Stillfried.

»Schön, sie mögen kommen!« antwortete eine tiefe Stimme.

Jetzt öffnete sich die Thüre, und man sah ein ziemlich großes Gemach, das außerordentlich mäßig erhellt war, so mäßig, daß, wenn man nicht von der tief dunkeln Straße gekommen wäre, man gar nichts gesehen hätte; das Ganze nahm sich aus wie der Aufenthalt der heiligen Vehme. An einem langen Tische saßen zehn bis zwölf Herren, deren Gestalten man nur in den undeutlichsten Umrissen sah. Auf diesem Tische war nämlich nur ein einziges Lämpchen aufgestellt, und dasselbe brannte obendrein in einem blechernen Gehäuse; es sah aus wie ein Apparat, auf welchem man warmes Wasser zu kochen pflegt.

Unsere vier Ankömmlinge ließen sich auf ebenso viele Stühle am unteren Ende des Tisches nieder, und darauf erhob sich der ehemalige Schulmeister und bat um das Wort.

Dieses wurde ihm von jener tiefen Stimme, die vorhin »Herein« gerufen, ertheilt.

»Hochansehnliche Versammlung!« sagte Herr Sidel, »Mitglieder der Leimsudia! Mit Erlaubniß der hohen Gesellschaft schlug ich vor vier Wochen meine beiden Freunde, die Herren Knick und Wedel, zu Mitgliedern vor. Während dieser Zeit bemühte ich mich auf's Sorgfältigste, den Charakter der eben Genannten zu prüfen, und fand in ihnen zu meiner großen Beruhigung erstaunliches Talent zur Langeweile, ja, meine Herren, alle bis dahin noch unentwickelte Erfordernisse, um es mit der Zeit zu einem tüchtigen Leimsieder zu bringen. – Den benannten Vorgeschlagenen verfehlte ich nicht, einen sehr richtigen Begriff von unserer ehrenwerthen Verbrüderung beizubringen, und sie fühlen die Kraft in sich, allen Verpflichtungen, welche ihnen als Mitgliedern der Leimsudia auferlegt werden, auf's Gewissenhafteste nachzukommen.«

»Ist das Ihr fester Wille?« fragte die tiefe Stimme; worauf die Herren Knick und Wedel antworteten:

»Ja. es ist unser fester Wille!«

»In diesem Falle ersuche ich meinen Herrn Kollegen und ersten Vicedirektor, die gewöhnlichen Fragen an die Neuaufzunehmenden zu thun.«

Der erste Vicedirektor räusperte sich und fragte darauf, was denn eigentlich unter einem gehörigen Leim zu verstehen sei.

Hierauf antwortete Herr Knick: »Leim sei eine zähe, kleberige Substanz, ein Material, welches nur im warmen Zustande zu gebrauchen sei.«

Nach dieser Antwort ersuchte die tiefe Stimme den zweiten Vicedirektor der Leimsudia, dem andern Aufzunehmenden ebenfalls eine Frage zu stellen.

Hierauf räusperte sich der zweite Vicedirektor und fragte den Herrn Wedel, was unter einem Leimsieder, nach der wahren Bedeutung des Wortes, zu verstehen sei.

Herr Wedel beantwortete diese Frage zur vollkommensten Zufriedenheit der Gesellschaft, indem er sagte: ein Leimsieder sei dasjenige nützliche Mitglied der menschlichen Gesellschaft, welches jenen harten und zähen Stoff, Leim genannt, auf eine passende Art zum Nutzen und Frommen seiner Mitmenschen zu behandeln verstände.

