Friedrich Wilhelm Hackländer
Eugen Stillfried - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Fünftes Kapitel.

Worin des Helden unserer Geschichte ausführlicher Erwähnung geschieht, wenn auch gerade auf keine schmeichelhafte Art.

Es trat ein langer, magerer Herr in den Hausflur; den Hut auf dem Kopfe, begrüßte er den alten Bedienten mit einem flüchtigen Kopfnicken. Jakob dankte ihm mit einer tiefen, stummen Verbeugung.

Der lange Herr warf einen flüchtigen Blick in die halbgeöffnete Küche und stieg ohne eine Frage langsam die Treppen hinauf. Jakob blieb unten zurück.

Dem Herrn mochte es von dem Gehen draußen in dem heißen Wetter warm geworden sein; denn während er die Treppe hinauf ging, zog er ein weißes Sacktuch aus der Tasche und fächelte sich damit Kühlung zu. Auch hustete er nebenbei einigemal ziemlich laut, und als das Echo in dem großen, weiten Hause dieses Geräusch dumpf und seltsam tönend wiederholte, blickte er wie ärgerlich um sich und beeilte seine Schritte, um in den ersten Stock zu gelangen. Hier blieb er einen Augenblick stehen, dann wandte er sich nach der Treppe zu, die in den zweiten Stock fühlte, zog aber den erhobenen Fuß von der ersten Stufe wieder zurück und blickte einen Augenblick forschend in den langen Corridor, in welchem die weiten, unbewohnten Gemächer des ersten Stockes lagen. Er zog die Augenbrauen finster zusammen und sah einige Sekunden unverwandt nach dem Ende dieses Corridors; dort schien eine Thüre halb offen zu stehen, während alle anderen fest verschlossen waren.

»Ich werde doch noch diesen alten nichtsnutzigen Bedienten nächstens entlassen müssen,« sagte der lange Herr. »Ich glaube, dieser Hallunke arrangirt es immer so, um mir einen unangenehmen Augenblick zu machen. Ich kann es nun einmal nicht leiden, wenn jene Thüre offen steht!« – Nach diesen Worten, die er finster und halblaut vor sich hingesprochen, und sich dann umschaute, um sich zu überzeugen, daß ihn Niemand gehört, ging er mit hastigen Schritten den langen Corridor hinab bis an jene halb offen stehende Thüre, um sie zu verschließen. Doch ehe er dies that, konnte er sich, obgleich mit sichtbarem Widerwillen, nicht enthalten, für einen Augenblick in jenes Zimmer hinein zu blicken.

Es war ein großes Gemach, und da die Läden der Fenster, welche verschlossen waren, nur spärliches Licht und gar keine Wärme einströmen ließen, so war es in demselben sehr kühl und so finster, daß man die Gegenstände, welche sich darin befanden, kaum zu unterscheiden vermochte. Es drang dem Eintretenden eine kalte, kellerartige Luft entgegen. Das Zimmer, hoch und gewölbt, war mit dunkelbraunen Tapeten versehen, ein alter Teppich bedeckte den Boden, schwere Seidenvorhänge hingen von den Fenstern herab, alte Stühle und einige Tische standen an den Wänden, und zur linken Seite, neben der Thüre, bemerkte man ein großes und breites Bett, mit einem dunklen Ueberwurfe bedeckt, der auf allen vier Seiten bis auf den Boden herab hing. Wie alle lange Zeit verschlossenen Zimmer, in welchen man die Möbel altern, die Stoffe morsch werden ließ, hatte auch dieses etwas Unheimliches. Wenn man die Thüre öffnete, so drang von dem helleren Corridor plötzlich Licht und Luft herein und kämpfte mit der Finsterniß, die sich aber aus ihrem Besitzthume nicht vollständig vertreiben ließ. In den Ecken blieben tiefe Schatten liegen, und dazu machte sich der Luftzug, der zugleich mit herein drang, an die alten Fenstervorhänge und bewegte die schweren Stoffe, daß sie langsam und wie unmuthig über diese Störung hin und her wankten. Altmodische, goldene Rahmen funkelten plötzlich aus allen Ecken, und ein trüb angelaufenes Spiegelglas, das sich neben dem Bette befand, erhellte sich auf einmal und zeigte dem langen Herrn, der die Thürklinke fest mit der Hand umschloß, sein Bild in ganzer Größe, und es war, als beuge sich jenes Spiegelbild auf das Bett herab und schaue angelegentlich auf dieses seit so langen Jahren verlassene Lager.