Der Präsident mit der tiefen Stimme ersuchte alsdann den dritten Vicepräsidenten der Leimsudia, jenen beiden Herren die Statuten vorzutragen, worauf sich der dritte Vicepräsident ebenfalls räusperte und sprach: Der Paragraph Eins der Statuten besagt, daß die Gesellschaft »Leimsudia« wirklich und wahrhaftig bestehe und daß die Mitglieder derselben Leimsieder genannt werden. Der Paragraph Zwei fügt hinzu, daß Paragraph Eins eigentlich vollkommen überflüssig und deßhalb förmlich wieder aufgehoben sei. Paragraph Drei macht es ebenso mit Paragraph Zwei, und Paragraph Vier spricht die Vermuthung aus, daß nach einer solch gründlichen, umfassenden Darlegung der gesellschaftlichen Verhältnisse der Leimsudia keines der Mitglieder seiner im Unklaren sein könne, welch wichtige Pflichten es durch den Beitritt zu derselben auf sich nehme. Hierauf ersuchte der Präsident mit der tiefen Stimme den Stellvertreter des ersten Vicedirektors, zur feierlichen Aufnahme zu schreiten.

Die Lampe auf dem Tische und über derselben die dampfende Flüssigkeit, die sich als kochender Leim ergab, wurde vor den Präsidenten gerückt, der diesen Leim eigenhändig viermal herum rührte. Dasselbe thaten alle Anwesenden, und darauf bot der Stellvertreter des ersten Vicedirektors dem Sekretär der Leimsudia einen kleinen Löffel des kochenden Leims, welchen dieser würdige Beamte auf zwei Gläser Wasser vertheilte, die vor ihm bereit standen, so daß durch diese Manipulation ein schwaches Leimwasser entstand. Dieses wurde den neu Aufgenommenen durch den ersten und zweiten Kassier überreicht, und als Herr Knick und Herr Wedel nach einigem Zögern dieses Getränke hinunter gewürgt hatten, waren sie aufgenommen in die Leimsudia und konnten sich als wirkliche und ordentliche Mitglieder betrachten.

Eugen Stillfried als Gast bekam nun ebenfalls, aber eine weit kleinere Portion Leimwasser, worauf der Präsident eine sehr schöne Rede hielt, aus welcher wir ungefähr behalten haben, daß es der Zweck der Gesellschaft sei, durch Langweil zur Kurzweil zu dringen. So lange aber die letztere nicht zum Durchbruch kam, blieb jene Lampe unter dem kochenden Leim die einzige Beleuchtung des Gemaches, und dann hatten sämmtliche Beamte der Gesellschaft – sie bestand nämlich nur aus Beamten – die Verpflichtung, abwechselnd den Leim umzurühren, damit er nicht anbrenne. Sobald aber der Präsident an der Unterhaltung merkte, daß sie einen regen Aufschwung erhalte, so nahm er den kochenden Leim von der Lampe herunter und ließ durch den Kellner Lichter bringen; fing aber nach diesem Verfahren die Unterhaltung wieder an, schläfrig und leimig zu werden, so löschte er die Lichter wieder aus, und der Leim begann auf's Neue zu kochen und zu brodeln.

Eine Ausnahme von dieser allgemeinen Regel machte, wie heute geschehen, die Aufnahme neuer Mitglieder. In solchen Fällen hatte der Präsident auch ohne lebhafte Unterhaltung das Recht, zur gegenseitigen Erkenntniß die Lichter anzünden zu lassen; doch blieb alsdann der Leim auf der Lampe stehen und mußte bis zum Beginn eines lebhaften Gesprächs umgerührt werden, damit er nicht anbrenne.

Als nun die Lichter gebracht wurden und man sich gegenseitig anschaute, sah Eugen Stillfried unter außerordentlichem gegenseitigem Gelächter eine Menge bekannter Gesichter um den Tisch herum sitzen. Da waren Juristen, Mediciner, Maler, Bildhauer, Schriftsteller, im Ganzen sechszehn Leimsieder; größer durfte die Zahl nicht werden.

Der vorsitzende Präsident mit der tiefen Stimme, die schon früher etwas außerordentlich Bekanntes für Eugen hatte, war sein Hausarzt, Doktor Wellen, ein berühmter Arzt mit großer Praxis. Er machte seine Krankenbesuche in einem Wagen mit zwei Pferden, hatte einen Stock mit goldenem Knopf, trug gewöhnlich einen blauen Frack, und wenn er auch als jovialer Mann und lustiger Herr bekannt war, so würden doch seine sämmtlichen Patienten einen Schrei des Entsetzens ausgestoßen haben, wenn sie gewußt hätten, daß Herr Doktor Wellen der Vorsitzende der Leimsudia sei. Aber hierüber mußte von den Mitgliedern und den eingeführten Gästen das unverbrüchlichste Stillschweigen bewahrt werden, wie denn überhaupt von der Existenz der Leimsudia bis heute nichts in das Publikum gedrungen war.