Dieses Gemach aber, das der lange Herr nun eilfertig, und wie erschreckt von seinem Bilde im Spiegel, hinter sich zuzog, war vor so und so vielen Jahren das Schlafzimmer des seligen Staatsrates gewesen.

Der Herr drehte den Schlüssel zweimal im Schlosse herum, schritt eilig durch den Corridor an die Treppe und stieg den zweiten Stock hinauf. Die Wachtelhunde der Staatsräthin bellten laut auf, als sie seine schweren Schritte hörten, und erweckten dadurch ihre Herrin aus tiefem Nachsinnen, in das sie abermals in ihrem Fauteuil am Fenster versunken war.

Der Justizrath, denn er war es, der nun in das Zimmer trat, legte seinen Hut auf ein Seitentischchen und ging an die Fenstervertiefung, wo er der Dame die Hand reichte und sich dann auf einen Stuhl ihr gegenüber niederließ.

Er mochte ungefähr ein Mann an die Fünfzig sein, hatte, wie schon gesagt, eine lange etwas magere Gestalt und ein durchaus nicht unangenehmes Gesicht; ja, es lag darin etwas Gutmüthiges und zugleich Geistvolles. Wenigstens sprach hiefür die hohe, breite Stirn. Er hatte dunkle, etwas kleine Augen, die man übrigens selten zu sehen bekam, denn seine Augenlider hingen schwer darüber hin, und dies allein gab seinem Gesichte in Augenblicken, wo er ruhig saß und nachzudenken schien, was häufig vorkam, etwas Finsteres, Abstoßendes. Dann hatte er auch die Gewohnheit, seine Unterlippe zwischen die Zähne zu klemmen und den Mund zusammen zu ziehen. Wenn er aber seine Augen aufschlug und Jemand anschaute, und namentlich, wenn er sprach, so glätteten sich diese Züge seines Gesichtes Vollkommen, um seine Mundwinkel spielte ein freundliches Lächeln; er hatte alsdann etwas Zuversichtliches, Imponirendes, und es war nicht leicht, ihm zu widersprechen. So war auch seine ganze Haltung: er trat fest und sicher auf, wie Jemand, der vollkommen mit sich darüber im Reinen ist, was er will, und der sich durch keine Einreden leicht wird beirren lassen. Dieses Gefühl von Sicherheit theilte sich auch seiner Umgebung mit und war ein gewaltiger Schutz für seine Partei, entmuthigte dagegen seine Feinde und Widersacher.

Der Justizrath war sorgfältig, fast elegant gekleidet. Er trug einen braunen Morgenfrack, an den Händen Glacéhandschuhe und um den Hals eine weiße Cravatte, welche bei allen Toiletten, die er machte, die gleiche war.

Die beiden kleinen Wachtelhunde hatten sich wieder an die Erdbeeren begeben, und mit den Früchten, welche sie nicht verzehrten, spielten sie im Zimmer umher. Der Justizrath erkundigte sich nach dem Befinden seiner Freundin, und dann sagte er lächelnd, indem er auf die hin und her jagenden Thiere wies: »Mir scheint, es ist heute der Geburtstag von Molly; denn Sie haben ihm da ein vortreffliches Frühstück vorsetzen lassen, Erdbeeren von dieser Größe und Schönheit; ich habe noch nie solche auf Ihrer Tafel gesehen. Ei, ei, theure Sophie. Sie verwöhnen Ihre Lieblinge auf eine wirklich unverantwortliche Art!«

»Da haben Sie wahrhaftig Recht,« versetzte lächelnd die alte Dame; aber sie verdanken dieses köstliche Mahl nur dem Zufall. Ich verdiene Ihre Vorwürfe nicht, mein lieber Freund; ich hatte das Körbchen neben mir stehen, durch ein Ungefähr fiel es herunter, und nur diesem verdanken die kleinen Schmarotzer die süßen Früchte.«

Der Justizrath nahm einen Sonnenschirm, der in der Ecke der Fenstervertiefung lehnte, und verjagte die kleinen Hunde neckend von dem Körbchen, welches sie mit ihren Pfoten bald hierhin, bald dorthin rollten. Dabei entfiel ihm der Schlüssel, den er im unteren Stock abgezogen. Doch hob er ihn schnell wieder in die Höhe, stand auf und legte ihn auf ein entferntes Tischchen.