Eugen schüttelte seinem Arzte und allen Bekannten lachend die Hand, und der Präsident meinte, er fange jetzt an, an eine Besserung des jungen Mannes zu glauben, da er endlich einmal anfange, sich in anständige und solide Gesellschaft zu begeben.

Außer dem vorhin erwähnten Getränke, dem Leimwasser nämlich, bemerkte man jetzt beim Schein der Lichter, daß noch Anderes auf dem Tische vorhanden war. Da sah man Wein- und Bierflaschen, und auch eine Speisekarte fehlte nicht, durch deren Hülfe hungrige Leimsieder zu einem soliden Nachtessen kommen konnten.

»In meinem ganzen Leben,« sprach Eugen nach einer Pause zum Präsidenten, »habe ich keine Ahnung von der Existenz der Gesellschaft gehabt; ich würde wahrhaftig keinen Augenblick gezaudert haben, mich zum Mitgliede einer so würdigen Verbrüderung vorschlagen zu lassen. Es ist eigentlich schändlich von meinem lustigen Rathe, daß er mich nicht früher hievon in Kenntniß gesetzt.«

»Derselbe würde in diesem Falle ein großes Verbrechen begangen haben,« sagte der Doktor; »er hat schon viel gewagt, daß er Sie hieher brachte: denn wenn man einen Gast einführt, von dem man nicht überzeugt ist, daß er der Gesellschaft convenirt, so wird dies an dem Einführenden auf's Strengste bestraft.«

»Aber man muß doch wenigstens eine Ahnung vom Dasein einer Gesellschaft haben, ehe man sich zum Mitgliede derselben melden kann!«

»Man muß dahin vom Geiste getrieben werden,« entgegnete der Präsident, »man muß sich im allgemeinen Getriebe der Menschheit entsetzlich langweilen, und in diesem Falle hat ein Mitglied der Gesellschaft das Recht, den Gelangweilten zum Leimsieder vorzuschlagen.«

»Und daß dies bei dir wahrhaftig nicht der Fall war,« bemerkte der lustige Rath, »so fand ich es niemals gerechtfertigt, dich hieher zu bringen; du hast dich meines Erachtens nie sichtlich gelangweilt; auch bin ich selbst noch ein sehr junges Mitglied.«

»Es ist eigentlich nicht schmeichelhaft für mich,« versetzte Eugen lachend, »daß dich die Langeweile hieher geführt. Ich hatte gehofft, du findest meine Gesellschaft amüsanter.«

»Verliebte Leute find immer langweilig,« sagte der lustige Rath mit leiser Stimme.

Der Präsident dieser ehrenwerthen Gesellschaft führte das Regiment mit sehr strenger Hand, und nachdem sich die Neuangekommenen zu einigem Bier und Wein verholfen, versicherte er mit bedenklicher Miene, daß die Unterhaltung in der That nicht die Kosten der Beleuchtung abwerfe, weßhalb er sich veranlaßt sehe, zum Scheine der harmlosen Leimwasser-Lampe zurückzukehren. Er forderte hiemit die Mitglieder der Gesellschaft dringend auf, durch irgend etwas das Gespräch zu beleben.

»Mich hat der feierliche Akt von eben sichtlich angegriffen,« sagte ein ältlicher Herr mit einer röthlichen Nase, indem er die Brillengläser mit seinem Sacktuche abputzte; »oder wirkt die Hitze von heute Abend lähmend ans unsern Geist?«

»Der Herr Präsident,« bemerkte ein anderer Leimsieder – er war im gewöhnlichen Leben Regierungsrath – »scheint mir heute Abend in außerordentlich strenger Laune zu sein; ein rechter Vorstand sollte zu Ehren seiner Gesellschaft beständig eintreten und immer etwas in petto haben, wenn die Unterhaltung einmal erlahmt. Wenn man eine solch hohe und wichtige Stellung einnimmt, so muß man auch das Zeug hiezu haben.«

»Ganz richtig! – Vollkommen wahr! – Sehr gut bemerkt!« riefen mehrere Stimmen.

»Opposition,« sagte lachend der Vorsitzende, »sträfliche Opposition! Ich werde mich veranlaßt sehen, den Leim anbrennen zu lassen und euch durch den dadurch entstehenden Geruch zum Teufel zu jagen.«

»Das wäre einigermaßen Mißbrauch der Amtsgewalt,« meinte der dicke Herr mit der rothen Nase. »Allzu scharf macht schartig! Die Gesellschaft würde sich in solchem Falle veranlaßt sehen, einen neuen Präsidenten zu wählen.«

»Eine fürchterliche Drohung!« sagte lachend der Doktor.

»Wir hätten in der That vorsichtiger sein sollen in der Wahl unseres Oberhauptes,« warf ein langer und sehr dürrer Advokat ein, »er ist leider unabsetzbar; wir waren leichtsinnig genug, dies auszusprechen, ehe wir uns überzeugt, welcher Hand wir die Leitung unserer Republik anvertrauten.«

»So müssen wir eine Revolution unternehmen!« sagte wichtig der dicke Herr mit der rothen Nase – »einen Staatsstreich – wir müssen uns in den Besitz des Leimtopfes setzen und auf diese Art die Embleme der höchsten Gewalt in die Hände bekommen; alsdann können wir unser Oberhaupt stürzen und eine neue Regierung einführen.«

»Keine Tyrannei!« rief der Regierungsrath, »Befolgung der Gesetze, so lange uns das gut däucht; aber keine Tyrannei! das muß aufhören.«

»Ja wohl,« ließ sich die Stimme des lustigen Raths vernehmen. »Alles das nimmt ein Ende, so sagt der Teufel am Buß- und Bettage.«

»Verehrteste Freunde – wertheste Leimsieder!« nahm der Präsident das Wort; »glaubt nicht, daß mich eure Drohungen erschrecken – ich fühle eine Armee in meiner Faust.« – Hier faßte er den Stiel des Leimtopfes. – »Ihr seht, ich bin im Besitze der vollkommensten Macht; und nur, weil ich in diesem Besitze bin, weil ich die Kraft in mir fühle, die Rebellion kräftig niederzuschlagen, will ich mich herablassen, mit den Häuptern derselben zu capituliren.

»Das läßt sich hören!« riefen mehrere Stimmen.

»Ihr verlangt von mir,« fuhr der Präsident fort, »ich soll in den Riß treten, wenn in eurer Unterhaltung eine Bresche entsteht; ich habe das schon sehr häufig gethan.«

»Hört! hört!« rief der dicke Herr mit der rothen Nase.

»Ich that das schon sehr häufig,« wiederholte nachdrücklich der Präsident; »aber Alles hat ein Ende, und es scheint mir, verehrte Leimsieder! ihr seid der süßen Absicht, euch ganz auf euren Präsidenten zu verlassen, die Last der Unterhaltung auf meine Schultern zu schieben. Wohlan denn! damit ihr seht – es ist nur für künftige Fälle – wie ein Präsident der Leimsudia beschaffen sein muß so will ich wieder einmal in eure stockende Unterhaltung eintreten und etwas zum Besten geben.«

»Bravo! bravo!« rief es von allen Seiten.

»Erwartet nichts Lustiges, nichts Erheiterndes,« fuhr der Präsident fort. »Ihr habt mich durch eure begonnene Revolution trüb und wehmüthig gestimmt, aus dieser Quelle fließt die Kleinigkeit, die ich vorzutragen die Ehre haben werde.«

»Sehr gut! wir hören« riefen sämmtliche Leimsieder.

Mit großer Feierlichkeit nahm hierauf der Präsident der ehrenwerthen Gesellschaft den Leimtopf vom Feuer, übergab ihn feierlich dem ersten Vicepräsidenten, die Lampe seinem zweiten Stellvertreter, legte sich in seinen Stuhl zurück und begann folgendermaßen.


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