Die Staatsräthin sah ihn fragend an.

»Ich fand ihn unten an der Treppe,« sagte er nach einer kleinen Pause mit großer Unbefangenheit; »wahrscheinlich hat ihn Jakob dort liegen lassen. Mir scheint, der alte Mann wird mit jedem Tage unzuverläßiger; ich glaube, man wird bald ernstlich daran denken müssen, ihn mit einer anständigen Pension zu entfernen und in Ruhestand zu versetzen.«

»Sie haben Recht, lieber Freund,« antwortete die Dame; »aber sind wir nicht die Diener unserer Diener, wenigstens ebenso abhängig von ihnen, wie sie von uns? – Sie wissen ganz genau, wie sehr ich dieses verschlossene Wesen des alten Jakob hasse, wie fest ich davon überzeugt bin, daß hier in diesem Hause von uns nichts gethan, ja fast nichts gesprochen wird, wovon er sich nicht wenigstens bemüht, Kenntniß zu erhalten. Aber was will ich machen? Die da drunten halten auf eine merkwürdige Art zusammen, und wenn ich Eines von ihnen aus dem Hause entlasse, so kündigen mir Alle zusammen ihre Dienste auf und gehen davon.«

»Einmal muß es am Ende doch geschehen,« sagte bestimmt der Justizrath. »O, Sophie, wir haben doch lange genug diese Geschichten um uns geduldet, die Ihnen, sowie mir fast unerträglich waren.«

»Das weiß Gott!« sprach die Staatsräthin seufzend. »Aber Sie wissen so gut, wie ich, lieber Freund, daß ...«

»Sich Manches nicht ändern läßt,« ergänzte der Justizrath achselzuckend. »Leider! – von etwas Anderem denn!«

»Ich bin in der That sehr erfreut,« sagte nach einer längeren Pause die Dame, »daß Sie gekommen sind. Ich habe soeben eine sehr, sehr unangenehme Unterredung gehabt.«

»Auch wieder mit Jemand aus Ihrer Dienerschaft?« fragte lächelnd der Justizrath.

»O nein!« antwortete die alte Dame; »Sie sehen diese Erdbeeren, die dort am Boden liegen. Sie wurden mir vor einer halben Stunde gebracht von jener Gemüsehändlerin, der Frau Schoppelmann, die Sie ja auch kennen.«

»Natürlich,« entgegnete der Justizrath. »Wer kennt sie nicht? – Und diese Frau hat Ihnen eine Scene gemacht?«

Die Staatsräthin nickte mit dem Kopfe und fuhr nach einer Pause fort: »Sie soll eine Tochter haben ...«

»Eine schöne Tochter!« entgegnete der Justizrath und blickte sein Gegenüber erwartungsvoll an. Dabei hatte er das Sonnenschirmchen in beide Hände genommen und steckte den Knopf desselben zwischen seine Zähne. »Eine schöne Tochter!« wiederholte er, »das weiß die ganze Stadt.«

»Und ich,« sagte die Staatsräthin mit einem heftigen Tone, »habe einen Sohn, und das weiß ebenfalls die ganze Stadt.«

»Ah so!« meinte der Justizrath.

»Dieses Weib nun dringt unter dem Vorwande, mir jene Erdbeeren zu überreichen, bei mir ein und erzählt mir eine Geschichte des Herrn Eugen, wie ich sie leider Gottes schon zu Hunderten vernommen.« »Er macht der schönen Katharine auffallend die Cour; ja, ja, ich habe das auch schon gehört.«

»Und davon sagten Sie mir nie ein Wort!«

»Weil ich es erstens für zu unbedeutend hielt, und weil es mich zweitens schmerzt, wenn ich einmal genöthigt bin, Ihnen dergleichen mitzutheilen.«

»Und was ist denn eigentlich an dieser Geschichte?« fragte die Staatsräthin und sah ihren Freund aufmerksam an.

Dieser zog die Schultern in die Höhe, drehte das Sonnenschirmchen zwischen seinen Händen und sagte: »So und so! Ich weiß selbst nicht recht, was ich davon halten soll. Es ist keine Frage, daß das Mädchen sehr schön ist und daß sie bis jetzt den vielen Anträgen, die man ihr gemacht, siegreich und tugendhaft widerstanden; ebenso wahr ist aber auch, daß sie sich seit einiger Zeit in ein Verhältniß mit Monsieur Eugen eingelassen. Ich glaube, in ein inniges Verhältniß!« – Dabei lächelte er vor sich hin, wie Jemand, der einer nicht unangenehmen Sache gewiß ist.

Die alte Dame wischte sich mit ihrem Taschentuche die Stirn ab und entgegnete nach einer Pause, während welcher sie über etwas nachgedacht: »Und dieses innige Verhältniß, das wird wohl enden, wie manche frühere derartige?«

»Ich glaube nicht so,« antwortete ruhig der Justizrath. »Diese Schoppelmann's sind eine entschlossene Familie; namentlich hat das Mädchen zwei Brüder, welche zu den verwegensten Gesellen der Stadt gehören. Beide sind schon ein paar Mal hart an meinem Stuhle vorbeigestreift, und wenn ich sie einmal in meine Hände bekomme, so werde ich mich veranlaßt sehen, sie lange festzuhalten. Diese Beiden nun möchten gesonnen sein, dem Monsieur Eugen übel mitzuspielen, wenn er die Idee haben sollte, mit dem Mädchen eine ganz gewöhnliche Liebesgeschichte aufzuführen; und das wäre auch am Ende so übel nicht, wenn er einmal eine ganz tüchtige Lektion erhielte.« Die Staatsräthin sah ängstlich und fragend in das Gesicht ihres Freundes.

»Natürlich,« fuhr dieser fort, »dürfte ihm kein Leides geschehen; nur ist es meine Ansicht, es könnte von guten Folgen sein, wenn sich der junge Herr bei einer solchen Veranlassung ebenfalls zu unüberlegten Handlungen gegen jene beiden Kerle hinreißen ließe. So was läßt sich leicht arrangiren; er fällt dann ebenfalls in meine Hände, man nimmt ihn für eine kurze Zeit bei Seite, wir sind bei der Voruntersuchung berechtigt, unter Umständen seine Zimmer, seine Papiere zu durchsuchen, und bei dieser Gelegenheit, theuerste Sophie« – der Justizrath war hier sehr ernst geworden – »wäre es uns vielleicht möglich, etwas zu finden, was in unsere Hände zu bekommen mein sehnlichster Wunsch ist – etwas, das uns kostbarer ist, als Hunderttausende, etwas, das ich oft vor mir sehe; wachend und träumend, das mir den Schlaf raubt, indem es vor mich hingaukelt, und das mir jedes Mal verschwindet, so oft ich die zitternde Hand darnach ausstrecke!«

Der Justizrath hatte diese Worte mit sichtbarer Aufregung gesprochen; seine Hand, die er beschwörend von sich abstreckte, zitterte wirklich, seine Augen schossen Blitze unter den herabhängenden Wimpern und sein Gesicht war von einer flammenden Röthe übergossen. Doch das dauerte nur einen Augenblick; nur eine Sekunde war dieser harte, scheinbar so ruhige Charakter aus dem Gleichgewicht gekommen. Er fuhr mit der Hand über sein Gesicht und ebnete hiedurch seine Züge wieder vollkommen; ja er lächelte sogar anmuthig und liebenswürdig, als er darauf sagte: »Wenn aber auch dies wieder fehl schlägt, so haben wir zweierlei verloren: neben jenem Etwas den guten Klang des Namens Stillfried für ewige Zeiten.«

»Ich verstehe Sie nicht ganz,« sprach die alte Dame mit dumpfer Stimme und fuhr aus einem tiefen Hinbrüten auf.

»Nichts klarer als das,« versetzte der Justizrath; »wenn er das Mädchen nun wirklich auf ehrliche Weise liebt und sie zu seiner Frau machen will, wer kann ihn daran hindern? Dann adieu Hausdurchsuchung, dann gratulire ich zur Schwiegertochter!«

»Aber das wäre empörend!« fuhr die Dame auf. »Eines so schlimm wie das Andere, und Beides zusammen ... o mein Gott!«

»Ich glaube nicht, daß Eines so schlimm ist wie das Andere, theure Sophie,« entgegnete der Justizrath. »Wenn wir jenes Etwas bekommen könnten, so glaube ich, wäre es sehr gleichgültig, wen, verzeihen Sie mir, jener junge Taugenichts eigentlich heirathet. – Aber dieser langersehnte Schatz rückt immer weiter hinaus. Noch weiß ich freilich, wo er sich befindet, aber wie lange werde ich hievon Kenntniß haben? Und dann, wenn Eugen später heirathen will, wird er Sie unter den obwaltenden Verhältnissen je um Ihre Einwilligung fragen? Gewiß nicht!«

»Aber eine solche Schwiegertochter!« sagte die Staatsräthin mit schmerzlicher Stimme und schüttelte den Kopf. »Eine solche Frau meinem einzigen Sohne? das wäre entsetzlich!«

»Beruhigen Sie sich, Sophie, so weit wirds vielleicht gar nicht kommen. Vorderhand weiß ich noch nicht einmal, welche Absichten er mit dem Mädchen hat. Will er heirathen, so muß man ihn daran hindern, man muß die Sache so zu drehen und zu wenden wissen, daß ihm jenes Mädchen zu einem kurzen Zeitvertreib dient. Dann muß man hievon die Mutter oder die Brüder in Kenntniß setzen, und dann geht die Geschichte ihren Lauf. Dies zu arrangiren, sei alles meine Sorge. Es müßte doch sonderbar zugehen, wenn wir nicht einmal im Stande wären, das durchzuführen. – Es ist schon sehr wichtig, daß ich von allen seinen Schritten und Tritten die genaueste Kenntniß habe.«

»Durch Joseph, seinen Bedienten?«

»Allerdings!« entgegnete der Justizrath; »ich hätte keinen passenderen Menschen hierzu finden können, als ihn. Den habe ich in meiner Hand; was hätte mir jeder andere Bursche, der mir auch noch so ergeben gewesen, genützt? – Monsieur Eugen mit seiner leichtsinnigen Wirtschaft, mit seinem Geldhinauswerfen an Freunde und Bediente hatte mir ihn doch bald verdorben. Aber dieser Joseph muß mir treu bleiben, denn, das habe ich ihm auch angekündigt, bei dem geringsten Seitensprung, den er macht – fort mit ihm ins Zuchthaus!«

»Und bringt er öfters Rapporte?« fragte die Dame mit anscheinender Gleichgültigkeit.

»O ja,« entgegnete der Justizrath, »alle Wochen ein paar Mal.

»Und das Leben, das sie führen, ist immer das gleiche?«

»Es ändert sich nur in so fern, als wöchentlich eine neue Thorheit projektirt und ausgeführt wird.«

Und die Gesundheit meines... des... Eugen Stillfried? Wie hält er dieses wilde Leben aus?«

»Ganz vortrefflich!« entgegnete achselzuckend der Justizrath; »ich begreife das nicht. Er hat eine merkwürdige Konstitution.«

»Und ist jener Andere, sein Freund, immer noch bei ihm? forschte die alte Dame Weiler, »sein lustiger Rath, wie er ihn nennt, jener mißvergnügte, kopfhängerische Schulmeister?«

»Leider, leider!« seufzte der Justizrath, »das Bündniß hat der Teufel geschlossen, und so viele Mühe ich mir auch schon und namentlich durch Joseph gegeben habe, die Beiden aus einander zu bringen, es ist rein unmöglich.«

Die Staatsräthin sah ihren Freund fragend und aufmerksam an.

»Die herrlichsten Thorheiten des Monsieur Eugen,« fuhr der Justizrath fort, »die schönsten dummen Streiche, die zu den schlimmsten ausfallen könnten, weiß der Andere in ihrem vollen Laufe aufzuhalten und ihnen durch irgend ein Manöver die Spitze abzubrechen. Man sieht nie Einen ohne den Anderen, und wenn es auch Monsieur Eugen, wie gesagt, absichtlich darauf anzulegen scheint, seinen Namen und seine Gesundheit auf ewige Zeiten zu ruiniren, so springt der Andere dazwischen und bringt Alles, so viel es thunlich ist, wieder ins Geleise. O, es ist das eine heillose Wirthschaft!«

Das Auge der alten Dame glänzte sonderbar, doch wandte sie ihren Kopf dem Fenster zu. Dann sagte sie, ohne den Justizrath anzusehen: »Also könnte man ihn den Schutzgeist jenes verlorenen jungen Menschen nennen?«

»Allerdings!« entgegnete ärgerlich der Justizrath und blickte forschend auf seine Freundin; »wenn bei einer solchen Wirthschaft ein Schutzgeist überhaupt denkbar wäre.«

»Gott sei Dank!« lispelte die alte Dame, aber so leise in sich hinein, daß der Andere nichts als einen schwachen Seufzer vernahm. Er setzte das Sonnenschirmchen, mit dem er bis jetzt gespielt, in die Ecke der Fenstervertiefung, ging ein paar Mal in dem Zimmer auf und ab, die Hände auf den Rücken gelegt, dann trat er wieder an den Fauteuil der Staatsräthin und streckte die Hand aus nach einem kleinen Kästchen von Ebenholz, das vor ihr auf dem Tische stand.

Bei dieser Bewegung aber legte die Dame mit einem schmerzlichen Lächeln die Hand auf jenes Kästchen und sah ihn dabei so sonderbar an, als wolle sie ihn bitten, dasselbe jetzt nicht zu berühren. Der Justizrath blickte sie jedoch so befremdet, ja vorwurfsvoll an, daß sie ihre Hand mit einem Seufzer zurückzog und ihn das Kästchen ergreifen ließ, das er vom Tische nahm und in die Höhe hob. Er drückte an einer Feder, der Deckel sprang auf und zeigte das Bild eines jungen Mädchens von vielleicht fünfzehn Jahren, das ihn jetzt so zufrieden, heiter und glücklich aus den klaren Augen anschaute, als sei es froh, daß man endlich einmal wieder sein schwarzes Gefängniß geöffnet.

Der Mann mit dem strengen Gesicht blickte lange und schweigend dieses Bild an, und über die harten Linien seiner Züge floß eine unendliche Weichheit. Nach einigen Augenblicken setzte er das geöffnete Kästchen vor die Staatsräthin nieder, diese aber drückte mit abgewandtem Gesicht den Deckel wieder darauf.

Der Justizrath schritt abermals, in tiefe Gedanken versunken, in dem Zimmer auf und ab. »Und dieses arme unglückliche Kind,« sagte er nach einer längeren Pause, »so gut, so unschuldig, leidet wohl unter diesen entsetzlichen Verhältnissen am meisten.«

»Und wir nicht, Ferdinand?« fragte die Dame mit weicher Stimme.

»Unsere Herzen schlagen ruhiger, Sophie. Wir haben ein langes Leben durchgekämpft in bitterer Qual, ja in tiefer Verzweiflung, und das liegt jetzt hinter uns. Wir haben nicht errungen, was wir gehofft, was wir gewünscht, wir sind nie zu einem glückseligen Ziele gelangt ... Ist es aber nicht erschrecklich, daß uns aus all' dem, was wir in finsterer Nacht gesäet und worauf wir Tausende blutiger Thränen geweint, nicht die geringste Frucht erblüht? o ja, was noch schlimmer ist, daß diese Frucht jene liebe Blume« – dabei deutete er auf das Kästchen – »nur uns, von allen Menschen nur uns, nicht mit ihrem süßen Lächeln erfreuen darf. O, es ist eine fürchterliche Strafe!«

»Aber keine ungerechte!« antwortete die alte Dame mit leiser, doch fester Stimme.

»Und ich leide doppelt, dreifach, zehnfach, tausendfach!, fuhr der Justizrath heftiger fort; »dein Herz, Sophie, ist getheilt, du magst sagen, was du willst, zwischen dieser armen Unglücklichen und jenem ungerathenen Buben; und wenn er auch an dem Unglück dieser schuld ist, so ist und bleibt er doch dein Sohn, dein rechtmäßiger Sohn, der aller Vorrechte, alles Glückes seiner Geburt genießt, der rechtmäßige Sohn seines Vaters, an dem dein Herz immer noch mit mütterlicher Liebe hängt.«

Der Justizrath machte bei den letzten Worten eine hastige abwehrende Bewegung mit der Hand, als wollte ei alle Einwendungen von Seiten der Staatsräthin abschneiden, was ihm auch gelang.

Diese war in ihren Fauteuil zurückgesunken, preßte ihr Schnupftuch vor die Augen und machte nicht den geringsten Versuch, eine Sylbe der Entgegnung hören zu lassen.

So vergingen wohl volle zehn Minuten, und im Verlauf derselben wurde der Schritt des Justizrathes ruhiger; seine Züge, die sich sonderbar verzerrt hatten, glätteten sich wieder. Auch die Staatsräthin fuhr mit dem Taschentuche mehrere Mal über die Augen, dann reichte sie ihrem Freunde, der wieder in die Nähe der Fenstervertiefung gekommen war, die Hand und sagte mit leiser Stimme: »Wozu diese selbe Scene bei jeder Veranlassung immer und ewig wiederholen? Meinst du denn, Ferdinand, ich hätte dieses Kästchen mit dem Bilde des unglücklichen Mädchens zur Lust, zum Vergnügen vor mir stehen? meinst du, es sei mir ein Trost, in diese reinen, unschuldigen Züge zu blicken? – Gewiß nicht, Ferdinand! O, wie ich mich damit quäle! Du kannst es mir glauben, mein Freund! Nur in solchen Stunden, wo mein Herz den schwachen Versuch macht, freudiger zu schlagen, in Augenblicken, wo ich denke, das Glück werde doch nochmals einkehren in dieses Haus, nur dann betrachte ich dieses kleine Gesicht und stürze mich dadurch absichtlich und schonungslos von den geträumten Höhen mit seliger, süßer Aussicht wieder hinab in meine finstere Alltäglichkeit ... Ah!«

»Laß es gut sein, Sophie,« sprach der Justizrath. Er schien tief ergriffen von dem Schmerze seiner Freundin und drückte ihr warm die Hand. »Laß es gut sein! Wer weiß, ob nicht noch einmal auch für unser Leben klar und angenehm die Sonne hervorbricht, die sich solange hinter finsteren Wolken verborgen!«

»Nie, Ferdinand, nie!« sagte die Dame mit fester Stimme; »wenn sich einstens jenes Gewölbe zertheilt – um mich deiner Worte zu bedienen – und die Sonne wieder hervorbricht, so wird sie, ich weiß es und hoffe es – unsere Gräber bescheinen.«

Der Justizrath blickte nach diesen Worten lange zum Fenster hinaus; er schien gewaltsam jedes fernere Gespräch unterdrücken zu wollen. Seine Brust hob sich heftig; er nahm sanft und leise die Hand der Staatsräthin, drückte sie an seine Lippen und verließ schweigend das Gemach.

Seine Schritte hallten auf den einsamen Treppen wider, dann hörte man, wie unten die Thüre wieder geschlossen wurde, und darauf war es ruhig, wie vorher, in dem weiten, öden Hause.

Draußen aber blitzte die Sonne mit aller Pracht auf Berg und Thal und berührte Straßen und Häuser mit ihrem warmen Hauche. Auch das Stillfried'sche Haus umschlang sie mit heißen Armen; doch war es ihr nicht möglich, dort hinein zu dringen; Fenster und Thüren blieben nach wie vor fest verschlossen, und jetzt hatte auch die Staatsräthin oben im zweiten Stock einen grünseidenen Vorhang vor das Fenster herabgelassen, hinter welchem sie saß, einsam und allein, über ihr vergangenes Leben nachbrütend, tiefes, gewaltiges Weh im Herzen.

In einem kleinen Hause gegenüber wohnte ein armer Schuhmacher mit seinem Weibe und vier Kindern in zwei kleinen heißen Stuben. Er besorgte Schuhe und Stiefel für die Dienerschaft drüben und kannte das große leere Haus ganz genau. Wenn er nun so von seiner Arbeit aufblickte und sich den Schweiß von der Stirne trocknete, und wie er jetzt den Justizrath, den stattlichen, wohlhabenden Herrn, herausgehen sah, so mochte er wohl über sein Schicksal und über die ungleiche Vertheilung der Güter im menschlichen Leben nachdenken. Doch war er glücklicher, als Jene drüben, mit seinem ruhigen, zufriedenen Gemüthe; und hätte man ihn einen Tag dort hinein gesetzt, und auf ihn gehäuft nur den zehnten Theil des Kummers und des Schmerzes, welcher auf dem Gemüthe dieser reichen, vornehmen Leute lagerte, so wäre er mit tausend Freuden wieder nach Hause gelaufen, in seine kleinen Zimmer, zu seinem Arbeitsstuhle, zu seinem Weibe und zu seinen vier gesunden Kindern.


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